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Die Passion Christi

8. April 2006 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Dritte Betrachtung von P. Raniero Cantalamessa für den Papst und seine Kurienmitarbeiter in der Fastenzeit.


Rom (www.kath.net / zenit) Wir veröffentlichen die dritte Betrachtung in der Fastenzeit, die Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, Prediger des Päpstlichen Hauses, am Freitag, in der Kapelle Redemptoris Mater im vatikanischen Apostolischen Palast vorgetragen hat. P. Cantalamessa betrachtete vor Papst Benedikt XVI. und dessen Mitarbeitern der Römischen Kurie die Leiden Christi und unsere Antwort darauf. Denn die Betrachtung der Passion könne „den entscheidenden Antrieb zum Wandel“ geben.

„Wenn Christus 'für mich' und 'für meine Sünden' gestorben ist, dann will das heißen – wenn wir den Satz einfach ins Aktiv setzen –, dass ich Jesus von Nazareth getötet habe, dass meine Sünden ihn erdrückt haben. Das ist es, was Petrus seinen dreitausend Zuhörern mit voller Kraft am Pfingsttag verkündet: 'Ihr habt Jesus von Nazareth getötet!'; 'ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet!' (vgl. Apg 2,23; 3,14).“

1. Die Passion und das Turiner Grabtuch

Die Passion Christi ist das in der abendländischen Kunst am meisten behandelte Motiv. Denken wir beispielsweise im Bereich der Malerei und der Bildhauerei an die unzähligen Darstellungen Jesu in Getsemani, an den „Ecce homo“, die Kreuzigung, die berühmten Szenen der Abnahme Jesu vom Kreuz, die so genannte „Pieta“, die im deutschen Sprachraum auch „Vesperbild“ heißt.

In unserer säkularisierten Welt stellt die Kunst eine der wenigen Formen der Evangelisation dar, die selbst jene Milieus durchdringt, die sonst für jede andere Art der Verkündigung verschlossen wären. Ich kenne eine junge Japanerin, die sich bekehrt und die Taufe empfangen hat, weil sie in Florenz Kunst studierte.

Keine auch noch so kunstreiche Darstellung der Passion ist mit der Faszination vergleichbar, die das Turiner Grabtuch auf uns ausübt. Von unserem Gesichtspunkt aus spielt es jetzt keine Rolle, ob das Grabtuch „authentisch“ ist oder nicht, ob das Bild natürlich oder künstlich entstanden ist, ob es sich lediglich um eine Ikone oder auch um eine Reliquie handelt.

Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass es die feierlichste und erhabenste Darstellung des Todes ist, die das menschliche Auge je geschaut hat. Wenn ein Gott stirbt, dann ist das geradezu die unpassendste Art, uns seinen Tod darzulegen.

Die Lider gesenkt, die Lippen geschlossen, die Gesichtszüge geordnet... Anstatt an einen Toten denken wir hier eher an einen Menschen, der in tiefer und stiller Betrachtung versunken ist. Es scheint, eine bildhafte Übersetzung des alten Karsamstag-Vorgesangs „Caro mea requiescet in spe“ („Mein Fleisch ruht in Frieden“) zu sein.

Auch die altertümliche Karsamstagspredigt erhält eine besondere Stärke, wenn sie vor dem Grabtuch gelesen wird: „Was ist geschehen? Heute herrscht auf der Erde eine große Stille, große Stille und Einsamkeit. Große Stille, weil der König schläft...“ (Altertümliche Karsamstagspredigt [PG 43, 439f]).

Die Theologie erklärt uns, dass sich Christi Seele zum Zeitpunkt seines Todes von seinem Leib trennte – wie es in jedem Menschen, der stirbt, geschieht –, dass aber seine Göttlichkeit sowohl mit seiner Seele als auch mit seinem Leib vereint blieb. Das Turiner Grabtuch ist die vollkommenste Darstellung dieses christologischen Geheimnisses. Jener Leib ist von der Seele getrennt, aber nicht von der Göttlichkeit. Etwas Göttliches schwebt auf dem gepeinigten, jedoch der Majestät vollen Antlitz Christi des Turiner Grabtuchs.

Um es noch besser zu verdeutlichen, können wir das Grabtuch mit anderen Darstellung des toten Christus vergleichen, die von menschlichen Künstlern entworfen wurden: Zum Beispiel der tote Christus von Mantegna oder, mehr noch, jener vom jungen Holbein im Museum von Basel. Der Leib Christi wird mit voller Todesstarre und beginnender Verwesung der Glieder abgebildet.

In Anbetracht dieses Bildes, so sagte Dostojewski, der es auf einer seiner Reisen lange betrachtet hatte, könne man sehr leicht den Glauben verlieren (F. Dostoevskij, Der Idiot, 2. Teil, IV). Vor dem Grabtuch kann man dagegen den Glauben finden – oder auch wiederfinden, falls er verloren war.

Das Antlitz Christi auf dem Grabtuch ist wie eine Grenze, eine Wand, die zwei Welten trennt: die Welt der Menschen, die voller Unruhe, Gewalt und Sünde ist, und die Welt Gottes, die dem Übel unzugänglich ist. Es ist ein Ufer, auf dem sich alle Wellen brechen. Es ist, als ob Gott in Christus zum Übel sagte, was er im Buch Ijob zum Ozean spricht: „Bis hierher darfst du und nicht weiter, hier muss sich legen deiner Wogen Stolz“ (Ijob 38,11).

Vor dem Turiner Grabtuch können wir beten: „Herr, mach aus mir dein Grabtuch. Wenn du wieder vom Kreuz abgenommen wirst, dann steig erneut in mich in dem Sakrament deines Leibes und deines Blutes herab, damit ich dich mit meinem Glauben und meiner Liebe, wie mit einem Schweißtuch, einwickle, damit deine Gesichtszüge sich meiner Seele einprägen und in ihr eine unauslöschliche Spur hinterlassen. Herr, mach aus dem rauen und groben Tuch meiner Menschheit dein Grabtuch!“

2. Die Passion der Seele des Erlösers

In dieser Betrachtung begeben wir uns im Geiste auf den Kalvarienberg. Die Evangelisten fassen das Ereignis, das die Weltgeschichte am meisten erschütterte, mit drei Aussagen zusammen: „Dann kreuzigten sie ihn“ (Markus und Mathäus), „dort kreuzigten sie ihn“ (Lukas), „um ihn zu kreuzigen“ (Johannes). Anders als wir, wussten die Leser, an die diese Worte damals gerichtet waren, sehr wohl, was das beinhaltete.

Wir müssen den Sinn dieser Worte den Quellen entnehmen, aber auch diese schweigen auf wunderliche Weise. Die Todesstrafe der Kreuzigung wurde als derart grauenvoll angesehen, dass man sie „nicht nur von den Augen, sondern auch von den Ohren eines römischen Stadtbürgers“, fernhalten musste, wie es Cicero ausdrückt (vgl. Cicero, Pro Rabirio 5, 16). Unter anständigen Leuten durfte nicht darüber gesprochen werden.

Der Verurteilte konnte an den Handgelenken entweder mit Seilen oder mit Nägeln am Kreuz festgemacht werden. Da Wunden an den Händen und an den Füßen des Auferstandenen erwähnt werden, können wir daraus schließen, dass für Jesus die zweite Methode angewandt wurde. Und es ist sehr leicht vorstellbar, welche Qual das beinhaltete.

Verschiedene Theorien sind angeführt worden, um die unmittelbare physische Todesursache Jesu zu bestimmen: Herzinfarkt, Erstickung. Die neueste Theorie gibt Wassermangel und Blutverlust als die plausibelste medizinische Erklärung für den Tod Christi an.

Wesentlich tiefer und schmerzhafter als das Leiden des Leibes war jedoch die Passion der Seele Christi. Diese hatte verschiedene Gründe. Der erste war die Einsamkeit. Die Evangelisten betonen die fortschreitende Verlassenheit Jesu in seinem Leiden: Die Menge und die Jünger verlassen ihn, und schließlich sogar der Vater. „Und mich werdet ihr allein lassen“ (Joh 16,32); „Da verließen ihn alle Jünger und flohen“ (Mt 26,56; Mk 14,50).

Die Einsamkeit Christi ist vor allem in dem Geschehen in Getsemani sehr erschütternd dargestellt, als er mehrfach und vergebens nach jemandem sucht, der ihm beistehen möge. Um die Angst und den Kummer dieses Moments auszudrücken, gebrauchen Markus und Mathäus das Verb ademonein. Im Griechischen bedeutet die Vorsilbe a- Abwesenheit, Entbehrung; demonein hat den gleichen Stamm wie demos, Volk und Demokratie.

Die zu Grunde liegende Idee ist daher die eines Menschen, der vollkommen von der menschlichen Gesellschaft abgeschnitten und von einer Art einsamen Terror gepackt ist – wie jemand, der in einen weit entfernten Winkel des Universums hin katapultiert wird, wo sich, wenn er schreit, seine Stimme in der Leere verliert.

Die Einsamkeit erreicht ihren Höhepunkt am Kreuz, als Jesus sich in seiner menschlichen Natur sogar vom Vater verlassen fühlt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieses war kein Schrei der Trostlosigkeit und der Verzweiflung, wie so mancher erläuterte. Wenn die Evangelisten dieser Meinung gewesen wären, hätten sie sicherlich nicht das Bekenntnis des Glaubens der römischen Hauptmanns davon abhängig gemacht: „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ (Mt 27,54; Mk 15,39).

Dennoch hindert uns nichts zu glauben, dass die Evangelisten den Ausruf Jesu im Licht des erwähnten Psalms interpretiert haben, als Ausdruck außerordentlicher Einsamkeit und Verlassenheit, die Jesus in diesem Moment in seiner Menschheit erfuhr (vgl. R. Brown, Der Tod des Messias, II, 1051).

Was der Apostel Paulus als den größtmöglichen Verzicht und das tiefste Leiden der Welt bezeichnet, „verflucht und von Christus getrennt [zu] sein um meiner Brüder willen“ (vgl. Röm 9,3), das hat Christus am Kreuz Gott gegenüber tatsächlich erfahren. Er ist zum Atheisten geworden, zum Gottlosen – damit die Menschen zu Gott zurückkehren können.

Es gibt ja einen aktiven, schuldigen Atheismus, der darin besteht, Gott zurückzuweisen, und einen passiven Atheismus der Strafe und der Sühne, der darin besteht, von Gott abgelehnt zu sein oder besser: sich von Gott abgelehnt zu fühlen. Um zu wissen, wie schmerzhaft diese Form des Atheismus ist, müssen wir jene Mystiker befragen, unter ihnen auch Mutter Theresa von Kalkutta, die die dunkle Nacht Christi miterlebt haben...

Ein weitere Dimension des inneren Leidens Christi sind Demütigung und Verachtung. „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden..., er wurde misshandelt und niedergedrückt“ (Jes 53,3.7). So hatte es Jesaja vorausgesagt, und so geschah es. Vom Zeitpunkt der Gefangennahme an bis zum Kreuz handelt es sich um ein „Crescendo“ der Verachtung, der Beschimpfung und der Verhöhnung der Person Christi.

„Dann legten sie ihm einen Purpurmantel um und flochten einen Dornenkranz; den setzten sie ihm auf und grüßten ihn: Heil dir, König der Juden! Sie schlugen ihm mit einem Stock auf den Kopf und spuckten ihn an, knieten vor ihm nieder und huldigten ihm. Nachdem sie so ihren Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie ihm den Purpurmantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an. Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen“ (Mk 15,17-20).

„Die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Ältesten verhöhnten ihn [unter dem Kreuz] und sagten: Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen“ (Mt 27,41f). Jesus ist der Besiegte. All die unzähligen Male, die wir im Leben „besiegt“ werden, haben wir jemanden, der das verstehen und uns helfen kann.

Das Leid der Seele des Erlösers hat jedoch eine noch tiefergehende Ursache der Einsamkeit und Demütigung. In Getsemani betet er, dass der Kelch von ihm genommen werden möge (vgl. Mk 14,36). Das Bild des Kelchs ruft in der Bibel fast immer die Vorstellung des Zornes Gottes gegen der Sünde hervor (vgl. Jes 51,22; Ps 75,9; Off 14,10).

Zu Anfang des Römerbriefs hat der heilige Paulus einen universalgültigen Grundsatz aufgestellt: „Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit“ (Röm 1,18). Wo die Sünde herrscht, kann Gottes Urteil gegen sie nicht fehlen. Andernfalls würde Gott einen Kompromiss mit der Sünde eingehen, und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse würde zunichte gemacht.

Der Zorn Gottes ist das Gleiche wie die Heiligkeit Gottes. Nun nimmt Jesus im Ölgarten aber Gottlosigkeit auf sich, alle Gottlosigkeit der Welt. Er ist, so schreibt der Apostel, der „zur Sünde gemachte“ Mensch (2 Kor 5,21). Gegen ihn „offenbart sich“ der Zorn Gottes. Die unendliche Anziehung zwischen dem Vater und dem Sohn wird hier von einer ebenso unendlichen Abstoßung zwischen der Heiligkeit Gottes und dem Übel der Sünde durchkreuzt. Und das heißt nun „den Kelch trinken“.

3. „Herr, bin ich's?“

Es ist an der Zeit, von der Betrachtung der Passion zu unserer Antwort auf sie überzugehen. Ich habe zu Beginn die Rolle, die die Künste in Anbetracht der Passion Christi spielen, erwähnt. Neben der Malerei und der Bildhauerei müssen wir mit Dankbarkeit auch an die Musik erinnern.

Viele Personen innerhalb und außerhalb des Christentums kennen die Passion Christi nur von der Mathäuspassion von Bach her. Angesichts dieser Vermittlung ist es schwierig, neutral und losgelöst zu bleiben, wenn sich bei der Erzählung der Begebenheiten Betrachtung (Rezitative), Gebet (Arien), Herzenshingabe (Choral) abwechseln. Das Ganze durchdringt durch den Einfluss der Musik, die hier einen ihrer erhabensten Gipfel erstürmt, Sinne und Seele.

Aufgrund dieser Betrachtungen wollte ich mir die Mathäuspassion von Bach noch einmal anhören, und es gab da einen Moment, der mich tief erschütterte. Bei der Ankündigung des Verrats fragen alle Apostel Jesus: „Herr, bin ich's?“ Bevor wir aber die Antwort Jesu hören, hebt der Komponist jegliche Entfernung zwischen dem Ereignis und seinem Gedächtnis auf, indem er einen andächtigen Christen von heute einbringt, der sein Bekenntnis ausruft: „Ich bin's, ich sollte büßen.“

Diese Auslegung ist sehr biblisch. Das kerigma, die Verkündigung des Leidens besteht stets aus zwei Elementen: Aus einer Begebenheit – „er litt“, „er starb“ – und einer Motivation dieser Begebenheit – „für uns“, „für unsere Sünden“. Er wurde getötet, so sagt der Apostel, „wegen unserer Verfehlungen“ (Röm 4,25); er starb „für die Gottlosen“, „für uns“ (Röm 5,6.8).

Die Passion wird uns unvermeidlich fremd bleiben, wenn wir nicht durch die enge Tür des „für uns“ eintreten. Wir kennen die Passion nur dann wirklich, wenn wir erkennen, dass sie auch unser Werk ist. Ohne diese Feststellung ist der Rest bloße Ausschweifung. Ich bin Judas, der verrät, Petrus, der verleugnet, die Menge, die da schreit: „Barabbas, nicht diesen!“ Jedes Mal, wenn ich mein Behagen, meine Bequemlichkeit, meine Ehre denjenigen Christi vorgezogen habe, ist das Wirklichkeit geworden. In seinem denkwürdigen Diskurs zum Karfreitag hatte Pastor Primo Mazzolari nicht Unrecht, als er von „unserem Bruder Judas“ sprach.

Wenn Christus „für mich“ und „für meine Sünden“ gestorben ist, dann will das heißen – wenn wir den Satz einfach ins Aktiv setzen –, dass ich Jesus von Nazareth getötet habe, dass meine Sünden ihn erdrückt haben. Das ist es, was Petrus seinen dreitausend Zuhörern mit voller Kraft am Pfingsttag verkündet: „Ihr habt Jesus von Nazareth getötet!“; „ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet!“ (vgl. Apg 2,23; 3,14).

Jene Dreitausend waren nicht auf dem Kalvarienberg zugegen, um die Nägel einzuschlagen, und auch nicht vor Pilatus, um die Kreuzigung zu fordern. Sie hätten deshalb protestieren können. Sie nehmen die Beschuldigung jedoch an und fragen die Apostel: „Was sollen wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37). Der Heilige Geist hat sie „von der Sünde überzeugt“, indem er sie einen einfachen Vernunftschluss hat ziehen lassen: Wenn der Messias für die Sünden seines Volkes gestorben ist und ich gesündigt habe, dann habe ich den Messias getötet.

Zum Zeitpunkt des Todes Christi „riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte, und die Felsen spalteten sich. Die Gräber öffneten sich, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen waren, wurden auferweckt“ (Mt 27,51f). Diese Zeichen werden normalerweise apokalyptisch (symbolische Sprache, um das endzeitliche Ereignis zu beschreiben) erklärt. Sie haben aber auch eine ermahnende Bedeutung: Sie verweisen auf das, was im Herzen dessen geschehen muss, der die Passion Christi liest und betrachtet.

Der heilige Leo der Große schreibt: „Möge die menschliche Natur vor der Strafe des Erlösers zittern, mögen die Felsen der untreuen Herzen bersten und mögen diejenigen, die in den Gräbern ihrer Sterblichkeit eingeschlossen waren, hervorkommen und den Stein, der sie niederdrückte, aufheben“(Heiliger Leo der Große, Sermo 66, 3 [PL 54, 366]).

Wir sind nun an jenen Punkt gelangt, an dem wir die Früchte unserer Betrachtung der Passion ernten müssen. Die Heilige Schrift hat die tiefe Bedeutung des Wortes metanoia, Bekehrung, als Wandel des Herzens erklärt: „Erschaff in mir, oh Gott, ein neues Herz. Zerreist eure Herzen, nicht eure Kleider“ (Joël 2, 13). Auch die Bekehrung der Menge, die Petrus Predigt gehört hat, wird durch das Bild des Herzens ausgedrückt: „Es traf sie mitten ins Herz“ (Apg 2,37).

Jede Bekehrung setzt eine Bewegung, einen Übergang von einem Zustand in einen anderen voraus, von einem Ausgangs- zu einem Ankunftspunkt. Der Ausgangspunkt – der Zustand, den wir verlassen müssen –, ist für die Bibel die Herzenshärte: „Da überließ ich sie ihrem verstockten Herzen, und sie handelten nach ihren eigenen Plänen“ (Ps 81,13); „nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen“ (Mt 19,8); „voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz“ (Mk 3,5); „er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit“ (Mk 16,14); „weil du aber starrsinnig bist und dein Herz nicht umkehrt, sammelst du Zorn gegen dich“ (Röm 2,5).

In der gesamten Heiligen Schrift, vor allem aber im Neuen Testament, stellt im Gegensatz zum äußeren Schein das Herz den Sitz des inneren Lebens dar: „Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (1 Sam 16,7). Das Herz ist das Ich des Menschen, seine Person, im Besonderen sein Verstand und sein Wille. Es ist die Mitte des geistlichen Lebens, der Punkt, an dem sich Gott an den Menschen wendet und der Menschen sich für seine Antwort Gott gegenüber entscheidet.

Wir verstehen nun, was für die Heilige Schrift die Härte des Herzens bedeutet: Die Ablehnung, sich Gott zu unterwerfen, ihn mit ganzem Herzen zu lieben, sein Gesetz zu befolgen. Der Ausdruck sclerocardia, der von der Bibel erfunden wurde, ist sehr bedeutend. Das harte Herz ist verkalkt, verfilzt, für jegliche Form der Liebe außer der Eigenliebe völlig undurchdringlich. Die in der Heiligen Schriften verwendeten Bilder sind: „Herz von Stein“ (Ez 36,26), „unbeschnittenes Herz“ (Jer 9,25), „Halsstarrigkeit“ (Dt 31,27).

Der Terminus ad quem, der Ankunftspunkt der Bekehrung, wird gleichermaßen mit Bildern des zerknirschten, verwundeten, zerrissenen, beschnittenen Herzens, des Herzens aus Fleisch, des neuen Herzens, beschrieben: „Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen“ (Ps 51,19); „ich blicke auf den Armen und Zerknirschten und auf den, der zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2); „du aber nimm uns an! Wir kommen mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn“ (Dan 3,39).

4. „Ich stehe vor der Tür und klopfe an“

Versuchen wir nun zu verstehen, wie dieser Wandel des Herzens stattfindet. Wir müssen hierzu zwei Situationen unterscheiden. Wenn es sich um die erste Bekehrung handelt, vom Unglauben zum Glauben, von der Sünde zur Gnade, dann steht Christus draußen und klopft an die Wände unseres Herzens, um einzutreten. Wenn es sich um die folgenden Bekehrungen handelt, um einen Übergang von dem einen Stand der Gnade zu einem höheren, von der Lauheit zum Eifer, dann geschieht das Gegenteil: Christus ist in unserem Herzen und klopft an die Wände, um es zu verlassen!

Hier die Erklärung: In der Taufe erhalten wir den Geist Christi. Dieser bleibt in uns wie in einem Tempel (1 Kor 3,16), so lange er nicht durch die Todsünde verstoßen wird. Es kann jedoch passieren, dass dieser Geist am Ende in einem Herzen aus Stein eingesperrt und eingemauert ist.

Er hat keine Möglichkeit, sich auszuweiten und alle Fähigkeiten, Handlungen und Gefühle der Person zu durchdringen. Wenn wir den Satz Christi in der Offenbarung lesen: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an“ (Off 3,20), dann sollten wir verstehen, dass er nicht von außen, sondern von innen klopft, und dass er nicht eintreten, sondern hinausgehen möchte.

Der Apostel Paulus sagt, dass Christus in uns „Gestalt annehmen“ soll (Gal 4,19), das heißt er muss sich entwickeln und seine volle Gestalt annehmen. Es ist diese Entwicklung, die von einem Herzen aus Stein verhindert wird. Manchmal sehen wir an den Straßenrändern riesige Bäume (in Rom sind es normalerweise Pinien), deren Wurzeln, die vom Asphalt eingesperrt werden, darum kämpfen, um sich auszubreiten. Und bisweilen heben sie selbst den Zement hoch. So müssen wir uns das Reich Gottes in uns vorstellen: Es ist ein Samen, der zu einem majestätischen Baum wachsen soll, in dem die Vögel des Himmels nisten können. Aber dieser Baum hat Mühe, sich gegen den Widerstand unseres Egoismus zu entwickeln.

Es gibt da natürliche unterschiedliche Grade dieser Situation. In den meisten Seelen, die sich auf einem geistlichen Weg befinden, ist Christus nicht hinter Panzerplatten eingesperrt, sondern sozusagen in überwachter Freiheit. Er ist frei genug, um sich zu bewegen, aber ganz genau gezogenen Grenzen. Das geschieht, wenn wir ihn zum Schweigen bringen, indem wir ihm zu verstehen geben, worum er uns bitten darf und worum er uns nicht bitten darf.

Gebet ja, aber nur solange der Schlaf, die Ruhe, die gesunde Information nicht aufs Spiel gesetzt werden; Gehorsam ja, aber nur solange unsere Bereitschaft nicht ausgenutzt wird; Keuschheit ja, aber nur so lange uns kein entspannendes, wenn auch übertriebenes Schauspiel entgeht... Kurz gesagt, wir gebrauchen nur das halbe Maß.

In der Geschichte der Heiligkeit ist der heilige Augustinus das bekannteste Beispiel der ersten Bekehrung, von der Sünde zur Gnade. Das lehrreichste Beispiel der zweiten Bekehrung, von der Lauheit zum Eifer, ist die heilige Theresa von Avila. Es kann schon sein, dass das, was sie im Leben über sich sagt, übertrieben ist und von der Feinfühligkeit ihres Gewissens diktiert wird, aber es kann uns doch gute Dienste zur Gewissenserforschung leisten.

„Von Zeitvertreib zu Zeitvertreib, von Eitelkeit zu Eitelkeit, von Gelegenheit zu Gelegenheit begann ich wieder meine Seele zu gefährden... Die Dinge Gottes bereiteten mir Freude. Ich verstand es aber nicht, mich von den Dingen der Welt zu trennen. Ich wollte diese beiden einander entgegengesetzten Feinde miteinander versöhnen: Das Leben des Geistes mit dem Leben der Vergnügungen der Sinne.“

Das Ergebnis war ein tiefes Unglücklichsein, in dem wir vielleicht auch das unsere erkennen können: „Ich verbrachte nahezu zwanzig Jahre auf diesem stürmischen Meer. Ich fiel und stand wieder auf. Und ich stand so schlecht wieder auf, dass ich wieder hinfiel. Ich war soweit unten in der Vollkommenheit, dass ich die lässlichen Sünden fast nicht mehr zählte. Ich fürchtete die Todsünde nicht so, wie ich es hätte tun sollen, denn ich floh nicht vor den Gefahren.

Ich kann sagen, dass mein Leben eines der mühseligsten war, die man sich vorstellen kann, da ich mich weder an Gott erfreute, noch mit der Welt zufrieden war. Wenn ich meine Zeit mit weltlichen Dingen zubrachte, dann wurde sie mir durch die Gedanken, was ich für Gott tun sollte, verbittert; und wenn ich mit Gott war, kamen die weltlichen Zuneigungen, um mich zu stören“ (Heilige Theresa von Avila, Leben, Kap. 7-8).

Es war die Betrachtung der Leiden Christi, die Theresa den entscheidenden Antrieb zum Wandel gab. So beschreibt die Heilige den Moment ihrer „Bekehrung“: „Als ich eines Tages in den Gebetssaal trat, fielen meine Augen auf eine Statue, die bereits für eine Feierlichkeit, die im Kloster zelebriert werden sollte, dort aufgestellt war. Sie stellte unseren Herrn mit Wunden bedeckt dar und war so andächtig, dass ich vollkommen ergriffen wurde, als ich sie sah, weil sie lebendig darstellte, wie viel er für uns gelitten hat.

Der Gedanke an meine Undankbarkeit, mit der ich auf jene Wunden antwortete, tat mir so weh, dass ich dachte mir zerbräche das Herz. Ich warf mich ihm mit einem Tränenschwall zu Füßen und flehte ihn an, mir die Kraft zu geben, ihn niemals mehr zu beleidigen. Ich sagte ihm, dass ich nicht aufstünde, bevor er mir nicht gewährte, worum ich ihn bat. Sicherlich muss er mich erhört haben, denn von diesem Augenblick an besserte ich mich immer mehr“ (Ebd. 9, 1-3). Und heute wissen wir, wie sehr sie sich besserte!

5. „Ich aber will mich allein des Kreuzes Christi rühmen“

Es steht geschrieben, dass an jenem Tag „alle, die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, [...] sich an die Brust [schlugen] und betroffen weg[gingen]“ (Lk 23,48). Genauso wollen auch wir es tun, wenn wir an unsere Arbeit zurückkehren, nachdem wir mit Jesus auf dem Kalvarienberg waren. Wenn wir erst einmal unser kleines geistliches „Erdbeben“ überstanden haben, sehen wir, wie das Kreuz und der Tod Christi ihre Bedeutung vollkommen verändern und aus Anklage und Grund zu Furcht und Traurigkeit Ursachen der Freude und Sicherheit werden.

Das propter nos, wegen uns, verwandelt sich in pro nobis, für uns, zu unserem Vorteil. Das Kreuz erscheint nunmehr als Ruhm und Herrlichkeit, das heißt in paulinischen Termini als eine jubelnde Sicherheit, die von bewegter Dankbarkeit begleitet wird, zu der sich der Mensch im Glauben erhebt und die sich in Lobpreis und in Danksagung ausdrückt.

Wir können uns ohne Angst für jene freudige und pneumatische Dimension öffnen, in der das Kreuz nicht mehr „Torheit und Ärgernis“ darstellt, sondern ganz im Gegenteil „Macht Gottes und Weisheit Gottes“. Das Kreuz ist der Grund für eine unerschütterliche Sicherheit, der erhabenste Beweis der Liebe Gottes zu uns, unerschöpfliches Thema der Verkündigung. Und ohne jegliche Arroganz, aber mit tiefer Demut, können wir dann mit dem Apostel Paulus bekennen: „Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen!“ (Gal 6,14).

In einer Zeit, in der von verschiedenen Seiten der Druck zu spüren ist, das Kreuz aus unseren Klassenzimmern und öffentlichen Gebäuden zu entfernen, sollten wir Christen das Kreuz stärker als je zuvor an den Wänden unseres eigenen Herzens fest machen. Wir haben diese Betrachtung damit begonnen, Jesus darum zu bitten, aus unserer Seele sein Grabtuch zu machen.

Bitten wir nun Maria mit den Worten des Stabat Mater, uns zu helfen, dieses Programm zu verwirklichen: „Sancta Mater, istud agas, / crucifixi fige plagas / cordi meo valide“ : „Heilige Mutter, ach, mach, dass die Wunden des Herrn in meinem Herzen eingeprägt seien“.

ZENIT-Übersetzung des italienischen vom Autor zur Verfügung gestellten Originals



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