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‚Der Geist ist es, der lebendig macht’

31. Mai 2009 in Spirituelles, keine Lesermeinung
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Predigt zum Hohen Pfingstfest von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Hohen Dom zu Köln.


Köln (www.kath.net/PEK)
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Pfingsten kehrt das Innerste ins Außen, und Pfingsten bringt das Äußerste in das Innerste. Der Heilige Geist, das Herz Gottes, sein Innerstes, fällt am Pfingsttag gleichsam vom Himmel und veräußert sich in den Menschen hinein, sodass der Herr sagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte … Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ (Joh 15,15). Und der Geist Gottes bringt das Äußerste, nämlich den Menschen in das Innen Gottes hinein, sodass Paulus sagt: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28).

Darum geht uns Pfingsten persönlich an. Die Menschwerdung Gottes hat sich Weihnachten in der Verborgenheit, in der Hülle der Nacht ereignet, an einem geschichtlich unbedeutsamen Ort vor Analphabeten, vor den Hirten in Bethlehem. Pfingsten ereignet sich in einer Hauptstadt, im geistlichen Zentrum des Alten Bundes, in Jerusalem. Am helllichten Tag mit brennenden Feuerzungen bezeugt sich der Geist Gottes vor Vertretern der ganzen damaligen Welt. Seit Pfingsten hat Religion aufgehört, Privatsache zu sein. Seit Pfingsten ist Religion das Öffentlichste und das Allgemeinste, was es gibt: Pfingsten schenkt uns einen neuen Himmel; Pfingsten bringt uns einen neuen Menschen; und Pfingsten schenkt uns eine neue Erde.

1. Pfingsten bringt uns einen neuen Himmel

Zwischen Weihnachten und Pfingsten liegen Karfreitag und Ostern. In der Sterbestunde Jesu am Karfreitag zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten, ein Zeichen dafür, dass der Himmel nun aufgerissen ist. In der Auferstehung und Himmelfahrt hat uns Christus gleichsam eine Jakobsleiter gebaut in den offenen Himmel über uns hinein. Der offene Himmel wird dem einzelnen Menschen erfahrbar, wenn er dem österlichen Jesus begegnet, der in seinen Wundmalen die Offenheit Gottes für den Menschen bezeugt. Wir leben in unserer kleinen Welt mit engen und dichten Grenzen. Aber was das Schlimmste dabei sein kann, ist, dass unsere Welt nach oben hin, also zu Gott hin, abgedichtet ist. Dann wird einem wirklich „die Welt zu eng“. Die Gefahr ist uns allen gegeben, in diesen vorpfingstlichen Äon zurückzukehren, die Luken und Türen zu schließen, wie die Apostel im Abendmahlssaal von Jerusalem nach der Himmelfahrt des Herrn und unmittelbar vor dem Pfingstereignis.


In einer solchen kleinen und engen Welt entsteht die Gefahr, dass der Mensch in eine Kleingeisterei und Kleinkariertheit verfällt. Und in dieser engen Welt ist seine Berufskrankheit die Angina pectoris, die Herzkranzverengung. Wir brauchen aber die Offenheit Gottes, die uns konkret im österlichen Christus begegnet, mit seinen geöffneten Wundmalen, aus denen uns sein Auferstehungsgeist entgegenströmt, um atmen zu können, um etwas von der Weite und Größe Gottes in unsere kleinen und engen Verhältnisse hineinzuholen. Pfingsten zeigt uns den offenen Himmel, der uns Größe und Weite verbürgt. Pfingsten schenkt uns den Heiligen Geist, der uns den langen Atem gibt, der uns denken lässt, wie Jesus denkt, der uns handeln lässt, wie Jesus handelt.

2. Pfingsten schenkt uns einen neuen Menschen

Der neue Mensch ist der Heilige. Seit Pfingsten ist Heiligkeit nicht mehr Ausnahmefall, sondern Normalfall. Die Welt braucht den Heiligen, den Menschen, der seine Maßstäbe nicht aus den ideologischen Arsenalen dieser Welt holt, sondern der sich seine Maßstäbe aus dem Geiste Gottes holt. Der Heilige ist der Mensch, der sich nicht orientiert an den Trends, sondern der sich Orientierung holt am Willen Gottes. Wenn ein christlicher Prediger heute nach der Devise sprechen müsste: Rede ihnen mal gut zu! Gut zureden hilft schon! – dann wäre es für ihn zum Verzweifeln.

Gut zureden hilft heute nicht mehr. Das wäre zuwenig! Er aber ist berufen, den anderen nicht nur gut zuzureden, sondern auch gut zuzuhandeln, etwa indem er bei der Taufe das Wasser über den Kopf des Täuflings schüttet; indem er bei der Firmung dem jungen Menschen die Stirn mit Chrisam salbt; indem er dem Menschen den Leib Christi in der heiligen Eucharistie aushändigt. In den Sakramenten, die alle vom Geist Gottes bewirkt werden, wird der Mensch geisterfüllt.

Nach Auskunft des Apostels Paulus ist der Heilige Geist die Dynamik Gottes. Darum ist ein geistlicher Mensch immer auch ein dynamischer Mensch. Mit Dynamit werden Hindernisse beim Bau von Auto- oder Eisenbahnen weggesprengt. Darum können wir mit dem Geschenk dieser Gabe des Heiligen Geistes mit Paulus sagen: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13).

Wir erleben heute in unserer Medienwelt so viel Verwirrung. Man käme heute gar nicht mehr nach, Falschmeldungen zu dementieren und zu korrigieren. Aber der einzige Trost für einen, der Verantwortung für das Reich Gottes trägt, ist das Bewusstsein, dass die meisten Christen gefirmt sind und dass ihnen darauf der Geist Gottes gegeben ist mit seinen Gaben, auch mit der Gabe der Orientierung, sodass sie nicht der Verwirrung hoffnungslos ausgeliefert sind. Pfingsten schenkt uns den neuen Menschen, den Menschen des Heiligen Geistes: Es ist der Heilige.

Am Karfreitag sagt der Herr zum Schächer am Kreuz: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Wenn wir das Paradies mit dem Geist Gottes gleichsetzen dürfen, dann gilt uns das gleiche Wort des Herrn: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“. „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23), sagt der Herr.

Das aber ist das Paradies: Wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Pfingsten schenkt uns den neuen Menschen, den Heiligen. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass es zu kaum einer Epoche der Kirchengeschichte so viele Heilige gab wie in unserer Zeit, angefangen von Kindern, über die Jugend, über Frauen und Männer im Alltag bis ins hohe Alter hinein. Ich habe den Eindruck, dass hier junge Menschen überproportional vertreten sind. Darum haben wir alle Grund zu pfingstlicher Zuversicht. Der Heilige Geist heiligt durch die Heiligen unsere Welt.

3. Darum ist die dritte Gabe des Pfingstfestes die neue Erde

Heilige Menschen gestalten eine heilige Welt. Es scheint, dass man auf unserer Erde mit dem eigenen Latein am Ende ist, in Ost und West, in Nord und Süd. Die so genannte Soziale Marktwirtschaft ist am Egoismus und an der Habsucht der Menschen zerbrochen. Je kompetenter Zeitgenossen auf ihrem Fachgebiet sind, desto mehr sind sie und ihre Mitmenschen bedroht, wenn ihre Kompetenz nicht von Verantwortungsbewusstsein vor Gott und den Menschen und einer hohen Ethik und auch von ein wenig Nächstenliebe getragen und umfangen wird.

Fachkompetenz ist nötig, aber Fachkompetenz ohne Sinnkompetenz ist weltweit den Menschen zum Verhängnis geworden. Nun gilt es, aus der Kraft des Heiligen Geistes gleichsam wieder von vorn anzufangen und aus den Trümmern eine neue Zivilisation zu bauen, indem neben dem Fachbuch der Katechismus Orientierung gibt; neben dem Finanzplan die Zehn Gebote zum tragen kommen. Dann wer den aus Ruinen wieder bewohnbare Häuser und aus unserer gequälten Erde wird ein wenig Paradies für die Menschen.

Pfingsten schenkt uns einen neuen Himmel; Pfingsten bringt uns den neuen Menschen; und aus Pfingsten wird uns dann die neue Erde geschenkt. Deshalb ist das Fest des Heiligen Geistes ein Fest der Hoffnung für unsere Welt. Es erlaubt uns nicht, resigniert die Hände in den Schoß zu legen, sondern neu anzufangen, indem wir Hand anlegen zur Errichtung einer weltweiten neuen und gesegneten Lebensordnung für die Menschen, aber nicht mehr in der Weise, dass allein das Geld, der Nutzen und der Gewinn den Ton angibt, sondern die Verantwortung unseres Tuns vor Gott und den Menschen.

Werden wir wachsam und kritisch, indem wir nicht nur den Worten und Verheißungen der anderen glauben, sondern zunächst ihre Taten und Fakten prüfen. „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63), sagt die Schrift. Pfingsten ist von hoher Aktualität. Wir brauchen einen neuen Geist, ja, wir brauchen den Heiligen Geist. Er ist ausgegossen in unsere Herzen. Mit ihm kann uns ein neuer Anfang geschenkt werden.
Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln


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