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| 'Abtreibung halte ich für einen Frevel'30. Juli 2014 in Interview, 18 Lesermeinungen KATH.NET-Interview mit Bernd Lucke, Abgeordneter im Europäischen Parlament, und Mitgründer der Partei Alternative für Deutschland Von Michael Hageböck Linz (kath.net) Bernd Lucke: Die AfD hat Zuspruch aus allen Schichten der Gesellschaft und aus einem sehr breiten Spektrum unterschiedlicher politischer Vormeinungen. Das unterscheidet uns von der FDP, die immer eine Klientelpartei war. Wir werden relativ gleichmäßig von Arbeitern und Angestellten, von Beamten und Selbständigen, von Handwerkern und Akademikern gewählt. Das haben wir mit Union, SPD und den Linken gemein, also mit den Parteien, die man üblicherweise als Volksparteien einstuft. kath.net: Während sich die CDU von ihren Prinzipien entfernte, glauben Sie, Herr Lucke, Christdemokrat geblieben zu sein. Mit welchen Argumenten wollen Sie es schaffen, christdemokratische Stammwähler von der AfD zu überzeugen? Bernd Lucke: Auch wenn ich persönlich mich als ein von seiner Partei verlassener Christdemokrat fühle, geht es uns als Partei nicht nur um christdemokratische Stammwähler, sondern um alle Wähler, die eine wertorientierte Politik vermissen. Viele unserer Mitglieder und Wähler kommen gerade deshalb zu uns, weil sie der Auffassung sind, dass die etablierten Parteien beliebig geworden sind sie ändern ihre Positionen, wie es gerade Mode ist und wie man die meisten Wählerstimmen zu bekommen erhofft. Wir hingegen werden uns nicht verbiegen auf die Gefahr hin, dass manche Wähler uns dann eben nicht wählen. Wir setzen uns für das ein, was wir für wertvoll halten: Demokratie und Rechtsstaat sind fundamentale Werte deshalb sind wir dagegen, dass im Zuge der Eurorettung Verträge gebrochen und Parlamente unter Druck gesetzt worden sind. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist ein wichtiger Wert wer auf Kosten der Steuerzahler Banken rettet, verkehrt diesen Grundsatz aber in sein Gegenteil. Der Schutz der Familie und das Wohl der Kinder sind uns wichtig deshalb wollen wir, dass diejenigen gesellschaftliche Anerkennung erfahren, die sich Zeit für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder nehmen. Fleiß und Leistungsbereitschaft erfahren zu wenig Achtung und daran krankt unser ganzes Bildungswesen. Und wer Einsatzbereitschaft und Verantwortung für wertvoll hält, der wird schnell zu dem Schluss kommen, dass eine militärische oder soziale Dienstpflicht nach der Schule schon deshalb nicht so übel ist, weil die jungen Leute dann lernen, dass man vom Staat nicht immer nur etwas fordern kann, sondern manchmal ihm auch etwas geben muss. kath.net: Gab es nicht schon vor dem ESM-Vertrag eine berechtigte Kritik am Kurs der Christdemokraten? Bernd Lucke: Leider viel zu wenig. Helmut Kohl hat die vollmundige Ankündigung einer geistig-moralischen Wende nie eingelöst. Doch kaum jemand hat dieses Manko zum Anlass genommen, ihn dafür zu kritisieren. Dabei hätte man Anfang der 80er Jahre dem schleichenden Werteverfall sicher noch relativ effektiv entgegentreten können. Was hat Helmut Kohl eigentlich gehindert, eine ordentliche Familienpolitik zu machen? Warum konnte er Schulen und Universitäten nicht zurück zu den Qualitäten führen, die sie vor 1968 hatten? Wie konnte er es zulassen, dass das berechtigte Anliegen des Umweltschutzes eine Symbiose mit linker Ideologie einging, obwohl er eine Partei führte, die sich als bewahrend, als konservativ verstand? Und unter Frau Merkel wurde es noch schlimmer. Aus wahltaktischen Gründen sozialdemokratisierte sie die Union immer mehr und nur sehr wenige haben dagegen aufbegehrt. Außer Herbert Gruhl in den 70ern und Werner Münch vor einigen Jahren ist kaum ein prominenter Christdemokrat aus Protest aus der CDU ausgetreten. kath.net: Die Familien-Partei erhielt ebenso wie die ÖDP bei der EU-Wahl einen Sitz. Zählt man christliche und konservative Kleinparteien dazu, gab es rund 700.000 Bundesbürger, die eigentlich die AfD hätten wählen können. Haben Sie dieses Klientel zu wenig bedient? Bernd Lucke: Gut möglich. Auch wir sind nur Menschen und wir schaffen einfach nicht alles, was sinnvoll wäre. Vergessen Sie nicht, dass wir noch immer weit überwiegend nur von ehrenamtlichem Engagement getragen werden. Übrigens ist die Familienpartei im Europaparlament derselben Fraktion beigetreten wie die AfD und es gibt ein sehr herzliches Verhältnis zwischen Herrn Gehricke, dem Abgeordneten der Familienpartei, und den AfD-Abgeordneten. Wir haben ja auch gar keinen politischen Dissens, nur konzentriert sich die Familienpartei eben auf ein einziges Thema, während wir inhaltlich breit aufgestellt sind. kath.net: Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht: Wir werden den Nationalen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz um das Thema Homo- und Transphobie erweitern. Ist Transphobie eine Form von Rechtsextremismus? Bernd Lucke: Das ist natürlich Unfug. Das ist Teil der Unsitte, alles, was dem eigenen Weltbild missfällt, gleich mit Rechtsextremismus zu assoziieren. So ungefähr, wie man früher jedes alte Weib, das ein bisschen seltsam war, gleich zur Hexe erklärt und entsprechend behandelt hat. kath.net: Was wollen Sie tun, um die traditionelle Familie künftig wieder konkurrenzfähiger gegenüber alternativen Lebensformen zu machen? Bernd Lucke: Die traditionelle Familie hat in unserer Gesellschaft mindestens vier Probleme: Das eine ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, seit man unter Beruf nur noch die bezahlten Tätigkeiten außerhalb des eigenen Hauses versteht. Das zweite ist die schnöde Wahrnehmung, dass Kinder Geld kosten und man vielleicht seinen eigenen Lebensstandard einschränken muss, wenn man Kinder hat. Das dritte ist die richtige Erkenntnis, dass Eltern ihren Kindern Zeit widmen müssen und Kinder Pflichten mit sich bringen, die die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung einschränken. Und das vierte ist ein Image-Problem: Dass Mann und Frau heiraten und gemeinsam Kinder aufziehen, ist zwar zum Glück immer noch der Normalfall, gilt aber in manchen tonangebenden Kreisen unserer Gesellschaft, die sich als fortschrittlich verstehen oder auf schickimicki machen, als langweilig, verstaubt, spießig oder uncool. Und ich glaube, wenn man die traditionelle Familie attraktiver machen will, muss man zuerst an dieses Image-Problem heran, denn je positiver das Image der Familie als Lebensmodell ist, desto größer ist auch die Bereitschaft in den anderen drei Problemfeldern Karriere, Konsum und individuelle Freiheit Einschränkungen hinzunehmen. Und nun ist es doch so, dass Familie etwas wirklich Positives ist: Das Leben eines Ehepaares mit seinen Kindern ist erfüllend, sinnstiftend, beglückend. Viel wäre gewonnen, wenn zumindest die große Mehrheit der Politiker das einfach mal laut und deutlich sagen und es auch vorleben würde. Aber solche Worte hört man kaum. Statt dessen achten viele Politiker peinlichst auf eine Art Äquidistanz gegenüber allen denkbaren Formen des Zusammenlebens. Damit Sie mich nicht missverstehen: Man soll andere Formen des Zusammenlebens nicht schlecht reden. Man soll einfach aus Überzeugung positiv über die Familie reden, darüber, dass sie dem Menschen Zufriedenheit, Glück und Erfüllung ermöglicht. Da sollten die Politiker mit gutem Beispiel vorangehen und sie sollten ihren Einfluss nutzen, um auch andere Prominente, die Medien, die Werbung etc. dazu anzuregen, ebenfalls bejahend und positiv zur Familie zu stehen, wenn sie Familie als etwas Wertvolles betrachten. Es ist meiner Meinung nach nicht so schwer, das Image der Familie zu heben, wenn der Wille dazu da ist. Und begleitend kann und sollte man sich den anderen drei Problemen widmen. Da gibt es eine ganze Klaviatur von sinnvollen Maßnahmen, flexiblere Arbeitszeiten, Teilzeit, Telearbeitsplätze, Betreuungsgeld, steuerliches Familiensplitting, mutternahe Kindbetreuung, Elternzeit, Kindergartenplätze, Baukindergeld oder andere kinderabhängige vermögensbildende Maßnahmen, Weiterbildungsangebote, die zu Hause genutzt werden können, finanzielle Förderung für Mütter und Väter, die beruflich zurückstecken, um sich ihren Kindern widmen zu können. Man wird nicht alles Wünschbare finanzieren können, aber es gibt sehr unterschiedliche Wünsche und Lebenssituationen der Eltern und deshalb sollte man sicherstellen, dass man die Förderung nicht nur auf ein bestimmtes, angeblich modernes Elternbild verengt. kath.net: Wie möchte die AfD Frauen unterstützen, die Ihren Beruf darin sehen, für ihre Kinder als Mutter da zu sein? Bernd Lucke: Da ist zunächst mal die Imagefrage, über die ich ja schon gesprochen habe. Wichtig ist darüber hinaus, dass die familienpolitische Förderung nicht gegen solche Mütter verzerrt ist. Dem grundgesetzlichen Auftrag entspräche es sogar, die Eigenbetreuung durch Mutter oder Vater besonders zu fördern. Aber heute ist ja das Gegenteil der Fall. Der Staat wendet große Mittel auf, damit Kinder früh in eine Betreuungseinrichtung gebracht werden können und für die Eltern ist das attraktiv, weil sie dann arbeiten und Geld verdienen können. Das Betreuungsgeld, das im Prinzip richtig ist, wirkt dem nur teilweise entgegen, weil die Fremdbetreuung finanziell immer noch deutlich mehr bringt. Man sollte eine echte Wahlfreiheit ermöglichen, bei der die monetäre Leistung des Staates nicht davon abhängt, ob Eltern sich nun für Fremd- oder für Eigenbetreuung entscheiden. Und das Argument, dass dann sozial schwache Familien ihre Kinder um des Geldes willen bei sich behalten und sie nicht richtig gefördert werden, akzeptiere ich nicht. Das ist gesamtgesellschaftlich betrachtet nur bei einer relativ kleinen Minderheit der Fall und da, wo Eltern ihrem Recht und ihrer Pflicht zur Erziehung wirklich nicht nachkommen, ist das eher eine Aufgabe für gezielte Sozialarbeit, die dann oft auch auf andere drängende Probleme stoßen wird. Wegen dieser Probleme in speziellen Haushalten sollte man aber nicht Regelungen machen, denen sich alle jungen Familien unterwerfen müssen. Und zudem ist es einfach eine Anmaßung, sozial schwachen Familien pauschal zu unterstellen, dass sie ihre Kinder nicht erziehen können. Ich kenne Kinder türkischer Mütter, die viel besser erzogen sind als manche verwöhnten Blagen aus reichem Haus. kath.net: Kardinal Höffner stellte schon vor Jahrzehnten fest: Die heutige Lage führt zu einer Deklassierung der kinderreichen Familie. Der soziale Lebensstandard wird von Haushalten und Familien bestimmt, die entweder keine oder höchstens zwei Kinder unter 18 Jahren haben. Wie soll der Staat mit Kinderreichen umgehen? Bernd Lucke: Vorleben und oder zumindest positiv über Kinderreichtum reden. Auch hier sehe ich zunächst mal das Image-Problem. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Deutschland kinderarm ist. Uns fällt das gar nicht mehr auf es sei denn, man fährt in ein Entwicklungsland, wo es plötzlich von Kindern und Jugendlichen wimmelt und die Leute sind trotzdem oder gerade deshalb - freundlich und glücklich. Eigentlich sind die meisten Menschen kinderlieb. Aber viele fühlen sich unter irgendwelchen Zwängen, die es ihnen nicht gestatten, mehr als ein oder zwei Kinder zu haben. Dass der soziale Lebensstandard von kinderarmen Haushalten bestimmt wird, ist sicherlich auch heute noch richtig, aber mir sträubt sich das Nackenfell, wenn ich höre, dass Kinder vorwiegend unter dem Gesichtspunkt ihrer materiellen Auswirkungen auf das Leben der Eltern betrachtet werden. Nicht zuletzt die Kirchen haben ja den Auftrag, der Dominanz des Materialismus durch Verweis auf andere, immaterielle Werte entgegenzuwirken. kath.net: Als Christdemokrat haben Sie sich Jahre lang in der CDL gegen Abtreibung engagiert. Sie sagten, das Recht auf Leben sei das grundlegendste aller Rechte. Wieso hört man solche Töne allenfalls noch zwischen den Zeilen, seit Sie Chef der AfD sind? Bernd Lucke: An meiner Einstellung hat sich nichts verändert. Das ungeborene Leben wird bei uns nicht angemessen geschützt und die Abtreibung aufgrund dessen, was früher mal die psycho-soziale Indikation hieß, halte ich für einen Frevel. Damit will ich überhaupt nicht bestreiten, dass eine Frau oder ein junges Mädchen sich aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft in großer Bedrängnis empfinden kann, aber auf diese Situation mit der Tötung des ungeborenen Kindes zu reagieren, ist einfach unverhältnismäßig und ethisch m. E. nicht zu verantworten. Das ist eine Gewissensfrage oder besser gesagt, es ist der erste und nach meinem Dafürhalten am einfachsten zu beantwortende Aspekt der Gewissensfrage: Die Abtreibung ist zumindest in den Fällen mit psycho-sozialer Begründung als Tötung eines unschuldigen Lebens verwerflich. Aber leider ist die Welt nicht so einfach und deshalb hat die Gewissensfrage weitere Aspekte, die von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich beantwortet werden: Ist die Abtreibung auch verwerflich, wenn das Leben der Mutter in ernster Gefahr ist? Ist die Abtreibung verwerflich, wenn zwar nicht das Leben, aber die Gesundheit der Mutter beeinträchtigt ist, in welcher Schwere und für welche Dauer? Ist die Abtreibung verwerflich, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande gekommen ist? Ist es angemessen, dass der Staat in solchen Fällen eine Abtreibung ahndet? Wer wäre einer Strafverfolgung auszusetzen: Die Mutter, der Arzt, der Vater? Welche Antwort gibt das Gewissen, wenn ein strafbewehrtes Verbot der Abtreibung zu illegalen Abtreibungen unter unzureichenden Bedingungen und vermeidbaren Todesfällen der Schwangeren führen? Ich respektiere es, wenn Menschen in diesen Fragen ihrem Gewissen folgen wollen und sich nicht von einer Partei vorgeben wollen, wie sie darüber zu urteilen haben. Deshalb wird die AfD, wenn es nach mir geht, in diesem Punkt keine Parteiposition beschließen, sondern es ihren Abgeordneten anheimstellen, in dieser Frage nach ihrem Gewissen zu handeln und zu stimmen. Ich wäre strikt dagegen, in dieser oder anderen ethischen Fragen einen Fraktionszwang auszuüben. Ja, mehr noch: Ich finde, dass man die grundgesetzliche Vorgabe, dass jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verantwortlich ist, viel stärker betonen sollte und man daher den Fraktionszwang grundsätzlich, also nicht nur in Angelegenheiten von ethischer Bedeutung, aufheben und die freie Entscheidung der Abgeordneten ermöglichen sollte. kath.net: In neun Jahren wird ein Viertel der Bevölkerung im Rentenalter sein, 2032 sogar ein Drittel. Lässt sich die Überalterung unserer Republik überhaupt stoppen? Bernd Lucke: Jeder Trend ist umkehrbar, aber wenn man auf das Kinderkriegen der deutschen Wohnbevölkerung setzt, wird man wohl unweigerlich eine lange Phase der Überalterung hinnehmen müssen, ehe sich die Lage eines Tages vielleicht auch wieder bessert. Deshalb brauchen wir m. E. die Zuwanderung junger Bevölkerung aus anderen Staaten. Das wird von der AfD auch ausdrücklich bejaht. Aber wir wollen, dass die Zuwanderer unsere Gesellschaftsordnung bejahen und imstande sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, d. h. sie müssen integrationswillig und integrationsfähig sein. Zu letzterem zählen insbesondere schulische und berufliche Bildung, Sprachkenntnisse, Lernfähigkeit und Flexibilität. kath.net: Welche Perspektive hat die AfD für alte Menschen? Bernd Lucke: Nun, für alte Menschen bietet die AfD die Perspektive, dass endlich jemand nicht nur kurzfristig bis zur nächsten Wahl denkt (wenn überhaupt), sondern ernsthaft das Wohl ihrer Kinder und Enkel im Auge hat. kath.net: Ist die Diskussion um ein würdiges Ende alter Menschen nicht geheuchelt, da es eigentlich darum geht, Kosten im Gesundheitswesen zu sparen? Bernd Lucke: Nein. Es mag zwar auch Menschen geben, die das Argument vom Sterben in Würde missbrauchen, um Ressourcen anders einsetzen zu können, aber ich glaube, dass die meisten Menschen, die das heute übliche Lebensende im Krankenhaus problematisieren, von diesen Überlegungen frei sind. Die Frage, ob ein Hinauszögern des Todes durch modernste Medizin vom Sterbenden als eine würdevolle Form des Lebensendes betrachtet wird, ist eine sehr ernsthafte und berechtigte. Ich persönlich, der ich noch fast in der Mitte des Lebens stehe, bin zumindest jetzt sehr entschieden, dass ich lieber ein paar Wochen oder auch Monate früher in meinem häuslichen Bett sterbe, als dass ich ein wenig zusätzliche Lebenszeit unter großem medizinischen Aufwand in einem Krankenhaus verbringe. kath.net: Wie steht die AfD zu Präimplantationsdiagnostik und Euthanasie? Bernd Lucke: Nun, die Antwort ist wie oben zur Abtreibungsfrage. Ich erwarte nicht, dass wir hierzu als Partei Position beziehen, sondern unseren Abgeordneten auftragen, nach ihrem Gewissen zu handeln. Das ist für den Wähler zwar etwas mühsamer, weil er dann die Wertorientierung der Kandidaten erfragen muss, um sich zu entscheiden. Aber wichtige Fragen erfordern eben auch eine gewisse Mühe und ich bin ganz zuversichtlich, dass Wähler, denen Wertorientierung wichtig ist, bei uns ein sehr überzeugendes Angebot an Kandidaten finden werden. Ich würde sogar sagen, dass die AfD sich von den anderen Parteien vorrangig dadurch unterscheidet, dass wir unsere politischen Positionen eben nicht aus kurzfristigem Opportunitätsdenken ableiten sondern aus unserem Wertegerüst. kath.net: Sie sagen, dass Erziehung Elternsache sei und Bildung eine Sache der Schule. Wie steht es mit der Familien- und Geschlechtserziehung? Bernd Lucke: Ich halte Geschlechtserziehung für ein Unding, ein wahres Begriffsmonster. Auch unter Familienerziehung kann ich mir nicht viel Sinnvolles vorstellen. Das sind Kategorien, in denen ich nicht denke und die ich für unsinnig, ja schädlich halte. Zum ersten Teil Ihrer Frage muss ich korrigierend sagen, dass Bildung sehr wohl und geradezu zuvörderst auch Aufgabe der Eltern ist. Zu einem guten Teil bringt die Schule den Kindern ja erst einmal Fertigkeiten bei, die lediglich eine Voraussetzung für Bildung sind. Darauf aufbauend leistet die Schule dann auch einen Beitrag zur Bildung - eine gute Schule sogar in erheblichem Maße - aber eine gute Familie tut das ebenfalls. Und natürlich erzieht eine gute Schule auch. Es wäre also falsch, wenn Sie glaubten, ich wollte da zwei Sphären trennen wollen, die tatsächlich sehr vermischt sind. Was ich allerdings gesagt habe, ist, dass Eltern die Pflicht haben, ihre Sprösslinge zu erziehen. Eigentlich muss sich eine Schule darauf verlassen können, dass die Kinder, die zur Schule kommen, von ihren Eltern angemessen erzogen wurden und werden. Es ist eine Überforderung der Schulen, wenn von diesen erwartet wird, dass sie die Erziehungsdefizite einiger Eltern ausgleichen müssen. kath.net: In den letzten Jahren gab es teilweise erhebliche Widerstände bei der Gründung neuer Bekenntnisschulen. Wie wichtig ist es der AfD, dass es Alternativen zu Schulen in öffentlicher Trägerschaft gibt? Bernd Lucke: Das Recht, Schulen in privater Trägerschaft zu betreiben, ist grundgesetzlich garantiert und das finde ich wichtig und richtig. Es kann erheblich zur Schulvielfalt beitragen. Wichtig ist mir die private Trägerschaft allerdings vor allem dann, wenn dadurch auch eine spezifische Prägung im Schulalltag gelebt wird. Wenn ich sehr subjektive Eindrücke aus meiner eigenen Schulzeit verallgemeinern darf, bin ich da bei Schulen in evangelischer Trägerschaft nicht immer sicher, ob außer dem Namen irgendetwas besonders evangelisch ist. Bei den katholischen Schulen scheint mir das prononcierter zu sein. Jedenfalls war ich mal kurze Zeit auf einer katholischen Grundschule, da war der Katholizismus nicht zu übersehen. Waldorf-Schulen wiederum setzen natürlich noch in viel stärkerem Maße eigene Akzente, aber das ist ja auch klar, weil bei denen im gesamten Unterricht eine andere Pädagogik eingesetzt wird als bei den staatlichen oder kirchlichen Schulen. kath.net: In der Bundeshauptstadt schwänzen regelmäßig knapp 3000 Schüler den Unterricht. Der Staat schaut weg. Ist es vor diesem Hintergrund nicht unverhältnismäßig und ungerecht, wenn am 30. August 2013 zwanzig Beamte von Polizei, Jugendamt und SEK das Haus der Homeschool-Familie Wunderlich stürmten, die Kinder zeitweise in Heime mussten und der Staat zunächst eine fünfstellige Summe als Strafe forderte? Bernd Lucke: Ich kenn die genauen Umstände dieses Falls nicht, aber die allgemeine Schulpflicht gilt nun mal auch für Familie Wunderlich. Und ohne das penetrante Schuleschwänzen verharmlosen zu wollen, es ist auch ein Unterschied, ob Schüler den Unterricht schwänzen oder ob Eltern den Schulbesuch der Kinder grundsätzlich unterbinden. Kinder sollen einen ordentlichen Schulunterricht haben. Wenn Familie Wunderlich das öffentliche Schulwesen nicht gefällt, kann sie sich eine Privatschule suchen oder vielleicht sogar mit Gleichgesinnten eine Privatschule eröffnen, solange diese den üblichen Bildungsstand vermittelt. Aber man kann sich in Deutschland nicht außerhalb des Gesetzes stellen. Das gilt auch für Familie Wunderlich. Wo kommen wir hin, wenn jeder nur die Gesetze befolgt, die ihm sinnvoll erscheinen? kath.net: Euro-Kritikern könnte man vorwerfen, dass sie ihren Patriotismus erst entdeckten, als es an den Geldbeutel ging nach dem Motto: europäischer Superstaat meinetwegen, aber beim Geld hört der Spaß auf. Definieren Sie deutsche Interessen vorwiegend finanziell? Bernd Lucke: Nein. Was mich betrifft, hatte die Eurokritik zunächst einmal gar nichts mit Patriotismus zu tun. Es waren ökonomische Gründe, die ja nicht nur mich sondern auch viele meiner Professorenkollegen dazu bewogen, die Eurorettungspolitik und den Euro selbst zu kritisieren. Da spielten zwar die finanziellen Risiken für Deutschland eine große Rolle, aber ebenso das wirtschaftliche Elend, das wir den Bürgern in Südeuropa zumuten und die Kritik am Erpressungspotential, das große Banken hatten und haben. Deshalb haben einige von uns schließlich eine Partei gegründet und in dieser Partei trafen wir dann auf viele andere Leute und auf eine Vielzahl von Gründen, warum diese die Eurokrise zum Anlass nahmen, eine neue Partei zu unterstützen. Manche waren sozial orientiert und nahmen daran Anstoß, dass die kleinen Leute die Risiken der Finanzinstitute übernehmen mussten, andere machten sich um Demokratie und Parlamentarismus Sorge, als sie sahen, wie Verträge gebrochen und Rettungsschirme durch den Bundestag gepeitscht wurden, wieder andere sahen den zentralistisch-dirigistischen Charakter der Rettungspolitik als einen Großangriff auf den Liberalismus und dann waren da eben auch die Leute, denen ein aufgeklärter Patriotismus in seiner ganzen Breite wichtig ist und die die Rettungspolitik vorrangig als im Widerspruch zu deutschen Interessen stehend empfanden. Aber diese Leute wären die letzten, die Patriotismus auf finanzielle Interessen verengen wollten und umgekehrt gehen deutsche Interessen natürlich weit über die finanzielle Sphäre hinaus.Selbstverständlich gibt es wichtige deutsche Interessen im Bereich der Demokratie, der Freiheitsrechte, der Zuwanderung, der Kultur, der Bildung, der inneren und äußeren Sicherheit etc. kath.net: Der Philosoph Josef Pieper definierte das Abendland als theologisch gegründete Weltlichkeit, als die Komplementarität von griechischer Metaphysik und biblischem Denken, von Gebet und Arbeit. Inwiefern kann Europa heute noch abendländisch gedacht werden? kath.net: Unter den Anwärtern für die EU-Mitgliedschaft befinden sich auch Staaten, die nicht dem europäischen Kulturkreis angehören. Ihre Befürworter sprechen davon, dass die EU kein christlicher Club sein dürfe. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen für eine Erweiterung der Europäischen Union? Bernd Lucke: Die EU ist eindeutig als europäisch definiert. Das ist immer als geographisches Kriterium verstanden worden. Als Israel mit einer gewissen Berechtigung argumentiert hat, es sei zivilisatorisch ein europäischer Staat, hat die EU das Beitrittsgesuch abgelehnt mit der Begründung, dass Israel geographisch nun mal nicht in Europa liege. Im Umkehrschluss heißt das, das im Prinzip jeder geographisch in Europa liegende Staat der EU beitreten darf. Das gilt auch für einen Staat, der große muslimische Bevölkerungsanteile hat, wie z. B. Bosnien-Herzegowina, denn Bosnien-Herzegowina liegt zweifellos in Europa. Ich hielte es für undenkbar, Bosnien-Herzegowina nur deshalb als Mitgliedsstaat der EU abzulehnen, weil dort die lange osmanische Herrschaft stärkere Spuren in der Bevölkerung hinterlassen hat als beispielsweise in Griechenland. Aber es gibt gewichtige andere Gründe, die EU in absehbarer Zeit überhaupt nicht zu erweitern: Erstens hat die EU soviele gravierende interne Probleme, dass man tunlichst erstmal diese lösen möge, ehe man neue Mitglieder aufnimmt. Und zweitens würde das enorme Wohlstandsgefälle zwischen Bosnien-Herzegowina und der EU bei der Integration in den gemeinsamen Markt zu großen Problemen führen, denn das Einkommen in Bosnien-Herzegowina entspricht ungefähr dem von Angola. Besonders problematisch wäre hier die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die ja zu großen Wanderungsbewegungen führen kann. Denken Sie an Bulgarien, das von einst neun Millionen Einwohnern inzwischen zwei Millionen verloren hat, darunter auch sehr qualifizierte Menschen, die eigentlich in Bulgarien gebraucht werden. Aber Bulgarien, derzeit das Armenhaus der EU, ist immer noch viel reicher als Bosnien-Herzegowina. Was nun die Türkei betriftt, scheint mir klar zu sein, dass wenn man Bosnien-Herzegowina wegen des Wohlstandgefälles und der Migrationsproblematik nicht aufnimmt, dann kann man auch die Türkei nicht aufnehmen, die in vielerlei Hinsicht ein viel größeres Problempotential birgt. Zumal ja unstrittig ist, dass der weitaus größere Teil der Türkei nicht in Europa liegt. Geographisch und politisch ist die Türkei eine Brücke zwischen Europa und dem Orient und als solche ist die Türkei wichtig. Deshalb sollten wir mit der Türkei auf allen Ebenen kooperieren und die Türkei eng an die EU anbinden, so wie man eine Brücke gut verankern sollte, aber wir sollten nicht so tun, als sei die Brücke ein Teil des Festlands. kath.net: Darf Religionsfreiheit soweit gehen, dass Moscheen in Deutschland als repräsentative Prachtbauten errichtet werden? Ist Integration eine Bringschuld unserer Gesellschaft oder der Migranten? Bernd Lucke: Das sind zwei verschiedene Fragen. Zur zweiten zuerst: Einwanderer sollten bereit sein, sich zu integrieren und dies auch aktiv anstreben. Die Gesellschaft sollte aber auch das Ihre dafür tun, den Einwanderern die Integration zu erleichtern, insofern würde ich die Integration nicht gerne nur als entweder Bringschuld oder Holschuld verstehen wollen. Also: Ich bejahe Integration ganz entschieden, ja ich erwarte dies von den Einwanderern. Aber ich erwarte keine Assimilation. Einwanderer sollen sich integrieren und in allen Dimensionen normalen Umgang mit Einheimischen pflegen. Aber sie müssen uns Deutschen nicht in jeder Hinsicht gleich werden. Es ist völlig in Ordnung, ja sogar bereichernd, wenn die Einwanderer ihre kulturellen, religiösen und sprachlichen Wurzeln pflegen solange sie die deutsche Kultur achten, die christliche Religion respektieren und die deutsche Sprache sprechen. Repräsentative Prachtbauten gehören sicherlich nicht zur Religionsfreiheit, aber sie können Ausdruck der Kultur, insbesondere der Achitektur der Einwanderer sein. Selbstverständlich dürfen Moslems hier Moscheen errichten und wenn sie das dürfen, warum sollen sie es nicht auch architektonisch anspruchsvoll und ästhetisch befriedigend tun? Dass man dabei städtebauliche Gesichtspunkte mitberücksichtigt und den Moscheebau nicht gerade im von Fachwerkhäusern geprägten historischen Ortskern genehmigt, ist selbstverständlich. Aber die entscheidende Frage ist nicht, wie die Moschee gebaut wird, sondern was drinnen gepredigt und gelehrt wird. kath.net: Weltweit werden über 100 Millionen Christen verfolgt, jährlich lassen rund 170.000 ihres Glaubens wegen das Leben. Was will die AfD für sie tun? Bernd Lucke: Für die Christen in der AfD sind die Christenverfolgungen ein ganz großes Thema. Solange wir in der Opposition sind, können wir freilich nicht mehr machen, als dass wir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Verfolgung der Christen lenken. Das kann man mit Aufklärungsaktionen, Unterschriftensammlungen, mit Marktständen oder sogar mit Demonstrationen machen. Wichtig ist, dass auf das Problem aufmerksam gemacht wird. Viele Menschen wissen gar nicht, in welchem Ausmaß in manchen Ländern Christen verfolgt werden. kath.net: Die Übergriffe von Boko Haram und das Schicksal von Mariam Jahia Ibrahim Ishak haben erstmals einer breiten Öffentlichkeit die Grausamkeit der Christenverfolgung in Afrika vor Augen geführt. Wie könnte hier konkrete Hilfe aussehen? Bernd Lucke: Was die entführten Schulmädchen in Nigeria angeht, wäre mein pragmatischer Vorschlag, sie unverzüglich freizukaufen. Boko Haram will die, die Christen bleiben wollten, doch als Sklaven verkaufen. Ja, dann kaufen wir sie doch frei. Not kennt kein Gebot. Wir zahlen ja auch bei Entführungen Lösegeld, wir haben Regimekritiker aus DDR-Gefängnissen freigekauft, wir haben somalischen Piraten Lösegeld für deutsche Geiseln gezahlt. Es ist zwar schlimm, dass die Verbrecher dann von ihren Taten profitieren und sicherlich muss man alles tun, um ihnen das Handwerk zu legen, aber was mit diesen Mädchen geschieht ist ein so himmelschreiendes Unrecht, dass man unverzüglich dagegen einschreiten muss. Und immerhin scheint Boko Haram ja käuflich zu sein. Es wäre zu hoffen, dass man auch die Mädchen, die unter Druck zum Islam konvertierten und die nun zwangsverheiratet werden sollen, mit Geld freikriegen kann. Die Bestrafung angeblicher Apostasie vom Islam wie in dem Fall von Mariam Ibrahim ist mit westlichen Werten natürlich völlig unvereinbar. Ich bin sehr froh, dass der Fall so viel Aufsehen erregt hat und dass er relativ schnell und glimpflich beigelegt werden konnte. Diplomatischer Druck war sicherlich hilfreich, aber auch jeder einzelne Bürger kann hier helfen. Ich habe lange im Nothelferteam von Amnesty International mitgearbeitet, wo in abgestimmten Aktionen Tausende von Bürgern Briefe an Regierungen geschrieben und sich für die Freilassung eines bestimmten politischen Gefangenen eingesetzt haben. Amnesty hat damit große Erfolge erzielt und setzt dies auch in Fällen religiöser Verfolgung ein. Die Bürger müssen nur mitmachen. kath.net: Der Katechismus fordert: Die Eigentümer von Gebrauchs- und Konsumgütern sollen sie mit Maß verwenden und den besten Teil davon Gästen, Kranken und Armen vorbehalten. (KKK 2405) Schadet die Kirche der Volkswirtschaft, wenn sie die Konsumorientierung unserer Gesellschaft kritisch sieht? Bernd Lucke: Überhaupt nicht. Erstens sind Volkswirte keineswegs der Auffassung, dass man stets möglichst viel konsumieren solle, denn sparen oder investieren ist oft wichtiger, auch und gerade in der jetzigen Situation. Die Leute, die immer nur mehr und mehr Konsum fordern, sind bestenfalls Vulgärökonomen. Zweitens fordert der Katechismus hier noch nicht einmal eine Reduktion des Konsums, jedenfalls nicht auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Es geht vielmehr um eine andere Verteilung des Konsums auch die Bedürftigen sollen konsumieren können. Das ist doch auch richtig so. Schließlich sind wir ein Sozialstaat. Drittens finde ich es jenseits aller ökonomischen und sozialen Gesichtspunkte völlig richtig, dass die materialistische und konsumorientierte Ausrichtung der Gesellschaft zumindest gelegentlich kritisch hinterfragt wird. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein. kath.net: Neben dem bonum commune und der Solidarität ist die Subsidiarität das dritte Prinzip der katholischen Soziallehre. Welche Bedeutung haben diese Prinzipien für die AfD? Bernd Lucke: Die katholische Soziallehre hat ja sehr maßgeblich die soziale Marktwirtschaft beeinflusst und genau diese steht im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Forderungen der AfD. Wir sind von den Vorteilen der Marktwirtschaft überzeugt, aber wir verabsolutieren den Markt nicht. Deshalb setzen wir ihm ordnungspolitisch und sozialpolitisch motivierte Grenzen, damit auch die kleinen Unternehmer und die wirtschaftlich Benachteiligten ihr Auskommen haben. Subsidiarität spielt für uns darüber hinaus natürlich in unseren europapolitischen Vorstellungen eine große Rolle, denn die EU hat ja die besorgniserregende Neigung, immer stärker zentralistisch zu werden. Wir wollen das Subsidiaritätsprinzip in Europa erhalten und stärken und dabei insbesondere darauf Wert legen, dass es nicht weitere Souveränitätseinschränkungen zulasten der Mitgliedsstaaten gibt, etwa durch eine Bankenunion oder eine europäische Wirtschaftsregierung. kath.net: Ihnen wird unterstellt, so etwas wie eine Tea-Party in Deutschland installieren zu wollen. Teilen Sie deren Ablehnung von Präsident Obamas Gesundheitsreform? Bernd Lucke: Mir wird alles mögliche unterstellt, meist mit recht durchsichtigen Motiven. Die AfD ist alles andere als die amerikanische Tea Party und ich habe ganz bestimmt nicht vor, die AfD zu einer Tea Party zu machen. Es gibt auch ganz augenfällige Unterschiede: Die Tea Party wird maßgeblich von freikirchlich-protestantischen Kreisen geprägt, die politische Forderungen teilweise aus recht speziellen religiösen Überzeugungen ableiten. Die AfD ist hingegen stark akademisch, wissenschaftlich und vernunftorientiert ausgerichtet. Inhaltlich ist die Tea Party eine libertäre Partei, die alle Staatseinflüsse soweit wie möglich zurückdrängen will. Deshalb ja auch die Ablehnung einer obligatorischen Krankenversicherung. Auf so eine Schnapsidee würde die AfD sicherlich nie kommen. Wir bejahen den Sozialstaat und seine sozialen Sicherungsmechanismen, auch wenn wir an der konkreten Ausgestaltung etwa der Gesundheitspolitik und des Rentenversicherungssystems durchaus Kritik haben. Wir wollen die Sozialpolitik besser, effizienter und leistungsfähiger machen, nicht die soziale Sicherung in Frage stellen. .. kath.net: Der AfD wird vorgeworfen, eine Eliten-Partei mit überproportional vielen Professoren zu sein. Gleichzeitig wird ihr Populismus unterstellt. Was stimmt nun? Bernd Lucke: Da sehen Sie, wie inkonsistent unsere Gegner gegen uns argumentieren. Es ist richtig, dass wir eine ungewöhnlich hohe Professorendichte in der Partei haben. Warum ist das ein Vorwurf? Eine gewisse Sachkenntnis ist doch für eine Partei kein Makel. Zudem haben wir die Sachkenntnis auch deshalb, weil sich sehr viele kluge Bürger bei uns engagieren, die in anspruchsvollen Berufen tätig sind und dabei zu der Einschätzung gelangt sind, dass es so mit unserer Politik einfach nicht weitergehen darf. Es ist geradezu eine Frechheit, wenn man eine Partei, in der das Volk gegen die Politik der Altparteien aufbegehrt, als populistisch verunglimpft. Denn ist es nicht die Aufgabe der Parteien, das Volk, lateinisch populus, zu vertreten? Übrigens vertreten wir nicht nur das Volk von heute sondern auch das Volk von morgen, denn in der AfD sind auffällig viele Mitglieder aktiv, die wirklich noch kinderreich sind. Ich treffe ständig Parteifreunde, die vier oder fünf Kinder haben und ich kenne auch Mitglieder, die haben acht oder zehn Kinder übrigens alle von derselben Frau. kath.net: Wieso fallen viele wichtige Themen in unserer Republik unter den Tisch? Schweigen die im Bundestag vertretenen Parteien, weil sie die derzeitige Misere selbst zu verantworten haben? Kann man von einer Komplizienschaft der Mittäter sprechen?h Bernd Lucke: Ja, Sie geben die Antwort schon selbst. Die Altparteien, die sich historisch in mancherlei Hinsicht wirklich um unser Land verdient gemacht haben, haben leider auch gravierende Fehlentwicklungen zu verantworten. Und damit darüber nicht geredet wird, gibt es die Keule politischer Korrektheit, mit der Leute ausgegrenzt werden, die den Finger in die Wunde legen wollen. Wir haben das erfahren, als wir darüber geredet haben, ob der Euro für Europa die geeignete Währung ist schwupps wurden wir zu Europafeinden, Nationalisten und Friedensprojektzerstörern stilisiert. Wenn wir fordern, dass Zuwanderung gesteuert und auf Berufsqualifikationen und Integrationsfähigkeit geachtet werden muss, sind wir Ausländerfeinde, Rassisten und Rechtsradikale. Wenn wir uns für die klassische Familie einsetzen und betonen, dass die Familie eine gute und unterstützenswerte Form des Zusammenlebens ist, diffamiert man uns als rückwärtsgewandt, erzkonservativ, frauenfeindlich und homophob. Und die Liste der politisch inkorrekten Themen lässt sich fast beliebig fortsetzen. Wer traut sich denn noch zu sagen, dass Kleinkinder bei ihrer Mutter glücklicher sind als in einer Kinderkrippe? Dass Realschüler keineswegs scharf darauf sind, die Problemschüler der Haupschule zu integrieren? Dass unseren weiterführenden Schulen ein positives Klima für Leistung und Leistungsbereitschaft fehlt? Dass es viel drängendere Probleme gibt als den Klimawandel? Dass es nicht schlimm ist, wenn Deutsche auch mal auf etwas Anderes stolz sind als auf die Fußballnationalmannschaft? Dass der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands auf Fleiß, harter Arbeit und technischen Leistungen beruht, die anderen Ländern ein Ansporn sein sollte? Vor lauter politischer Korrektheit kann man ja kaum noch etwas Richtiges sagen. kath.net: Herr Lucke, wie beurteilen Sie in unserem Land die Entwicklungen auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit? Wird sich die AfD gegen die Kriminalisierung Andersdenkender einsetzen? Bernd Lucke: Nun, das habe ich ja gerade schon angerissen. Formal haben wir eine wunderbare Meinungsfreiheit bis dahin, dass nahezu jeder Schwachsinn publiziert oder im Internet veröffentlicht werden darf. Aber wenn eine Meinung, die vom politischen Mainstream abweicht, gefährlich wird, weil sie politisch etwas in Bewegung setzen könnte, geht man die Andersdenkenden mit harten Bandagen an und brandmarkt sie als eine Art Parias außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses. Schauen Sie, wie es Thilo Sarrazin, Eva Herman oder auch Christa Meves ergangen ist. Jeder von denen hat viel Nachdenkenswertes zu sagen. Aber die deutschen Medien reagieren darauf mit der Technik der Reduktion: Man greift einen einzelnen Satz oder eine kurze Passage heraus, die irgendwie anstößig erscheint. Manchmal ist das nur eine missglückte Formulierung, manchmal ist das ein Punkt, über den man in der Tat geteilter Meinung sein kann. Aber darauf wird dann mit aller Kraft eingedroschen, um die Person der allgemeinen Verfemung auszusetzen. Das ist sehr praktisch für den eiligen Zeitgenossen. Man kann sich darauf beschränken, einen Satz zu kennen, um ein ganzes Werk, manchmal ein Lebenswerk, abzulehnen, ohne es gelesen oder gar durchdacht zu haben. Wir bräuchten dringend mehr Toleranz und Aufgeschlossenheit für die Ideen Andersdenkender in Deutschland und wir bräuchten mehr Gelassenheit gegenüber Positionen, die gegen den Strich des gesellschaftlichen Konsenses gebürstet sind. kath.net: Innerhalb der AfD scheint es Grabenkämpfe um den künftigen Kurs zu geben. Wohin wollen Sie Ihre Partei führen? Bernd Lucke: Grabenkämpfe? Das sagen nur die Parteien, deren innerparteiliche Diskussion einer Friedhofsruhe gewichen ist. Bei uns wird halt lebhaft und engagiert diskutiert. Das ist doch der Sinn einer demokratischen Partei. Am Ende entscheidet dann die Mehrheit eines Parteitages. Demgegenüber wird in den Altparteien die Linie von oben vorgegeben und gut ist. Nein, ist nicht gut. Deshalb haben wir ja die AfD gegründet. Wir wollen sachlich und konstruktiv Lösungen für die großen Zukunfsfragen entwickeln, die Deutschland zu meistern hat. Dafür müssen wir teilweise auch kontrovers diskutieren, gerade weil wir ja unideologisch Politik machen wollen und deshalb nicht mechanisch die Lösung nehmen wollen, die von irgendeiner Parteilinie vorgegeben wird. Mein Ziel für die Partei ist, dass die AfD eine Partei mit einer lebhaften Diskussionskultur bleibt, wo Argumente - auch unkonventionelle Argumente - in gegenseitigem Respekt ausgetauscht werden und am Ende eine gute, von einer breiten Mehrheit getragene Lösung herauskommt. kath.net: Welches sind die wichtigsten Ziele, die Sie sich als EU-Parlamentarier gesetzt haben? Bernd Lucke: Ich will, dass Europa wirtschaftlich wieder erfolgreich wird. Zur Zeit entwickelt sich Europa in dramatischem Tempo auseinander. Über Jahrzehnte sind die peripheren Staaten Europas schneller gewachsen als das europäische Zentrum, sodass die ärmeren Staaten zu den reicheren aufschließen konnten. Seit der Euro- und Staatsschuldenkrise hat sich das ins Gegenteil verkehrt: Die reichen Staaten werden nach wie vor reicher, aber die armen Staaten der Eurozone verarmen und leiden unter extrem hohen Schulden, mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und bedrückend hoher Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit. Die EU versucht dem entgegenzuwirken, indem die Wirtschaftspolitik immer stärker zentralisiert wird und den Staaten allen Staaten, auch Deutschland - Empfehlungen oder Auflagen aus Brüssel gemacht werden. Das ist kein guter Weg und wir sehen das daran, dass diese Empfehlungen weitgehend nicht umgesetzt werden. Ich möchte darauf hinwirken, dass die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten wieder respektiert wird und diese selbständig über die wirtschaftspolitischen Maßnahmen befinden können, die für sie gut sind. Dazu gehört eigentlich auch die Entscheidung über das geeignete Währungsystem. Aber die einzelnen EU-Staaten können nur dann verantwortlich handeln, wenn sie auch die Folgen einer fehlgeleiteten Politik selbst zu tragen haben. Deshalb müssen wir weg von allen Formen der Schuldenvergemeinschaftung und der gemeinschaftlichen Haftung. Europa ist ja wie eine Familie. Und auch in einer normalen Familie ist es nicht gut, wenn man die Kinder verwöhnt, indem man ihnen ständig Geld zusteckt und ihnen die selbstverschuldeten Lasten abnimmt. kath.net: Herzlichen Dank für das Interview! Foto: (c) wikipedia/Mathesar; This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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