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10-Punkte-Programm für den Lebensschutz

18. November 2014 in Familie, 4 Lesermeinungen
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„Über Leben und Tod kann nicht privat entschieden werden“ - Abtreibung (einschließlich der 'Pille danach'), Sterbehilfe, Bildungsinhalte, Situation der Mütter und Familien, Verantwortung der Medien. Gastbeitrag von Hartmut Steeb


Kassel (kath.net/pl) Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, hielt diesen Vortrag am 15.10.2014 beim Herbstforum des „Treffen Christlicher Lebensrechtgruppen“ (TCLG) in Kassel. Steeb, der auch der Vorsitzende der TCLG ist, geht darin u.a. auf Sterbehilfe, Bildungsinhalte, Abtreibungssituation ein. Die bisher unveröffentlichte schriftliche Ausarbeitung des Vortrages in voller Länge auf kath.net:

Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag einen inhaltsschwere ernste Debatte über die Frage geführt, welche Handlungen künftig verboten werden sollen und mit einer Strafandrohung versehen werden müssen, die das Leben eines Menschen beenden. Wir sind uns ja gewiss darin einig, dass es das schlimmste Vergehen ist, einem Menschen das Lebensrecht als solches, sein Leben, zu nehmen. Mord und Totschlag gelten zu Recht als Vergehen gegen das menschliche Leben als besonders verabscheuungswürdig, völlig intolerabel und inakzeptabel. Man muss ihnen mit der ganzen Härte des Gesetzes und des Rechtsstaates begegnen. Wenn irgendwo Null-Toleranz angebracht ist, dann natürlich hier. Aber „Keine Regel ohne Ausnahme“ ist natürlich auch in diesem Bereich eine Wahrheit, der man ins Auge sehen muss. Es gibt und gab in vielen Jahrzehnten davon eigentlich nur zwei wirklich tolerable und akzeptable Ausnahmen, nämlich die sogenannte Notwehr und den Selbstmord, wie man das früher nannte, die Selbsttötung, wie es etwas verträglicher klingt bzw. mit der medizinischen Bezeichnung Suizid genannt, damit es nicht jeder sofort versteht.

Die Notwehr, das weiß sozusagen jeder, ist ein „Ent-Schuldigungs-Grund“. Wenn ich mein Leben nur dadurch retten kann, dass ich der Gefahr der Tötung durch andere damit begegne, dass ich den anderen umbringe, also schneller bin als der, der mich bedroht, dann kann man mir das nicht zum Vorwurf machen. Im Prinzip beruht auf dieser Denke auch der Ausnahmetatbestand des Verteidigungskrieges. Wenn alle friedlichen Versuche scheitern, Leben vor dem Tod zu schützen, dann kann und soll die staatliche Gemeinschaft die Opfer vor den Tätern schützen, auch wenn sie damit selbst zum Täter wird. Das ist die „ultima ratio“, die letzte Handlungsmöglichkeit, die bleibt. Ich bin persönlich zwar anerkannter Kriegsdienstverweigerer. Das war aber immer eine persönliche Entscheidung und nicht ein ideologischer Pazifismus. Denn wer die Gewalt auch als „ultima ratio“ staatlichen Handels grundsätzlich ablehnt, macht sich erpressbar und liefert auch die menschliche Gemeinschaft schutzlos anderen aus.

Die Selbsttötung kann man natürlich schon alleine deshalb nicht bestrafen, weil sie nach vollendeter Tat keinen Straftäter mehr hat. In früheren Jahrhunderten hat man den Selbstmörder zwar auch noch nach dem Tod geächtet, aber das traf ja nicht wirklich ihn sondern seine Angehörigen, so, als ob sie Mitschuld gehabt hätten. Das mag ja dann und wann durchaus so sein, dass ein Mensch Mitschuld am Selbstmord anderer hat. Und die Wahrheit ist, dass er noch viel häufiger sich als mitschuldig fühlt als er es vermutlich ist. Aber diese zu verallgemeinern wäre eine nicht berechtigte Diskriminierung.

Bei vielen Straftaten ist auch der Versuch strafbar – Mord, Totschlag u.a. Aber es ist klar, dass man einen, der sich selbst umbringen will und es nicht vollbringt – nicht selten absichtlich nicht ganz zu Ende bringt bzw. dafür sorgt, dass ihm noch rechtzeitig geholfen wird – nicht den Staatsanwalt und den Richter auf den Hals hetzt sondern dass dies ein Fall für den Arzt, Psychiater und Seelsorger ist.

Notwehr und Selbsttötung sind die Ausnahmen, die zu tolerieren und zu akzeptieren sind. Aber alles, was sich sonst gegen das menschliche Leben richtet, muss vom staatlich garantierten Lebensschutz umfasst werden. Weil die Würde des Menschen nach unserem Grundgesetz unantastbar ist und der unbedingte Schutz der Menschenwürde die „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ ist, müssen wir dafür eintreten, dass dies auch geschieht. Leben ist zweifellos das wichtigste Recht, dessen Schutz der Staat zu garantieren hat – längst vor den anderen Grundrechten wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Berufsfreiheit, Ehe und Familie, Vereinigungsfreiheit usw. Darum: Wer sich für das elementare Lebensrecht einsetzt ist nicht einfach nur ein Konservativer; er steht auf der Seite der Verfassung. Er hat das Grundgesetz auf seiner Seite. Und darum können wir in großer Gelassenheit und Klarheit den frechen Anfeindungen widersprechen und widerstehen, denen heute solche „Fundamentalisten, selbsternannte Lebensschützer, reaktionäre Konservative“, wie man uns bezeichnet, ausgesetzt sind. Wenn uns darum beim „Marsch für das Leben“ entgegen gerufen wird „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“ dann wird damit deutlich: Nicht die Lebensschützer sind reaktionäre Staatsfeinde sondern jene, die dieses selbstverständliche Recht auf Leben für jeden Menschen in jeder Lebensphase nicht akzeptieren wollen, die unter dem Stichwort der Selbstbestimmung ihr Lebensrecht und Lebensgestaltungsrecht höher einschätzen als das Lebensrecht anderer.

Und wer das Recht auf Selbstbestimmung über alles schätzt, müsste ja mindestens genauso klar sagen, wie es denn für alle andere auch geschützt werden kann. Wie es z.B. auch für jene garantiert werden kann, die körperlich, verbal oder intellektuell nicht mehr Selbstbehauptungswillen entwickeln können als andere. Wie soll der Erpressung gewehrt werden? Wie dem gesellschaftlichen und dem privaten Druck, dem ja schon heute viele Schwangere ausgesetzt sind, dass sie ihr Kind nicht austragen sondern abtreiben lassen? Wie soll dem am Ende des Lebens standgehalten werden, wenn es zur Norm geworden ist, gegebenenfalls freiwillig und rechtzeitig aus dem Leben zu scheiden, um noch einen letzten Beitrag zur Verminderung des Pflegenotstands, zur Gesundung der sozialen Kassen, zur Erleichterung für die pflegenden Angehörigen, zur rechtzeitigen Überlassung des Erbes zu leisten? Was wäre denn, wenn man der Idee der absoluten Selbstbestimmung jedes Menschen über sein Leben und seinen Tod folgen wollte, die rechtlich einwandfreie, rechtsstaatlich gebotene Regelung, damit dem Missbrauch, der Erpressung gewehrt und die Freiheit wirklich gesichert werden könnte?

Fragen über Fragen. Ich sage darum: Wer tritt für das Grundrecht auf Leben und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein, wenn nicht in erster Linie der, der sich für das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ einsetzt?

Darum muss jedes Lebensschutzprogramm damit beginnen, sich für das Lebensrecht selbst einzusetzen in allen Phasen des Lebens, von der natürlichen Verschmelzung von Ei- und Samenzelle angefangen, mit dem menschliches Leben beginnt, bis zum natürlichen Tod, mit dem menschliches Leben hier auf diesem Globus endet. Und wenn man wirklich tiefer analysieren wollte, müsste man konstatieren, dass die Würde des Menschen sogar schon vor seiner Zeugung beginnt – nämlich mit dem würdigen Umgang der Sexualpartner (darum engagieren sich Lebensschützer regelmäßig auch für einen verantwortlichen Umgang mit Sexualität, gegen die Ausbeutung der Frau und darum auch gegen Pornografie und Prostitution, für verlässliche Partnerschaft in Liebe und Ehe) – und man müsste daran erinnern, dass die Würde des Menschen auch noch über den natürlichen Tod hinausreicht (deshalb sagen wir auch ein Nein zur Ausbeutung der Toten und zum würdigen Begräbnis und darum gibt es zu Recht das strafbewehrte Verbot der Leichenschändung). Menschliches Leben ist eben trotz der einsetzenden Verfäulnis kein Komposthaufen; sonst gäbe es bald neben Erd- und Feuerbestattungen auch noch Kompostierungen. So weit entfernt sind wir nicht mehr davon.

Kürzlich schlug ich die Stuttgarter Zeitung auf. Auf der linken Seite ein großer Artikel über die Krankenhäuser in Stuttgart und Umgebung, wie sie sich mühen, geburtenfreundlich da zu stehen. Sie buhlen geradezu um die Gunst der Gebärenden. Und auf der gegenüber liegenden Seite die Situationsbeschreibung der Abtreibungsklinik Stapf, der das Aus droht. 2200 Abtreibungen nimmt er Jahr für Jahr in der ehemaligen Kinderklinik der Stadt vor (vielleicht sollte man sich auch die Zahl der Geburten in Stuttgart einmal gegenüber halten. 2013 waren es 5790. Wenn noch in anderen Abtreibungseinrichtungen in Stuttgart auch nur 695 Abtreibungen vorgenommen würden – leider wird die Zahl höher sein – dann bedeutet das, dass die Zahl der Kindestötungen vor der Entbindung 50 % von der Zahl der Lebendgeburten sind oder anders ausgedrückt, dass ein Drittel aller Schwangerschaften mit dem Tod der Kinder enden). Er hat vergessen, rechtzeitig die Verlängerung seines Mitvertrags mit der Stadt Stuttgart zu beantragen und deshalb muss er nun ausziehen, weil eine andere Verwendung vorgesehen ist. Große Aufregung herrscht in der Stadt, weil die Schließung ja zu einer Versorgungslücke führen könnte. Die Stadt will das nicht. Und von Pro Familia schreibt die Stuttgarter Zeitung, dass „die Gesellschaft für Familienberatung eine wohnortnahe Versorgung mit einer qualitätsvollen Abtreibungsklinik als sehr wichtig“ erachte. Wie eine selbstverständliche Sozialleistung gehört eine solche Tötungsanstalt – eine Klinik ist das ja nicht; denn eine Klinik ist zur Krankenversorgung da – zur Vorsorge, die anscheinend die öffentliche Hand in jeder Stadt und jeder Region anzubieten hat. Die Stuttgarter Zeitung schreibt: „Eine radikale Minderheit will sich damit nicht abfinden“. Ja, das stimmt. Ob diese Minderheit „radikal“ ist? Ja, in einem gewissen Sinne schon. Denn „radikal“ bedeutet ja von der Wurzel her. In der Tat: Wir sind grundsätzlich mit dieser Entsorgungsmentalität menschlichen Lebens nicht einverstanden.


Wenn große Krisen die Welt erschüttern, dann sucht man nach Konzepten, nach Hilfsprogrammen. Das ist gut so. Ich warte nur schon lange darauf, dass man auch einmal die größte Menschheitskatastrophe anpackt, nämlich die Tötung ungeborener Kinder. Die Zahl der im Mutterleib Getöteten mit weltweit über 40 Millionen jährlich ist mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Hungertoten, der aus Armut Sterbenden, der an Ebola Sterbenden, der Aids-Toten, der Unfalltoten, der Toten durch Terroranschläge und Naturkatastrophen, alle zusammen genommen! Ja, ich weiß, es ist political inkorrekt Tote gegen Tote aufzurechnen. Aber müsste nicht doch auch die Quantität verhinderbarer Todesfälle die Quantität und Qualität unserer Anstrengungen bestimmen?

Ich wünsche endlich eine Konferenz der Spitzen unserer Gesellschaft, die sich darüber Gedanken macht, wie man dem Skandal der vorgeburtlichen Kindestötungen Abhilfe schaffen kann.

Wenn wir dazu eingeladen würden, was wäre unser Vorschlag? Es würde ja nicht ausreichen, dass wir sagen, dass wir gegen das derzeitige System sind, dass wir alles schlimm finden und dass alles anders werden muss. Ich denke, wir müssten versuchen deutlich zu machen, dass wir nicht einfach gegen den Freiheitsdrang sind, gegen die Selbstbestimmung, gegen Pro Familia, gegen, gegen – ja es gibt so vieles gegen das entschieden Widerspruch eingelegt werden muss.

Ich würde gerne deutlich machen: Wofür wir stehen! International spricht man von der ProLife-Bewegung. Ihr steht die ProChoice-Bewegung. Leben gegen Wahlfreiheit? Das ist schon eine echt seltsame Alternative! Dem kann man doch einfach nur entgegen halten: Wähle das Leben! Stehe bedingungslos zum Leben! Denn was nützt mir denn die Wahlfreiheit, wenn ich gar nicht lebe?
Also hier mein 10 Punkte Programm:

1. Ehrenamtliches Bürgerengagement stärken

Christliche Lebensrechtsgruppen sind nicht in erster Linie die politischen Demonstranten sondern diejenigen, die einzelnen Menschen zu ihrem Recht verhelfen: Nicht durch Politik und Justiz sondern durch die barmherzige Hilfe für diejenigen, die in schwierigen Situationen stehen und auch für diejenigen, die schuldig geworden sind. Sind unsere Gemeinden und sind unsere Familien aufnahmefähig und spiegelt sich darin etwas von der Liebe Gottes weiter? Sind wir so offen, dass Menschen gerne zu uns kommen und um Rat und Hilfe nachsuchen, bei uns Geborgenheit finden und Annahme? Es ist mir sehr wichtig, dass wir die Sünde der Abtreibung nicht qualitativ anders bewerten als andere Sünden. Jesus hat in der Bergpredigt sehr deutlich gemacht, dass der Hass gegen den Bruder nicht weniger schlimm ist als der Totschlag selbst. Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht aus einer Position der moralisch Besserstehenden kommen. Wir alle sind¬ wie in einem Hospital, erkrankt an Schuld und Sünde und an Verirrungen.

Es geht darum, dass wir als Mitpatienten anderen den Weg zum Arzt weisen, der uns geholfen hat, weiterhilft und auch den anderen helfen will. Zuerst ist immer die barmherzige Hilfe im konkreten Einzelfall gefordert und unsere Aufgabe. Und dann dürfen wir sehen: Die Gemeinde Jesu ist nicht nur ein Hospital für Kurzzeitkranke sondern auch Sanatorium für Langzeitkranke. Vorsorge und Nachsorge gehören zusammen. Wir gewähren in unseren Gruppen Menschen solange Hilfen, wie sie diese benötigen. Das ist eine Langzeitaufgabe, die auch unsere Gemeinden fordert. Der Umgang mit Gestrauchelten und Gestrandeten und auch die Aufnahme lebenslang tief geschädigter und darum hilfsbedürftiger Menschen ist eine Daueraufgabe der Gemeinde Jesu. Das ist zwingend notwendig und muss auch klar gesagt werden: Engagement gegen die Auflösung des Lebensrechts für Menschen ist nicht ohne persönliches Opfer, ohne persönlichen Einsatz möglich, Nein zur Tötung ungeborener Kinder können und dürfen wir auch sagen, weil wir andererseits auch bereit sind, unsere persönlichen Opfer zu bringen. Das zeigen gerade auch die vielen Hilfsgruppen im Land, das ehrenamtliche Engagement. Und das ist gut so. Aber dazu gehört dann auch, dass Staat und Gesellschaft ehrenamtliches Engagement auch wirklich nicht nur verbal sondern tatsächlich anerkennen. Aber ehrenamtliche Berater (auch solche, die hauptamtlich ohne die Ausgabe von Beratungsscheinen arbeiten) haben kein Antragsrecht auf Mittel aus der „Bundesstiftung für Mutter und Kind“ (jedenfalls in vielen Bundesländern; Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel!). Das müsste doch geändert werden können, weil gerade jene, für die Abtreibung nie ein Ausweg sein kann, von Herzen dazu helfen wollen, dass Schwangere nicht nur guten Rat sondern aktiven – auch materiellen Beistand – bekommen. Und weil viele sogenannte „professionelle Beratungsstellen“ – also anerkannte Beratungsstellen nach §§ 218 ff, die den Beratungsschein ausfüllen, der die Berechtigung zur straffreien Abtreibung bedeutet - die ehrenamtlichen Lebensschützer nicht mögen, sind sie auch nicht bereit, hier unterstützend einzutreten und dann Hilfe abzuwickeln. Darum setzen „unsere Leute“ anstelle öffentlicher Mittel auch noch private Spendenmittel ein. Das tun sie ja aus großer Überzeugung. Aber das ist doch wirklich ein nicht hinzunehmender Anachronismus.

2. Familienpolitik als Flankenschutz für das Lebensrecht

Wir können nicht nur für ungeborene Menschen Partei ergreifen. Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass Familien entsprechend ihrem nachhaltigen Beitrag für die Gesellschaft gefördert und unterstützt werden. Dies gilt in besonderer Weise für die Familien mit mehreren Kindern. Es darf nicht weiter sein, dass die Kosten für Kinder privatisiert bleiben, der Nutzen aber sozialisiert wird. Wir brauchen auch endlich Wahlfreiheit für die Familien, ihr Leben selbst zu organisieren und zu gestalten. Sie dürfen nicht durch einseitige Subventionierung außerfamiliärer Kinderbetreuung dieser Wahlfreiheit weiter beraubt bleiben. Wer seine Kinder vollzeitlich selbst erziehen und begleiten möchte, muss die gleiche Subventionierung erhalten wie jene, die das nicht tun und darum auch noch einen zweiten Gehalt und eine zweite Erwerbsbiografie und einen zweiten umfassenden Rentenanspruch erwerben. Es ist doch nicht einzusehen, dass wir für die Kindererziehung außerhalb der Familie in Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen, bis hin zu der Ausbildung an den Universitäten alles bezahlen, aber die Primärerziehung und –begleitung in der Familie, die in der Bindungsforschung als Grundvoraussetzung späterer Bildung nachgewiesen wird, fast leer ausgeht.

Als Deutsche Evangelische Allianz haben wir dazu schon vor 20 Jahren gezielte Vorschläge erarbeitet, auf die ich gerne verweise Flyer.

3. Kinderrechte – aber klar

Die Verabschiedung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat zu manchen Diskussionen über Kinderrechte geführt. Nach meiner Auffassung müssen aber keine neuen Kinderrechte beschrieben werden, weil durch die Grundrechte und bestehende gesetzliche Regelungen eigentlich längst schon alles klar ist. Man müsste sie nur zur Anwendung kommen lassen und umsetzen: Die Würde des Menschen nicht schon vor der Geburt durch Töten ausschalten. Die Gleichberechtigung konsequent auch Kindern zukommen lassen und z.B. nicht auf ihre Stimmen bei Wahlen zu verzichten. Behinderte Kinder müssten auch schon vor der Geburt den gleichen Lebensschutz genießen und nicht diskriminiert werden, indem man ihnen schon gar nicht den Weg ermöglicht, das „Licht der Welt“ zu erblicken. „One man one vote“ war der Leitspruch gegen die Rassendiskriminierung im südlichen Afrika. Auch für jedes Kind müsste eine Wahlstimme abgegeben werden können. Über die Frage, ab wann sie das selbst tun und wie lange es die Eltern stellvertretend tun können, kann man sich ja auseinandersetzen. Aber es ist nicht ungewöhnlich, dass Eltern für ihre Kinder auch sonst Rechte und vor allem Pflichten wahrnehmen (für ihren täglichen Bedarf müssen die Eltern schließlich auch Steuern bezahlen!).

Und wenn wir schon von Kinderrechten reden: Wer fragt die Kinder nach ihrem Willen, ob sie die Kindertagesstätte wollen oder doch lieber zu Hause bei der Mutter wären? Wer fragt die Kinder nach ihrem Willen, wie lange sie durch die Schule von der Familie getrennt werden? Zur Ganztagesschule? Warum werden hier ungefragt Vorstellungen der Wirtschaft und ihre Ansprüche an Arbeitskräfte höher gestellt als das Selbstbestimmungsrecht von Kindern? Ich kann mich gut erinnern, dass für mich das Ende der täglichen Schulzeit keine Trauerarbeit bedeutete, sondern Freude, nach Hause gehen zu dürfen. Haben das heutige Politiker und Verantwortliche in der Wirtschaft alles anders erlebt?

4. Mutterschutz unverzichtbar

In Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes heißt es: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft!“ Wann haben Sie dieses Zitat zum letzten Mal aus Politikermund gehört? Wir brauchen eine neue Hochachtung für die Höchstleistung der Mütter, die ihr eigenes Leben riskieren, Einschränkungen und Schmerzen auf sich nehmen, um einem neuen Menschen das Leben zu schenken. Wir brauchen eine Klärung, dass Muttersein kein Karriereknick bedeutet sondern ein Karrierekick, weil es keine wichtigere Tätigkeit geben kann und kein nachhaltigeres Wirken gibt. Der gesellschaftliche Undank gegenüber den Müttern geht mir nicht nur auf den Keks. Er ist gemein, ärgerlich, boshaft, dumm, ja wirklich auch intellektuell eine schwache Leistung. Denn wenn der von Alexander Mitscherlich vor Jahrzehnten schon diagnostizierten „vaterlosen Gesellschaft“ auch noch eine „mutterlose Gesellschaft“ folgt, werden wir als kinderlose Gesellschaft zu einer zukunftslosen Gesellschaft. Ohne Mütter stirbt die Welt! Darum: Muttersein ist die wichtigste nachhaltigste zukunftsorientierteste Berufsaufgabe, die es überhaupt gibt. Das muss in die Öffentlichkeit, das muss auch in die Bildungspläne.

Vielleicht ist da eher nebensächlich, dass ich auch vorschlage, Schwangeren nach ärztlicher Feststellung der Schwangerschaft selbst die Entscheidung zu überlassen, wann sie den arbeitsrechtlichen Mutterschutz in Anspruch nehmen wollen. Denn dass er jetzt nur sechs Wochen vor der Entbindung gewährt wird, bedeutet ja, dass sehr viele Frauen nicht wirklich sechs Wochen erhalten, weil sich der Geburtstermin nicht so genau berechnen lässt und sehr häufig Frühgeburten stattfinden. Wenn Frauen selbst sagen können, ab wann sie den Mutterschutz in Anspruch nehmen wollen wäre das eine so dringend notwendig positive Erfahrung schon während der Schwangerschaft und ein Zeichen für „Vorfahrt für das Kind“ anstelle der ständigen „Vorfahrt für die Wirtschaft“.

5. Bildungsoffensive für das Leben

Wir haben in Baden-Württemberg – und inzwischen auch in vielen anderen Ländern – eine neue heiße Diskussion über Bildungsplan und Bildungsinhalte an den Schulen. Da sollen Fragen der sogenannten sexuellen Vielfalt erörtert werden. Aber es fehlt seit Jahrzehnten an der Vermittlung der verfassungsgemäßen Grundlagen. Querschnittsaufgabe müsste sein, darüber zu reden und zu lehren, dass die „Die Würde des Menschen … unantastbar“ ist, wie es die Väter und Mütter des Grundgesetzes nach der Katastrophe des 3. Reiches mit seiner Menschenverachtung und Menschenvernichtung formuliert (Artikel 1 des Grundgesetzes). Und sie haben dazu gesetzt: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt…..Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit…“ (Artikel 1 und 2). Und das ist wirklich gut so!
Weil die Würde des Menschen in den zurückliegenden 12 Jahren mit Füßen getreten worden war, wollte man diesem Grundsatz ein solches Gewicht geben (Ich empfehle übrigens gerne die Lektüre des Grundgesetzes, das frei nach Martin Luther wie bei den apokryphischen Schriften zwar „der Heiligen Schrift nicht gleich zu achten, aber doch nützlich zu lesen“ ist. Mindestens die ersten 19 Artikel der Grundrechte sind Pflichtlektüre!). Man hat darum den Artikel 1 mit seiner Würde-Bestimmung als unabänderlich erklärt.

Das war nicht wirklich neu, musste aber neu auf den Leuchter gestellt werden. Immerhin hat schon das Preußische Landrecht 1794 festgelegt: „§ 10: Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit ihrer Empfängnis.“ „§ 11: Wer für schon geborene Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung der noch im Mutterleibe befindlichen.“ Ich möchte, dass wir in unserer Bildungseuphorie wenigstens wieder soweit kämen wie unsere Vorfahren 1794 schon waren! Und von daher ist es natürlich in sich nur logisch, dass nach § 1923 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat, auch schon ein ungeborenes Kind die Erbfähigkeit besitzt! Und es ist auch logisch, dass die strafrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit dem so genannten Schwangerschaftsabbruch im 16. Abschnitt des Strafgesetzbuches unter der Hauptüberschrift „Straftaten gegen das Leben“ eingeordnet sind, zusammen mit Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Völkermord und fahrlässiger Tötung (§§ 211 - 222).

Die Möglichkeit künstlicher Befruchtungen machte es nötig, der Frage nachzugehen, ab wann ein Mensch ein Mensch ist. Das 1990 in einer Sternstunde des Deutschen Bundestags verabschiedete Embryonenschutzgesetz hält fest, dass menschliches Leben ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle strafrechtlichen Schutz genießt.

Bei der natürlichen Empfängnis ist es klar, dass nach der Zeugung eines Kindes – im besten Sinne des Wortes gemeint – nichts mehr aufzuhalten ist. Das Reden von einer „Nachverhütung“ ist nichts anderes als eine Vernebelung der Tatsachen. Denn die „Pille danach“ ist natürlich nicht so intelligent, dass sie im Körper der Mutter zwar eingebrachten Samen bei der Zeugung hindern oder die Eizelle beim Empfang des Samens verhindern, aber das Stoppschild beachten würde, wenn Same und Eizelle schon zueinander gefunden hätten und auf dem Weg zur Einnistung in die Gebärmutter sind. Die „Pille danach“ hat also auch das Potential nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zuzuschlagen und das bereits entstandene menschliche Leben zu vernichten.

Das alles wäre einer wirklichen Bildungsoffensive wert. Und dann müssten auch endlich in den Schulen die Werte Ehe und Familie, die unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen, gelehrt und gelernt werden. Daran mangelt es seit langem.

6. Über Leben und Tod kann nicht privat entschieden werden

Die Todesstrafe ist in unserem Rechtsstaat nach dem Grundgesetz zwar abgeschafft, aber im privatisierten Rahmen wird sie an Ungeborenen mehr als 100.000 Mal jedes Jahr in unserem Land praktiziert. Und kein Staatsanwalt kümmert sich darum und keine Kirchenglocken läuten zum Begräbnis. Ja, wir verabscheuen zwar zu recht die „Geldwäsche“, aber wir haben uns an die „Rechtswäsche“ gewöhnt. Man lässt sich beraten und, gleichgültig wie der Rat auch immer ausfällt - danach darf man straflos ein Kind töten.

Stellen Sie sich nur einen Augenblick vor, eine solche „Rechtswäsche“ gäbe es in einem anderen Rechtsgebiet. Als Autofahrer würde ich gerne einmal im Jahr zu einer Verkehrsberatung gehen und dürfte anschließend fahren wie ich will. Ich habe mich ja beraten lassen. Oder im Bereich der Erstellung von Bauten, im Umweltschutz, bei der Steuererklärung, beim Diebstahl? Wir würden dies zu recht als baren Unsinn empfinden, wenn eine rechtswidrige Tat aufgrund einer vorausgehenden Beratung nicht mehr strafbewehrt wäre! Aber wenn es um das Leben von Menschen geht, lassen wir das einfach zu. Und die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine solche Regelung höchstenfalls hingenommen werden könnte, wenn dadurch nachweislich eine signifikante Verminderung von Abtreibungen gelingen könnte, wird nicht beachtet, nicht überprüft, einfach totgeschwiegen. Das darf doch nicht länger sein!

Wir müssen unterscheiden zwischen Demokratie und Rechtsstaat. Demokratie meint ja nur die Herrschaft des Volkes. Es ist ja das große Dilemma deutscher Geschichte, dass die Nationalsozialisten 1933 durch eine demokratische Wahl an die Macht gekommen sind. In der Demokratie können dann theoretisch auch 51% beschließen, dass sie 49% eliminieren. Aber wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Der Rechtsstaat gibt den Rahmen für eine funktionierende humane Demokratie, für die Einhaltung der Menschenrechte.

Ein Rechtsstaat darf nicht hinnehmen, dass Töten im Privaten unter Menschen abgemacht wird und ohne öffentliche Aufmerksamkeit geschieht. Auch ungeborene Kinder sind Rechtsträger und Menschen, denen die Menschenwürde nicht abgesprochen werden darf. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass sie ein Erbrecht haben. Was sagen wir denn, wenn eine Mutter ein Kind abtreibt, weil sie ihr Erbe des Mannes nicht mit ihrem Kind teilen will? – Wir sagen natürlich nichts, weil wir es nie erfahren, weil alles privat entschieden wird. Wir müssen deutlich machen: Wenn unsere Gesellschaft entgegen aller Vernunft und Rechtssetzung und gegen Gottes Gebot unbedingt Kinder töten will – dann muss das mindestens in einem ordentlichen Rechtsverfahren geschehen. Es müsste also ein fairer Prozess stattfinden, wo meinetwegen die Mutter oder der Vater beantragt, dass das Kind im Mutterleib getötet werden darf. Vater oder Mutter müssten freilich auch die gegenteilige Position einnehmen dürfen. Und wenn dies nicht geschieht müsste von Amts wegen ein Vormund für das im Mutterleib lebende Kind bestellt werden, das für dessen Recht streitet – im Falle des Erbrechts ist es so; wieviel mehr sollte es beim Recht auf Leben sein! Wenn dann ein Gericht zur Auffassung gelangt, dass dieses Kind zu beseitigen der richtige Weg zur Konfliktlösung sei, dann würde das geschehen können. Ich weiß: Juristen und Richter erschaudern über diesem Gedanken. Aber dann würde endlich die unheimliche Heimlichkeit genommen. Unrecht muss ans Licht gebracht werden! Dann würden Menschen bei ihren Verantwortungen gepackt werden können. Heute oder eines Tages von unseren Nachkommen, so wie wir heute ja auch das Unrecht in der Geschichte offenbar viel besser beurteilen können als das heutige Unrecht, das wir selbst tun oder zulassen. Wird aber das Deutsche Volk vorher ausgestorben sein – wir tun ja viel dafür, dass das geschieht und nichts sinnvolles dagegen – dann könnten wenigstens die anderen Völker nachträglich über uns zu Gericht sitzen und vielleicht aus der Geschichte des Untergangs des Deutschen Volkes lernen.

Ich erinnere als Baden-Württemberger daran, dass wir einen Ministerpräsidenten hatten, Hans Filbinger, der schließlich sein Amt abgeben musste, weil er in der Zeit des Dritten Reiches als Marinerichter tätig war und wohl auch an Todesurteilen beteiligt, die man später als nicht hinnehmbar bezeichnet hat. Ohne über den damaligen Sachverhalt zu urteilen: Gerade ein solcher Vorgang zeigt, dass es nötig werden kann und nötig werden wird, Menschen konkret in Verantwortung für ihr Tun zu nehmen.

Gott ist der Herr des Lebens. Es ist höchste Zeit, dass wir das Märchen überzogener Selbstbestimmung des Menschen entmythologisieren. Keiner von uns hat sich selbst dazu entschlossen zu leben. An unserer eigenen Entstehung war keiner mit eigener Willensbildung beteiligt. Und das ist gut so! Darum ist es aber doch nur folgerichtig, dass es auch keinen selbstbestimmten Tod gibt. Wir sterben, wenn uns der lebendige Gott das Leben, das er uns geschenkt hat, wieder aus der Hand nimmt. Darum müssen wir ohne Wenn und Aber beim Nein bleiben dazu, dass Menschen selbst über ihr Lebensende bestimmen wollen. Darum muss es beim Nein bleiben zur Tötung, auch wenn sie sich unter dem scheinbar barmherzigen Begriff der Sterbehilfe tummelt. Und darum müssen wir auch Nein sagen zur Beihilfe zur Selbsttötung, nicht nur wenn sie gewerblich geschieht, nicht nur, wenn sie organisiert geschieht. Die häufigste Gewaltform ist – nach allen Schätzungen – die häusliche Gewalt. Fachleute gehen z.B. davon aus, dass 7 % alter Menschen Gewaltakte aus dem häuslichen Umfeld erleben. Dass man angesichts dessen meint, gerade im Falle von Beihilfe zur Selbsttötung den privaten Bereich aus der Strafandrohung außen vorhalten zu sollen, ist meines Erachtens viel zu kurzsichtig und würde zu einer wirklichen neuen Menschenrechtskatastrophe am Lebensende führen. Denn bisher denken die Menschen: So etwas tut man nicht. Wenn aber erst einmal – was zwingend nötig geworden ist – die organisierte Beihilfe strafrechtlich geahndet wird, dann wird sich die Meinung durchsetzen, dass man im privaten Bereich durchaus nachhelfen darf. Darum brauchen wir, wie durchaus an in anderen Ländern vorhanden, z.B. in Österreich und sogar in Großbritannien, auch die Strafbewehrung jeglicher Beihilfe zur Selbsttötung. Der weiteren Privatisierung von Tötungshandlungen müssen wir entgegen wirken.

In einer rechtsstaatlichen Gesellschaft müssen die Ausnahmen von der Strafbewehrung bei Tötungsdelikten entfallen. Nur im Falle der Notwehr, kann und muss die staatliche Gemeinschaft von der Bestrafung absehen.

7. Konkurrierender Lebensschutz – dann ist die Gewissensentscheidung gefragt.

Manchmal stehen zwei Rechte und zwei mögliche Handlungen gegeneinander und man wird sich dessen gewahr, dass man zwar nur eine Handlung wählen kann, aber diese dann auch als schuldhaft empfunden wird. Es war immer klar, dass dann, wenn Leben gegen Leben steht – entweder überlebt die Mutter oder das Kind – niemand sich für das eine gegen das andere Leben entscheiden muss. Hier war die wirkliche Gewissensentscheidung gefragt. Und das ist gewiss eine schwere Entscheidung. Und wenn sich dann die Eltern für die Mutter und darum wohl zwangsweise gegen das Kind entschieden, konnte und kann ihnen das nicht vorgehalten werden. Sie werden selbst gewiss genug daran zu leiden haben. Aber glücklicherweise sind diese Fälle aufgrund unserer Hochleistungsmedizin außerordentlich selten. Und dankenswerter Weise gibt es sogar gar nicht wenige Erfahrungen, dass dort, wo sich die Betreffenden doch nicht gegen das Kind ausgesprochen haben und das volle Risiko eingegangen sind, die Mutter doch oft überlebt hat und nachher nie auf das Kind hätte verzichten wollen. Daraus ergibt sich: Die medizinische Indikation muss wieder eine rein medizinische werden. Dass während der Schwangerschaft prognostizierte Krankheiten oder Behinderungen zu einer Selektion führen, die fast automatisch mit der Vernichtung dieses Menschen beendet werden, dürfen wir nicht akzeptieren. Schon die Gleichberechtigung Behinderter fordert dies zwingend (dass während der pränatalen Diagnose darüber hinaus viele Fehlurteile abgegeben werden, und als behindert prognostizierte Kinder nachher gesund sind, steht noch einmal auf einem anderen Blatt, ist aber bei der Sicht konsequenter Lebensbejahung auch für Behinderte kein zusätzliches Argument und führt schnell auf die schiefe Ebene).

8. Lebensschutz braucht Wahrheit

Wir dürfen uns nicht länger für dumm verkaufen lassen. Es wird nämlich alles getan, dass das wahre Ausmaß der Abtreibungsmentalität nicht bekannt wird. Es gibt keine Plausibilitätsprüfung der Bundesstatistik. Es scheint niemand zu stören, dass mehr Abtreibungen staatlich abgerechnet als beim Statistischen Bundesamt gemeldet werden. Dass die Zahlen sehr unsicher sind, stand bis etwa zum Jahr 2000 auch als Fußnote in den statistischen Angaben. Während der Regierung der rot-grünen Bundesregierung wurde diese Fußnote einfach abgeschafft. Man wollte das nicht länger als beständiger Begleiter lesen. Klar, es kommt letztlich nicht auf die Zahl an. Die Empörung könnte kaum größer sein, wenn es 300.000 Abtreibungen gäbe anstelle der jetzt bundesamtlich bekundeten 100.000. Und wir hätten auch allen Grund uns sehr intensiv damit zu befassen, wenn es „nur“ 10.000 wären (zum Vergleich: 2013 gab es in Deutschland 3.390 Verkehrstote und wie sehr beschäftigt sich die Gesellschaft zu recht damit!). Aber es ist kein Wunder, dass die Zahl jährlich leicht sinkt. Dafür gibt es natürlich mindestens drei logische Gründe: 1. der demografische Faktor. Wenn immer weniger Frauen im gebärfähigen Alter leben, kann es auch nur weniger Schwangerschaften und weniger Abtreibungen geben. 2. die massenhafte Verschreibung von „Pillen danach“. 300.000 jährlich in Deutschland und das, obwohl noch immer Verschreibungspflicht gilt. Ich bin Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe MdB sehr dankbar, dass er daran auch gegen enorme Widerstände festhält. 3. die Meldepraxis der abtreibenden Ärzte. Die sind natürlich daran interessiert, die Zahlen sinken zu lassen. Und es gibt keine Sanktionierung gegen unwahre Zahlenangaben oder unterlassene Meldungen.

Zur Wahrheit gehört auch: Schluss mit dem Schweigemantel über den Folgen der Abtreibung. Schon die frühere Familienministerin Claudia Nolte hatte im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen „Das 2. Opfer ist immer die Frau!“ Die psychischen und die daraus auch folgenden medizinischen Folgen müssen endlich offen benannt werden, die übrigens neben dem furchtbaren Leid der Frauen auch die Gesellschaft ein Vermögen kosten. Wann endlich wird das offen gelegt? Die ständige Zunahme seelischer Erkrankungen in unserem Land hat nicht nur diese Ursache, aber eben gewiss in nicht unbeträchtlicher Weise auch.

9. Medien und Politik in die Verantwortung nehmen

Wir müssen reden und schreiben. Den Medien muss ihre Verantwortung deutlich gemacht werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 sind die öffentlich-rechtlichen Medien in ihrem Bildungsauftrag dem „Ja zum Kind“ verpflichtet. Warum wird das nicht wirklich wahrgenommen? Unsere Verantwortung ist es, die Gelegenheiten zu nutzen, auch mit den Politikern über diese Fragen zu reden und sie daran zu erinnern. Ein Beispiel wäre die Chance zu nutzen, die Abgeordnetensprechstunden zu besuchen. Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit auch den klaren Auftrag gegeben, die Wirksamkeit der sogenannten Beratungsregelung nach einer gewissen Zeit zu überprüfen. Das ist bisher noch immer nicht geschehen. Wir müssen daran weiterhin erinnern. Das gilt auch für die nicht hinnehmbare Verknüpfung von Beratung nach §§ 218 ff und dem „Geschäft“ der Abtreibung, das an manchen Orten geschieht. Es bleibt mir auch unverständlich, warum Organisationen, deren Repräsentanten sich entgegen den Verfassungsvorgaben für eine absolute „Wahlfreiheit“ aussprechen, ungeprüft weiter öffentlich finanziert werden. Hier wäre staatliches Handeln angebracht und ist einzufordern.

Und schließlich muss Freiheit und Verantwortung wieder in ein sinnvolles Verhältnis kommen. Es kann ja nicht sein, dass Väter im Falle einer ungewollten Schwangerschaft, die sich dann zu einem Ja zur Geburt durchringen – „das ist dumm gelaufen, aber jetzt stehe ich dazu und der Mutter bei“ - 25 Jahre Unterhalt bezahlen und so Verantwortung übernehmen und verantwortungslose Männer, die zwar eine Frau schwängern, sich aber dann aus dem Staub machen, nicht belangt werden und nicht wenigstens die Folgekosten aufbringen müssen. Die Finanzierung von Abtreibungen aus öffentlichen Mitteln muss ein Ende haben.

10. Priesterliches Amt der Fürbitte für alle

Den Dienst, den alle Christen tun können, ist der Dienst der Fürbitte, für alle Menschen: Für diejenigen, die sich im sogenannten Schwangerschaftskonflikt befinden oder denken, sie hätten einen solchen. Für die Männer, die Frauen geschwängert haben, aber noch nicht bereit sind, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Für die Kinder, die vom Tod bedroht sind (es ist schon ein Jammer, dass der gefährlichste Aufenthalt für Kinder in unserer Wohlstandsgesellschaft der Ort der eigentlichen besonderen Geborgenheit ist, der Mutterleib). Für die Beratenden, für die Medienschaffenden, für die Politiker. Entscheidende Veränderungen geschehen nicht durch politische Programme, Diskussionen, Proteste; sie geschehen durch die Veränderung von Herzen. So wie der lebendige Gott einst Paulus durch eine Offenbarung zur Umkehr führte, so kann Gott selbst heute auch professionelle Abtreiber zur Umkehr führen. Das wäre die entscheidende Hilfe zu einem Durchbruch für den Lebensschutz. Beten wir!

Hartmut Steeb über Lebensschutz, Utopien, die Wirklichkeit werden und "100.000plus"


EWTN Reporter - Marsch für das Leben 2014 - Rede Hartmut Steeb


Foto Hartmut Steeb (c) Evangelische Allianz in Deutschland


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Lesermeinungen

 bellis 18. November 2014 

Nicht nur ganz leise, sondern dröhnend laut

Nicht nur mein Wunsch, sondern meine Forderung, meine Mahnung, diese schwere Unterlassungssünde nicht zu begehen.


1
 
 queenie 18. November 2014 
 

Hartmut Steeb

spricht für alle Christen und ist ein großes Vorbild.


2
 
 girsberg74 18. November 2014 
 

„barmherzig“ – Ein Wort so oder anders!

In dem Referat tritt die folgende Stelle auf:
„Nicht durch Politik und Justiz sondern durch die barmherzige Hilfe für diejenigen, die …“

Dazu ein Hinweis, keine Kritik an Hartmut Steeb oder in dieser Verwendung:
Viele schlimmen Dinge werden mit „Barmherzigkeit“ ummantelt und gerechtfertigt. Wer zum Beispiel Abtreibung und „Sterbehilfe“ missbilligt oder auch nur nicht mitmacht, wird schnell als Barbar hingestellt oder, was im Grunde dasselbe meint, als Erzkonservativer.

Hier hilft nur die Unterscheidung von „Tugendpflichten“ versus „Unterlassungspflichten“, wobei die Unterlassungspflichten im Zweifelsfalle Vorrang haben.

Nebenbei:
Alleine schon diese Unterscheidung, laut geäußert, verschafft einem in Diskussionen Luft.


1
 
 SpatzInDerHand 18. November 2014 

Ein wichtiger Beitrag, danke, Herr Steeb!!

(Ich sage es auch nur gaaaanz leise: ichj wünsche mir, all unsere katholische Bischöfe würden in Punkto Lebensschutz dasselbe wie Sie und in derselben Klarheit und Lautstärke vertreten...)


4
 

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