Loginoder neu registrieren? |
||||||||||||||||||||||||||||||
| ||||||||||||||||||||||||||||||
SucheSuchen Sie im kath.net Archiv in über 70000 Artikeln: Top-15meist-diskutiert
| »Als Leitbild taugt Vielfalt der Lebensformen nicht«19. Dezember 2014 in Interview, 3 Lesermeinungen »Sexualpädagogik der Vielfalt« ist ein öffentlich finanziertes Umerziehungsprogramm, das alles abbaut, was wir bisher unter Geschlecht, Sexualität und Familie verstanden haben, warnt Psychiater Christian Spaemann im Interview mit FreieWelt.net. München (kath.net/Freiewelt.net) Die »Sexualpädagogik der Vielfalt« lehnt der Facharzt Christian Spaemann (Foto) als ideologisch ab. Er plädiert für anthropologische fundierte Konzepte, die den Beziehungsaspekt nicht vernachlässigen. FreieWelt.net: In letzter Zeit ist ein Buch ins Gerede gekommen, das der Sexualerziehung dient: »Sexualpädagogik der Vielfalt«. Was kritisieren Sie daran? Christian Spaemann: Es handelt sich bei der »Sexualpädagogik der Vielfalt« nicht nur um ein bestimmtes Buch, sondern um eine Richtung in der Sexualpädagogik, die unmittelbar davor steht, unsere Schulen und Kindergärten zu dominieren. Ich kritisiere diese Pädagogik so sie diese Bezeichnung überhaupt verdient nicht nur, ich verabscheue sie. Wir haben es hier nämlich mit einem von öffentlicher Hand finanzierten Umerziehungsprogramm zu tun, das sich die Dekonstruktion von allem zum Ziel gesetzt hat, was wir bisher unter Geschlecht, Sexualität und Familie verstanden haben. Die Schwächsten in unserer Gesellschaft, nämlich die Kinder, werden für diese Ideologie instrumentalisiert. Kinder leben in unserer Gesellschaft zu 75 Prozent bei ihren leiblichen Eltern und sind in ihrem Herkunfts-Narrativ zu 100 Prozent auf Vater und Mutter bezogen. Sie interessieren sich für Sexualität nur, insofern es ihr Herkommen erklärt. Sie haben also noch kein von der Fruchtbarkeit abgelöstes Verständnis für Sexualität. Sie sollen nun verwirrt werden, indem man sie mit tausenderlei Möglichkeiten konfrontiert, wer mit wem Sex haben kann, welche Möglichkeiten es gibt, dass der männliche Same eine Eizelle findet usw. Man will sie über sexuelle Vorlieben diskutieren lassen und nimmt auf ihre Scham keine Rücksicht. Das ist unanständig und schmutzig. Den Jugendlichen ergeht es bei dieser »Pädagogik« nicht besser. Der Zusammenhang der Sexualität mit ihren tiefsten Sehnsüchte nach einem gelungenen Leben, zu dem für sie, wie wir wissen, verbindliche Beziehungen und meist eine Familie gehören, kommt nicht vor. Im Gegenteil, es wird ihnen nahegelegt, zu meinen, dass es keinen Wertunterschied gibt zwischen dem Gebrauch einer Taschenmuschi in einer Intercitytoilette und der liebenden Vereinigung zweier Menschen, die ihr Leben miteinander teilen. Verantwortung, Sinnerfahrung oder Integration des Geschlechtstriebs in das Leben, all diese Begriffe scheinen den Ideologen der Vielfalt fremd zu sein. FreieWelt.net: Bücher wie »Sexualpädagogik der Vielfalt« entstehen ja nicht im luftleeren Raum. Mit welchem Trend haben wir es hier zu tun? Christian Spaemann: Es handelt sich hier um eine Form radikalisierter Emanzipationsideologie in neomarxistischer Tradition. Nachdem das gesellschaftliche Projekt sozialer Gleichheit mit dem Untergang des Sozialismus gescheitert ist, macht man sich nun über die menschliche Natur her, die es sich herausnimmt, nicht beliebig zu sein, uns bestimmte Lebensformen nahezulegen und Ungleichheiten zu schaffen. So wird die natürlich vorgegebene und unsere Evolution bestimmende Zweiteilung der Geschlechter in Mann und Frau im Anschluss an die Queer-Theorie der amerikanischen Philosophin Judith Butler als zu Herrschaftszwecken sozial konstruiert und damit auch als de-konstruierbar gesehen. Wenn es darum geht, durch das Vermeiden unverträglicher Nahrung auf unseren Magen Rücksicht zu nehmen, wird die menschliche Natur noch geduldet, wenn es aber darum geht, die unterschiedliche individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Lebensformen und sexuellen Verhaltensweisen zu erklären stehen diese Apologeten der Vielfalt Kopf und reden von Diskriminierung. Dabei scheuen sie sich nicht, Menschen für ihre Ideologie zu instrumentalisieren: zum Beispiel intersexuelle Menschen, die unter Störungen der Differenzierung ihrer Geschlechtsorgane leiden, oder Transsexuelle, also Menschen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, dabei aber immer auf eines der beiden Geschlechter bezogen bleiben, oder auch homosexuell empfindende Menschen beiderlei Geschlechts, die ihr Geschlecht gar nicht in Frage stellen. FreieWelt.net: Steht der deutschsprachige Raum mit diesem Phänomen allein da? Oder spielen internationale Organisationen auch eine Rolle bei der Propagierung der neuen Sexualpädagogik? Christian Spaemann: Der deutschsprachige Raum steht hier keineswegs alleine da. Das hier wirksame Programm hat sich mit dem Label der »Nichtdiskriminierung« versehen, als »sexual diversity« den Weg über die gesellschaftliche Hintertreppe in die Institutionen der UNO, WHO, der nationalen Politik, Verwaltung, Kultur und nicht zuletzt in die Pädagogik verschafft. Wurde »Sexuelle Gesundheit« von der WHO bis 1975 noch durch »die Integration der körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Aspekte« der Sexualität in das Leben gekennzeichnet, die zur »Weiterentwicklung von Persönlichkeit, Kommunikation und Liebe beiträgt«, so gibt es seit dem Jahr 2000 in den entsprechenden WHO-Definitionen keinen Bezug mehr auf die diese Integrationsleistung und somit auch keinen Bezug mehr zur Zielgerichtetheit und Sinnerfüllung der Sexualität. »Sexuelle Gesundheit« wird nun über die Entwicklung rein individueller Genussfähigkeit, die Entfaltung und Wahrnehmung eigener Bedürfnisse sowie die Beachtung so genannter »sexueller Rechte« definiert. Diese »sexuellen Rechte« wiederum beziehen sich in erster Linie auf das Recht »einvernehmliche sexuelle Beziehungen« einzugehen. In unserem Fall können sich die Verantwortlichen für die »Sexualpädagogik der Vielfalt« auf die im Auftrag der WHO von der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erarbeiteten und 2011 herausgegebenen WHO-Standards für die Sexualaufklärung in Europa berufen. In den ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas sind es die ideologisch arbeitslos gewordenen Ex-Kommunisten, die sich zur Freude westlicher Bürokraten auf diese Konzepte stürzen. Die Zivilgesellschaften des Ostens stehen nun unversehens vor diesen neuen Ideologien, wobei sie sich tapfer zur Wehr setzen. Allein in dem an Einwohnern kleinen Kroatien hat sich eine Elternbewegung entwickelt, von der wir nur träumen können. FreieWelt.net: Welches Ziel verfolgen die genannten Institutionen? Christian Spaemann: Man kann schwer sagen, welche Ziele diese Institutionen als solche verfolgen. Mit Sicherheit aber kann man feststellen, dass bestimmte, in diesen Organisationen maßgeblich aktive Gruppen die Gesellschaften unserer Erde im Sinne ihrer radikalen Kulturtheorie beeinflussen wollen. Sie wollen Geschlecht, Sexualität und Lebensformen aus vorgegebenen Natur-, Lebens-, Beziehungs- und Verantwortungszusammenhängen herauslösen. »Vielfalt der Lebensformen« und »Sexuelle Vielfalt« sollen überall zum von klein auf akzeptierten gesellschaftlichen Leitbild werden. Es ist offensichtlich ihr Ziel, die Natur des Menschen zur Privatsache zu erklären. Die öffentliche und gesellschaftliche Bedeutung der Sexualität soll in den Bereich der privaten Meinung abgeschoben werden. Sie soll zum weltanschaulichen Süppchen gehören, das jeder für sich kocht. Es handelt sich hier um ein besonders fatales Produkt der Dialektik der Aufklärung, bei der es nicht mehr nur um die Instrumentalisierung der äußeren Natur, sondern der menschlichen Natur und um deren völlige Distanzierung geht. Sexualität wird so zur Ware, zu einem Konsumgut, das nach Belieben bedient werden kann. Zum Gesamtpaket gehören dann natürlich auch Abtreibung, Euthanasie und das unbeschränkte Ausschöpfen fortpflanzungsmedizinischer Möglichkeiten. Besonders bemerkenswert ist die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen der Kinder, das Übergehen des von der UNO-Kinderrechtskonvention 1989 vorgegebenen Grundprinzips, nach dem »bei allen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen das Wohlergehen des Kindes vordringlich zu berücksichtigen ist«. Kinder brauchen nämlich Vater und Mutter und für sie ist jede, mit Brüchen versehene Herkunfts- und Familienstruktur eine seelische Verletzung, die man möglichst vermeiden, auf keinen Fall aber fördern sollte. Die Vertreter dieser Ideologie trachten ihre Rücksichtslosigkeit durch zahlreiche human klingende Euphemismen zu verschleiern. Der Erfolg dieser Strömung lässt sich nur dadurch erklären, dass sie neoliberalen, marktkapitalistischen Interessen an einem flexiblen, ungebundenen und identitätsarmen Menschen entgegenkommt. FreieWelt.net: Umfang und Art der Kenntnisse über den Mensch, Natur und Gesellschaft wandeln sich bekanntermaßen. Schlägt sich das in der Sexualpädagogik nieder? Ist sie bestimmten Konjunkturen unterworfen? Christian Spaemann: Für die gegenwärtige Entwicklung in der Sexualpädagogik ist bezeichnend, dass sie gerade auf unsere auch empirischen Kenntnisse über Mensch, Natur und Gesellschaft keine Rücksicht nimmt. Die Ideologen der »Vielfalt« stoßen allerdings im Bereich der Sexualpädagogik auf ein geistiges Vakuum. In den letzten Jahrzehnten wurde über die Biologie hinaus nur eine Art kleinster gemeinsamer Nenner dessen, was im Bereich Sexualität gemeinhin gelebt wird, vermittelt. Auch hier gab es wenig Orientierung. Man könnte so von einer Art »Konjunktur der Orientierungslosigkeit« sprechen, die dann aufgegriffen und zu einer radikalisierten »Konjunktur eines dogmatischen Relativismus« umgeformt wurde. FreieWelt.net: Welches Menschenbild steht hinter diesem Verständnis von Sexualität? Christian Spaemann: Es handelt sich eigentlich um gar kein Menschenbild, wenn man den Menschen als ein sinnvolles Gebilde betrachtet, bei dem Leib, Seele und Geist eine Bedeutung haben. Es ist eher die abstrakte Idee eines autonomen Subjekts, das aus einem Markt von Möglichkeiten beliebig wählen kann. Für die Sexualpädagogik bedeutet dies, dass den vermeintlich autonomen Kindern und Jugendlichen biologische Einzelfakten und Bruchstücke sexuellen Verhaltens vorgelegt werden mit denen man sie dann alleine lässt. Die viel beschworene Rücksicht auf »Einvernehmlichkeit« und auf die »sexuellen Wünsche und Vorstellungen des anderen« ist dann die einzige Ethik und Leitlinie, die übrig bleibt. Im Übrigen sollen es die sexuellen Erfahrungen selbst sein, die Normen und Werte kreieren. So heißt es in den WHO-Standards von 2011: »Sexualverhalten unter Kindern und Jugendlichen findet in der Regel individuell oder zwischen Gleichaltrigen statt als Möglichkeit, sich und andere zu entdecken. Auf diesem Weg finden Kinder und Jugendliche heraus, was sie mögen und was nicht; sie lernen sowohl mit Intimität umzugehen, als auch Verhaltensregeln für sexuelle Situationen. Auf gleiche Weise entstehen auch ihre Normen und Werte in Bezug auf Sexualität.« FreieWelt.net: Es wird hier das Sexualverhalten von Jugendlichen und Kindern in einem Atemzug genannt. Wie ist das zu verstehen? Christian Spaemann: Die Verfasser WHO-Standards und der anderen Erzeugnisse dieser Richtung setzen im Rückgriff auf triebmythologische, an Wilhelm Reich erinnernden Vorstellungen Sexualität mit allgemeiner Lebensenergie gleich und postulieren daher eine Sexualaufklärung ab der Geburt. Nach deren Auffassung ist vieles, was Kinder in ihrem Beziehungsleben und in ihrer Neugierde tun, irgendwie Ausdruck sexueller Lust. Da ist zum Beispiel von frühkindlicher Masturbation die Rede. Das ist natürlich Unsinn. Wenn ein kleines Kind seine Geschlechtsteile berührt weil es dies als angenehm empfindet, kann man dies nicht mit dem intentionalen, auf Befriedigung zielenden Akt einer Masturbation in Zusammenhang bringen oder gar gleichsetzen. Genauso ist es absurd Doktorspiele, bei denen die natürliche Neugierde von Kindern, die Geschlechtsteile des anderen kennenzulernen eine Neugierde, die übrigens nach wenigen Malen befriedigt ist als eine irgendwie sexuelle Verhaltensweise zu sehen. Diese Verhaltensweisen von Kindern auch noch »sexualpädagogisch aufgreifen« zu wollen, wie das ausdrücklich vorgesehen ist, bedeutet eine Grenzüberschreitung und kann zu einer Sexualisierung der Pädagogik führen. Ich frage mich wie es wäre, wenn man die Kinder einfach in Ruhe lassen würde? FreieWelt.net: Aber ist nicht bereits der Säugling voller Sinnlichkeit? Kann man sein und das Verhalten der Kleinkinder von Sexualität völlig getrennt sehen? Christian Spaemann: Die innige Bindung des Säuglings und Kleinkindes an die Eltern ist in der Tat voller Sinnlichkeit, die Geschlechtsorgane sind aber nicht daran beteiligt und es lässt sich keine Kontinuität hin zu einer späteren sexuellen Bindung feststellen. Liebe ist nichts homogenes. Neurobiologie und Entwicklungspsychologie bestätigen, dass die Module Sexualität und Beziehung nicht ident sind. Im Gegenteil: Kibbuz-Studien in Israel haben gezeigt, dass intensive Beziehungen in Kindheit und Jugend spätere Sexualität zwischen denen, die diese Zeit miteinander verbracht haben, hemmen. Das Beziehungsleben, des Menschen von Geburt an, auch das sinnliche, hat zwar, wie wir wissen, ganz wesentlichen Einfluss auf die spätere Fähigkeit die Sexualität zu integrieren und in einer Beziehung zu genießen, ist aber nicht selbst sexuell zu verstehen. FreieWelt.net: Sie haben vor kurzem alternative »Prinzipien der Sexualpädagogik« vorgelegt. Um was handelt es sich dabei? Christian Spaemann: Die »Prinzipien der Sexualpädagogik« habe nicht ich vorgelegt, sondern sie wurde von einer Gruppe von Experten erstellt, die mich darum gebeten haben, einen Vortrag anlässlich ihrer öffentlichen Präsentation zu halten. Dieser Vortrag ist auf meiner Homepage zugänglich. Es geht um eine Initiative, die sich für eine humane Sexualpädagogik, gestützt auf eine fundierte Anthropologie in Verbindung mit den Einzelwissenschaften einsetzt. Es gibt bereits solche Modelle. Die Kinder und vor allem die Jugendlichen sollen in erster Linie lernen, selbstständig zu denken. Neben dem Erwerb fundierter biologischer Kenntnisse über Sexualität und Fruchtbarkeit geht es andererseits darum, Kenntnisse und Hilfestellung zu geben, die die Jugendlichen darin fördert, möglichst frei vom Konsumdruck des Zeitgeistes Sexualität in ihr Leben zu integrieren und sie in den Dienst ihrer menschlichen Lebensziele zu stellen. Die Jugend wird hier ernst genommen und herausgefordert, sie lernen zu verstehen, dass es im Leben gerade im Zusammenhang mit der Sexualität um etwas geht, dass man auch scheitern kann. Die Jugendlichen erarbeiten sich das in entsprechenden Diskussionsrunden weitgehend selbst. Sie sind ja von Haus aus vernünftig. Auch Themen wie Homosexualität lassen sich anhand wissenschaftlicher Informationen offen diskutieren und führen zu einer Haltung der Offenheit und Toleranz gegenüber diesen Menschen. Kinder und Jugendliche haben allerdings ein Recht darauf, vor der »Sexualpädagogik der Vielfalt« geschützt zu werden, die ihre Vernunft in Frage stellt, und sie zu schicksalslosen Spießern machen will, die sich am Markt klinisch sauberer sexueller Möglichkeiten bedienen. FreieWelt.net: Sexualität ist für Sie also mehr als Triebbefriedigung? Christian Spaemann: Ja! Die menschliche Sexualität hat viele Dimensionen, die alle aufeinander bezogen sind. Da ist zum einen die biologische Dimension, der Geschlechtstrieb, die Komplementarität der Geschlechtsorgane von Mann und Frau, aber auch ihre angeborene psychische Komplementarität, und nicht zuletzt ihre Fruchtbarkeit, ohne die wir dieses Interview nicht machen könnten, weil es uns nicht gäbe und ohne die die Menschheit keine Zukunft hätte. Da ist zum anderen das Kind mit seiner Verletzlichkeit und seinem Bedürfnis nach einem vorbereiteten Nest, in das es hineingeboren wird. Nicht in erster Linie ein materielles Nest, sondern ein Nest der Geborgenheit und Liebe. Es ist ein Bedürfnis nach Verlässlichkeit in den Beziehungen und nach sorgloser Entfaltung, Entfaltung auch im eigenen Geschlecht. Dazu gehören Vater und Mutter, das gleichgeschlechtliche Vorbild für die Identitätsbildung und der gegengeschlechtliche Elternteil, an dem sich die Sicherheit in der Liebe erproben kann. Diesem Bedürfnis des Kindes nach verlässlichen Bindungen zu Vater und Mutter entspricht die Fähigkeit des erwachsenen Menschen, sich zu transzendieren, Verantwortung zu übernehmen, verbindliche Beziehungen einzugehen und die damit verbundenen Schwierigkeiten in Treue zu meistern, das heißt Ehe und Familie zu bilden. Wir wissen, dass Kinder, die aus solchen Familien hervorgehen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, selber wieder eine stabile Familie mit Kindern zu bilden, also unsere Zukunft zu sichern. Wir sehen also, mit triebhaft-polymorpher Sexualität lässt sich kein Staat machen. FreieWelt.net: Wo ist der Zusammenhang zwischen Sexualität und sozialen Beziehungen? Christian Spaemann: Sexualität ist der Knotenpunkt in der Bildung einer Familie, der Knotenpunkt zwischen den Generationen, der Eckstein in der Architektur des Lebens. Sie ist ein besonderes Beispiel für die Einheit von Naturvorgang und Personalität des Menschen. Als reiner Naturtrieb ist Sexualität selbstbezüglich und egoistisch. Eingebettet in den Kontext einer Beziehung, in denen sich die Partner auch in ihrer zeitlichen Dimension von Vergangenheit und Zukunft annehmen, kann Sexualität aber zum höchsten Ausdruck von Hingabe werden, in dem der andere zum leiblich genießbaren Geschenk wird. FreieWelt.net: Eigentlich müssen Sie doch beweisen, dass Ehe und Familie keine sozialen Konstrukte sind, sondern Ausdruck einer natürlichen Ordnung. Wie machen Sie das? Christian Spaemann: Ich denke, dass die Beweislast umgekehrt liegt. Wie will man beweisen, dass Ehe und Familie ein rein soziales Konstrukt sind? Die Grundstruktur von Vater, Mutter und Kind bestimmt unsere Evolution und ist ubiquitär. Die Ehe zwischen Mann und Frau und die Familie sind kulturelle Antworten auf die Natur des Menschen als geschlechtliches und personales Wesen. Die jeweilige Ausprägung der Familienstrukturen ist dann natürlich kulturell verschieden. Wir sehen also, dass die Struktur der menschlichen Sexualität auf Lebensformen hindrängt, die ihr entsprechen. Dass die Gemeinschaft von Mann und Frau die relativ größte Lebenszufriedenheit, sexuelle Zufriedenheit und Chance auf Treue beinhaltet, ist empirisch mehrfach belegt worden. Für die Sexualpädagogik bedeutet dies, dass eine Sexualität die humane Lebensformen bilden will, kein bloßes Konsumgut sein kann, sondern errungen und gepflegt werden muss. Sie bedarf einer komplexen Integrationsleistung, die allerdings eine große Belohnung verspricht. FreieWelt.net: Warum lehnen Sie das den Bildungsplänen zugrundeliegende normative Konzept ab? Christian Spaemann: Unsere Gesellschaft ist in vieler Hinsicht toleranter geworden aber dennoch oder gerade deswegen brauchen Kinder und Jugendliche ein Leitbild. Dazu taugen Begriffe wie »Vielfalt der Lebensformen« oder »sexuelle Vielfalt« allerdings nicht. Bei näherem Hinsehen handelt es sich hier um Euphemismen. So stehen z. B. hinter jeder nicht einfach strukturierten Familien- oder Herkunftsstruktur, wie zum Beispiel Patchwork-Familien, Brüche und Leid, die man, bei aller Würdigung und Unterstützung die sie verdient haben, nicht durch Leitbilder wegdefinieren kann, ohne den Heranwachsenden die Sprache zu nehmen, dieses Leid auszudrücken und zu verarbeiten. Diese Brüche werden ja normalerweise auch nicht angestrebt. FreieWelt.net: Aber wir leben nun mal in einer freien Gesellschaft, in der die Lebensstile ausdifferenziert sind und das ist doch auch gut so Christian Spaemann: Aus der Freiheit und Liberalität einer pluralistischen Gesellschaft folgt aber nicht, dass diese Pluralität, in unserem Fall die Pluralität sexueller Verhaltensweisen und Lebensformen, selbst zum Leitbild der Gesellschaft erkoren und Kinder ihm gemäß erzogen werden müssen. Staat und Gesellschaft haben dem zu dienen und das als Leitbild zu fördern, was für die Menschen, die Gesellschaft und ihre Zukunft das Beste ist. Die Begriffe »Diskriminierung« und »Nicht-Diskriminierung« verstellen den Blick auf die Tatsache, dass das, was unterschiedlich ist, auch unterschiedlich behandelt und gefördert werden darf. Niemand würde sagen, dass wir aufgrund von Freiheit und Pluralität weniger gesundes Schulessen, etwa Fastfood, genauso fördern müssten wie gesundes. Niemand würde fordern, dass man bei den Kindern Bewegungsmangel ebenso fördern sollte wie Bewegung. FreieWelt.net: Wenn Eltern auf die Straße gehen und gegen Bildungspläne protestieren tun sie das zu Recht? Christian Spaemann: Natürlich tun sie das zu Recht. Wir können als verantwortliche Eltern und Bürger nicht darauf warten, bis die Erzeugnisse dieser Ideologie von selber zur Makulatur werden und der Missbrauch der Pädagogik für ideologische Zwecke ein Ende findet. Wenn unschuldige junge Mädchen Präservative über Holzpenisse stülpen müssen, zehnjährige Buben über sexuelle Vorlieben diskutieren sollen und 15jähre die Aufgabe bekommen, ein Geschäftsmodell für ein Bordell zu entwerfen, sind die Eltern zu Recht empört. Bei den Protesten handelt es sich um einen Aufstand der Vernünftigen gegen die Unvernünftigen, der Anständigen gegen die Unanständigen. Schauen wir auf die Franzosen: Sie tun sich nicht nur leichter mit dem Zeugen von Kindern, sondern auch mit Protest. Was mir an den Pariser Massendemonstrationen im vergangenen Jahr besonders gut gefallen hat, waren diejenigen Homosexuellen, die gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle mitdemonstriert haben. Sie haben gesagt, »auch wir haben Vater und Mutter und auch für uns hat das Bedeutung. Wir wollen nicht unsere Interessen über die der Kinder stellen«. FreieWelt.net: Vielen Dank für das Interview. Dr. med. Mag. Phil. Christian Spaemann ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Foto © Christian Spaemann ORF-Diskussion: Lesben, Schwule und ihre Kinder - Mit Dr. Christian Spaemann Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
Um selbst Kommentare verfassen zu können müssen Sie sich bitte einloggen. Für die Kommentiermöglichkeit von kath.net-Artikeln müssen Sie sich bei kathLogin registrieren. Die Kommentare werden von Moderatoren stichprobenartig überprüft und freigeschaltet. Ein Anrecht auf Freischaltung besteht nicht. Ein Kommentar ist auf 1000 Zeichen beschränkt. Die Kommentare geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. | Mehr zugender mainstreaming
| Top-15meist-gelesen
| |||||||||||||||||||||||||||
© 2024 kath.net | Impressum | Datenschutz |