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Das Wunder von Auschwitz

28. Jänner 2015 in Chronik, 4 Lesermeinungen
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Nach fast 50-jähriger Tätigkeit als Fotograf der Päpste erinnert sich Arturo Mari an das bewegendste Foto bei Papst Benedikt: »Auschwitz«, entfuhr es ihm spontan, »der Regenbogen!« Leseprobe aus dem Buch »Papst Franziskus« von Michael Hesemann


Vatikan (kath.net) Seine Kamera bannte Ikonen der Gegenwart auf Zelluloid und machte ihn zu einer lebenden Legende. Ganze 51 Jahre lang, von Anfang 1957 bis 2008, war Arturo Mari (geb. 1940) der Leibfotograf der Päpste. Allein dem polnischen Papst war er auf 104 Reisen in 129 Länder der Erde gefolgt, hatte jeder einzelnen seiner Eucharistiefeiern mit bis zu zwei Millionen Teilnehmern beigewohnt, nahezu jeden seiner Audienzgäste abgelichtet. Dabei hatte er Vieles erlebt, das ihn zu Tränen rührte und manches, das ihm wie ein Wunder erschien, doch jetzt wollte ich wissen, was Arturo an Benedikt XVI. am meisten beeindruckt hatte, bevor er mit 68 Jahren in den verdienten Ruhestand gegangen war. Er beantwortete meine Frage mit nur drei Worten: »Auschwitz«, entfuhr es ihm spontan, »der Regenbogen!«

Ich pflichtete ihm bei. Denn wenn es einen Augenblick im Pontifikat Benedikts XVI. gab, der uns mit leichtem Schaudern die Gegenwart Gottes erahnen ließ, dann war es an diesem verregneten Sonntag, dem 28. Mai 2006. Es war der letzte Tag und zugleich der Höhepunkt der ersten »richtigen« Auslandsreise des deutschen Papstes.

Der Besuch im Heimatland Johannes Pauls II. war natürlich eine Verneigung vor seinem großen Vorgänger und eine Versicherung der Kontinuität, aber sie hatte noch einen zweiten, sehr viel ernsteren Zweck. Denn es ging dabei auch um die Herkunft des deutschen Papstes, um eine Last, die vom Tag seiner Wahl an schwer auf seinen Schultern lag. Um die Schuld, die auf ewig seine Nation belastet, um den Nationalsozialismus, dessen Anhänger in Polen ihre größten Verbrechen begangen hatten: Die Gräueltaten der Wehrmacht an der polnischen Bevölkerung, der diabolische Plan zur Ermordung der polnischen Elite, die Bedrängnis der katholischen Kirche unter der deutschen Terrorherrschaft, vor allem aber die systematische Vernichtung der europäischen Juden. Rund sechs Millionen von ihnen fielen dem Menschheitsverbrechen der Schoah, bedingt durch den Rassenwahn der braunen Ideologen, zum Opfer. Jetzt wollte er in Polen, gegen den Rat seines damaligen Kardinalstaatssekretärs Sodano, ein deutliches Zeichen der Versöhnung setzen.

Dieser Plan war ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt worden. Denn wenn Gott durch Zeichen in der Geschichte zu uns spricht, dann vielleicht auch durch dieses: 30 Kilometer liegt Joseph Ratzingers Geburtsort Marktl am Inn von Braunau entfernt, wo 38 Jahre zuvor Adolf Hitler zur Welt gekommen war. 30 Kilometer liegen zwischen Wadowice, dem Geburtsort Johannes Pauls II. und dem Konzentrationslager Auschwitz. Marktls Nachbarort ist der bayerische Wallfahrtsort Altötting, zu dessen »schwarzer Madonna« Ratzinger mit seiner Familie schon in frühester Kindheit gepilgert war. Auch Wadowice hatte sein nahe gelegenes Marienheiligtum, das 20 Kilometer entfernte Kalwaria Zebrzydowska mit seiner »weinenden« Ikone der Gottesmutter. »Zwischen Himmel und Hölle«, so charakterisierte die Süddeutsche Zeitung die Heimattopographie der beiden Päpste; in unmittelbarer Nähe zu den Orten, die wie keine anderen den Aufstieg und die unmenschlichen Gräuel des Nationalsozialismus symbolisieren, doch gleichermaßen unter dem Schutz der Gottesmutter, die alles Böse besiegt.


So erkannte Benedikt XVI. in dem vermeintlichen »Makel seiner Abstammung« viel mehr eine historische Chance und seine Mission. Als Pontifex war er dazu berufen, zum Brückenbauer zu werden. Wenn es kein Zufall war, sondern Vorsehung, die den Weg des Mannes aus Marktl gezeichnet und mit dem seines polnischen Bruders im Petrusamt gekreuzt hatte, dann lag darin ein tieferer Sinn. Johannes Paul II. hatte als Angehöriger eines Opfervolkes die Tore aufgestoßen, nicht nur für Christus, sondern auch für den Wind der Veränderung, den Fall der Mauern, die Wiedervereinigung Europas. Jetzt war es an Benedikt XVI., dieses Werk fortzusetzen – und zum Papst der Versöhnung zu werden.

So trat er in Polen seine schwerste Reise an, die ihn zum »Golgota des 20. Jahrhunderts« (Johannes Paul II.), in die von Menschen geschaffene Hölle auf Erden führte: nach Auschwitz.

Ich war vielleicht 15-mal in Krakau gewesen, doch nur zweimal hatte ich das einstige Todeslager besucht, und zwar aus einem einzigen Grund: Meist war das Wetter zu gut. Ich kann Auschwitz nur im Regen ertragen oder zumindest, wenn es stark bewölkt ist; bei strahlendem Sonnenschein könnte ich es mir einfach nicht vorstellen. Ich verstehe deshalb Steven Spielberg nur zu gut, der seinen erschütterndsten Film, Schindlers Liste, in Schwarzweiß gedreht hatte. Ein Film über die Schoah in leuchtenden Farben wäre ein Stilbruch. So gesehen hatte der Himmel bestens Regie geführt, als er Papst Benedikt XVI. das bedrückendste seiner Ziele bei strömenden Regen erreichen ließ.

Durch das Tor zur Hölle, das noch immer die höhnische Aufschrift »Arbeit macht frei« trägt, betrat der Papst zunächst das Stammlager Auschwitz I. Dort betete er in der Zelle von Maximilian Kolbe, jenem Franziskanerpater, der bereit war, zu sterben, um das Leben des polnischen Familienvaters Franciszek Gajowniczek zu retten; er war 1982 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen worden.

Dann führte ihn sein Weg auf das weitgestreckte Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, auf diesen Planeten des Grauens, auf dem einst der Tod, der »Meister aus Deutschland«, regierte. Über 4000 akkreditierte Journalisten aus aller Welt waren Benedikt XVI. gefolgt, wollten Zeugen sein, wie er den Drahtseilakt meisterte, nicht abzustürzen über dem Abgrund menschlichen Seins.

So passierte der Papst die endlosen Reihen von Baracken, aufgestellt wie zum Appell, bis er zu jenem Hain von Birken kam, die dem Lager seinen Namen gegeben hatten. Sie umsäumten einen Teich, dessen obsidianschwarzer Glanz durch die Regentropfen in Wallung geriet, zu wenig freilich, um in ihm einen Schlund der Unterwelt zu erahnen. Dabei lag auf seinem Grund die Asche unzähliger Toter, deren Leichen in den benachbarten Krematorien verbrannt worden waren, zwischen Landschaften aus Brillengestellen und Schluchten aus Schuhen. Unter den Opfern war auch Edith Stein gewesen, von Johannes Paul II. 1999 zur Patronin Europas erklärt: eine konvertierte Jüdin, die als Theresia Benedicta vom Heiligen Kreuz in den Karmel eingetreten war, bevor die Nazis sie nach Auschwitz deportiert und ermordet hatten.

Von einem weißen Schirm vor dem Regen geschützt, näherte sich Benedikt XVI. mit kleinen, vorsichtigen Schritten den Gedenktafeln, die in den 22 Sprachen der Toten verkündeten: »Dieser Ort sei allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit. Hier ermordeten die Nazis etwa anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder, die meisten waren Juden, aus verschiedenen Ländern Europas.«

Vor jeder einzelnen hielt er inne, sprach ein kurzes Gebet, als der Regen nachließ. Doch kaum hatte er seinen Platz erreicht, um von dort aus den Fortgang einer kleinen Zeremonie zu verfolgen, um zuzusehen, wie junge Juden Lichter zu den Gedenksteinen brachten und ein Kantor den Kaddish, das Totengebet der Juden, anstimmte, ging ein Raunen durch die versammelte Menge. Der Himmel war aufgerissen, ein gigantischer Regenbogen verband die schwarzen Wolken mit der blutgetränkten Erde. Er erschien wie die Antwort auf die Gebete in polnischer, russischer, hebräischer und englischer Sprache, gefolgt von dem Flehen des Papstes auf Deutsch: »Herr, du bist der Gott des Friedens, du bist der Friede selbst. Gib, dass alle, die in Eintracht leben, im Frieden verharren und alle, die entzweit sind, sich wieder versöhnen.«

In der Abendsonne konnte der Papst schließlich mit leiser, sichtlich gerührter Stimme seine bewegendste Ansprache vortragen:

»An diesem Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und den Menschen ohne Parallele in der Geschichte, zu sprechen, ist fast unmöglich – ist besonders schwer und bedrückend für einen Christen, einen Papst, der aus Deutschland kommt. An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur ein erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen? Warum konntest du all dies dulden? In solchem Schweigen verbeugen wir uns inwendig vor der ungezählten Schar derer, die hier gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind; dieses Schweigen wird dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse.«

Der Jude Elie Wiesel, der die Schrecken von Auschwitz überlebt hatte, schildert in seinem autobiographischen Roman Die Nacht (1958), wie er und seine Leidensgenossen eines Tages nach der Rückkehr von der Zwangsarbeit vor ihren Baracken drei Erhängte sahen, zwei Erwachsene und einen Jungen. »Wo ist Gott? Wo ist er?«, klagten sie tief erschüttert. In diesem Augenblick vernahm Wiesel eine Stimme in seinem Innern, die ihm antwortete: »Wo er ist? Dort – dort hängt er am Galgen!« Ein zweites Mal hatten die Schergen des Satans versucht, Gott zu ermorden, jetzt in Gestalt seines auserwählten Volkes. Doch wieder erlitt das Böse eine Niederlage und vielleicht noch nie war Gott in Auschwitz so spürbar wie an diesem Tag, als der Himmel selbst dem römischen Hohepriester, der, wie ein Sündenbock, alle Schuld seines Volkes dem Herrn darbot, der mit dem biblischen Zeichen der Versöhnung antwortete.

Noch Monate später, zu Weihnachten 2006, dachte Papst Benedikt an diesen denkwürdigen Tag zurück und stellte fest: »Der Regenbogen war wie eine Antwort: Ja, ich bin da, und die Worte der Verheißung, des Bundes, die ich nach der Sintflut gesprochen habe, gelten auch heute.«

»Wir können in Gottes Geheimnis nicht hereinblicken«, hatte der Papst in Auschwitz erklärt, »wir sehen nur Fragmente und vergreifen uns, wenn wir uns zum Richter über Gott und die Geschichte machen wollen. Dann würden wir nicht den Menschen verteidigen, sondern zu seiner Zerstörung beitragen. Nein – im letzten müssen wir bei dem demütigen, aber eindringlichen Schrei zu Gott bleiben: ‚Wach auf! Vergiss dein Geschöpf Mensch nicht! Und unser Schrei an Gott muss zugleich ein Schrei in unser eigenes Herz hinein sein, dass in uns die verborgene Gegenwart Gottes aufwache (…).«

kath.net-Buchtipp

Papst Franziskus
Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche
Von Michael Hesemann
288 Seiten; m. 16 Abb.; Hardcover
2013 Herbig
ISBN 978-3-7766-2724-4
Preis 20.60 EUR

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Benedikt XVI. in Auschwitz




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Lesermeinungen

 kreuz 28. Jänner 2015 

ja, @ Ehrmann,

das war ein großes Zeichen von oben damals.
in diesem Beitrag http://www.kath.net/news/13798 ist das Bild in Groß zu sehen.

www.kathtube.net/player.php?id=8166


1
 
 Ehrmann 28. Jänner 2015 

damit dieses wunderbare Zeichen der Versöhnung nicht vergessen werde

habe ich es als Logo gewählt und möchte es auch weiter nicht verändern.


3
 
 Stanley 28. Jänner 2015 
 

Ewige Kollektiv-Schuld?

"(...) die Schuld, die auf ewig seine Nation belastet (...)"
Eine solche Schuld gibt es nach der Lehre der Katholischen Kirche nicht.
Die einzige "Schuld, die auf ewig belastet" ist die Erbschuld vor Gott.
Helmut Kohl hat vor Jahrzehnten als Kanzler der Bundesrepublik mit seinem Wort von der "Gnade der späten Geburt" die Dinge richtig gestellt.
Und Franz-Josef Strauß hat Jahre vor Helmut Kohl ein für allemal klargestellt, dass die deutsche Geschichte nicht auf 12 Jahre Hitler-Diktatur reduziert werden kann.
Politisch und geschichtlich Korrekt ist es also, von einer IMMERWÄHRENDEN VERANTWORTUNG zu sprechen, nicht von "Schuld".


9
 
  28. Jänner 2015 
 

Wie schön

Ich habe auch zwei denkwürdige Erlebnisse mit Regenbogen gemacht. Eins fiel mit einem Ereignis mit weißen Tauben zusammen (keine Details, nur soviel sehr merkwürdig) und der Bogen war so strahlend, kräftig und bunt. Ich dachte das ist doch kein Zufall. Guckte ins Internet was weiße Tauben (außer Symbol für den heiligen Geist) und Regenbogen bedeuten und stieß auf "Frieden". Dann dachte ich das ist merkwürdig warum jetzt? Wird jemand sterben? Ich hatte das Gefühl beten zu müssen. Tatsächlich bekam ich am nächsten Tag einen Anruf, dass meine Oma, die atheistisch und egoistisch ihr ganzes Leben war, im Sterben lag. Wir hatten noch die Möglichkeit für sie zu beten, bevor sie starb. Ich bin mir sicher, sie sitzt im tiefsten Fegefeuer, aber sie ist gerettet.


6
 

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