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'CDU muss wieder lernen, angstfrei um den richtigen Weg zu streiten'

20. Oktober 2017 in Interview, 5 Lesermeinungen
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Martin Lohmann im KATH.NET-Interview: „Es ist angesichts der unterdrückten Debattenkultur ein starkes Hoffnungszeichen in Merkels Partei, wenn sich jetzt manche mutig melden und eine inhaltliche Debatte fordern.“


Berlin (kath.net) Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende „Angela Merkel hat die CDU inhaltlich seit Jahren entkernt, entleert und in einer mitwandernden ominösen Mitte verankert.“ Dies kritisiert der Publizist und katholische Theologe Martin Lohmann (Foto) im KATH.NET-Interview. Lohmann, 1972 in die CDU eingetreten und der Partei trotz seines Protestaustrittes vor vier Jahren weiterhin eng verbunden, fordert eine offene parteiinterne Diskussion über Positionen und Personen. Bereits vor Jahren hatte Lohmann CDU-intern auf Korrekturbedarf hingewiesen, doch „der damalige Generalsekretär beschimpfte und belehrte mich damals, man brauche so etwas nicht, weil die konservativen katholischen Demokraten, von denen ich meinte, sie müssten inhaltlich auch künftig Gründe haben und entdecken können, die Union zu wählen, seiner Ansicht nach ja die CDU ‚sowieso‘ wählen würden. Denen fehle ja, so bekam ich zu hören, eine – man höre und staune – ‚Alternative‘.“

kath.net: Herr Lohmann, Sie gelten als CDU- beziehungsweise Merkel-Kritiker, Sie bezeichnen sich nach wie vor als christlicher Demokrat, allerdings ohne Parteizugehörigkeit. Mehrfach sind Sie aufgefallen als kritischer Begleiter der Union. Wie beschreiben Sie den Zustand Ihrer einstigen Partei, der CDU, heute, nach dieser letzten Bundestagswahl und auch der Wahl in Niedersachsen?

Lohmann: Naja, wenn ich es freundlich ausdrücken sollte, müsste ich ganz modern sagen: Der Zustand ist ambitioniert. Tatsächlich ist der Zustand unübersehbar – von außen gesehen – eher desolat und angefressen. Darüber wird auf Dauer auch die Vorsitzende nicht hinwegtäuschen können. In Niedersachsen bekam vor allem sie die Quittung für ihre Selbstgefälligkeit, die sie nach der Bundestagswahl zelebrierte, obwohl die Union unter ihrer Führung ein grottenschlechtes Ergebnis einfuhr.

Sowohl bei der Bundestagswahl als auch in Niedersachsen haben die Wähler, also der eigentliche Souverän, der Partei von Angela Merkel ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.

Aber man muss ehrlich sagen: Das war vorhersehbar. Ich jedenfalls bin nicht überrascht. Dennoch ist es schade, dass die von Angela Merkel inhaltlich deformierte Partei eines Konrad Adenauer für viele eine Mogelpackung mit vielen Hohlräumen und Placeboinhalten geworden zu sein scheint. Das C jedenfalls ist kaum mehr erkennbar und hat in dieser Konstellation seine Nachhaltigkeit verloren.

kath.net: Was bedeutet der Rücktritt des CDU-Ministerpräsidenten in Dresden für Frau Merkel?

Lohmann: Das ist eine stark angerötete Gelbe Karte für die Spielführerin in Berlin. Hier zeigt jemand öffentlich: Verantwortungsübernahme hat auch etwas mit konsequentem Handeln zu tun.

kath.net: Es gibt ja auch andernorts Widerstand innerhalb der Union. Ein konservativer Kreis fordert die Ablösung von Angela Merkel als Parteichefin. Braut sich da was zusammen?

Lohmann: Hoffentlich. Man kann sich das als christlicher Demokrat nur wünschen. Denn wir brauchen in unserer Demokratie auch morgen eine politische Kraft, in der man frei und fair und engagiert streiten darf über das, was das C in der Politik und in der Gesellschaft leisten kann und leisten müsste.


Anpassung ist keine DNA des C, das sich ja auf den Gottessohn Jesus Christus beruft und nachweislich keine Einladung zur Beliebigkeit oder Profilreduzierung oder gar zum ängstlichen Ducken ist.

Klar ist aber auch: Eine christliche Politik, also ein direktes Durchregieren aus der Bibel, kann es nicht geben. Sehr wohl aber eine Politik aus christlicher Verantwortung. Und diese hat sich an der geoffenbarten Wahrheit zu orientieren, jedenfalls mehr als an reiner Machttaktik und momentanen Umfragewerten.

Man muss wieder lernen, angstfrei in dieser Union um den richtigen Weg zu streiten, ohne dass man gleich in eine tabuisierte Ecke gedrängt und verbannt wird.

Nie war die Union so erfolgreich und auch letztlich glaubwürdig als zu Zeiten eines Generalsekretärs Heiner Geißler, wo innerhalb der Partei gestritten und debattiert wurde und sie von den Wählern viel Zuspruch bekam.

kath.net: Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass diese Debattenkultur ja offensichtlich von Frau Merkel und ihrem Umfeld nicht immer gewollt ist. Mit Ihrem Arbeitskreis Engagierter Katholiken (AEK) sind Sie ja auch nicht weit gekommen.

Lohmann: Das stimmt. Der AEK, den ich vor acht Jahren zusammen mit einigen engagierten Katholiken gründete, bekam nur Knüppel zwischen die Beine und wurde parteiintern mächtig bekämpft. Wohl vor allem aus dem Kanzleramt. Der damalige Generalsekretär beschimpfte und belehrte mich damals, man brauche so etwas nicht, weil die konservativen katholischen Demokraten, von denen ich meinte, sie müssten inhaltlich auch künftig Gründe haben und entdecken können, die Union zu wählen, seiner Ansicht nach ja die CDU „sowieso“ wählen würden. Denen fehle ja, so bekam ich zu hören, eine – man höre und staune – „Alternative“.

Heute wissen wir, dass viele von denen, die man für sich sicher dünkte und die man selbstsicher zu vernachlässigen können glaubte, woanders Alternativen gefunden haben in der Wahlkabine. Schade, dass es damals soviel Arroganz der Besserwissenden gab. Ein altes Sprichwort sagt: Hochmut kommt vor dem Fall.

Konsequenterweise bin ich dann nach vier Jahren Beschimpfung und gewolltem Missverstehen vor vier Jahren aus der CDU ausgetreten, wo ich 1972 eingetreten war.

kath.net: Haben Sie denn Hoffnung, dass sich jetzt allmählich etwas ändert, bessert in der CDU?

Lohmann: Kommt drauf an. Man müsste zunächst einmal von der Palme der Selbstgerechtigkeit heruntersteigen und wieder Bodenkontakt suchen, bevor man irgendwann von dieser Palme abgesägt wird. So wirklich kann ich da eine Bereitschaft zur Einsicht nicht überall erkennen. Wenn die CDU-Vorsitzende am Wahlabend sagt, man müsse die Wähler der AfD zurückgewinnen, um keine zwölf Stunden später vor den Journalisten mit kalter Naivität und Berechnung zu erklären, sie könne gar nicht erkennen, irgendetwas anders machen zu sollen, dann offenbart das das ganze Dilemma.

Der Erfolgsgarant der Partei, nämlich die Vorsitzende, wird zunehmend zu einer Belastung und zu einem tragischen Problem.

Ein Blick nach Österreich könnte helfen, um zu lernen, wie man Wähler ernst nimmt und konservativ christlich geprägte Politik sehr modern und menschenwürdig wie wertschätzend betreiben kann.

kath.net: Welche Herausforderungen sehen Sie heute für diese Ihre „ehemalige“ Partei, der Sie ja nach wie vor offensichtlich eng verbunden sind?

Lohmann: Mut. Mut. Mut. Und die Bereitschaft, die eigenen Wurzeln als Riesenchance zu begreifen, verantwortungsvolle Politik für morgen gestakten zu wollen. Das C ist nichts Altbackenes, nur weil ein protegierter Zeitgeist das Verständnis für Verantwortung und Freiheit in bestimmten Fragen zu verstellen diktiert. Die Trennung von Parteiprofil und Kanzlermacht könnte hilfreich sein. Denn bei der CDU geht es ja auch um Inhalte. Da darf es nicht sein, dass alle inhaltlichen Profile ausschließlich der Machttaktik geopfert werden und nur noch gilt: Gegen mich kann keine Regierung gebildet werden, und ich bleibe an der Macht, egal um welchen inhaltlichen Preis. Denn dann wird nach dieser Merkel-Zeit der Preis für die Partei existentiell hoch und katastrophal sein. Man soll ja nicht irgendwann sagen müssen, die Union gleiche übertünchten Gräbern. Noch, so meine ich, besteht eine kleine Chance zur Profilgewinnung. Noch. Aber das werden jene nicht zulassen wollen, die an ihren Machtpöstchen hängen und bisweilen auch kleben, wobei inhaltliche Flexibilität solches Verklebtsein sicher erleichtert.

kath.net: Sie haben vor acht Jahren eine Analyse der Union veröffentlicht, Ihr Buch „Das Kreuz mit dem C“. Ist Ihr Weckruf damals überhört worden?

Lohmann: Ich war wohl zu früh, denn damals war es offenbar unanständig, Angela Merkel und ihren inhaltlichen Aussaugungsprozess überhaupt bemerken zu dürfen, geschweige denn zu kritisieren. Sie selbst nahm damals, als ich ihr das Buch überreiche wollte, rasch ein Blatt Papier in die Hand und meinte, sie könne es jetzt nicht entgegennehmen, weil sie ja die Hände voll habe. Ich ahnte damals, dass ich mit meiner Analyse offenbar nicht ganz daneben liegen würde. Aber ich ahnte auch, dass es heftigen Widerstand vor allem von der Entourage der Kanzlerin und CDU-Chefin gegen mich geben würde. Nun denn, das ist der Preis für einen unabhängigen Blick und eine freie Feder!

kath.net: Welche Reaktionen bekamen Sie damals? Welche kamen später?

Lohmann: Viele bedankten sich, auch Prominente, aber meist hinter vorgehaltener Hand. Andere beschimpften mich: so etwas tue man nicht. Und immer wieder machte ich darauf aufmerksam, dass ich mir als ein katholisch geprägter christlicher Demokrat wünsche, man werde diesen Zwischenruf nutzen und mir beweisen, dass ich Unrecht habe. Denn nichts habe ich mir damals mit meiner Schrift mehr gewünscht: Unrecht zu bekommen und widerlegt zu werden. Hochrangige Politiker der Union zielten mir Verachtung, doch damit hatte ich gerechnet.

Merkwürdig ist, dass etliche von denen, die mich damals beschimpften, später souverän zugestanden, ich hätte ja wohl doch leider Recht gehabt.

Doch das war stets ein mich betrübendes Kompliment, auch wenn ich erfuhr, dass das Geschriebene ja doch kein Unsinn gewesen war. Denn ich hätte mir eine wirkliche Profilsicherung und eine heute dringend notwendige Profilerweiterung viel lieber gewünscht, als hier Recht zu bekommen.

kath.net: Noch einmal: Nennen Sie doch mal einige Felder, wo die Union dringend Profilbedarf hat.

Lohmann: Da fange ich mal mit der Familienpolitik an. Mir ist schleierhaft, warum man mit christlicher Dynamik - wenn sie denn vorhanden sein sollte – noch immer nicht auf die Idee kommt, endlich einmal vom Kind her zu denken und zu handeln. Eine wirkliche Familienpolitik müsste für andere Politikfelder der Dreh- und Angelpunkt sein.

Stichwortartig nenne ich aber auch die Sicherheitspolitik, die Frage einer gerechten Wirtschaftspolitik – und natürlich den Mut, jenseits ominöser Beschwörungen von sogenannten europäischen Werten endlich einmal anzufangen, diese zu erkennen, zu nennen und ihnen einen Sitz im modernen Leben zu gewähren.

Nicht zu vergessen den Mut, in Fragen des Lebensschutzes auch einmal kantig, weil richtig, zu reden und zu bekennen.

kath.net: Glauben Sie denn, dass dieser Erkenntniszuwachs unter Angela Merkel kommen könnte?

Lohmann: Ganz ehrlich: Nein. Schauen Sie allein mal auf die neue Präsentationswand, vor der sich die Granden in Berlin den Medien stellen. Wenn Sie sich das sicher nicht zufällige neue Offenbarungsbild der CDU aus dem Konrad-Adenauer-Haus anschauen, dann sehen Sie nur abgesoftet in Grau den alten Parteinamen CDU, den Sie am Rande auch einmal in Farbe sehen dürfen.

Aber beherrschend im optischen Inhaltsangebot ist „Die Mitte“. Man könnte auf den nicht abwegigen Gedanken kommen, dass dies der heimlich oder unheimlich favorisierte Name der Partei von morgen ist. Frei nach dem Motto: Kein originärer Inhalt, aber in der Mitte der Verwechselbarkeit und Austauschbarkeit sind wir!

Die einzig wirklich inhaltlich gefüllte Mitte ist das C. Doch das ist unbequem und störend geworden für diejenigen, die immer weiter von dieser Mitte nach links geruckelt sind.

kath.net: Und das hat vor allem auch mit Angela Merkel zu tun?

Lohmann: Ja. Die Verwechselbarkeit ist unter ihr Programm geworden. Angela Merkel hat die CDU inhaltlich seit Jahren entkernt, entleert und in einer mitwandernden ominösen Mitte verankert.

Mehr noch: Die Partei wurde gewissermaßen von ihrer Führerin mit stahlkalter Empathie durch Vollnarkose geradezu ins Koma gelegt. Leider.

Wenn die CDU jetzt nicht aufpasst, wird sie – falls es zu spät sein sollte – nach Merkel in ein unglaublich großes Loch fallen, weil inhaltlich nichts Eigenes und Anspruchsvolles mehr da ist.

So gesehen ist es nur ein Hoffnungszeichen, und zwar ein starkes angesichts der unterdrückten Debattenkultur in Merkels Partei, wenn sich jetzt manche mutig melden und eine inhaltliche Debatte fordern, die selbstverständlich auch etwas mit Köpfen zu tun hat.

Deutschland braucht dringend eine wache christliche demokratische Kraft.

Pressefoto Martin Lohmann


Foto Martin Lohmann (c) Lohmann Media


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Lesermeinungen

  21. Oktober 2017 
 

Grundvoraussetzung

Merkel muß weg.


0
 
 Ebuber 20. Oktober 2017 
 

@Ulrich Motte

Ihre Gedanken zur Lage der CDU habe ich -nach dem Interview mit Herrn Lohmann- mit großer Bejahung gelesen. Sie haben Recht; auch damit, dass die CDU-Verluste noch größer gewesen wären, wenn bessere Wahl-Alternativen bestanden hätten. Ich habe von vielen Christen ständig die Klage gehört: Was soll ich nur wählen? Ob die "Alternative-Partei" wirklich die Stimme verdient hat, kann auch ich nicht sagen. Aber immerhin machte es den Protest sehr deutlich, und das war auch meine Absicht bei der Wahl. Wir können nur beten und hoffen, dass in unserem Land doch noch vernünftige christliche Politiker zum Zuge kommen, damit die von Ihnen geschilderten Folgen nicht gar zu schlimm eintreten.


2
 
 SpatzInDerHand 20. Oktober 2017 

Sehr gute Aussagen, danke, Herr Lohmann!

Ja - und wenn die CDU überleben will, sollte sie sich schleunigst um die unterdrückten und mundtot gemachten Konservativen in der Partei kümmern. Bevor alle weg sind!


10
 
 Ulrich Motte 20. Oktober 2017 
 

Konservative katholische Demokraten

fühlen sich, sagt Herr Lohmann (zurecht, meine ich), in und von der CDU an den Rand gedrängt. Danke für diese klare Aussage! Und wie viel mehr sehr gilt das erst für evangelische (bis evangelikale) Liberale! Schon Helmut Kohl meinte ja, es ginge nicht darum, den Ludwig-Erhard-Preis zu gewinnen, sondern Wahlen. Als ob nicht Erhard "die" "Wahllokomotive" gewesen wäre"! Die CDU profitiert meines Erachtens noch vom Rechtsdrall in der AfD, von der unsozialen Klientelpolitik der FDP, von der ruhigen Art der Kanzlerin und von der Überlegenheit der BRD gegenüber vergleichbaren Ländern... Werden aber erst die Folgen der letztlich unsozialen Mißwirtschaft des Staates viele Menschen erreichen, sehe ich stürmische Zeiten voraus, für die CDU und für die BRD! Renten, Schulen, Pflege, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur, "Reproletarisierung" inclusive verwahrloster Kinder, Kriminalität, Entleerung "des" flachen Landes, Geburtenmangel- das sind leider Stichworte für "demnächst"...


7
 
 FNO 20. Oktober 2017 

Lieber Martin,

tatsächlich, auch Helmut Kohl war eine dominante Figur in der CDU, aber er durfte noch kritisiert werden. Er forderte, bei allem Eigensinn, keine nahezu religiöse Verehrung für seine Person ein. Politik ist nämlich die öffetliche Erörterung öffentlicher Fragen. Da gebe ich sogar dem Widerling "Sankt Martin" (Schulz) Recht.


3
 

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