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Die Mormonen - Wachstum trotz Irrtümer

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Durch die Winterolympiade rückt eine Sekte in den Mittelpunkt des Weltinteresses Ein Hintergrund-Bericht und IDEA-Kommentar


Wenn am 8. Februar die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah mit 2.350 Sportlern, 9.000 Journalisten und 1,5 Millionen Besuchern eröffnet werden, steht zugleich eine religiöse Glaubensgemeinschaft im Licht der Weltöffentlichkeit wie nie zuvor: die “Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage”, kurz: Mormonen. Denn Utah ist Mormonen-Land. Drei Viertel der zwei Millionen Einwohner zählen sich dazu. Weltweit haben die Mormonen rund 11,4 Millionen Anhänger, darunter 38.000 in Deutschland und 7.000 in der Schweiz.

Pfarrer George Mather hat mit den Mormonen im US-Staat Utah seinen Spaß: “Jetzt behaupten sie, mit der Olympiade werde sich ein Jesaja-Wort erfüllen, wie dies ihr Prophet Joseph Smith (1805-44) schon im frühen 19. Jahrhundert vorausgesagt habe.” In Jesaja 60,4 heißt es: “Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.” “Jesaja meinte natürlich, daß sich alle Völker im wiedererstandenen Jerusalem versammeln würden. Aber für Smith war Zion Amerika. Er hat sich mit seiner Wahrsagerei oft geirrt”, kommentiert Mather, als Pfarrer einer lutherischen Missionsgemeinde tätig. Die Liste der Irrtümer des Propheten der Mormonen ist lang. Christus werde 1891 wiederkehren, hatte er angekündigt. Aber das bewahrheitete sich ebensowenig wie der Bau einer transatlantischen Fernstraße, auf der laut Smith die zehn verlorenen Stämme Israels ihre Schätze zu den Mormonen tragen sollen.

Pfarrer Mather wirkt in St. George, einer Stadt, die demographisch Utah entspricht: Die Einwohner gehören zu fast 70 Prozent der “Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage” an. Sie hat weltweit 11,4 Millionen Mitglieder und wird – sollte sie weiter wachsen wie bisher – laut Angaben des Soziologen Rodney Stark im Jahr 2080 um die 267 Millionen Anhänger haben. Mather verabreicht den überall missionierenden Mormonen gern ihre eigene Medizin. Er zieht evangelisierend von Haus zu Haus, klopft an und freut sich, wie verblüfft sie auf den Anblick seines Klerikerkragens reagieren. “Als ich noch an der Ostküste lebte, standen ja Ihre Leute pausenlos bei mir an der Tür; jetzt mache ich das einmal bei Ihnen”, sagt er dann. Die Reaktion, sagt er, sei meist ein gutmütiges Lachen.

Reich durch den Zehnten

Die Gemeinschaft ist reicher als alle anderen in den USA. Ihr Vermögen wird auf 35 Milliarden Euro geschätzt. Sie besitzt riesige Konzerne, eine 125.000 Hektar große Ranch, Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender. Noch wichtiger ist, daß die Mormonen diszipliniert ihren Zehnten zahlen. Da einige der erfolgreichsten Software- und Internetfirmen der Welt und die Hotelkette Marriott in ihrer Hand sind, steigt der Reichtum der Mormonen unaufhörlich. Über 60.000 junge Missionare sind zwei Jahre lang auf eigene Kosten unterwegs und verbreiten die Botschaft der Mormonen, die zumal jetzt vor den Olympischen Spielen darum buhlten, von anderen Denominationen als christlich anerkannt zu werden. Gelingen dürfte ihr das nicht. “Zu bizarr sind ihre Lehren”, sagt der evangelische Pfarrer Philip Brandt in Salt Lake City. “Ihre Theologie ist der christlichen so fern wie der hinduistischen”, erläutert die Ex-Mormonin Sandra Tanner, die jetzt einen protestantischen Seelsorgedienst leitet. Die Mormonen glauben, daß Joseph Smith 1820 auf einem Feld zwei identisch aussehende Bärtige erschienen seien: Gottvater und Jesus. Sie hätten ihm gesagt, es gebe auf Erden keine wahre Kirche. Sieben Jahre später soll ein Engel namens Moroni Smith zu vergrabenen Goldtafeln geführt und ihm befohlen haben, sie zu übersetzen.

Das Ergebnis war das Buch Mormon, von dem Russell Ballard, einer der heutigen Mormonenapostel, behauptet: “Es ist unfehlbar.” Die Bibel habe diesen Status nicht. Ballard: “Wir halten sie nur für Gottes Wort, soweit sie richtig übersetzt ist.”

“Gottvater zeugt Geistkinder”

Ein Blättern in mormonischen Dogmatiken fördert in der Tat Abstruses zu Tage. “Gottvater” ist selbst ein Mensch, allerdings ein erhabener. Er hatte seinerseits einen Vater, über den aber nichts bekannt ist. “Gottvater” ist pausenlos sexuell tätig und zeugt mit seinen vielen Frauen “Geistkinder”, darunter jede Menge Engel, zwei Drittel Gute, ein Drittel Böse. Jeder Mensch lebt zunächst als eine von “Gottvater” und -mutter gezeugte Seele, bis er einen Leib bekommt. Der erste “Geistsohn” war Christus. Sein Halbbruder ist Luzifer, der unbedingt als Erlöser in die Welt geschickt werden wollte. Aber Christus erhielt den Zuschlag. Um ihm einen Leib zu geben, kam “Gottvater” auf die Erde, hatte Geschlechtsverkehr mit Maria, die dann mit Jesus niederkam – der Leib zum Geistkind Christus. Christus hatte auf Erden vermutlich mehrere Frauen, mindestens aber eine: Er war der Bräutigam auf der Hochzeit von Kana. Im Himmel lebt er wie der Vater polygam und hat viel Geschlechtsverkehr. Über den Heiligen Geist gibt es diffuse Aussagen. Er ist das dritte Mitglied der Gottheit, ist ebenfalls ein Geistkind des Vaters, hat aber im Gegensatz zu diesem und zu seinem Halbbruder Christus keinen Körper.

Gegen den Sühnetod Christi

Nach dem Glauben der Mormonen kann jeder ein Gott werden, sofern er sich – durch Christus ermächtigt – an des Vaters Gebote hält. Irgendwann erlangt er den derzeitigen Status des Vaters, der aber dann seinerseits in seiner Göttlichkeit unendlich weiter fortgeschritten sein wird. Gott und Mensch sind wie auf einer Rolltreppe: Der Vater steht auf einer Stufe, der Mensch weit unter ihm auf einer anderen. Die Treppe bewegt sich nach oben; der Abstand bleibt. Die Mormonen verwerfen den Glauben an den Sühnetod Christi am Kreuz. Heilsnotwendig ist es hingegen, Kinder zu haben, weil damit die vom Vater und seinen Frauen gezeugten Geistsöhne und -töchter vom Zustand der Leiblosigkeit befreit werden. Mormonenfamilien sind daher fast immer groß, in Utah sind Paare mit acht Kindern die Regel. Die Vielweiberei diente einst der gottgewollten Massenproduktion von Kindern. Die Mormonen haben sie zwar 1890 abgeschafft, weil Utah sonst nicht US-Bundesstaat geworden wäre. Aber offenbar war dies eine vorübergehende Maßnahme. Bruce McConkie, ein mormonischer Chefdogmatiker, prophezeite schon vor langer Zeit: “Nach der Wiederkehr des Menschensohns im neuen Jahrtausend wird diese heilige Gepflogenheit wieder aufgenommen werden.”
(Uwe Siemon-Netto)



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