Loginoder neu registrieren? |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
SucheSuchen Sie im kath.net Archiv in über 70000 Artikeln: Top-15meist-diskutiert
| Die doppelte Widerspruchslösung ist ein dreifacher Betrug2. Jänner 2019 in Prolife, 8 Lesermeinungen Statt die Haltung der Bürger, die sonst gern auch als mündige Bürger bezeichnet werden, zu akzeptieren, heißt die Lösung: Dann nehmen wir uns eben die Organe auch ohne Zustimmung! Von Rainer Beckmann Würzburg (kath.net/Die Tagespost) In Paragraph 2 Abs. 2a des deutschen Transplantationsgesetzes heißt es: Niemand kann verpflichtet werden, eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abzugeben. Diese Bestimmung wurde erst im Jahr 2012 eingefügt. Dennoch soll das Gegenteil demnächst Gesetz werden. Mit der sogenannten Widerspruchslösung sollen alle Menschen verpflichtet werden, sich zur Organspende zu erklären und wer nicht ausdrücklich widerspricht, wird automatisch zum Organspender. Bundesgesundheitsminister Spahn und einige andere Parlamentarier sind enttäuscht darüber, dass sich die Bürger trotz jahrelanger einseitiger Organspendepropaganda immer noch nicht so entscheiden, wie sie nach ihrer Meinung entscheiden sollen. Statt diese Haltung der Bürger, die sonst gern auch als mündige Bürger bezeichnet werden, zu akzeptieren, heißt die Lösung: Dann nehmen wir uns eben die Organe auch ohne Zustimmung! Kein Wunder, dass die Politikverdrossenheit zunimmt. Wie soll man Politikern vertrauen, die das Verhalten der Bürger nur dann interessiert, wenn es ihren eigenen Zielen entspricht? Wie ist die Glaubwürdigkeit von Politikern zu beurteilen, die für die Nutzung personenbezogener Daten eine ausdrückliche Zustimmung verlangen, nicht aber für die Nutzung von Organen? Ist Datenschutz wichtiger als der Schutz der körperlichen Integrität? Der Vorstoß zur Einführung einer Widerspruchslösung bei Organtransplantationen soll bewirken, dass sich die Zahl der Organspender erhöht. Diese Zielsetzung darf aber nicht absolut gesetzt werden. Sonst müsste jeder Mensch zur Organressource erklärt werden können, ganz unabhängig davon, ob er zugestimmt oder widersprochen hat. Der Körper des Menschen ist keine Verfügungsmasse, auf die Staat und Gesellschaft einfach zugreifen können. Deshalb ist in der Diskussion, unter welchen Umständen Organe für Transplantationen genutzt werden können, größtmögliche Transparenz und Ehrlichkeit gefordert. Dem wird das Konzept der doppelten Widerspruchslösung nicht gerecht. I. Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen Unausgesprochene Voraussetzung der Transplantationsmedizin und auch der Widerspruchslösung ist die Annahme, der Hirntod sei der Tod des Menschen. Gebetsmühlenartig wird immer wieder behauptet, dass die Hirntoddiagnostik absolut verlässlich und das Hirntod-Kriterium ein sicheres Todeszeichen sei. Nach der deutschen Rechtslage muss vor einer Organentnahme der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms festgestellt werden (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG). Die Funktion des Atemimpulses, der vom Stammhirn ausgeht, kann jedoch durch eine Beatmungsmaschine übernommen werden. Weil diese Teilfunktion des Gehirns maschinell ersetzt werden kann, liegt bei beatmeten Hirntoten kein nicht behebbarer Funktionsausfall des Gehirns vor. Damit fehlt es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung zur Organentnahme. Das gilt auch dann, wenn die Aussendung des Atemimpulses nie mehr vom Stammhirn ausgehen kann, weil es endgültig funktionsunfähig geworden ist. Denn echte Irreversibilität von Körperfunktionen ist nur dann gegeben, wenn auch ein medizintechnischer Ersatz ausgeschlossen ist analog zum Ersatz z. B. der Pumpfunktion des Herzens durch ein Kunstherz. Die Substitution des Atemimpulses bei Hirntoten ist für die Beurteilung der postmortalen Organspende von entscheidender Bedeutung. Durch die weitere Versorgung mit Sauerstoff bleiben alle Organsysteme des Menschen funktionsfähig - mit Ausnahme des Gehirns. Ein beatmeter Patient mit Ausfall der Gehirnfunktionen zeigt in größtmöglichem Umfang Integration und Ordnung: der Blutkreislauf, der Stoffwechsel, das Immunsystem und der für die Beatmung unerlässliche Gasaustausch in der Lunge funktionieren, ebenso das Rückenmark und fast das gesamte vegetative Nervensystem, es gibt Wachstum (bei jungen Menschen) und Heilung von Wunden. Am deutlichsten zeigen hirntote Schwangere, dass Patienten mit Ausfall der Gehirnfunktionen noch keine Leichen sind: Über Wochen und Monate sind sie in der Lage, ein Kind auszutragen. Es ist offensichtlich, dass hier sehr komplexe Interaktionen zwischen allen Körperorganen stattfinden und dass der Körper als Ganzes integriert bleibt das genaue Gegenteil von Tod und Verwesung. Der naheliegende Einwand besteht darin, auf Hirnfunktionen zu verweisen, die nicht maschinell ersetzbar sind, insbesondere das Bewusstsein oder die Kommunikationsfähigkeit. Das ändert aber nichts daran, dass beatmete Patienten mit Hirnfunktionsausfall keine Leichen sind. Wenn der nicht behebbare Ausfall des gesamten Gehirns so § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG - das Todeskriterium darstellen soll, dann führt schon eine teilweise Ersetzung von Hirnfunktionen dazu, dass das Todeskriterium nicht mehr erfüllt ist. Der Ganzhirntod ist teilweise reversibel. Wollte man den beatmeten Hirntoten als wirklich toten Menschen definieren, müsste das Hirntodkriterium auf einen Teil des Gehirns beschränkt werden. Das ist aber nicht die Geschäftsgrundlage der rechtlichen Regelung der Transplantationsmedizin in Deutschland. Teil-Hirntod-Konzepte wären zudem vielfältigen Einwänden ausgesetzt, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden können. Um es polemisch zu sagen: Der Hirntod ist nicht die sicherste, sondern die unsicherste Diagnose der Welt, weil sie nicht das nachweist, was sie zu beweisen vorgibt: den Tod des Menschen. Um transplantierbare Organe zu erhalten, werden Teilfunktionen des Gehirns ersetzt, gleichzeitig aber soll ein nicht behebbarer Funktionsausfall des gesamten Gehirns vorliegen ein Widerspruch in sich. II. Die Widerspruchslösung begründet eine Organabgabepflicht Die Befürworter der Widerspruchslösung sind der Auffassung, dass es zumutbar sei, seine ablehnende Haltung zur Organspende durch ein ausdrückliches Nein zu dokumentieren. Mehr werde nicht verlangt, den Bürgern werde keine Organabgabepflicht auferlegt. Doch das ist bei näherem Hinsehen nicht haltbar. Die Widerspruchsregelung ist schon deshalb manipulativ, weil sie die bisherige Regel, Wer einwilligt, ist Organspender, in ihr Gegenteil verkehrt: Auch wer nicht einwilligt, ist Organspender! Künftig soll grundsätzlich jeder Spender sein, nur dann nicht, wenn er ausdrücklich widersprochen hat. Die Organabgabe ist dann die neue Norm. Sich normgemäß zu verhalten, ist die erste Bürgerpflicht. Daher führt die Einführung der Widerspruchsregelung in der öffentlichen Wahrnehmung automatisch dazu, dass Organspende als gesellschaftliche Verpflichtung angesehen wird. Das beeinträchtigt von vornherein und grundlegend die Entscheidungsfreiheit. Unabhängig davon ist auch eine bloße Pflicht zur Entscheidung abzulehnen. In einer so schwierigen Frage wie der Organtransplantation darf niemand einem Entscheidungszwang unterworfen werden. Was ist der Mensch?, Was bedeutet Leben?, Wann beginnt und wann endet der Sterbevorgang des Menschen? das sind Fragen, die keineswegs banal und einfach zu beantworten sind. Man muss daher jedem Bürger zubilligen, dass er selbst unsicher ist und keine Entscheidung treffen will. Auch diese Haltung verdient Respekt und muss geachtet werden. Dies gilt umso mehr, als unter den gegenwärtigen Bedingungen die gesellschaftliche Diskussion über die Organspende als unehrlich und intransparent bezeichnet werden muss. Die seit langem bekannten Einwände gegen das Hirntod-Konzept werden nicht diskutiert, sondern einfach ignoriert. In den Informationsmaterialien, die alle Krankenkassen ihren Mitgliedern regelmäßig und unaufgefordert zusenden, kommt davon nichts zur Sprache. Stattdessen wird ständig von postmortaler Organspende gesprochen, als wäre dies ein unbestreitbares Faktum. Die gesellschaftliche Kommunikation zur Organspende kommt einer massiven öffentlichen moralischen Nötigung gleich, hat die Philosophin Weyma Lübbe schon vor Jahren diagnostiziert. Daran hat sich leider nichts geändert. Wenn Organspende als Gemeinschaftsaufgabe kommuniziert wird (so die Deutsche Stiftung Organtransplantation), dann sind alle, die nicht mitwirken, schon sprachlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Wie soll es in einem solchen Meinungsklima zu einem respektvollen, sachlich fundierten und zugleich leidenschaftlichen Austausch der Argumente kommen, den sich Bundesgesundheitsminister Spahn wünscht? Letztlich entscheidend ist, welche Konsequenzen es haben wird, wenn sich jemand nicht zu einer Entscheidung drängen lässt. Wenn jeder, der keine Entscheidung getroffen hat, automatisch zum Organspender wird, dann etabliert dies genau den Organspendezwang, den es angeblich nicht geben soll. Sterbende Menschen, die sich nicht für eine Organspende entscheiden wollen oder können, werden zu Organersatzteillagern degradiert. Man nimmt sich einfach, was nicht gespendet wird. Man will nicht überzeugen, sondern möglichst effektiv an die Organe derer herankommen, die sich nicht entschieden haben. Das ist ein konsequent zu Ende gedachtes Recyclingkonzept, widerspricht aber der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht. III. Die doppelte Möglichkeit zum Widerspruch ist nur scheinbar großzügig Neuerdings wird die Widerspruchslösung bei der Organspende als doppelte Widerspruchslösung bezeichnet. Das soll dem Vorschlag irgendwie einen positiven Anstrich geben. Doppelt hält besser, sagt man. Ist also eine doppelte Widerspruchsmöglichkeit besser als eine einfache? Für den Umgang mit dem eigenen Körper im Sterbeprozess und danach gibt es nur einen einzigen Entscheidungsberechtigten: den Betroffenen selbst. Seine Zustimmung rechtfertigt den Eingriff, sein Schweigen rechtfertigt nichts. Wenn ein Mensch Eingriffe in seinen Sterbevorgang nicht ausdrücklich gestattet hat, ist dazu niemand befugt, weder die Angehörigen, noch die Gesellschaft. Die doppelte Widerspruchslösung ist letztlich ein dreifacher Betrug. Grundlegend ist schon die Irreführung über den Todeszeitpunkt. Der Organtod des Gehirns ist noch nicht der Tod des Menschen. Leben ist nichts, was sich ausschließlich im Kopf abspielt. Darüber hinaus ist die Widerspruchsregelung eine gezielte Bevormundung. Sie zeigt keinen Respekt vor den Ängsten und Unsicherheiten der Bürger, macht den menschlichen Körper zum Ersatzteillager und missachtet das Selbstbestimmungsrecht. Und das Widerspruchsrecht der Angehörigen ist ein reines Täuschungsmanöver, um die neu etablierte Organabgabepflicht zu verschleiern. Wer auf solch betrügerische Weise an mehr Organe kommen will, hat kein Vertrauen verdient. Rainer Beckmann ist Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Dieser Beitrag wurde zuerst in Die Tagespost veröffentlicht. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
Um selbst Kommentare verfassen zu können müssen Sie sich bitte einloggen. Für die Kommentiermöglichkeit von kath.net-Artikeln müssen Sie sich bei kathLogin registrieren. Die Kommentare werden von Moderatoren stichprobenartig überprüft und freigeschaltet. Ein Anrecht auf Freischaltung besteht nicht. Ein Kommentar ist auf 1000 Zeichen beschränkt. Die Kommentare geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. | Mehr zuOrganspende
| Top-15meist-gelesen
| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
© 2024 kath.net | Impressum | Datenschutz |