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Postkonziliare Interpretationskonflikte

18. Februar 2013 in Aktuelles, 14 Lesermeinungen
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Hermeneutik des Bruchs und Hermeneutik der Reform in Kontinuität nach dem I. Vatikanischen Konzil. Ein Beitrag zur Klärung einer aktuellen Debatte. Von Walter Kardinal Brandmüller


Rom (kath.net) „Wer aber allen Ernstes behaupten würde, das Konzil habe im Glauben geirrt, hätte allerdings die Grundlage des katholischen Glaubens verlassen. Die Annahme eines Glaubensirrtums durch das oberste Organ des kirchlichen Lehramts bedeutet einen diametralen Widerspruch zur ungebrochenen Lehrüberlieferung der Kirche wie zur Heiligen Schrift, eine theologische Absurdität, wenn nicht Häresie. Die Worte des Herrn vom Bau seiner Kirche auf den Felsen, von der Unüberwindlichkeit der Kirche durch die Mächte des Todes und der Unterwelt, die Verheißung des beständigen Beistands des Heiligen Geistes und die Zusicherung des Herrn, er werde bei seiner Kirche bleiben bis zum Ende der Zeit – all diese Worte wären nichts als Schall und Rauch, wenn das oberste Lehramt der Kirche einem Glaubensirrtum verfallen könnte.“

kath.net veröffentlicht den Beitrag von Walter Kardinal Brandmüller

Spätestens seit der aufsehenerregenden Rede Papst Benedikts XVI. vom 22. Dezember 2005 ist die Diskussion um die rechte Interpretation des 2. Vatikanums in eine neue Phase eingetreten. Der 50. Jahrestag des Konzilsbeginns hat sie erneut beflügelt. Welche Sicht, welche Weise des Herangehens an die Texte des Konzils ist die richtige: eine Hermeneutik des Bruches mit der Überlieferung – oder jene der Reform in Kontinuität mit ihr? Beide Positionen stehen einander gegenüber und sind schwer zusammenzubringen.

In dieser Situation, die im vitalen Interesse der Kirche ernsthafte Lösungsanstrengungen erfordert, kann ein Rückgriff auf die Erfahrungen hilfreich sein, die die Kirche zur Zeit des I. Vatikanischen Konzils gemacht hat. Dabei kann die Betrachtung sich auf die Vorgänge um das Konzil von 1869/70 in Deutschland beschränken, da in keinem anderen Land vergleichbar heftige Auseinandersetzungen darüber stattgefunden haben.

I

Da zur Zeit ohnehin in aller Munde, muss die gegenwärtige Diskussion um das II. Vaticanum hier nicht im einzelnen dargestellt werden. Bei ihr geht es nicht nur um den dem Vaticanum II. eigenen Charakter als „Pastoralkonzil“. Nicht dogmatische Definitionen, nicht lehramtliche Verurteilungen von Irrtümern, sondern eine den Bedürfnissen und Fragen der modernen säkularen Gesellschaft angemessene Verkündigung des Evangeliums sah man als Gebot der Stunde. Dabei geriet nicht nur das Thema „Kirche in der Welt von heute“, sondern auch das Verhältnis zum Judentum und zum Islam ins Zentrum einer bis heute anhaltenden Diskussion. Auch das Problem der Religionsfreiheit erwies – und erweist sich als sich als überaus kontrovers. Nicht weniger beschäftigten die Bemühungen um die Wiedervereinigung der getrennten Christenheit die Konzilsberatungen. Ihr Ergebnis waren die Erklärungen „Nostra aetate“, „Dignitatis humanae“ sowie das Dekret „Unitatis redintegratio“.

Gerade sie sind es, die seither im Brennpunkt der Auseinandersetzungen stehen. In deren Verlauf haben sich zwei Positionen gebildet, die beide in je eigener Hinsicht von einem durch die genannten Dokumente bewirkten Bruch mit der bis dahin verbindlichen Lehre der Kirche sprechen. Die Diskussion darüber wird zudem immer wieder in sehr polemischer Weise geführt – von beiden Seiten. Was sie unterscheidet, ist lediglich die Bewertung dieses behaupteten Bruches. Sehen die einen darin einen theologisch nie zu verantwortenden Widerspruch zu dem unantastbaren Depositum fidei der Kirche, so die anderen die fällige Räumung durch die Entwicklung der modernen Gesellschaft und Kultur längst brüchig gewordener Bastionen.

Die Frage stellt sich mit großer Dringlichkeit, wie ein theologisch legitimer und beide Seiten befriedigender Ausweg aus dieser Konfliktsituation gefunden werden kann.

II

Bei der Suche danach mag – wie erwähnt – ein Blick auf jene Erfahrungen hilfreich sein, die die Kirche mit bzw. nach dem Vorgängerkonzil der Jahre 1869/70 gemacht hat.

Auch damals war von „Bruch“ die Rede gewesen. Als Erzbischof Gregor von Scherr unmittelbar nach seiner Rückkunft aus Rom die Münchener theologische Fakultät empfing, dabei die Konzilsdekrete mitteilte und erklärte, wandte er sich an den Dekan – es war Ignaz von Döllinger, wohl der härteste Gegner des Konzils: „Wir gehen nun von neuem an die Arbeit für die heilige Kirche.“ Darauf Döllinger: „Ja, für die alte Kirche.“ Und Scherr: “Es gibt nur eine Kirche, es gibt weder eine neue noch eine alte Kirche.“ Darauf Döllinger: „Man hat eine neue geschaffen!“
Bedenkt man das hohe internationale Ansehen, das der gelehrte Kirchenhistoriker genoss, so kann es nicht verwundern, dass er jetzt – nachdem er schon vor und während des Konzils gegen dieses polemisiert hatte – mit seinem Nein zu dessen Dekreten nicht geringe Zustimmung fand. Vor allem in gelehrten Kreisen. Sein Schüler Lord Emerich Acton und der Prager Jurist Johann von Schulte seien stellvertretend für eine stattliche Anzahl von Professoren der Theologie und des Kirchenrechts genannt. Sie alle behaupteten, das Konzil habe einen Bruch mit der Überlieferung der Kirche vollzogen und sei deshalb zu verwerfen. Es kam daraufhin zu einer nahezu die gesamte theologische Wissenschaft im deutschen Sprachraum erschütternden Krise.


Die Gegner des Konzils begründeten ihren Widerspruch, indem sie die Definitionen von Primat und Unfehlbarkeit des Papstes in grotesker Weise übersteigernd interpretierten. Da behauptete man tatsächlich, nach dem Konzil könne ein Papst jederzeit seine subjektiven Einfälle der Kirche als Dogma aufzwingen. Das berühmte „Ex sese“ der Definition bedeute, der Papst sei „aus sich selbst“ unfehlbar, der Papst könne unabhängig von der ganzen Kirche ein dogmatisches Willkürregiment ausüben. Und, mit Blick auf die Politik: Das Dogma des Konzils bedrohe die modernen Staatsverfassungen und bilde die Grundlage für päpstliche Weltherrschaftspläne. „Wenn ich an die päpstliche Unfehlbarkeit glaube, darf ich meinem Könige, weil er nicht katholisch ist, den Eid nicht halten … sonst trifft mich der Bann.“ So der spätere Bischof der Altkatholiken Prof. Hubert Reinkens aus Breslau.

Auf diese Weise schufen die Propheten des Bruches eine überhitzte Atmosphäre, in der die Fronten sich immer mehr verhärteten.

Zu dieser Verhärtung trugen aber nicht nur die Gegner von Primats- und Unfehlbarkeitsdogma bei, sondern auch deren bisweilen ebenso unbesonnene und extreme Verfechter. Unter diesen ragten der Londoner Erzbischof Henry Edward Manning ebenso hervor wie die Jesuiten von der Redaktion der Civiltà Cattolica und andere, die beinahe in jeder päpstlichen Äußerung einen unfehlbaren Spruch erkennen wollten. Indem sie sich so von der gesunden Überlieferung der Kirche entfernten, vollzogen auch sie einen Bruch, und zwar nicht zum wenigsten dadurch, dass ihre Übertreibungen den Gegnern des Konzils Grund für ihren Protest boten.

Darüber hinaus war es in der Tat beiderseitige Intransigenz, die einen sachlich-unaufgeregten Umgang mit dem Konzilsdogma überaus erschwerte.

III

In dieser für die Einheit der Kirche bedrohlichen Situation meldeten sich aber auch Konzilsteilnehmer wie Theologen mit Publikationen zu Wort, die geeignet waren, den Irrtümern und Angriffen der einen wie der anderen Seite zu begegnen. An erster Stelle war es Bischof Joseph Feßler von St. Pölten, der als Sekretär des Konzils hierzu besonders befähigt war.

Seine im Jahre 1871 in drei Auflagen erschienene Schrift „Die wahre und die falsche Unfehlbarkeit der Päpste“ sowie gleich danach „Das Vaticanische Concilium, dessen äußere Bedeutung und innerer Verlauf“ trugen entscheidend zur Aufklärung und Beruhigung bei. Es ist nicht zum geringsten Feßlers Verdienst, dass schließlich auch der länger in Opposition zum Konzil verharrende Rottenburger Bischof Carl Joseph von Hefele – der hochangesehene Konzilienhistoriker – den Dogmen des Konzils zustimmte. Bedeutende Gelehrte wie der junge Matthias Joseph Scheeben und der spätere Kardinal Joseph Hergenröther wirkten mit ihren Schriften im gleichen Sinne.
Von besonderem Gewicht waren jedoch bischöfliche Hirtenworte, wie jene der unmittelbar nach dem Konzil tagenden Bischofskonferenzen. Auch Papst Pius IX. griff selbst in die Auseinandersetzungen ein. Wiewohl in römischen Kreisen – von der Civiltà Cattolica war schon die Rede – durchaus Sympathien für extreme Interpretationen gehegt wurden, zögerte der Papst nicht, seine Zustimmung zu Feßlers Schriften auszudrücken. Er nutzte auch eine Ansprache an die römische Accademia di Religione Cattolica (20. Juli 1871), um die Zeitbedingtheit mittelalterlicher Vorstellungen über das Verhältnis der Päpste zu den weltlichen Herrschern herauszustellen.

Insbesondere aber war es die ausdrückliche Billigung Pius IX. der gewichtigen Kollektiverklärung der deutschen Bischöfe, mit welcher diese den Vorwurf des Reichskanzlers von Bismarck zurückwiesen, es seien durch das Konzil die Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe ausgehöhlt und diese zu bloßen Vollzugsbeamten des Papstes – also eines auswärtigen Souveräns –geworden, die den tendenziösen Fehlinterpretationen der Konzilsgegner den Boden entzog.

So konnte auf der Grundlage einer sachlichen und korrekten Interpretation der Konzilsdekrete auf weite Strecken hin die Einheit von Bischöfen, Klerus und Gläubigen gewahrt werden.

Protest und Dissens beschränkten sich in der Folge auf eine nicht geringe Zahl von Professoren der Theologie und des Kirchenrechts, denen sich im Laufe der weiteren Entwicklung etwa 58.000 Katholiken anschlossen, die meist dem Bildungsbürgertum und der Beamtenschaft angehörten. Sie versammelten sich schließlich in der „Altkatholischen Kirche“, zu deren Bischof der schon genannte Professor Hubert Reinkens – illegal – geweiht wurde.

Auf diese Entwicklung zurückblickend konnte der Augsburger Bischof Pankratius von Dinkel, der auf dem Konzil zur Minorität der Unfehlbarkeitsgegner gehört hatte, nunmehr sagen, die schließlich erreichte Formulierung des Infallibilitätsdogmas bedeute mehr einen Sieg der Minorität als der Majorität. Das mag so übertrieben gewesen sein, doch hat der auf das Konzil folgende Interpretationsprozess dem legitimen Anliegen der Definitionsgegner Rechnung getragen und damit ihrem Protest den Boden entzogen.

IV

Versuchen wir heute die damaligen Auseinandersetzungen nachzuvollziehen, so vermögen wir die Strukturen dieses postkonziliaren Diskurses zu erkennen. Es ging dabei zunächst einfach um die Fortführung der schon innerhalb des Konzils bestehenden Gegensätze. Nach dem Konzil war es dann die „Interpretationshoheit“, um die man stritt. Sowohl Majoritäts- als auch Minoritätsanhänger suchten ihrem auf dem Konzil vertretenen und nach je eigener Einschätzung in den Dekreten nicht in erwünschter Weise zum Ausdruck gekommenen Standpunkt Geltung zu verschaffen. Die große Anzahl und auch der oftmals polemische Ton dieser Auseinandersetzungen ließen – für verhältnismäßig kurze Zeit – ernste Befürchtungen eines größeren kirchlichen Bruches aufkommen.

Ein tieferer Grund für den Dissens lag zweifellos auch in der unterschiedlichen Sicht des Verhältnisses der Kirche zur säkularen Welt des 19. Jahrhunderts.

In dem Maβe, als auch viele Katholiken über dem geradezu rauschhaft erlebten technisch-wissenschaftlichen Fortschritt dessen atheistischen Hintergrund übersahen und sich dieser modernen liberalen Gesellschaft und Kultur zu unbefangen öffneten, ergab sich auch eine Lockerung ihrer Bindung an die Kirche und ihr Lehramt.

Dass es nach dem Konzil von 1869/70 dennoch nicht zu einer größeren Abspaltung kam, war zu einem guten Teil Folge des unmittelbar danach in aller Heftigkeit ausbrechenden Konflikts zwischen der Kirche und dem sich als allmächtig und allzuständig verstehenden Staat – des Kulturkampfs. Da dieser namentlich in Preußen, aber auch in Bayern und Baden sich in scharfen staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Kirche äußerte, bewirkte er einen immer engeren Schulterschluss zwischen den vormals gegensätzlichen Kräften. Hierfür bezeichnend war etwa die Haltung des bedeutenden Historikers und Priesters Johannes Janssen, der während des Konzils auf Seiten der Minorität gestanden hatte. Nun, unter dem Eindruck der nachkonziliaren Entwicklung, meinte er, es sei im Nachhinein gut, dass die Konzilsminorität nicht durchgedrungen sei. Er sei darob nicht enttäuscht, sondern blicke voll Zuversicht in die Zukunft, „denn eine solche Einheit zwischen Papst, Bischöfen, Klerus und Volk war, soweit ich Kirchengeschichte kenne, noch nie, selbst in den größten Zeiten des Mittelalters nicht vorhanden.“ Unter dem Eindruck dieser Entwicklung gaben auch die meisten der ursprünglichen Infallibilitätsgegner ihr Widerstreben auf. „Der Kulturkampf hat so, genau konträr zur Intention der ihn Führenden, wie wenige andere Faktoren den Infallibilismus stabilisiert und die Konzilsgegner isoliert. Er führte eine Situation herbei, die eine partielle Identifikation nicht mehr zulieߓ ( Klaus Schatz).

Weniger unter politischem als dem ideologischen Druck der liberalen, wahrheitsvergessenen öffentlichen Meinung überwand der selige John Henry Newman anfängliche Vorbehalte gegen das Konzilsdogma. Ihn überzeugte – von anderem abgesehen – das Axiom des hl. Augustinus: „Securus iudicat orbis terrarum“ (Contra epist.Parmen. III,24).

V

„Orbis terrarum“ – das meint theologisch die Weltkirche, versammelt auf dem Allgemeinen Konzil. Es ist unaufgebbares Glaubensgut, daβ die definitiven Lehraussagen eines Ökumenischen Konzils durch den Beistand des Heiligen Geistes unfehlbarer Ausdruck der geoffenbarten göttlichen Wahrheit sind. Das aber traf zweifellos auf das 1. Vatikanische Konzil zu, das überdies – im Hinblick auf die weltweite Herkunft seiner Väter – auch erste de facto allgemeine Konzil.

An eben diesem Punkt aber setzt heute der Widerspruch gegen das 2. Vaticanum ein. Wiewohl es unter letzterem Gesichtspunkt zweifellos wahrhaft ein die Welt umspannende Kirche repräsentierendes Konzil gewesen sei, erhebe es dennoch den Anspruch auf letzte lehramtliche Verbindlichkeit zu Unrecht. Das Konzil selbst und der es einberufende Papst haben doch ausdrücklich erklärt, weder lehramtliche Verurteilungen noch definitive Lehrentscheidungen aussprechen zu wollen. Ergo – sagt man – könne das Konzil auch nicht verbindlichen Glaubensgehorsam einfordern.

Noch schwerwiegender ist der Vorwurf, das Konzil habe – namentlich in den Erklärungen „Nostra aetate“ und „Dignitatis humanae“ – im Glauben geirrt. Indes ist nicht zu übersehen, daß dieser Vorwurf in erheblichem Maße durch jene provoziert wurde, die ihrerseits besonders die genannten Texte als Bruch mit der Tradition im Sinne eines notwendigen Aggiornamento interpretierten. Die Analogie zu der Situation von 1870 springt in die Augen.

Nun hat das Konzil zweifellos weder dogmatische Definitionen noch unfehlbare Lehrverurteilungen ausgesprochen. Ebensowenig hat es auch – die grundsätzliche gläubige Zustimmung vorausgesetzt – die theologische Diskussion über das rechte Verständnis der Konzilslehre ausgeschlossen. Wer aber allen Ernstes behaupten würde, das Konzil habe im Glauben geirrt, hätte allerdings die Grundlage des katholischen Glaubens verlassen. Die Annahme eines Glaubensirrtums durch das oberste Organ des kirchlichen Lehramts bedeutet einen diametralen Widerspruch zur ungebrochenen Lehrüberlieferung der Kirche wie zur Heiligen Schrift, eine theologische Absurdität, wenn nicht Häresie. Die Worte des Herrn vom Bau seiner Kirche auf den Felsen, von der Unüberwindlichkeit der Kirche durch die Mächte des Todes und der Unterwelt, die Verheißung des beständigen Beistands des Heiligen Geistes und die Zusicherung des Herrn, er werde bei seiner Kirche bleiben bis zum Ende der Zeit – all diese Worte wären nichts als Schall und Rauch, wenn das oberste Lehramt der Kirche einem Glaubensirrtum verfallen könnte.

Dennoch sind solche Stimmen zu vernehmen, die damit de facto einen protestantischen Standpunkt einnehmen.

Wenn wir aber – in genuin katholischer Überzeugung – am Wirken des Geistes Gottes in der Kirche und durch die Kirche festhalten, dann können wir keinen Irrtum eines Allgemeinen Konzils, keinen Bruch der Glaubensüberlieferung, keinen Widerspruch zwischen Gestern, Heute und Morgen annehmen. Dann muß auch eine Konzilsinterpretation möglich sein, die die organische Entfaltung des Depositum fidei erkennen lässt. Eben dies ist zur Zeit des I. Vaticanums auf weite Strecken hin gelungen. Es ist auch nach dem II. Vaticanum das nachkonziliare Lehramt, das die Konzilstexte in Kohärenz mit der gesamten Glaubensüberlieferung authentisch interpretiert.

VI

Das gläubige Wissen darum scheint indes in den gegenwärtigen Diskussionen um die Interpretation des II. Vaticanums manchmal getrübt, da und dort gar geschwunden zu sein. An seine Stelle ist bei manchen Rechthaberei, wenn nicht ideologische Verhärtung getreten. Da nun wäre es notwendig, das jeweilige doch recht anspruchsvolle Selbstverständnis – sei es als „Speerspitze des Fortschritts“, sei es als „Heiliger Rest“ einer wahren Kirche – im gläubigen Vertrauen auf den Herrn der Kirche zu überwinden, und im Blick auch auf das II. Vaticanum mit dem hl. Augustinus und dem sel. John Henry Newman zu wiederholen: „Securus iudicat orbis terrarum“.

Hinzu kommt eine andere Überlegung: Hatte die Kirche der Zeit nach dem I. Vaticanum den Kulturkampf zu bestehen, so sieht jene von heute sich einer mittlerweile weltweiten ideologischen Gegnerschaft ausgesetzt, die vor allem in islamischen Ländern in blutige Verfolgung umgeschlagen ist und sich in Mitteleuropa sogar in brennenden Kirchen äußert!
Auch diese Erfahrung könnte heute aufs neue zu einem innerkatholischen Schulterschluss führen.


Der Beitrag erschien auch in der italienischen Tagesausgabe der vatikanischen Zeitung „L’Osservatore Romano“ vom 15. Februar 2013.

kath.net dankt Seiner Eminenz für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.


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Lesermeinungen

 Hadrianus Antonius 19. Februar 2013 
 

Der heilige Rest

SE Kard. Brandmüller sei herzlichst für diesen hervorragenden Text gedankt.
Vollkommen zurecht empfiehlt er gläubig auf den Herrn der Kirche zu vertrauen.
Zu danken ist auch für öffentliche Nennen der Worte \"der heiliger Rest\"- ein rotes Tuch für die Modernisten, und inzwischen fast ganz aus dem heutigen Kirchendeutsch entfernt/verschwunden.
Gerade kath.net leistet hier hervorragende Arbeit, auch für die Christen im Orient.


1
 
 Irustdim 19. Februar 2013 
 

Und doch gab es einen Bruch!

Und doch ergibt sich einen Bruch! Oder gewollt und ungewollt kann ich nicht sagen. Doch kann ich sagen, dass die faktische Umsetzung führte KLAR zu einem Bruch in der Liturgie, im Wesen der Sakramente, im priesterlichen Leben, im Mönchtum und in der Mission. Und die Befürworter des Bruches beriefen und berufen sich immer auf verschiedene Konziltexte. Und ich muss sagen, dass diese Menschen nichts an intellektuelle Redlichkeit fehlte; denn die Konziltexte ließen einen sehr weiten Spielraum für ihre Auslegung.


2
 
 Irustdim 19. Februar 2013 
 

@Christa Dr.ILLERA

Und ich muss Sie wiedersprechen. Ich habe 39 Jahre, 6 Monate meines Lebens (ich bin 48) in Lateinamerika gelebt und die Armut selbst erlebt (ich war sehr aber sehr arm). Helder Camara war Marxist und Antriebskraft der unkatholisches Befreiungstheologie. Armut und Elend lassen sich nicht vom Marxismus beseitigen bzw. bekämpfen! Früchte Camaras: Millionen Gläubigen gingen (und gehen) zu den Erz-konservativen antikommunistischen Evangelikalen.
Ich stelle die Grundansätze des Konzils in Frage und stehe nicht außerhalb der Kirche. Das Konzil von Pistoia war seinerseits auch vom „Aggiornamiento“ geprägt, wurde danach hinterfragt und schließlich annulliert. AD 325–361 : Reaktion der Arianer, die zu ihrer politischen und religiösen Vormachtstellung führt (sogar der Papst war von den Arianern kontrolliert). In diesen Zeiten wurden mehrere Konzile abgehalten und zahlreiche später verurteilte Texte beschlossen. Der Hlg. Atanasius wurde sogar vom Papst auf antrieb der Arianern exkommuniziert!


2
 
 Christa Dr.ILLERA 19. Februar 2013 
 

@prof.schieser

1.In einem Punkt muß ich Ihnen heftig widersprechen: Dom Helder Camara war kein Marxist. Ich habe 10 Jahre in Südamerika gelebt, zur gleichen Zeit als Dom Helder aktiver Bischof in Brasilien war. Ich habe ihn genauestens \"verfolgt\": Es stimmt, er ging oft an der Kante od.an der Grenze des Katholisch-Möglichen, aber wenn Sie seine Schriften gelesen haben, müssen Sie erkennen, es ging Dom Helder immer um Gott, um Christus, um die Kirche und die Armen. Und er ist Gott sei Dank rehabilitiert worden! Die Armut in Südamerika muß man gekannt u. erlebt haben, wie auch das Schweigen vieler in der Kirche vor allem der sehr gläubigen, reichen Katholiken. Viele von uns waren zwischen den Fronten angesichts der zum Himmel schreienden Armut. Die Situation hat sich sehr geändert und verbessert.
2. Wenn Sie sagen, dass das Konzil \"im Ansatz schon falsch war\", negieren Sie den Beistand des Heiligen Geistes und stellen sich außerhalb der Una Sancta. Ich glaube, der Bericht erklärt es.


2
 
 prof.schieser 19. Februar 2013 

Klares Wor,t und doch...

Kardinal Brandmüller darf man dankbar sein für seine klaren Worte, nur fehlt die klare Schlußfolgerung: das Konzil KANN kritisiert werden, und MUSS sogar, weil es im Ansatz schon falsch war. die Kirche braucht kein Aggiornamento, hat sich aber schon immer den Herausforderungen der Zeit gestellt. Und das muss man den Konzilsvätern einfach vorwerfen, dass sie die \"Zeichen der Zeit\" nicht erkannten, ja ablehnten, weil sie die \"brennenden Fragen\" wie Sozialismus (Kommunismus), Islamismus und die Auswüchse des Kapitalismus überhaupt nicht diskutierten!. Dass man einen erfahrenen Missionsbischof wie Lefebvre ausgrenzte und einen Marxisten, wie Helder Camara (Bischof Recife in Brasilien) ungestört seinen Unsinn verzapfen liess (er plädierte für die Übernahme des Marxismus, als Basis für eine neue Theologie, wie damals Aristoteles \"übernommen\" wurde.) -- das zeigt doch, wer bei diesem Konzil \"mitgemischt\" hatte.
Jetzt sollte Levebvre \"rehabilitiert\" werden, denn


2
 
 gertrud mc 19. Februar 2013 
 

Ein wichtiger, informativer - und auch für Laien - durchaus verstehbarer Artikel von Kardinal Brandmüller. Danke!
@Müllerin
Seh ich auch so.


1
 
 Müllerin 19. Februar 2013 
 

Sehr informativ!

Danke - sehr informativ!
Haben die 2 innerkirchlichen aus einander treibenden Richtungen nach dem VK I letztendlich zusammengefunden teilweise oder ganz wegen der von außen kommenden Bedrohung gegen die Kirche in Form des Kulturkampfes, scheint mir das heute eher (noch) nicht der Fall zu sein mit den divergenten Meinungen nach dem VK II. Vom Zusammenfinden der verschiedenen Interpretationsrichtungen heute durch die äußere Bedrohung, die durchaus omnipräsent ist, spüre ich leider nichts – zumindest nicht innerhalb Europa. Aber vielleicht kommt es ja langsam.
Nur Schade, wenn eine Drohung von außen nötig ist, um zusammenzufinden!


1
 
 Vonderwiege 19. Februar 2013 
 

Brandmüller als Papst?

Wäre S.Emm. Brandmüller nicht ein hervorragender Papst auf dem Stuhl Petrus? Ich staune immer wieder wie viele hervorragende Köpfe die Una Sancta doch hat! Und ich danke Gtt auf den Knien, dass das ganze liberale Gewäsch langsam verschwindet!!!!


3
 
 Kairos 19. Februar 2013 
 

Dieser interessante Beitrag war für mich Anlass,

nochmal die Äusserungen Benedikts von 2005 nachzulesen, auch wenn Kard. Brandmüller hier sehr ehrenwert das V.II verteidigt, gelingt B. das mMn. auf viel elegantere Art, er stellt die \"Hermeneutik der Reform\" einer unkirchlichen \"Hermeutik der Diskontinuität\" gegenüber und vermeidet so den etwas altväterlichen Begriff \"Häresie\". (Wir werden diesen \"Theologen-Papst\" so vermissen...)
\"Reform\" könnte als schwächer verstanden werden als \"Häresie\", wenn man bedenkt, wie Benedikt die fortwährende \"Umkehr\" als ständige Aufgabe des Christen gesehen hat, ist es für mich das stärkere Wort: gerade weil auch die Kirche der ständigen \"Umkehr\" bedarf (man lese diesen Artikel zu einem der einflußreichen Theologen des V.I http://www.sueddeutsche.de/kultur/skandaloeses-kirchenbuch-tiefe-einblick-in-die-welt-der-scheinheiligen-1.1601830), kann sie sich nicht von vornherein gegen berechtigte Kritik immunisieren. Sie muss also stets \"Reformkirche\" se


1
 
 Christa Dr.ILLERA 19. Februar 2013 
 

@H.Kraft

Ich glaube, Sie unterschätzen die Katholiken und die Gläubigen! Seit meiner Lehrtätigkeit als Universitätsprofessorin (TU Wien) kam ich beobachtend zu der Feststellung, die sich immer mehr bestätigte: Eltern unterschätzen ihre Kinder, die Lehrer die Schüler, die Professoren die Studenten, die Politiker die wahlberechtigte Bevölkerung, die Pfleger ihre Betreuenden! In dem Artikel von Kard. Brandmüller gibt es kaum fremdwörtliche Spezialtermini, der geschichtlichen Darlegung kann man im Detail folgen oder nicht. Es gibt Lexika, es gibt kathpedia, es gibt google, wenn man etwas genauer wissen möchte. Wenn Sie die richtigen Lehrer in der Schule hatten, dann war Mathematik und Physik spannend wie ein Krimi, und die Kirchengeschichte so und so ein heißer Renner bei einem guten Religionslehrer.
Ich will Ihnen nur mitteilen, dass das Wissen und in der Folge das Verstehen um bessere und tiefere Zusammenhänge eine Grundmotivation geistiger Anstrengung ist. In diesem Sinne mit Grüßen. C.Illera


1
 
 M.Schn-Fl 18. Februar 2013 
 

@Dr. Christa

Ich stimme Ihnen ganz zu.


1
 
 myschkin 18. Februar 2013 
 

Die Mahnung

der verehrten Emminenz zusammenzustehen, ist doch die Quintesssenz dieser spannenden historischen Analyse. Ja, lieber Kardinal Brandmüller, man kann aus der Geschichte lernen! Schade, dass ich nicht bei Ihnen studiert habe! Das wäre mir eine wahre Freude gewesen!!! Die Aufklärung ist ein weites Feld, und sie geht mitunter auf anderen Wegen als jenen, die sich die Säkularisten so denken.


2
 
 H.Kraft 18. Februar 2013 
 

Kardinal Walter Brandmüller

Der Text über die Darlegung des 2. Vat.
Konzils ist von Kardinal Brandmüller schon
gut angesetzt, doch leider in einer etwas
zu wissenschaftlichen Sprache.
Vor allem diese in die Tiefe gehenden
theologischen Texte sollten auch für den
Laien in der Kirche etwas verständlich
geschrieben werden.
Dies ist jetzt keine Kritik an H. Kardinal
Brandmüller.
Der Laie in der Ortskirche sollte eben bei
solchen Texten auch verstehen, um was es
da inhaltlich geht.
H. Kraft


0
 
 Christa Dr.ILLERA 18. Februar 2013 
 

Hervorragend!

Danke an S. E. Kardinal Brandmüller für die ausgezeichnete Analyse und kristallklaren Aussagen über das Lehramt der Una Sancta! Ich denke, dieser Beitrag kam zur rechten Zeit!!!


1
 

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