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Orthodoxe Christen erkämpfen in Rumänien freie Osternacht

19. April 2021 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Die Regierung hat Corona-Ausgehbeschränkungen für das orthodoxe Osterfest aufgehoben – Feiern mit Atemschutzmasken, aber ohne zeitliche Beschränkung – Von Jürgen Henkel


Bukarest (kath.net/jh) Die Koalitionsregierung Rumäniens unter Führung der Nationalliberalen Partei (PNL) hat jüngst die geltende Corona-Alarmstufe um einen weiteren Monat verlängert und für das orthodoxe Osterfest gleichzeitig Lockerungen beschlossen. So soll laut Regierungsbeschluss die nächtliche Ausgangssperre bis 5 Uhr morgens an den orthodoxen Ostertagen (1. und 2. Mai) aufgehoben werden, damit die Gläubigen den Osternacht-Gottesdiensten beiwohnen können. Die Feier der Osternacht ist für orthodoxe Christen von höchster Bedeutung.

86,7 Prozent der Bevölkerung zählen in Rumänien zur Orthodoxen Kirche. Die Orthodoxie hat sich stets gegen Gottesdienstverbote gewehrt. Der deutschstämmige Staatspräsident Klaus Johannis aus Hermannstadt/Sibiu, selbst Siebenbürger Sachse und zur Evangelischen Kirche A. B. der deutschen Minderheit in Siebenbürgen gehörig, sagte seinen Staatsbürgern schon Anfang Februar zu, die Ostergottesdienste in diesem Jahr keinesfalls zu verbieten. Letztes Jahr hatte es kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa auch in Rumänien massive Einschränkungen für das gottesdienstliche Leben und ein Verbot öffentlicher Gottesdienste zu Ostern gegeben, trotz Kritik aus der Rumänischen Orthodoxen Kirche.
Anlässlich des katholischen und evangelischen Osterfestes Anfang April hatten die Behörden die nächtliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit von sonst 22 Uhr bereits bis 2 Uhr morgens gelockert. Wobei Katholiken und Protestanten nur rund fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen und deren Osternachtfeiern wesentlich kürzer sind.

Zu den schärfsten Kritikern staatlicher Einschränkungen bei Gottesdiensten gehört Erzbischof Teodosie von Tomis am Schwarzen Meer. Die antike griechische Hafenstadt heißt heute Konstanza, der Bischofssitz hat aber aus der Antike den Titel „von Tomis“ beibehalten. Während Patriarch Daniel seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Öffentlichkeit scheut, ist der unter besonders frommen Orthodoxen höchst beliebte charismatische Erzbischof einer der vehementesten Kritiker staatlicher Eingriffe in das kirchliche Leben. Die mehrstündigen orthodoxen Gottesdienste finden bei ihm wie anderswo und in Klöstern landesweit weiter in üblicher Länge statt und sind wie bisher meist sehr gut besucht. Dabei gilt eine Empfehlung für Atemschutzmasken für die Gläubigen. Die reiche Liturgie der Ostkirche ist ohne liturgische Gesänge und Hymnen nicht vorstellbar. Liturgische Chöre singen nach wie vor im Gottesdienst, die Gemeindeglieder singen viele Stücke der Liturgie mit.


Erzbischof Teodosie gilt als schillernde Persönlichkeit in der kirchlichen Szene des Landes. Er macht gelegentlich mit antiökumenischen Aussagen als Hardliner von sich reden wie etwa dem Standardvorwurf orthodoxer Theologen an den Westen, die Heilige Trinität nicht ausreichend doxologisch und liturgisch zu würdigen. Gleichzeitig pflegt er aber ökumenische Kontakte zu evangelischen Kreisen in Deutschland, hat mit dem großen Diakoniewerk Neuendettelsau 2005 eine Sozialpartnerschaft geschlossen und nimmt an ökumenischen Konferenzen und auch dem Projekt „Healing of Memories“ mit bemerkenswerten Vorträgen teil. Er hat Sozialeinrichtungen und Klöster gegründet, der von ihm ins Leben gerufene Priesterchor feiert bei Tourneen international Erfolge. Mehrere Versuche der letzten Jahre, den meinungsstarken Kirchenmann mit fragwürdigen Strafverfahren, die alle eingestellt wurden, zum Schweigen zu bringen, sind misslungen.

In einem Interview mit dem rumänischen TV-Sender „Antena 3“ formulierte der Hierarch im März noch vor dem westlichen Ostertermin seine Kritik an den ursprünglichen Plänen der Regierung zum Festhalten an den Ausgangssperren deutlich. Er meinte: „Zwei Uhr morgens ist als Zeitbeschränkung für Gottesdienste unbegründet und unlogisch. Unsere orthodoxen Gottesdienste haben im Vergleich zu anderen eine besondere Länge. Eine solche Beschränkung wäre eine Verletzung an der Seele der Gläubigen zum höchsten Feiertag der Christen. Wie soll da der Gottesdienst bis 2 Uhr beendet sein? Das ist unmöglich. Um Mitternacht teilen wir das Osterlicht aus, dann feiern wir den Auferstehungsgottesdienst und anschließend die Göttliche Liturgie. Nicht einmal die Göttliche Liturgie können wir in dieser Zeit schaffen, geschweige denn den Auferstehungsgottesdienst vorher.“

Der Erzbischof forderte zur besten Sendezeit in dem sehr beliebten TV-Sender: „Es darf keinen solchen Angriff auf unsere christliche Seele geben. Wie kann denn der höchste christliche Feiertag auf Stunden beschränkt werden? Wir haben unsere Kanones und unsere Gottesdienste. Wir können nicht einfach die Gottesdienste kürzen. Diese Kanones kommen von Gott. Und Gott kann keine Beschränkung auferlegt werden. Wir handeln nicht mit Gott. Wir hoffen auf Einsicht der Obrigkeit und darauf, dass wir und die anderen Christen, mit denen wir hier solidarisch sind, ein freies Osterfest feiern dürfen.“

Auf die Frage der Reporterin, ob er denn um 2 Uhr morgens den Gottesdienst beende, wenn der Staat dies vorschreibe, antwortete Erzbischof Teodosie kategorisch: „Das ist unmöglich. Und wer soll uns denn aus der Kirche verjagen? Wir sind doch nicht besetzt. Wir respektieren die Hygieneregeln. Aber der Virus ist nach zwei Uhr morgens doch nicht aktiver als vorher. Das versteht niemand. Wenn wir rund um die Uhr zur Apotheke dürfen, dann müssen wir auch jederzeit in die Kirche gehen dürfen. Denn die Seele ist nicht weniger wert als der Leib. Die Seele ist sogar wichtiger als der Leib. Lasst uns ein Ostern in Freiheit, damit unsere Seele ihre Religiosität ausleben kann.“

Grundsätzlich gab der Kirchenmann zu bedenken: „Wie kann uns jemand weltliches in der Kirche Vorschriften machen? Die Kirche ist unabhängig. Die Kirche gehört Gott. Und Gott ist ewig, wie unsere Seelen. Unsere Perspektive ist nicht der morgige Tag, sondern die Ewigkeit. Niemand steht über Gott. Und die Kirche gehört Gott. Wir beten um Erleuchtung für unsere politische Führung. Ich breche hier keinen Konflikt vom Zaun. Aber ich bin Hierarch und ich habe die Kirche und den Glauben zu verteidigen. Ich muss Christus gehorchen, der mich zum Dienst berufen hat. Meine Aufgabe ist es, den Glauben zu verteidigen, die Kirche lebendig zu halten und die Menschen im Licht der Auferstehung für die Ewigkeit vorzubereiten.“

Der auch von Erzbischof Teodosie erzeugte Druck führte zum Erfolg. Die Orthodoxen können nun in Rumänien Ostern in der üblichen Form feiern – wohl mit Atemschutzmasken, aber ohne zeitliche Beschränkung. Es lassen sich nicht alle Kirchen in Europa von Staat und Politik in ihre Gottesdienste hineinregieren. Noch sind die Kirchen stark in Rumänien.

In dem Ort Semlak (rumänisch Semlac) im Banat an der westlichen Landesgrenze zu Ungarn schafften es übrigens die orthodoxen und katholischen Priester vor Ort vor wenigen Jahren in seltener Einmütigkeit, dass das Rathaus den regelmäßigen Termin eines Bier- und Cevapcici-Festes am Wochenende vor dem Feiertag des Entschlafens der Gottesmutter (15. August) aus der orthodoxen Fastenzeit dauerhaft auf das Wochenende danach verlegte – aus religiösen Gründen. Von solchen Entscheidungen können die Kirchen in Deutschland nur noch träumen. Hierzulande hat man sich längst daran gewöhnt, dass Frühlingsfeste am Karsamstag beginnen und den Gottesdienstbesuchern auf dem Weg zu Osternachtgottesdiensten volltrunkene Volksfestheimkehrer auf ihrem Nachhauseweg entgegentorkeln.

Der bayerische Pfarrer und Publizist Dr. Jürgen Henkel (Selb) leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS) und ist Gründungsherausgeber der Deutsch-Rumänischen Theologischen Bibliothek/DRThB.

Archivfoto 2018 - Viele Gottesdienstbesucher lassen sich nach dem Gottesdienst von Erzbischof Teodosie segnen, er ist volksnah und beliebt

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