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Missbrauchskandal: Fragen, die es auch geben muss

3. März 2021 in Kommentar, 10 Lesermeinungen
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„Ist es eigentlich fair, alle Empörung allein gegen Woelki zu richten? Manchen erscheint es, als wolle man ihn gerade wegen seiner unbedingten Aufklärungsbereitschaft … waidwund schießen.“ Gastbeitrag von Martin Lohmann


Bonn (kath.net) Es ist selbstverständlich und verständlich: In diesen Tagen wird man als erkennbar bekennender katholischer Christ immer wieder angesprochen auf den Missbrauchsskandal, dessen Aufarbeitung und die katholische Kirche. Vieles wird mehr und mehr hinterfragt, auch, ob es eigentlich fair und richtig ist, alle Empörung allein gegen den Kölner Kardinal zu richten. Manchen erscheint es, als wolle man diesen Erzbischof gerade wegen seiner unbedingten Aufklärungsbereitschaft noch vor der Veröffentlichung des Gutachtens am 18. März waidwund schießen. Warum? Was soll da verhindert werden? Wer will von was ablenken? Wen stört diese bislang einzigartige Aufklärungskonsequenz? Wer fürchtet da was?

Die überzeugt katholische Person, die mir nun ihre Gedanken zunächst vertraulich mitteilte und der ich versprach, ihren Namen nicht zu nennen, nachdem ich die Erlaubnis bekam, ihre Überlegungen zu veröffentlichen, nenne ich einfach mal Homo Frager. Dessen Beitrag zur aktuellen Situation versteht der oder die H.F. als etwas, mit dem auf keinen Fall irgendein Verbrechen kleingeredet oder exkulpiert werden soll. Im Gegenteil. Mein Gesprächspartner ist ebenso erschüttert wie angewidert von den Sextätern im Priesterrock und jeder Form von Kinderseelen zerstörender Pädophilie wie jeder Mensch mit gesundem Verstand und geformten Gewissen. Aber Homo Frager meint auch, dass seine Fragen auch andere beschäftigen. Und daher darf ich sie veröffentlichen.  

„Ist eine Veröffentlichung von Namen der Täter immer gerechtfertigt? Kommt sie nicht in der heutigen Mediengesellschaft einer Hinrichtung gleich und erinnert an öffentliche Hexenprozesse im Mittelalter? Stehen die – durchaus verständliche, aber auch bisweilen nicht mehr steuerbare – Wut und Empörung nicht im Widerspruch zu den Worten Jesu: ‚Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.‘ (Joh 8, 7)? Gelten die ansonsten von der Kirche immer gepredigten Einladungen zur Begegnung mit der göttlichen Barmherzigkeit – bei allem Entsetzen über die unsäglichen Verfehlungen von Seelsorgern – generell jetzt nicht mehr? Wie steht es um die Aussage in der Bibel: ‚Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren.‘ (Lk 15, 7)? Werden die jetzt gejagten Sünder allesamt ausgeschlossen vom Jesus-Wort: ‚Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten‘ (Lk 5, 32)? Gilt das Gebot zur Resozialisierung von Straftätern, das sogar Mörder und Mörderinnen betrifft und betreffen muss, für Priester, die ihre Berufung übelst besudelt haben, ganz und gar nicht?


Werden hier nicht alle Möglichkeiten von Reue, Umkehr, Beichte, Vergebung, Versöhnung, Buße und die Erfahrung von Gnade und Erbarmen angesichts von Sünde und Schuld konterkariert? Schafft man durch öffentliche Medientribunale nicht auch Stigmata für den Rest des Lebens?

Und auch das: Kann im Fall einer Falschverdächtigung und Vorverurteilung nicht eine unermessliche, nicht wieder gutzumachende Rufschädigung bewirkt werden? Wer trägt dafür wie die Verantwortung? Und im Blick auf den Umgang mancher Oberhirten mit den personenbezogenen Daten aus Personalakten darf gefragt werden: Versteckt sich hier nicht auch eine Art Missbrauch im Umgang mit Daten, der den totalen Verlust jeglicher Vertraulichkeit zwischen dem Bischof und den ihn anvertrauten Priestern bedeutet und einer Abschaffung des „forum internum“ gleichkäme? Wie werden Angeklagte und (Vor)Verurteilte vor medialen Scheiterhaufen, möglicher Selbstjustiz und Lynchjustiz bewahrt? Wie ein aktueller Fall zeigt: Auch Priester können zu Selbstmördern werden. Oder hat sich Augustinus komplett geirrt, als er in seinem Sermo 4,20 sagte: ‚Porta peccatorem, non ut ames pec-catum in illo, sed ut persequaris peccatum propter illum. Dilige peccatorem, non in quantum peccator est, sed in quantum homo est. – Ertrage den Sünder nicht so, daß du in ihm die Sünde liebst, sondern so, daß du die Sünde um seinetwillen bekämpfst. Liebe den Sünder, nicht insofern er Sünder ist, sondern insofern er ein Mensch ist wie du.‘ Und war es aus heutiger Sicht falsch, dass der Kirchenvater (in seinen Enarrationes in Psalmos 139,2) meinte: ‚Sicher sind wir also darin, dass wir das Böse an den Übeltätern hassen, das Geschöpf aber lieben, so dass wir hier lieben, was Gott geschaffen hat, dort aber hassen, was der Mensch verursacht hat. Gott nämlich hat diesen Menschen geschaffen, der Mensch aber hat die Sünde verursacht. Liebe, was Gott geschaffen hat, aber hasse, was der Mensch verursacht hat; auf solche Weise nämlich sollst du das Böse bekämpfen, das der Mensch verursacht hat, dass befreit werde, was Gott erschaffen hat‘?“

Soweit die Anwürfe der/des Homo Frager. Klar muss sein, dass nichts unterlassen werden darf, die Opfer zu schützen, den Opfern zu helfen – und vor allem: möglichst alle künftigen Opfer zu vermeiden! Welche über das Juristische hinausgehende christliche Botschaft hat die Kirche eigentlich (noch) für diejenigen, deren Seelen und Körper durch Sexsucht, Triebsteuerung und gravierendem Verantwortungsmissbrauch tief verletzt und gänzlich unchristlich missbraucht wurden? Fragen, die auch Homo Frager hat – zweifellos ohne Relativierung durch die oben gestellten Fragen.

Aber: Wie geht man mit solchen verständlichen, jedoch eben sehr schwierigen Fragen in diesen so aufgewühlten Zeiten der Unsicherheit und des Glaubensverrates um? Schließlich sind es aufgrund der Abtrünnigkeit, die sich da - übrigens bei Lichte besehen nicht allein in der Kirche - auftun, auch Zeiten, in denen Glaubwürdigkeit und Vertrauen auf der Kippe stehen und Differenzierungen fast schon unanständig zu sein scheinen. Wichtige Botschaften, die eben auch notwendig sind für einen immer wieder schwierigen Umgang miteinander in einem immer und dennoch die Humanität fordernden Leben, sind aus durchaus verständlichen Gründen vom Löschen bedroht. Auch hier ist die Kirche herausgefordert, das Richtige und Wichtige zu tun. Bei aller Kritik an unsäglichen (Kommunikations-)Fehlern muss diese ungeprobte Vorbildfunktion letztlich auch hier gelingen, damit endlich auch andere gesellschaftliche Größen wie zum Beispiel Sportvereine, Schulen, Medienhäuser und nicht zuletzt die Grünen. Hatten dort nicht einige vor Jahren tatsächlich die Freigabe der Pädophilie gefordert und die Verantwortung und Respekt lehrende Kirche zwischen Häme und Mitleid verachtend betrachtet? Müssten und sollten nicht endlich auch sie alle den Mut den Mut zur ehrlichen und konsequenten Aufarbeitung ihrer sexuellen Verbrechen im Namen verratener Freiheit aufbringen? Auch hier darf nichts verschwiegen oder durch eifriges und bisweilen perfides Empören über die Kirche ablenkend vertuscht werden. Aufklärung tut (überall) not.


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Lesermeinungen

 a.schwartz 3. März 2021 
 

Chris2

Wissen Sie, warum gerade in der Katholischen Kirche der Anteil der männlichen Opfer sexuellen Missbrauchs so hoch ist? Im sonstigen (Familie, Schule, Vereine,...) sind die männlichen Opfer gegenüber den weiblichen weit in der Unterzahl, eher im einstelligen Prozentbereich. Dort gibt es doch genauso Homosexuelle?


5
 
 Chris2 3. März 2021 
 

Zerschlagt endlich die Knabenschänder-Netzwerke,

die in den USA, in Irland und Australien jeweils etwa 80% Buben als Opfer forderten, in D lt. Personalakten über 60%. In den Meldungen damals waren es allerdings mindestens 80%. Sonst liegt er Schnitt übrigens meist bei etwa 25%. Das ist nicht einmal von einem Blinden zu übersehen. Das übersieht nur der, der Angst vor dem Zeitgeist hat oder sich ihm bereits unterworfen hat...


3
 
 physicus 3. März 2021 
 

@chorbisch

„Warum hat er das umstrittene Gutachten nach eigener Angabe nie gelesen, offenbar auch nicht, nachdem ihm die Nichtveröffentlichung empfohlen worden ist?“

Kardinal Woelki hat sich und seine Amtszeit gerade nicht aus den beauftragten Gutachten ausgeklammert. Er wird die Ergebnisse auch erst bei Veröffentlichung erfahren (18. März). Damit wird inhaltliche Einflussnahme seinerseits ausgeschlossen. Ich finde das hochanständig – natürlich auch für sich riskant – und finde umgekehrt: Würde er erstmal lesen und dann über Veröffentlichung oder nicht entscheiden, hätte das einen „Geruch“.

Die Entscheidung der Nichtveröffentlichung des umstrittenen WSW-Gutachtens basiert auf einem methodischen Gutachten, das im Link unten zu finden ist. Da geht es also nicht darum, Missbrauch aufzuklären, sondern darum, ob das WSW-Gutachten methodisch rechtssicher die Vorgänge ausgearbeitet und dargestellt hat und als Gutachten tauglich ist. Die Antwort lässt keine Zweifel offen („Nein.“).

www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/rat_und_hilfe/sexualisierte-gewalt/.content/.galleries/unabhaengige-untersuchung/Jahn_Streng-Endfassung-


4
 
 chorbisch 3. März 2021 
 

@ GerogBer, 2

Aber wenn der Kardinal und seine Berater Ihre Einschätzung über die Einbeziehung des Betroffenenbeirats teilen, dann hätte man ihn gar nicht konsultieren sollen, anstatt ihn so zu nötigen, wie es geschehen ist. Möglicherweise ist auch dieses Vorgehen rechtlich "korrekt", menschlich anständig war es nicht.

Und auch hier gilt meiner Meinung nach: Egal, ob und wie man mit dem Beirat kommunizieren wollte, Kardinal Woelki hätte ihn zu sich bitten und ihnen seine Entscheidung erläutern müssen.

Auch wenn er keine persönliche Schuld auf sich geladen hat, und das ist meine Meinung, er muss die Maßnahmen billigen, die in seiner Diözese zur Aufklärung des Mißbrauchs ergriffen werden und er muss sie vor der Öffentlichkeit vertreten.

Ich habe immer wieder den Eindruck, das die Kirche es nicht schafft, kompetente Fachleute für sog. Krisenkommunikation zu gewinnen, oder daß man im entscheidenden Moment nicht auf diese Leute hören will.


6
 
 chorbisch 3. März 2021 
 

@ GerogBer, 1

Daß Kardinal Woelki das Gutachten durch Fachleute hat prüfen lassen, das kritisiere ich nicht und das meinte ich auch nicht mit delegieren.
Aber wenn seinem Verhalten Ihre Überlegungen zugrunde lägen (Wovon ich nix weiß, kann ich nicht vertuschen), dann hätte das nichts mit der "unbedingten Aufklärungsbereitschaft" zu tun, die ihm H. Lohmann zubilligt. Das wäre ein sich davor drücken und sich hinter jenen zu verstecken, denen er den Auftrag gegeben hätte.
Angesichts des Ausmasses des Mißbrauchs und den Schäden, die das der Kirche zugefügt hat, kann meiner Meinung nach nur der Bischof/Erzbischof die Aufarbeitung federführend leiten. Natürlich Fachleute heranziehen, wo es nötig ist, aber vor der Öffentlichkeit kann nur er die Verantwortung übernehmen.
Und, ja, der Beirat sieht das Thema emotional. Aber hat die streng am Kirchenrecht und ohne Empathie für die Opfer orientierte Vorgehensweise zur Aufklärung beigetragen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?
Wohl kaum.


6
 
 a.schwartz 3. März 2021 
 

Derzeit steht Kardinal Woelki und das EB Köln im Zentrum der Kritik. Danach werden die restlichen 27 Bistümer in Deutschland folgen, denn bisher hat m.W. nur das Bistum Aachen ein Gutachen veröffentlicht. Dann werden wir sehen, wie es anderswo läuft.


6
 
 GerogBer 3. März 2021 

@Chorbisch,

nach meiner (geringen) Kennntis hat der Kardinal nicht "delegiert", sonder den Vorgang ohne eigen Kenntnisnahme an juristische Experten zur Prüfung weitergeleitet. Das war klug gar weise von ihm, denn so verlaufen die Vorwürfe, er habe "vertuschen" wollen, ins Leere. Denn wenn er nicht weiß was im Gutachten steht, kann er den entsprechenden Sachverhalt auch nicht vertuschen. Der Betroffenenbeirat ist m. E. emotinal zu sehr betroffen, sodass Objektivität möglicherweise fehlt.Und mit der Verschwiegenheit ist das auch sein eine Sache, wenn man bedenkt, was alles "durchgestochen" wird. Ich meine, dass Kardinal Woelki bisher sehr umsichtig agiert hat.


6
 
 Ulrich Motte 3. März 2021 
 

Rück-Fragen (nicht: Behauptungen) an KircheN

Haben sich die katholischen Erzbischöfe von Freburg und Hamburg geirrt, als sie den Hinweis auf Mißbrauch anderswo ablehnten, weil "wir" (gemeint wohl: Priester und Kirche) "andere Maßstäbe an uns haben"? Lässt ein Sportverein seine Anhänger wöchentlich von sich vor Gott bekennen: Ich glaube an den einen heiligen Verein? Verkünden Sportvereine Katechismen mit hoher Sexualmoral?Ist es nicht fast eine Beleidigung des Wesens von Kirche und besonders von ihrer Geistlichkeit und das besonders in einer hierarchischen Kirche sie etwa mit Sportvereinen zu vergleichen? Kann man ausschließen, daß Ns-Mörder oder marxistische Reue zeigten, Vergebung erbaten, oder fälschlich beschuldigt werden? Dürfen (durften) Historiker oder Justiz sie trotzdem beim Namen nennen? Wie will man (etwa Konservative!) ohne Aufklärung und Aufdeckung die Aussage eines katholischen Bischofs zurückweisen, Mißbrauch stecke in der DNA seiner Kirche bzw. den Vorschlag "Progressiver, die Hierarchie zu beschränken?


5
 
 chorbisch 3. März 2021 
 

Darf ich einige ergänzende Fragen stellen? Teil 2

Solche Gespräche mögen anstrengend und unangenehm sein, aber gerade bei diesem Thema gibt es Situationen, in denen "der Chef" die Sache in die Hand nehmen muss und es nicht mehr delegieren kann.

Bitte mich jetzt nicht falsch zu verstehen, ich will mich mit diesen Fragen nicht an der Hetze gegen Kardinal Woelki beteiligen, ich zweifle auch nicht an seinem Willen, die Sache restlos aufzuklären. Aber einiges an seinem Verhalten passt da für mich nicht.

Was die Frage der Nennung von Namen angeht. Bei Tätern oder auch nur Beschuldigten ist in der Tat größte Vorsicht geboten. Wobei sich die Frage der Vergebung oder des "Ertragens" eines Sünders in erster Linie den Opfern stellt und nicht den Mitarbeitern des zuständigen Ordinariats. Die haben nichts zu "vergeben".

Etwas anders stellt sich für mich die Frage des Umgangs mit jenen dar, die Täter gedeckt und deren Taten vertuscht haben. Wenn das belegt werden kann, müssen Namen genannt werden, ohne Rücksicht auf Amt und Verdienste.


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 chorbisch 3. März 2021 
 

Darf ich einige ergänzende Fragen stellen? Teil 1

Wie passt es zu der Erzbischof Woelki zugeschriebenen "unbedingten Aufklärungsbereitschaft", daß er die Angelegenheit nicht zur "Chefsache" gemacht, sondern offenbar komplett delegiert hat?

Warum hat er das umstrittene Gutachten nach eigener Angabe nie gelesen, offenbar auch nicht, nachdem ihm die Nichtveröffentlichung empfohlen worden ist?

Und wie passt der ruppige Umgang mit dem sog. "Betroffenenbeirat" dazu? Ich denke, wenn es gewollt gewesen wäre, hätte man die Mitglieder zur absoluten Verschwiegenheit verpflichten und ihnen Einsicht erlauben können. Statt dessen wurde die Einsicht verweigert und die Leute massiv unter Druck gesetzt, der Nichtveröffentlichung zuzustimmen.

Wenn das nicht den Absichten des Kardinals entsprochen hat, warum hat der die Verantwortlichen nicht zurückgepfiffen, den Beirat zum Gespräch gebeten und dann mit Unterstützung "seiner" Juristen an konkreten Punkten erläutert, warum das Gutachten besser in der Schublade bleibt.


8
 

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