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| ![]() Die Hölle von Torgau12. Mai 2010 in Deutschland, 12 Lesermeinungen In 57 Jugendwerkhöfen der DDR wurden Jungen und Mädchen, die nicht dem Ideal des sozialistischen Bürgers entsprachen, umerzogen. Bei wem das nicht gelang, der kam nach Torgau wo es den schlimmsten Missbrauch Deutschlands gab. Von Matthias Pankau/id Torgau (kath.net/idea) Wenn in den vergangenen Monaten von Missbrauch die Rede war, dann ging es vor allem um kirchliche und reformpädagogische Einrichtungen im Westen. Dabei fand die wohl schlimmste Form des Missbrauchs im anderen Teil Deutschlands statt in der DDR. In so genannten Jugendwerkhöfen sollten Jungen und Mädchen, die nicht dem Ideal des sozialistischen Bürgers entsprachen, umerzogen werden. Bei wem das nicht gelang, der kam nach Torgau dem einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof der DDR. Hinter vier Meter hohen Mauern und Stacheldraht bestimmten Demütigung und militärischer Drill den Tagesablauf getreu dem Motto: Wer nicht hören will, muss fühlen. Für Heidemarie Puls hat die Hölle einen Namen: Torgau. Sobald sie das Ortseingangsschild der Kleinstadt in Sachsen passiert, bekommt sie Panikattacken und Schweißausbrüche. Dann kommen die Schmerzen zurück, sagt sie und ihre Stimme zittert. Dabei liegt das, was die heute 52-Jährige hier erlebt hat, inzwischen 35 Jahre zurück. Zu wenig, um die ihr zugefügten Wunden zu heilen. In Torgau, wo sich 1945 sowjetische und amerikanische Soldaten an der Elbe die Hände reichten, befand sich zwischen 1964 und 1989 der einzige so genannte Geschlossene Jugendwerkhof der DDR ein Erziehungslager für Jugendliche, die nicht in die propagierte heile Welt des Sozialismus passten. Heidemarie Puls ist eine von mehr als 4.000 Jugendlichen, die dort gedemütigt und gequält wurden: Was wir durchmachen mussten, kann sich niemand vorstellen. Strandgut der Gesellschaft In der DDR gab es 57 Jugendwerkhöfe. Damit wollte DDR-Bildungsministerin Margot Honecker Gattin von Staatschef Erich Honecker Problemkinder zu systemtreuen Bürgern umerziehen. Dazu arbeiteten die Heimleiter mit militärischen Maßnahmen. Wer in den regulären Jugendwerkhöfen dennoch durch allzu große Aufmüpfigkeit auffiel, landete in Torgau. Das war die Endstation. Wer hierher kam, galt in den Augen der DDR-Führung als schwersterziehbar im offiziellen Sprachgebrauch asozial. Der Wille dieser widerspenstigen Subjekte, die gern auch als Strandgut der Gesellschaft bezeichnet wurden, sollte hier gebrochen werden. 3 Tage in der Zuführungszelle Und das wurde er auch. In der Regel benötigen wir drei Tage, um die Jugendlichen auf unsere Forderungen einzustimmen, schrieb der langjährige Direktor des geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau, Horst Kretschmar, einst. Drei Tage das war die Zeit, die Neuankömmlinge in der etwa acht Quadratmeter großen, völlig verdunkelten Zuführungszelle zubringen mussten, nachdem ihnen die Haare geschoren und sie in Anstaltskleidung gesteckt worden waren. Als sich die Gittertür hinter mir schloss, war ich meiner Persönlichkeit beraubt, erinnert sich die damals 16-jährige Heidemarie Puls. Sie ahnt zu dieser Zeit noch nicht, was sie hinter diesen Mauern noch alles wird erleiden müssen. Folge: schlechte Schulnoten Bereits mit elf Jahren kommt Heidemarie ins Heim. Sie passt nicht in das Gesellschaftsbild der DDR sie hat schlechte Noten, schwänzt die Schule und neigt zu Wutausbrüchen. Was niemand weiß: Das alles ist eine Folge der Vergewaltigungen durch ihren Stiefvater über Monate hinweg. Als sie sich der eigenen Mutter anvertraut, sagt die nur: Erzähl das keinem. Dann komme ich ins Gefängnis und du ins Heim. Doch irgendwann erträgt das junge Mädchen es einfach nicht mehr, dass sich der nach Zigaretten und Alkohol stinkende Stiefvater fast jede Nacht zu ihr ins Bett schleicht und sie missbraucht. Zunächst reißt es aus. Doch es wird gefasst, kommt wieder zur Mutter. Schließlich versucht Heidemarie sich das Leben zu nehmen mit Tabletten aus dem Arzneischrank der Mutter. Daraufhin entzieht das Jugendamt der Mutter das Sorgerecht und steckt Heidemarie in ein Kinderheim. Da sie mehrfach entweicht wie die Flucht aus einem Heim im DDR-Jargon bezeichnet wird , kommt sie in den größten Jugendwerkhof der DDR nach Burg (bei Magdeburg). Auch hier haut Heidemarie ab, weil sie die Brutalität hinter den Heimmauern nicht erträgt. Sie wird erneut gefasst. Diesmal kommt sie nach Torgau. Vom Wächter geprügelt An ihren ersten Tag erinnert sich Heidemarie Puls noch genau. Wir wurden behandelt wie Schwerverbrecher. Erst nachdem wir durch die zweite Sicherheitsschleuse gefahren waren, durften wir aussteigen, erzählt sie. Im Flur im Erdgeschoss des Haupttraktes lässt man sie über eine Stunde stehen. Weil sie dringend auf Toilette muss, klopft sie an der Tür des Büros, öffnet und fragt, ob sie die Toilette benutzen dürfe. In dem Moment kam der Wächter mit einem Schlagstock raus und prügelte wie wild auf mich ein, erzählt sie. Wenn jemand Fragen stelle, sei er das. Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Nach den drei Tagen Einzelhaft hatte sich Heidemarie Puls wie alle anderen auch ins Kollektiv einzuordnen. Insgesamt 60 Jugendliche waren im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau untergebracht zwei Jungen- und eine Mädchengruppe. Alle haben sich einem militärischen Befehlston, eiserner Disziplin und strengen Regeln unterzuordnen. Jede Minute des Tages ist verplant. Aufstehen um 5:30 Uhr, dann Frühsport, waschen und Bettenbau. Frühstück um 7:15 Uhr, danach gings zur Arbeit. Und das alles im Laufschritt. Privatsphäre? Fehlanzeige. Der Gruppenzwang ging so weit, dass sogar alle gemeinsam auf Toilette gehen mussten. Und auch das nur zu festgelegten Zeiten. Furchtbarer Drill Im Umgang mit den Jugendlichen erinnerte zu DDR-Zeiten vieles an die Vergangenheit der Torgauer Anstalt als ehemaliges Wehrmachts-Sondergefängnis. Dabei wollte die DDR sich doch so gern von der Diktatur des Nationalsozialismus abheben und das moralisch überlegene System sein. Schafften drei Mädchen aus unserer Gruppe das vorgegebene Arbeitspensum nicht, gab es für die gesamte Gruppe kein Abendessen, erinnert sich Heidemarie Puls. Konnte umgekehrt jemand sein Mittag- oder Abendessen nicht schaffen etwa aus Krankheitsgründen gab es zusätzlich eine Extraportion, die gegessen werden musste. Sonst drohte Einzelhaft. Machte beim Sport, bei dem die Jungs und Mädchen häufig bis zum körperlichen Zusammenbruch getrieben wurden, jemand schlapp, gabs Strafrunden für die gesamte Gruppe. 100 Liegestütze waren normal auch für Mädchen. Ebenfalls gefürchtet der so genannte Torgauer Dreier eine Kombination aus Liegestütze, Hocke und Hochstrecksprung. Als einmal ein Mädchen im Hof vor Erschöpfung zusammenbricht und der Aufseher es mit Schlägen und Tritten zum Weitermachen bewegen will, brennen bei Heidemarie Puls die Sicherungen durch, wie sie sagt. Ich habe mich auf ihn gestürzt. Daraufhin wird sie vom Aufseher regelrecht zusammengeknüppelt. Vom Direktor vergewaltigt Offiziell gibt es keine Gewalt hinter Torgauer Mauern. Dabei prügeln die Aufseher nicht nur selbst, sondern lassen es bewusst zu, wenn die Gruppen abends Rache nehmen an den Schwachen und Langsamen, deretwegen sie Extra-Runden drehen mussten oder nichts zu essen bekamen. Für die Mädchen kam die Gefahr der Vergewaltigung hinzu. Heidemarie Puls wurde innerhalb von fünf Monaten zehn bis zwölfmal vergewaltigt. Nicht von Mithäftlingen, sondern von Horst Kretschmar jenem Anstaltsdirektor, der so stolz verkündete, man brauche im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau durchschnittlich drei Tage, um die Jugendlichen auf unsere Forderungen einzustellen. Am härtesten: Fuchsbau Doch das war noch nicht das Schlimmste, was Jugendliche in Torgau erlebten. Am schlimmsten war der Fuchsbau, sagt Heidemarie Puls mit bebender Stimme und starrem Blick. Zögerlich steigt sie die Stufen in den Keller hinab. Ihre Hände zittern. Ihr Atem stockt. Vor reichlich 35 Jahren, nachdem ein Erzieher sie bewusstlos geschlagen hatte, weil sie sich mit einem Schraubenzieher hatte umbringen wollen, wurde sie hier hinuntergeschleift und durch eine kleine Öffnung in der Wand in den so genannten Fuchsbau gestoßen. Er war die härteste Strafe. Ein dunkles Loch 1,30 Meter mal 1,30 Meter. Kein Fenster, kein Hocker, kein Eimer. Heidemarie Puls weiß nicht mehr, wie lange sie hier drin zugebracht hat. Zwei Tage, drei Tage wie lange kann ein Mensch ohne Nahrung und Flüssigkeit überleben? Was die damals 16-Jährige noch genau weiß: Mir tat alles so weh, dass ich nur noch einen Wunsch hatte: Ich wollte sterben. Doch sie stirbt nicht. Sie erwacht auf der Intensivstation. Einerseits ist es für sie wie eine zweite Geburt. Andererseits ist spätestens jetzt ihre Persönlichkeit gebrochen. Ich funktionierte fortan wie ein Roboter, wollte auf keinen Fall mehr anecken, um das, was ich da unten erlebt hatte, nie wieder durchmachen zu müssen, sagt sie rückblickend. Wussten die Anwohner in Torgau nicht, was sich hinter den Mauern des Geschlossenen Jugendwerkshofes abspielte? Angeblich nicht. Offiziell waren hier Kriminelle untergebracht. Doch wirkliche Verbrechen hat sich keiner der Inhaftierten zuschulden kommen lassen. Ein Gerichtsurteil war auch nicht notwendig. Es genügte, wenn etwa ein Lehrer ein Kind als verhaltensauffällig beim Direktor meldete. Eine Liste mit den Gründen für eine Einweisung in einen DDR-Jugendwerkhof findet sich in dem 2006 eingerichteten Dokumentationszentrum in Torgau: Sie reicht von A wie abartiges Verhalten bis Z wie Zwinkertick. Damit konnte faktisch jeder missliebige Jugendliche in einen Jugendwerkhof eingewiesen werden. Pfarrer: Haben weggeschaut Die Eltern der Kinder hatten in solchen Fällen im Übrigen kein Mitspracherecht. Ihnen wurde das Sorgerecht kurzerhand entzogen. Die Einwohner Torgaus, die Kirchgemeinde und die oppositionellen Gruppen kannten zwar den Gebäudekomplex mit seinen vier Meter hohen Mauern, protestierten aber nicht. Unser Wegschauen bedrückt mich heute noch, sagt Christian Sachse. Er war bis 1990 Pfarrer in Torgau. Wie bei wohl allen Insassen hat die Zeit in der Hölle von Torgau auch bei Heidemarie Puls tiefe Spuren hinterlassen. Geblieben sind nicht nur die seelischen Narben. Ich war danach nicht mehr der Mensch, als den mich Gott geschaffen hat, sagt die bekennende Christin. Seitdem sie von einem Aufseher so zusammengeschlagen wurde, dass ein Rückenwirbel angebrochen war und danach schief wieder zusammenwuchs, leidet sie unter starken Rückenschmerzen. Der Nahrungsentzug hat zu einer Kombination von Bulimie und Fresssucht geführt. Und aufgrund der Vergewaltigungen leidet die heute 52-Jährige unter einem Waschzwang. Keiner wurde zur Verantwortung gezogen Heidemarie Puls ist 17, als sie freikommt. Bei ihrer Entlassung muss sie ein Papier unterschreiben, dass sie nichts über die Zustände in den Jugendwerkhöfen erzählt. Erst 2004 werden die Erziehungsmaßnahmen in Torgau für rechtswidrig erklärt und die Opfer rehabilitiert. Drei Jahre und viele ärztliche Gutachten später wird Heidemarie Puls schließlich eine Opferrente bewilligt. Die Täter von damals wurden nicht belangt. Nachdem der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau am 7. November 1989 auf Anweisung des Ministeriums für Volksbildung geschlossen wurde, beeilte man sich, Beweise zu vernichten. Gitter und Zellentüren wurden in Nacht- und Nebenaktionen entfernt, Akten vernichtet. 1990 wurden die Erzieher von Torgau lediglich aus dem öffentlichen Dienst entlassen, einige zu einer Geldstrafe verurteilt. Horst Kretschmar, der Direktor und Obererzieher des Geschlossenen Jugendwerkhofes, wurde nicht mehr zur Verantwortung gezogen. Er starb wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer unter elendigen gesundheitlichen Umständen, wie ehemalige Mitgefangene Heidemarie Puls später berichteten. Genugtuung bedeutet das für sie nicht. Denn sie sinnt nicht auf Rache. Aber eine Botschaft hat sie doch besonders an alle noch lebenden Erzieher: Unsere Kindheit und Jugend habt ihr uns genommen. Aber den Rest unseres Lebens bekommt ihr nicht! Entschuldigt hat sich bisher übrigens nicht einer von ihnen. Ihnen hat der Artikel gefallen? 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