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| Benedikt XVI. und das Missbrauchsgutachten27. Jänner 2022 in Kommentar, 5 Lesermeinungen Gedanken über den Sinn von Aufklärung im Rahmen eines Privatgutachtens - Oft „wird es als gleichsam rechtskräftige Entscheidung angesehen, obwohl Privatgutachten keinerlei Rechtskraft entfalten“. Gastbeitrag von Rechtsanwalt Lothar Christian Rilinger München (kath.net) „Die Lüge Benedikts!“ – dieser Vorwurf geistert durch die Presselandschaft – auch durch die hoch intellektuelle -, um den emeritierten Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger, einen der größten Gelehrten unserer Zeit und zugleich erfolgreichsten Verfolger von Missbrauchstätern in der Kirchengeschichte, als untragbar abzuurteilen und seine Stimme unhörbar zu machen. Eine Lüge wird ihm vorgeworfen, weil er sich an eine Sitzung vor über 40 Jahren nicht mehr erinnern konnte. Der Vorwurf der Lüge schließt aber immer den Vorsatz, wenn nicht sogar die Absicht ein, was ihm auch noch inzidenter unterstellt wird. Ein Vorwurf bar der Substanz, aber voller ideologischer Motive, um die eigene Meinung von Kirche, Theologie und Philosophie, die der des ehemaligen Papstes diametral entgegensteht, zur Durchsetzung zu bringen. Dabei wird allerdings vergessen, was für ein großes Entgegenkommen Benedikt gezeigt hat, als er sich bereit erklärt hat, auf die Fragen der vom Erzbistum München-Freising beauftragten und bezahlten Anwälte zu antworten. Diese sind mit keinerlei rechtlichen Kompetenzen ausgestattet und sind darüber hinaus nur beauftragt worden, ein reines, im Grunde unerhebliches Privatgutachten zu erstellen. Wer sich nur ein wenig mit Gerichtsverfahren auskennt, weiß um die Problematik, die Privatgutachten immanent ist. Wer privat ein Gutachten erstellen lässt, muss nicht nur die gesamten Kosten der Gutachter übernehmen, sondern hat auch ein besonderes Interesse am Ergebnis. Da im Regelfall Gutachter bekannt sind, und man weiß, wie in anderen gleich gelagerten Angelegenheiten die Wertungen ausgefallen sind, erwartet der Auftraggeber zwar nicht, dass die eigene Meinung bestätigt wird, er erhofft es sich aber gleichwohl. Das Erzbistum, vertreten durch den Erzbischof, Kardinal Marx, hat Kenntnis darüber, zu welchem Ergebnis die Gutachter in der Angelegenheit des Erzbistums Köln gelangt sind. Der Auftraggeber aus München konnte infolge dessen hoffen, dass auch den Gegnern seiner eigenen Auffassung von Kirche in dem noch zu erstellenden Gutachten verwerfliches Handeln unterstellt werden könnte. Im Hintergrund spielt offensichtlich auch eine Rolle, dass Kardinal Marx eine andere Auffassung als Papst em. Ratzinger von der Zukunft der Kirche hat. Während Kardinal Marx die Zukunft durch den sogenannten Synodalen Weg eröffnet sieht, ist Benedikt ein strikter Gegner, da er die Kirche als Weltkirche auf den Grundfesten Evangelium und Tradition fußend betrachtet und er deshalb einer Protestantisierung der deutschen Ortskirchen nicht das Wort redet. Durch diese Differenz ist möglicherweise eine Voreingenommenheit der für Kardinal Marx tätigen Gutachter, die sich in einer subjektiv gefärbten Argumentation zeigen könnte, nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Im Gegensatz zu den von Parlamenten beauftragten Sonderermittlern, sind die Autoren des Missbrauchsgutachten nicht befugt, sich auf gesetzliche Regelungen zu stützen, um die Aufklärung durchzuführen. Sie haben deshalb nicht die Möglichkeit, Zwangsmaßnahmen anzudrohen, wenn ein Befragter nicht bereit ist, auf die Fragen zu antworten – zumal der Befragte keinerlei Möglichkeit hat, sich gegen falsche Behauptungen oder Wertungen zu wehren. Die Gutachter können derartige Einwendungen als unerheblich verwerfen und können nicht gezwungen werden, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Es hängt ausschließlich vom Wohlwollen der Gutachter ab, ob sie Einwendungen berücksichtigen wollen oder aber unberücksichtigt lassen. Allein hierdurch wird deutlich, dass Privatgutachten ein untaugliches Mittel sind, um sozusagen die staatsanwaltliche Aufklärungsarbeit zu ersetzen. Obwohl das Privatgutachten, das Kardinal Gerhard Ludwig Müller als Auftragsgutachten bezeichnet, möglichst objektiv erstellt werden sollte, stellt es auch unvermeidlich eine subjektive Meinung dar. Und trotzdem: In der Öffentlichkeit wird es als eine gleichsam rechtskräftige Entscheidung angesehen, obwohl Privatgutachten keinerlei wie auch immer geartete Rechtskraft entfalten können. In einem Gerichtsverfahren haben sie deshalb auch keine nennenswerte Bedeutung, da im Regelfall nur auf der Grundlage des Gutachtens, das vom Gericht bestellt worden ist, entschieden wird, wobei sich der gerichtlich beauftragte Gutachter allerdings mit den Privatgutachten auseinandersetzen muss, wenn es das Gericht bestimmt. Streng genommen kann das Missbrauchsgutachten nur eine Vorbereitung für ein Gerichtsverfahren sein, in dem die Betroffenen sich rechtsförmig verteidigen können. Das Missbrauchsgutachten ist als ein Privatgutachten lediglich ein Parteigutachten, das das Erzbistum in Auftrag gegeben hat. Der Auftrag ist nicht von dritter Seite, von einer unabhängigen Institution erteilt worden, deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, wie es bei Parteigutachten üblich ist, dass die Interessen des Auftraggebers berücksichtigt worden sind. Im Übrigen ist diesem Privatgutachten der drei Gutachter zu eigen, dass allzu oft von einem Anfangsverdacht gesprochen wird, was bekanntlich noch nicht zu einer Anklageerhebung reicht. Allerdings wird aus dem Anfangsverdacht schon das Urteil konstruiert. Die Ankläger, als die sich die Gutachter gerieren, mutieren sofort zum Richter, um ein Urteil zu fällen, das formaljuristisch zwar kein Urteil ist, doch, wie die Reaktion der Presse und der Bevölkerung bewiesen haben, tatsächlich diese Qualität angenommen hat. Um aber diesem Anspruch gerecht zu werden, hätte es den Gutachtern oblegen, eine Beweisaufnahme vorzunehmen und diese auch zu dokumentieren. In den jeweiligen Kapiteln ist nicht zu lesen, dass sie sich mit den Argumenten von Benedikt substantiell auseinandergesetzt hätten. Ihre Schlussfolgerungen sind von Zweifeln durchzogen, die aber letztendlich unberücksichtigt geblieben sind. Zwar haben sich die Gutachter anfänglich auf das Prinzip der Unschuldsvermutung bezogen, doch in den Zusammenfassungen, die das Urteil beinhalten, ist hiervon nichts mehr zu merken. Dem eigenen Anspruch wollten sie wohl nicht mehr genügen. Auch wenn sich aus den Akten ergeben könnte, dass Erzbischof Ratzinger mit den straffälligen Personen gesprochen haben soll, so ist nur die Tatsache aktenkundig, dass ein Gespräch stattgefunden hat. Aus den Akten ist allerdings nicht ersichtlich, über was gesprochen worden ist. Der Inhalt wird aber von den Gutachtern im Rahmen einer reinen Spekulation als bekannt angenommen, wobei sich die Spekulation nicht als ein gerichtsfester Beweis zeigt, sondern lediglich als eine Wahrscheinlichkeit oder auch Hoffnung, um den Verstoß begründen zu können. Wenn aber ein Verstoß nicht schlüssig – auch durch Indizien – nachgewiesen werden kann, dann muss zwingend der Vorwurf fallen gelassen werden. So sieht es nun einmal die Rechtsordnung, die keine ideologische Betrachtungsweise zulässt, vor. Befremdlich wirkt das Gutachten, wenn zu lesen ist, Benedikt bediene sich Stereotypen wie fehlender Sachverhaltskenntnisse. Es sei deshalb darin erinnert, dass im Fall Kardinal Ratzingers Vorfälle, die vor vierzig Jahren aufgetreten sind, behandelt werden. Wer sich noch nach vierzig Jahren daran erinnert, an welcher Sitzung er an einem bestimmten Tag teilgenommen hat, dürfte ein Übermensch sein. Wenn Benedikt an einem solchen Tag tatsächlich an der inkriminierten Sitzung teilgenommen hätte, wäre es durch seine Unterschrift im Protokoll nachgewiesen – was der Fall ist. Die Gutachter wären deshalb verpflichtet gewesen, Benedikt vorab auf das Protokoll hinzuweisen, schließlich hat er sich freundlicherweise und freiwillig bereit erklärt, in diesem nicht formellen Verfahren mitzuwirken. Nachdem das Gutachten veröffentlicht worden ist, hat Benedikt den Vortrag überprüft und sofort eingeräumt, selbstverständlich an der Sitzung teilgenommen zu haben. Es wäre daher angebracht gewesen, Benedikt vor Veröffentlichung des Gutachtens auf die Unstimmigkeit in seiner Einlassung hinzuweisen. Aus welchem Grund dieser Hinweis nicht erfolgt ist, kann nur spekuliert werden. Allein durch dieses Unterlassen seitens der Gutachter zeigt sich der besondere Charakter dieses Privatgutachtens. Hätte man Benedikt vorab hierauf hingewiesen, hätte man sich allerdings eines Trumpfes begeben. Und es zeigt sich, dass die Regeln der Objektivität in diesem Privatgutachten – zumindest in Teilbereichen – missachtet worden sind. Es wäre auch ein Akt der Fairness gewesen – eine rechtliche Verpflichtung ist nicht gegeben, da das gesamte Verfahren nicht normiert ist –, Benedikt vor Veröffentlichung des Gutachtens auf seinen Fehler hinzuweisen, was aber nicht erfolgt ist. Inzwischen hat Benedikt den Fehler eingeräumt, was er im Übrigen auch sofort vorgenommen hätte, wenn ein gutachterlicher Hinweis vorab erteilt worden wäre. Interessant ist auch, über welche Frage in der inkriminierten Sitzung verhandelt worden ist. Laut Erzbischof Gänswein wurde nicht über die seelsorgerische Verwendung des Priesters gesprochen, sondern lediglich darüber, wie der Priester untergebracht werden könnte. Da sich dieser Sachverhalt aus den Akten ergibt, hätte er vor Publizierung des Gutachtens Benedikt vorgehalten werden müssen. Dann wäre es bei rechtzeitiger Korrektur dem vormaligen Papst – immerhin der größte Aufklärer von Missbräuchen in der römischen Kirche – erspart geblieben, von Journalisten als Lügner bezichtigt und beschimpft zu werden, und es wäre keine Möglichkeit geschaffen worden, festgemacht an den Anschuldigungen Papst em. Benedikt gegenüber, die Kirche insgesamt anzugreifen und für überholt zu erklären. Der Staat und andere Institutionen, die in denen Missbrauch in erheblich höherem Maße stattgefunden hat, haben sich mit der Aufklärung bisher außerordentlich bedeckt gehalten, und die Presse hat diese Zurückhaltung kaum thematisiert, was verwunderlich ist. Nicht hinzunehmen ist die Bemerkung der Gutachter, Benedikt habe sich nur auf das bezogen, was als Akteninhalt festgehalten worden ist. Man könnte meinen – und dieser Hinweis sei mir erlaubt – die Gutachter hätten noch nie einen Prozess geführt. In dem Gutachtenverfahren, das die Ausgestaltung eines Tribunals nicht verhehlen kann, wird der als Betroffener angesehene Benedikt doch nicht mehr vortragen, als das, was sich aus der Akte der Gutachter ergibt. Unabhängig davon, dass er sich eventuell – was aber im vorliegenden Fall ausgeschlossen ist – nicht selbst belasten müsste, obliegt es den beauftragten Anwälten, die Aufklärung zu betreiben. Auch wenn Benedikt bereit war, mitzuhelfen, die Fälle aufzuklären, so wäre es deshalb Aufgabe der Gutachter gewesen, entsprechende Fragen, auch bohrende, zu stellen, schließlich werden sie dafür vom Erzbistum honoriert. Das Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München/Freising hat wiederum den Beweis erbracht, wie wenig solche Auftrags- oder Privatgutachten geeignet sind, Licht in das Dunkel von Vorgängen zu bringen. Auch wenn zweifelsohne versucht wird, objektiv zu ermitteln, kann das subjektive Element nie ausgeschlossen werden, und im vorliegenden Fall ist es auch nicht unbeachtet geblieben. Dieses Moment ist nun einmal einem Privatgutachten immanent. Hiergegen spricht auch nicht, dass ebenfalls dem Auftraggeber, Erzbischof Kardinal Marx, Fehlverhalten unterstellt wird. Aber das ist ein anderes Feld, um das sich andere kümmern müssen. Wir Gläubige und Mitglieder der Kirche können nur hoffen, dass die Aufklärung in der Kirche von einer objektiv arbeitenden und an Normen gebundene Institution in Angriff genommen wird. Der Missbrauch – und das muss immer beachtet werden – hat in der sichtbaren Kirche, in der Kirche der Menschen, stattgefunden, dort, wo mit der Erbsünde belastete Personen tätig sind. Hiervon unberührt bleibt aber die von Jesus Christus selbst gestiftete unsichtbare Kirche. Sie basiert auf göttlichem Recht und ist deshalb der Sündhaftigkeit der Menschen entzogen. Diesen Unterschied sollte man sich immer vor Augen führen. Menschen, ob Priester oder nicht, die gefehlt haben, müssen der staatlichen Gerichtsbarkeit zugeführt werden. Sie haben keinen Platz in der sichtbaren Kirche. Demjenigen von 1,3 Milliarden römischen Katholiken, der sich als derjenige hervorgetan hat, der am schärfsten gegen Missbrauchstäter vorgegangen ist und hunderte Geistliche laisiert hat, da sie durch Missbrauch straffällig geworden sind, Papst em. Benedikt XVI., wird nun mit fadenscheinigen, unerheblichen Argumenten ohne Substanz – mit Vermutungen – unterstellt, sich ebenfalls fehlerhaft verhalten zu haben. Auch wenn die Gutachter im Auftrag von Kardinal Marx tätig geworden sind – es wäre angebracht gewesen, zwar nicht Benedikt a priori unberücksichtigt zu lassen, doch ihn, da für ein Tribunal keine gesetzlichen Regelungen bestehen, wenigstens in Ansehung seiner Bedeutung für die Geschichte insgesamt und für die Kirchengeschichte, für die Theologie und Philosophie mit Fairness und mit einem gewissen Respekt, dem natürlichen Respekt gläubiger Katholiken ihrem höchsten Repräsentanten auf Erden gegenüber, zu behandeln. kath.net-Buchtipp - Neuerscheinung! Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R. und stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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