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| "Papst Benedikt XVI. gehört zum Weltkulturerbe"3. Jänner 2023 in Kommentar, 11 Lesermeinungen Bei „beispielloser medialer Rufmordkampagne hielt das deutsche Episkopat sehr still“ – „Der mediale Kampf gegen ihn scheint auch posthum weiterzugehen“, z.b. in „negativen Narrativen in Nachrufen“. Kommentar des evangelischen Pfarrers Jürgen Henkel Vatikan (kath.net/jh) Das starke Herz eines großen Theologen, Kirchenlehrers, Bischofs und Papstes hat aufgehört zu schlagen: der emeritierte Pontifex Benedikt XVI. ist heimgegangen zum Herrn. Er kann nun schauen, was er immer geglaubt hat. Man muss hoch greifen, um Persönlichkeit, Leben und Werk von Papst Benedikt XVI. – 1927 in Bayern unter dem Namen Joseph Ratzinger geboren – angemessen zu würdigen. Joseph Ratzinger war Bayer, Bischof und Kirchenlehrer – und seit den Päpsten Leo dem Großen († 461) und Gregor dem Großen († 604) der herausragendste Theologe und Denker auf dem Papstthron. Die Bewahrung des christlichen Europa und das Werben für eine von christlichen Werten geprägte Welt war für ihn Aufgabe und Herausforderung zugleich. Er wusste sich darin einig mit dem legendären Kaisersohn und langjährigen CSU-Politiker Otto von Habsburg (1912-2011). Dieser warnte schon in den 1980er Jahren, Europa werde im 21. Jahrhundert christlich sein – oder es werde nicht mehr Europa sein. Joseph Ratzinger sah dies ähnlich. Er wirkte unbeirrt als Missionar, der die christliche Botschaft in Treue zu Lehre und Tradition vermittelte, gleichzeitig aber in beispielloser intellektueller Brillanz auch vor Vernunft und Gegenwart zu verantworten verstand. Joseph Ratzinger vollbrachte die geistige wie geistliche Meisterleistung, Offenbarung, Glauben und Vernunft in eine philosophisch, theologisch und spirituell brillant begründete und auch für modernes intellektuelles Denken tragfähige Synthese zu bringen, die er auch im Dialog mit Jürgen Habermas präsentierte. Mit dem 1929 geborenen Habermas und Ratzinger begegneten sich zwei fast gleichaltrige Giganten des europäischen Denkens mit weltweiter Ausstrahlung. Negative Narrative in den Nachrufen Hinweise darauf findet man indes selten bis kaum in den vielen säuseligen Nachrufen in den öffentlich-rechtlichen „Staatssendern“ und den Privatsender oder auch im Print von den Leitmedien bis zu Regionalzeitungen. Manche dieser Texte bilanzieren die Amtszeit Benedikt XVI. in unübertrefflicher Ignoranz, frappierender Unkenntnis und bestürzender Einseitigkeit als „Pleiten-Pech-und-Pannen-Pontifikat“ eines „Übergangspapstes“, wohl um ihren Lesern, Zuschauern und Hörern bis ins letzte Dorf die speziell in Deutschlands Medien angesagten negativen Narrative zu Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. zu servieren. Nachdem die ARD am Samstagvormittag des Todestages eine zweistündige erstaunlich wie erfreulich konstruktiv-differenzierte Sondersendung brachte, hat es nicht lange gedauert, bis die Medien im Herkunftsland dieses großen Papstes wieder in ihre alten Gefechtsstände kletterten und die gewohnten Stereotypen wiederkäuten, angefeuert von Funktionären linkskatholischer Reformgrüppchen, die eine andere Kirche wollen, und sogenannter Kirchen- und Papstkritiker. Die meisten der Nachrufe beißen sich im üblichen deutschen Kleinmut am Missbrauchsskandal fest und werden dem Lebenswerk dieser Ausnahmepersönlichkeit meist nicht einmal im Ansatz gerecht. Dabei setzte Ratzinger auch im Missbrauchsskandal Zeichen, als Kurienpräfekt wie als Papst. Er hat rund 400 Missbrauchspriester suspendiert, er hat das Kirchenrecht dazu verschärft wie nie zuvor und Verfolgungsfristen verlängert. Er hat dies erstmals überhaupt als Straftatbestand festgeschrieben und bei Begegnungen mit Opfern immer wieder sein tiefes Bedauern zum Ausdruck gebracht. Als Papst sprach er von „Schmutz in der Kirche“ und geißelte wie kein Pontifex vor ihm das Versagen kirchlicher Amtsträger. Ganze deutsche Journalistengenerationen haben es sich über Jahrzehnte zur Lebensaufgabe gemacht, Joseph Ratzinger als Theologen, Präfekten der Glaubenskongregation und später als römischen Pontifex zu kritisieren und zu bekämpfen. Die meist eifernde wie geifernde Meute stürzte sich auch noch auf den 95jährigen, als dieser sich zunächst nicht mehr genau erinnern konnte, ob er 1980 bei einer Routinesitzung im Ordinariat seiner Erzdiözese München teilgenommen hatte. Bei den Erinnerungslücken des 30 Jahre jüngeren Bundeskanzlers O. Scholz zum nur kurz zurückliegenden milliardenschweren Wirecard-Skandal waren die gleichen deutschen Medien hingegen erstaunlich gnädig. Mehrheit und Wahrheit Neben der theologischen und kirchenpolitischen Prinzipientreue Ratzingers befremdete vor allem sein Anspruch, Politik, Staat und Gesellschaft von christlichen Werten geprägt wissen zu wollen und politische Mehrheitsentscheidungen immer auch an Schöpfungsordnung, Naturrecht und die Wahrheit zu binden. Überragend war in diesem Zusammenhang seine Rede im Deutschen Bundestag 2011; beispielhaft konzentriert und bis heute treffend wie brillant begründet finden sich seine Überlegungen bereits in einer kleinen Schrift von 1993 („Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft“). Ratzingers Überzeugung war immer, dass Politik, Macht und Mehrheit stets an Recht und Wahrheit gebunden zu bleiben haben und Ethik und Moral sich nicht auf situative tagesaktuelle Verständigungsmehrheiten im Sinne einer Umfragenethik oder einer Quotenmoral reduzieren darf. Schon 2005 hat er in seiner denkwürdigen Predigt zur Eröffnung des Konklave eindringlich vor der „Diktatur des Relativismus“ gewarnt. Diese Schwelle scheint heute in der EU und besonders in Deutschland tatsächlich überschritten. Denn genau so eine von „religiösen Altlasten“ „befreite“, säkularisierte und im Idealfall mehrheitlich agnostische zivil-pagane – ja buchstäblich gottlose – EU schwebt vielen Mächtigen, Meinungsmachern und Multiplikatoren in Medien und Politik, im Kulturbetrieb und in der Gesellschaft und auch an den bürokratischen Schalthebeln der Macht in Brüssel heute vor. Die christliche Religion soll dafür zunehmend ins Privatleben verbannt werden, Kreuze und biblische Zitate in der Öffentlichkeit wieder einmal verschwinden. Eine der wichtigsten Stimmen der letzten Jahrzehnte gegen diese Entwicklung ist nun für immer verstummt. Künftig wird Papst Benedikt XVI. in den zahllosen publizierten Werken, Enzykliken, Predigten und Ansprachen seines Monumentalwerks zu uns sprechen, die seine Botschaft kraftvoll weitergeben. Und die Welt täte gut daran, darauf auch weiterhin zu hören. In einer Politik, Gesellschaft und Welt, die heute Ideologie an die Stelle der Biologie setzt und die Definition des Menschseins freier Entscheidung und Abstimmung überlässt, die Abtreibung als „Menschenrecht“ propagiert und die Sinnfrage rein diesseitig nach dem Lust- und Konsumprinzip beantwortet und gleichzeitig apokalyptischen Weltuntergangsphantasien frönt, statt nach Gott zu fragen, musste ein Theologe und Kirchenmann wie Joseph Ratzinger stets innerkirchlich, politisch, medial und gesellschaftlich als Provokateur erscheinen. Hier sei das Bonmot von Winston Churchill in Erinnerung gerufen: „Du hast Feinde? Gut! Das bedeutet, dass du in deinem Leben für etwas eingetreten bist.“ Wobei der trotz aller Klarheit seines Wortes und seiner Entscheidungen als Bischof, Glaubenspräfekt und Papst so bescheidene und manchmal sogar scheu wirkende Mensch Joseph Ratzinger nie in Kategorien von Feindschaft dachte. Kaum eine Person löste freilich seit Jahrzehnten im Blick auf die angestrebte Erschaffung des neuen bindungsfreien, a-religiösen und maximal selbstverwirklichten Menschen ein solches Ausmaß an rhetorischem Reizhusten, an Empörungs- und Abwehrreflexen bei den selbstberufenen Propheten dieser „schönen neuen Welt“ aus wie die Person von Papst Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger. Er galt allen Adepten des antikirchlichen und antichristlichen Kulturkampfes seit 1968 stets als Reaktionär par excellence. Die beispiellose mediale Rufmordkampagne gegen den Emeritus Benedikt XVI. selbst noch in den letzten Lebensmonaten verfolgten vor allem das Ziel, Joseph Ratzinger ganz persönlich und sein Lebenswerk insgesamt nachhaltig zu diskreditieren und die negativen Narrative zu verewigen. In dieser Hinsicht wurde durchaus auch der Missbrauchsskandal missbraucht. Es wurden Fake News über Benedikt XVI. verbreitet. Das deutsche Episkopat hielt dabei sehr still. Manche schienen sogar dankbar, dass die Medien sich auf die kurze Zeit Ratzingers als Erzbischof von München stürzten. Dieser Fokus ersparte manch amtierenden Bischöfen viel kritische Fragen und Berichterstattung zu eigenen handfesten Versäumnissen aus viel späterer Zeit. In den 1980er Jahren forderten die frisch ins politische Dasein geschlüpften Grünen übrigens gerade die Entkriminalisierung sexueller Handlungen an Kindern. Daran sei nur angesichts der grenzenlosen Heuchelei hierzulande bei diesem Thema erinnert. Diese Attacken wirkten zuletzt wie ein später Rachefeldzug von Leuten, die Joseph Ratzinger noch nie ausstehen konnten, weil er immer für eine Kirche mit Klarheit in Theologie, Bekenntnis und Botschaft, Liturgie und Lehre stand, die viele herzinniglichst ablehnen, weil sie sich ihren Glauben gerne selbst zimmern und ihr Bild von Kirche selbst malen wollen. Darin hatten solche Individualisten in Joseph Ratzinger stets einen entschiedenen Gegner. Denn die Kirche ist von Christus geschenkt, gegeben, gestiftet und gesetzt. Sie entzieht sich menschlichen Wunschvorstellungen, sie ist kein Verein und keine NGO mit am Schreibtisch oder Vereinsstammtisch selbst gepinselter Vereinssatzung. Wurden „hohe“ oder schlicht falsche Erwartungen enttäuscht? Viele „hohe Erwartungen“ habe Papst Benedikt XVI. nicht erfüllt, heißt es nun. Dabei waren es oft schlicht und ergreifend falsche Erwartungen. Mit seiner Erklärung „Dominus Iesus“ hat er im Jahr 2000 noch als Kardinal nichts anderes getan, als die katholische Lehre von der Kirche zu unterstreichen. Auch in Erfurt 2011 konnte er als Papst den Protestanten nicht mehr „anbieten“. Und das katholische Verständnis von Kirche lässt sich wahrlich nicht mit dem in Einklang bringen, wie sich der Protestantismus im deutschsprachigen Raum heute als Klima-, Zuwanderungs- und Gender-Lobby präsentiert – darin freilich in Deutschland nicht unimitiert von katholischen Bischöfen und Kreisen. Da war Benedikts kirchenpolitische Distanz von 2011 in Erfurt nachgerade prophetisch. Gleiches gilt für Themen wie Abtreibung, Homosexualität und Frauenordination. Die Perspektive eines Papstes ist nämlich grundsätzlich die große weite Welt, seine Aufgabe die Bewahrung der katholischen Lehre für die gesamte Weltkirche, nicht die Befriedigung von Modernisierungsbedürfnissen deutscher Journalisten und Linkskatholiken oder protestantischer Gesprächspartner. Ein monumentales Werk als Weltkulturerbe Vieles wäre noch zu erwähnen, vieles noch zu würdigen: vom Weltjugendtag 2005 in Köln bis zu jenem legendären Interview noch als Kurienkardinal mit dem Generalintendanten der Bayerischen Staatsoper und praktizierenden Katholiken August Everding vom April 1998 im Bayerischen Fernsehen (Video und Mitschrift sind im Internet abrufbar). Selten wurde so geistreich und pointiert im Fernsehen über den Vatikan und den Glauben parliert wie bei diesen beiden Großmeistern des Wortes auf einem Spaziergang durch Räume der Glaubenskongregation. Wer sich wirklich mit Joseph Ratzinger bzw. Benedikt XVI. als Theologen, Kirchenmann und Papst beschäftigt, der kann sich nur dankbar verneigen vor dieser großen Persönlichkeit und dessen Lebenswerk. Die bahnbrechenden Schriften seines theologischen Monumentalwerks gehören jetzt schon zum Weltkulturerbe von Theologie und Kirche, von seinen frühen Schriften bis zu dem beeindruckenden Alterswerk der Jesus-Trilogie, die er noch zwischen 2007 und 2012 als amtierender Papst verfasste. Nach Tiefe und Reichtum des Inhalts, Klarheit und Präzision der Gedanken und der Darstellung und der Schönheit und Poesie seiner Sprache ist Ratzingers Werk nachgerade unerreicht und uneinholbar. Nicht umsonst gilt Joseph Ratzinger als „Mozart der Theologie“! Wir können Gott dem Herrn nur danken, dass Er uns diese große Persönlichkeit geschenkt hat. Gerade weil der mediale Kampf gegen ihn posthum weiterzugehen scheint, gilt nun umso mehr: Möge Er in Frieden ruhen und das Ewige Licht leuchte ihm! Dr. Jürgen Henkel (Selb) ist Gemeindepfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern, Professor h.c. an der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca in Rumänien und Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“ (Schiller Verlag Bonn).
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