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Christsein in der pluralistischen Gesellschaft

14. Februar 2024 in Kommentar, 6 Lesermeinungen
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Nur wenn es der Kirche gelingt, ihren Gläubigen eine Spiritualität zu vermitteln, die ihnen hilft, ihr Christsein mitten in der postchristlichen Gesellschaft zu leben, wird sie wieder blühen. Gastkommentar von Martin Grichting


Chur (kath.net)

Angesichts der rasanten Säkularisierung der westlichen Gesellschaften, die in eine postchristliche Ära zu münden droht, stellt sich für die Kirche immer dringender die Frage: Wie kann heute der christliche Glaube solche Gesellschaften durchdringen?

Die im deutschsprachigen Raum vorherrschende Antwort lautet, dass die Kirche sich dem gesellschaftlichen Glaubens- und Meinungspluralismus anpassen müsse. Dies deckt sich mit einer verbreiteten Erwartung an die Kirche: Um sich in der pluralistischen Gesellschaft bewegen zu können, müsse sie selbst pluralistisch werden. Das Eintrittsticket in die feine Gesellschaft bestehe also darin, dass die Kirche ihren Wahrheitsanspruch ablege. Auf synodalen Wegen ist man daran, sich diesem Diktat zu unterwerfen.

Das II. Vatikanische Konzil hat eine andere Antwort gegeben. Es hat kein Jota dessen preisgegeben, was die Kirche überliefert hat. Aber der Glaubensschatz der Kirche sollte neu in die Gegenwart hinein vermittelt werden. Das sollte jedoch nicht bedeuten, ihn zu verwässern, sondern, wie Joseph Ratzinger in „Salz der Erde“ (1996) betont hat, ihn wieder „in seiner ganzen Wucht anzubieten“. In erster Linie sollte dies, von der Theologie unterstützt, die Aufgabe der Hierarchie sein. Den Laien sollte es dann zukommen, dem, was christlich ist, in der zivilgesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit Nachachtung zu verschaffen. Ihre Mündigkeit sollte nicht darin bestehen, die Bischöfe in deren Sendung zu konkurrenzieren, sondern selbstverantwortlich, erwachsen, in der Gesellschaft Zeuginnen und Zeugen des Glaubens zu sein. Das IV. Kapitel der Dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ ist diesbezüglich die Magna Charta.


Philosophen wie Alexis de Tocqueville (1805-1859) haben der Kirche schon hundert Jahre zuvor diesen Weg aufgezeigt. Nicht mehr die Hierarchie sollte durch Deals mit den Herrschenden über die Köpfe der Gläubigen hinweg den Staat und die Gesellschaft direkt christlich zu formen versuchen. So war es vor der Französischen Revolution üblich gewesen. Nunmehr sollte die Trennung von Staat und Kirche, verstanden als Institutionen, gelten. Denn die Staaten waren nun eben nicht mehr formell christlich bzw. katholisch. Deshalb sollte es jetzt der Auftrag der Christen als Bürger sein, die Aufgabe zu übernehmen, die einst ihre Bischöfe für sie weithin wahrgenommen hatten. Die Religion sehe, so stellte Tocqueville in seinem bahnbrechenden Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840) fest, „in der politischen Welt ein Arbeitsfeld, das Gott dem Geiste erschlossen hat“. In späteren Stellungnahmen betonte er, es gehe nun unter den Bedingungen der Demokratie von neuem darum, „den Geist des Christentums in die Politik einfliessen zu lassen“. Dies solle nun jedoch in neuartiger Weise geschehen: „Ich verlange von den Priestern, denen die Erziehung der Menschen aufgetragen ist oder die auf sie Einfluss haben, nicht, diesen Menschen die Gewissenspflicht aufzuerlegen, die Republik oder die Monarchie zu bevorzugen. Aber ich wünsche, sie möchten ihnen öfter sagen, dass sie gleichzeitig zur Tatsache, dass sie Christen sind, einer der grossen menschlichen Vereinigungen angehören, die Gott zweifellos eingerichtet hat, um die Bande sichtbarer und wahrnehmbarer zu machen, welche die Individuen aneinanderbinden. Es sind die Vereinigungen, die Völker heissen und deren Territorien man Heimatland nennt. Diesem Kollektiv gegenüber ist es nicht erlaubt, in Gleichgültigkeit zu verfallen. Denn alle sind verpflichtet, beständig für dessen Gedeihen zu arbeiten und darüber zu wachen, dass sie nur wohltätigen, respektablen und legitimen Autoritäten unterworfen sind“.

Tocqueville und das II. Vatikanische Konzil haben mit ihren Einsichten bewiesen, dass sie den Geist der Neuzeit verstanden haben. Diese lebt nicht mehr in Ständen, Sondergesellschaften und Korporationen. Vielmehr zählt in der Gesellschaft der Freien und Gleichen primär das Individuum, als Bürger und als Christ. Die Hauptaufgabe der Hierarchie wäre es deshalb, den Gläubigen eine Spiritualität zu vermitteln, die ihnen hilft, als mündige Christen selbstbewusst Staat und Zivilgesellschaft christlich zu prägen. Denn wenn sie diese Wirklichkeiten nicht prägen, werden sie von ihnen geprägt.

Martin Grichting war Generalvikar des Bistums Chur. Sein neues Buch vertieft die Thematik des obigen Beitrags: „Religion des Bürgers statt Zivilreligion. Zur Vereinbarkeit von Pluralismus und Glaube im Anschluss an Tocqueville (Schwabe Verlag, Basel 2024, 108 Seiten, EUR 23.00, ISBN 978-3-7965-5060-7).

 

 


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Lesermeinungen

 lesa 15. Februar 2024 

Der Verzicht auf Wahrheit ist die Ursache der Krise (Benedkt XVI.)=

"Wir müssen uns vom Evangelium die Wahrheit vorgeben lassen bevor wir darüber nachdenken, wie sie ankommt und wie wir sie anbringen." ( J. Kard. Cordes)
Die Wahrheit, die Christus ist, durch die Kirche, die sein Leib ist, weitergegeben ind der Überlieferung selber glauben. Die Taufgnade entfachen, die Inkarnation, die Sakramentalität der Kirche betend glauben und ins Leben aufnehmen lernen, die Lehre studieren und weitergeben.
Theologen und Vertreter des Lehramtes sollten Irrtümer, die in den Konzilstexten und im NO vorkommen, ehrlich anschauen, ohne das ganze Konzil als schlecht zu erklären. Sie sind Krebszellen, die die Neuevangelisierung verhindern.
Zweideutige Schreiben wie Fiducia Supplicans von den Menschen fernhalten durch klare Abweisung.
Weniger reden, mehr beten.


1
 
 modernchrist 14. Februar 2024 
 

Dazu soll uns die Kirche und die Hierarchie befähigen:

".....als mündige Christen selbstbewusst Staat und Zivilgesellschaft c h r i s t l i c h zu prägen."
Wer anders soll denn christliche Politik betreiben als engagierte Christen? Daher ist es nicht sinnvoll, dass sich seit Jahrzehnten die engagierbereiten Katholiken in kirchlichen Laiengremien tummeln - und dort natürlich durch Reformforderungen und allerlei Sonstiges ihre Existenzberechtigung beweisen wollen. Rein in die Politik, rein in die Parteien! Eloquente Politiker als zugewählte Einzelpersonen in diesen Gremien halte ich für völlig verfehlt: Sie bringen ihr politisches Denken (Suche nach Kompromiss, nicht nach der Wahrheit) ein und drängen sich meist ins katholische Rampenlicht. Diese Gremien saugen Charismen und Begabungen auf, die in den Parteien fehlen! Es ist nicht, wie Grichting richtig sagt, Aufgabe der Laien, die Kirche zu reformieren, sondern die Gesellschaft christlich zu formen! Wir sollten das Licht nicht um den Altar herum tragen, sondern hinaus in die Welt!


1
 
 gebsy 14. Februar 2024 

Vergelt's Gott!

LG IV - Jeder Laie muss „vor der Welt Zeuge der Auferstehung und des Lebens Jesu […] und ein Zeichen des lebendigen Gottes sein“, so dass die Christen in der Welt das sind, was die Seele im Leib ist (38)


1
 
 Uwe Lay 14. Februar 2024 
 

Pluralismus wo?

Die Gesellschaft sei "pluralistisch"- Stimmt das denn? Ist sie nicht eher uniform politisch korrekt,sodaß alle Andersdenkenden ausgegrenzt werden?Das die Kirche zumindest im deutschsprachigen Raum beherrschende linksliberale Lager ist zudem in sich in keinster Weise pluralistisch und reprobiert doch alles Nichtliberale! Conservative Voten auf den Versammlungen des Synodalen Weges wurden doch stets mit "Roten Karten" verurteilt.
Uwe Lay Pro Theol Blogspot


1
 
 Uwe Lay 14. Februar 2024 
 

Illusionär

1.Das Ende der Konstantinischen Epoche, der Zerstörung des Thron-Altarbündnisses nach dem 1.Weltkrieg war eine große Niederlage für die Kirche.2.Das 2.Vaticanum versuchte eine Neupoitionierung der Kirche nach diesem ungewollten Ende, die aber bis jetzt nicht gelang.3. Der in dem Artikel vorgeschlagene Weg ist leider illusionär, da er die Bedeutung des Einzelnen in einer Massengesellschaft überschätzt und verdrängt, daß die Medienwelt für den Durchschnittskonumenten die wahre ist,sodaß er davon abweichende Positionen als nicht akzeptabel verwirft.
Uwe Lay Pro Theol Blogspot


1
 
 girsberg74 14. Februar 2024 
 

Das Wichtigste steht im ersten fett gedruckten Absatz !

Es muss nur ein jeder mitmachen, darf nicht auf andere warten: "Mal sehen was es gibt".


2
 

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