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Sterzinsky: 'Was ich zu meiner großen Verwunderung erleben musste'

25. Februar 2010 in Deutschland, 31 Lesermeinungen
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Berliner Kardinal bei Bischofskonferenz: Als ich in meinem Fastenhirtenbrief eindringlich zu eifrigem Gebet für die geistlichen Berufe aufgerufen habe, haben sich nicht wenige Priester geweigert, diesen Brief vorzulesen


Berlin (www.kath.net)
Wir dokumentieren die Predigt von Kardinal Georg Sterzinsky, Erzbischof von Berlin, während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am Donnerstag, 25. Februar 2010 in Freiburg.

Predigt von Kardinal Georg Sterzinsky

Es entspricht den Aussagen der Heiligen Schrift, wenn ich sage: Ester hat für ihr Volk die Rettung herbeigeführt, als sie ihren ganzen weiblichen Charme aufgeboten, ihren Mut zusammen genommen, die günstige Stunde abgepasst bzw. herbeigeführt hat, um das ihr Mögliche zu tun und den König zu dem Beschluss und Befehl zu bewegen, der das jüdische Volk in der Fremde vor der Vernichtung bewahrte.

Genauso entspricht es der Heiligen Schrift, wenn ich sage: Ester hat durch ihr inniges Beten und Flehen zu Gott die Rettung ihres Volkes herbeigeführt, und dieses Beten war nicht nur ein psychologisches Mittel, mit dem sie sich für ihre Tat bereitete. Denn die Rettung der Juden geschah durch Gottes Walten.

Es ist nicht Aufgabe einer kurzen Homilie, sondern der theologischen Wissenschaft, den Konnex zwischen menschlichem Tun und Beten einerseits und göttlichem Wirken anderseits zu klären und zu erläutern. Ich erinnere aber daran, dass wir, liebe Brüder und Schwestern, nach unserem liturgischen Kalender in der ersten Woche der Quadragesima in unseren Gemeinden und Gemeinschaften in besonderer Weise für geistliche Berufe und um geistliche Berufungen beten wollen.


Zur Stunde sind wir als Bischöfe hier mit Ordenschristen und anderen Gläubigen, denen gewiss auch an geistlichen Berufungen gelegen ist, versammelt. Was können wir Passenderes tun, als dieses immerwährende wichtige und dringliche Anliegen erneut zu bedenken?

Gebet für geistliche Berufe und um geistliche Berufungen – und das in den aktuellen Nöten, die bestimmt sind durch die nun schon seit Jahren abnehmende Zahl an Berufenen (oder doch solchen, die die Berufung hören bzw. ihr folgen) und speziell die erregte aktuelle Debatte um die jüngst aufgedeckten Skandale, die uns allen – wenn auch in unterschiedlichem Maß – zu schaffen machen.

Das Thema – Gebet für geistliche Berufe und um geistliche Berufungen – ist für keinen von uns neu. Alle wären wir dankbar, wenn wir wüssten, wie wir die Gemeinden zu eifrigerem und lebendigerem Gebet bewegen könnten. Denn wir sehen ja, in welcher Not unsere Ortskirchen und Ordensgemeinschaften leben. Und ich meine: Wir sollten uns mit winzigen Lichtblicken nicht über die wirkliche Lage hinwegtrösten, sondern Realisten bleiben und erwägen, was es bedeutet, wenn nicht nur Dienste ausfallen bzw. ersetzt werden, sondern auch der Stand des geweihten Lebens schwindet.

Als Berliner werde ich öfter daran erinnert: Der Priestersamstag (oder wie der monatliche Gebetstag inzwischen heißen mag) habe in Berlin seinen Anfang genommen. Ich habe gelernt, dass er am Anfang verschiedene Anliegen hatte: Mancherorts das Bemühen, durch die Opferbereitschaft der Gemeinden die finanziellen und materiellen Voraussetzungen zu schaffen, dass die Berufenen studieren und den Weg zum Priestertum gehen können; anderswo stand sehr viel mehr die Heiligung der Priester im Vordergrund und vor allem in den jungen - und Diasporabistümern die Mehrung der Berufe. Sehr bald sind alle Motivationen zusammengeführt und je nach Lage dringlich empfunden worden.

Was ich zu meiner großen Verwunderung und - ich gestehe – tiefen Verwundung in den letzten Jahren erleben musste, ist die Tatsache: Erlittene Not lehrt durchaus nicht immer beten. Als ich vor zwei Jahren in meinem Fastenhirtenbrief eindringlich zu eifrigem Gebet um geistliche Berufungen und für die geistlichen Berufe aufgerufen habe, haben sich nicht wenige Priester geweigert, diesen Brief (oder den entsprechenden Passus) vorzulesen, kamen aus Kreisen der Mitarbeiter und Gemeinden heftige Proteste mit den Tenor: Ändern Sie als Erzbischof die Zugangsbedingungen zum Priestertum oder sorgen Sie dafür, dass der Papst sie ändert; dann ist das Gebet um Berufungen nicht mehr nötig!

Mitarbeiter des Päpstlichen Werkes für geistliche Berufe haben trotzdem ein 40-tägiges Gebet während der österlichen Festzeit in der Diözese vorbereitet und organisiert; dankenswerterweise haben sich Gemeinden, Gebetsgruppen und Einzelne bereit erklärt, über die Tage und Nächte stundenweise Gebetswache zu halten, dass ununterbrochen im genannten Anliegen gebetet wurde. Gewiss, die Bereitschaft dazu war auch da, aber eben auch viel Unverständnis und sogar lauter Protest!

Meine Befürchtung: nicht nur im säkularen Berlin und Brandenburg, sondern auch anderswo könnte das gläubige Verständnis für die geistliche Wirklichkeit des geweihten Lebens und die Kraft und Bedeutung des Bittgebets geschwunden sein, dass der Ruf zum Gebet ungehört verhallt!

Dass Berufungspastoral nicht nur im Beten bestehen kann, weiß jeder, der sich ernsthaft um Berufungen und Berufene bemüht hat. Ester hat auch nicht nur gebetet. Sie hat gebetet. Sie hat aber auch politisch gehandelt, und zwar tapfer und geschickt.

Jede Form christlicher Spiritualität bindet Beten und Handeln zusammen. Der heilige Ignatius von Loyola sagt: „Bete so, als ob alles von dir abhängt“, das heißt vergiss beim Beten nicht, dass du auch noch handeln musst!, und „Handle so, als ob alles von Gott abhängt“, das heißt vergiss bei all deinem Tun nicht, dass Gott wirkt und du ihn darum bitten musst.

Die ignatianischen Mahnungen werden oft falsch zitiert, um zu angestrengtem Tun und zu vertrauensvollem Beten zu motivieren. Aber gerade auf das Ineinander kommt es an. Doch: Wer das Beten vernachlässigt und auf eigene Kräfte baut, der hat auf Sand gebaut. Je schwächer unsere Kräfte, umso mehr wird Gott wirken. „Wer bittet, der empfängt“, sagt Jesus. Amen.


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