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Hesemann: 'Dieser Papst ist ein PR-Genie'

14. September 2013 in Interview, 3 Lesermeinungen
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Sechs Monate ist Papst Franziskus jetzt im Amt. Papst-Biograf und Historiker Michael Hesemann zieht im Interview ein überraschendes Fazit. Von Yuliya Tkachova


Vatikan (kath.net) Nach sechs Monaten Amtszeit des Papstes „fast vom Ende der Welt“ lässt sich sagen: „Dieser Papst ist ein PR-Genie“. Warum das Papstbild der Medien trotzdem das Ergebnis vieler Missverständnisse ist, erklärt Michael Hesemann (49), Historiker, Vatikan-Experte und Autor des Buches „Papst Franziskus. Das Erbe Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche“. Dabei zieht er ein überraschendes Fazit aus den ersten sechs Monaten des „franziskanischen Pontifikats“…

Yuliya Tkachova: Herr Hesemann, unlängst erschien Ihr neues Buch „Papst Franziskus. Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche“. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?

Michael Hesemann: Weil ich keine Schnellschüsse mag, denn sie treffen nur selten ins Ziel. Wissen Sie, die lieben Kollegen, deren Bücher teils schon im April, Mai erschienen, die hatten nach der Papstwahl am 13. März gerade einmal ein, zwei Wochen Zeit, um zu recherchieren und zu schreiben. Da frage ich Sie: Wie will man einen Menschen, den nun wirklich niemand zuvor als neuen Papst auf dem Radarschirm hatte, in so kurzer Zeit angemessen einschätzen und verstehen? Das Ergebnis waren dann teils fatale Fehlschlüsse.

Da nahm ich mir lieber die Zeit, um nach Argentinien zu fliegen und mit den Menschen zu reden, die ihn wirklich kennen: mit seiner Schwester, seinem ehemaligen engsten Mitarbeiter und seinem besten Freund, dem Rabbi von Buenos Aires (Fotos siehe unten).

Vor allem aber kann man doch einen Menschen erst begreifen, wenn man das Umfeld kennt, dem er entstammt. Für uns alle als Mitteleuropäer ist Argentinien, mit Verlaub gesagt, doch eine größtenteils unbekannte Welt. Man kann Papst Franziskus aber nur verstehen, wenn man seine Heimat kennt.

Tkachova: Wie meinen Sie das?

Hesemann: Nehmen wir das vielzitierte Wort von der „Kirche der Armen“. Wer oder was aber sind „die Armen“ für ihn und welche Kirche repräsentieren sie? Die Unterschicht in Europa ist ja nicht gerade gläubig, ihre Kirche wäre eher eine der laxen Moral und der oberflächlichen Frömmigkeit. Kirche wird hierzulande vom Bürgertum getragen, aber auch von der traditionellen Elite, dem Adel.

In Südamerika aber ist das ganz anders, wie mir Pater Marco, der langjährige engste Mitarbeiter Kardinal Bergoglios, so gut erklärte. Das waren ja Kolonien, die von Europa, drastisch gesprochen, ausgebeutet, deren Bevölkerung versklavt wurde.

Die Oberschicht bestand aus echten Unterdrückern und Ausbeutern, aus skrupellosen Kolonialherren, die sich um Sitte und Moral nicht kümmerten, und einem korrupten Klerus, der es ihnen erlaubte, die Kirche als Alibi zu missbrauchen. Tatsächlich wollten doch Spanier und Portugiesen nichts weniger als die Missionierung der Urbevölkerung, denn Christen durfte man nicht mehr versklaven.

Dem machten aber die Missionsorden, die Franziskaner in Mittel- und die Jesuiten in Südamerika, einen Strich durch die Rechnung. Sie christianisierten die Indios und befreiten sie damit aus der Sklaverei. So ermöglichten sie die Entstehung einer Mischgesellschaft aus Indigenen, Mestizen und Kreolen, die schließlich so viel Selbstbewusstsein entwickelten, dass sie sich in diversen Revolutionen erhoben und die Fremdherrschaft abschüttelten. Sie waren und sind tief im Glauben verwurzelt und haben eine ganz eigene Volksfrömmigkeit entwickelt, die ihre Identität formt.

Die Gläubigen sind in Südamerika die Armen, nicht die westlich geprägte und damit hedonistische Oberschicht, die meist noch aus Nachkommen der Kolonialherren besteht.

Diese Prägung erklärt etwa die Aversion des Papstes gegen alle monarchische Symbolik, gegen Thronsessel, klassische Konzerte (die einst höfische Unterhaltung waren) oder rote Schuhe, die, trotz christlicher Umdeutung, halt ursprünglich auf die purpurnen Schuhe römischer Kaiser zurückgehen.

Für einen Südamerikaner ist Monarchie gleichbedeutend mit Kolonialismus, Ausbeutung und Versklavung.

Das empfindet natürlich ein Europäer ganz anders; für uns ist die Monarchie ein Relikt aus einer großen Zeit. Franziskus‘ „Kirche der Armen“ hat jedenfalls nichts mit „Kirche von unten“ und linken Utopien zu tun, sondern ist tief in der Volksfrömmigkeit verwurzelt.

Da trifft sich die Vision des neuen Papstes mit der von Prälat Imkamp etwa, dessen Buch „Sei kein Spießer, sei katholisch“ ich gerade mit großer Freude und großem Gewinn gelesen habe. Ich denke, Papst Franziskus, wie ich ihn einschätze, würde dieses Buch ebenfalls lieben!

Dass er auch ein großer Marienverehrer ist, brauche ich wohl nicht eigens zu erwähnen. Schließlich weiht er nicht nur sein Pontifikat (wie am 13. Mai), sondern am 13. Oktober gleich die ganze Welt der Gottesmutter von Fatima. Denn auch die Botschaft von Fatima, ja die ganze Marienfrömmigkeit, gehört zur Volksfrömmigkeit und damit zur „Kirche der Armen“.

Tkachova: Er ist also durch die Geschichte seines Landes geprägt. Aber ist er nicht der Sohn italienischer Einwanderer?

Hesemann: Natürlich ist er das. Seine Großeltern stammten aus dem Piemont. Seine Eltern und vor allem die fromme Großmutter haben ihm seinen tiefen Glauben vermittelt. Aber gleichermaßen prägte ihn, schon durch die Schule, die argentinische Gesellschaft, der Nationalismus eines Peron.

Und schließlich trat er doch dem großen Missionsorden der Jesuiten bei, die sich von Anfang an in Südamerika auf die Seite der Unterdrückten gestellt haben. Sie bekehrten die Indios und gründeten einen eigenen Staat mit ihnen, um sie vor dem Zugriff der Sklaventreiber zu schützen. Sehr zum Unwillen der spanischen und portugiesischen Krone natürlich, die, sonst spinnefeind, hier ausnahmsweise einmal an einem Strang zogen und bei Papst Clemens XIV. sogar die Auflösung des Jesuitenordens bewirkten; erst Jahrzehnte später kam es zu seiner Neugründung. Eben weil sich die Jesuiten für die Armen und Unterdrückten einsetzten.


Tkachova: Arm waren ja auch die Bergoglios, als sie nach Argentinien kamen…

Hesemann: Stopp, das stimmt nicht! Das liest man zwar in vielen einschlägigen Biografien, aber es ist Unsinn.

Die Großeltern des Papstes unterhielten in Turin ein gut laufendes Café, das nachts in eine noble Bar umfunktioniert wurde. Sein Vater war Buchhalter einer Turiner Großbank. Das waren durch und durch bürgerliche Verhältnisse.

Nein, die Familie ging nach Argentinien, als Mussolini an die Macht kam. Großmutter Bergoglio hatte in der Kirche zu laut gegen die Faschisten gewettert – sie hatte den typischen „Dickkopf“ der Piemontesen, ihr drohte die Verhaftung. So nähte sie ein Vermögen an Bargeld in ihren Pelzmantel ein und wanderte mit ihrer Familie nach Argentinien aus.

Dort besaßen die Brüder ihres Mannes bereits eine Pflasterfabrik und hatten es zu beachtlichem Reichtum gebracht. Ihr vierstöckiges Haus war in der ganzen Stadt als „Palazzo Bergoglio“ bekannt. Es wurde von einer imposanten Kuppel überragt, war ein richtiger Jugendstil-Prachtbau also, und besaß als einziges Privathaus der Stadt einen eigenen Fahrstuhl. Erst als die Fabrik in der Wirtschaftskrise pleite ging, machten die Großeltern in Buenos Aires einen Lebensmittelhandel auf. Bergoglios Vater wurde dann Buchhalter in einer Strumpffabrik…

Tkachova: … ich dachte, er sei Eisenbahnarbeiter gewesen?

Hesemann: Als ich Maria Elena Bergoglio, seiner Schwester, das erzählte, hat sie laut gelacht.

Nein, das ist eine nette Phantasiegeschichte. Andere erklärten ihn zum „Buchhalter bei der Eisenbahn“. Doch auch das war er nie.

Wie gesagt: So vieles wurde falsch kolportiert. Daher war es mir ein Anliegen, vor Ort die Wahrheit zu erfahren, statt Falsches abzuschreiben. Und, zugegeben: Ein Papst aus der Arbeiterklasse passt zum Franziskus-Bild der Medien!

Tkachova: Was werfen Sie denn der bisherigen Berichterstattung über Papst Franziskus vor?

Hesemann: Dass sie oberflächlich ist, sich auf Äußerlichkeiten konzentriert und versucht, ihn gegen seinen großen Vorgänger auszuspielen.

Und ich denke, er selber wäre der Erste, der sich gegen eine solche Vereinnahmung durch die liberalen Kräfte in der Kirche wehren würde.

Tkachova: Wie meinen Sie das?

Hesemann: Zweifelsohne hat er einen anderen Stil, der, ich sagte es schon, durch seine lateinamerikanische Herkunft und seine jesuitische Prägung bedingt ist. Das heißt: er liebt es halt ein wenig schlichter als die europäischen Päpste vor ihm.

Aber „die Klamotte“ ist halt nicht alles: es sagt ja auch nicht viel über einen Autor aus, ob er nun im Anzug oder in Jeans auftritt. Das kann ein statement sein, braucht es aber nicht. Ein Verzicht auf rote Schuhe macht, ganz banal gesagt, aus einem Papst noch keine „rote Socke“ oder einen Liberalen. Einer der „Papabiles“ beim letzten Konklave war ja Kardinal O’Malley, ein Kapuziner, der hätte wahrscheinlich als Papst sogar Sandalen getragen!

Nein, Bergoglios Stil ist vor allem geprägt von jesuitischer Schlichtheit, nicht mehr und nicht weniger.

Auf keinen Fall stellt er eine Distanzierung von seinem Vorgänger dar, den er, im Gegenteil, sehr verehrt. Das geht nicht nur aus einem Gespräch mit einem engen Vertrauten hervor, das den Weg in die Öffentlichkeit fand, das versicherte mir auch Maria Elena Bergoglio, seine Schwester. Ich war drei Stunden lang bei ihr, um sie zu interviewen und die wahre Geschichte ihrer Familie zu erfahren, doch was mich dabei am tiefsten beeindruckte, war, wie liebevoll sie über Benedikt XVI. sprach. Sie bezeichnete ihn als „großen, außergewöhnlicher Papst, auch wenn das viele Menschen nicht zu schätzen wussten“ und pries seinen „großen inneren Reichtum“, seine „Demut, seinen Mut und seine Ehrlichkeit“.

Und was erlebten wir im ersten halben Jahr seines Pontifikats? Lauter Zeichen der Kontinuität! Das ging so weit, dass sogar die erste Enzyklika von Papst Franziskus tatsächlich ein Gemeinschaftswerk war.

In meinem Buch beschreibe ich eines der Hauptanliegen von Papst Benedikt, nämlich die korrekte Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils. Auch das wurde von liberalen Kräften vereinnahmt, die eine „Hermeneutik des Bruchs“ propagierten, so als sei die katholische Kirche 1965 erneut aus der Taufe gehoben worden.

Dabei berief man sich dann immer gerne auf einen imaginären „Geist des Konzils“, wenn man gerade das umsetzte, was nicht in den Konzilsdokumenten stand, was man aber selber gerne wollte. Eine solche „Hermeneutik des Bruchs“ wird jetzt wieder propagiert bei gleichzeitiger Abwertung des Ratzinger-Pontifikats. Doch auch sie ist unhaltbar.

In Rom hat keine Revolution stattgefunden. Papst Benedikt ist aus Altersgründen zurückgetreten, es wurde ein Nachfolger gewählt, dessen Aufgabe es ist, das Schiff der Kirche weiter durch die Zeit zu steuern.

Natürlich hat man dafür keinen Ratzinger 2.0 gewählt, ebenso wenig wie Benedikt XVI. ein Wojtyla 2.0 war; bei dem Vergleich mit diesem intellektuellen Giganten hätte auch jeder andere schlecht ausgesehen.

Nein, man wählte bewusst einen Mann, der über andere Charismen verfügt.

Papst Franziskus ist eben kein Intellektuellen-Papst, kein Theologe vom Rang eines Kirchenlehrers, den wir brauchten, um das Erbe des charismatischen Johannes Paul II. zu konsolidieren.

Er ist ein Papst der Seelsorge, der „Pfarrer der Welt“, und das ist auch gut so, denn es tut der Kirche gut.

Natürlich sind beide ganz unterschiedliche Persönlichkeiten: Benedikt XVI. war auch als Papst immer ein scheuer, bescheidener, tiefgründiger Denker gewesen, Franziskus ist spontan, extrovertiert, volksnah. Der eine ein Geistesmensch, der andere ein Herzensmensch und jeder auf seine Weise wunderbar.

Das erinnert mich ein wenig an 1958, als die Kardinäle nach dem Tod von Pius XII. den nach außen hin so ganz anderen Johannes XXIII. wählten. Der dann alle überraschte, als er bei jeder Gelegenheit betonte, wie sehr er seinen großen Vorgänger verehrte.

Wobei man heute noch hinterhältiger vorgeht, um Franziskus gegen Benedikt auszuspielen. Da sind ja teilweise faustdicke Lügen verbreitet worden, nicht nur von den liberalen Katholiken, sondern auch und gerade von den Traditionalisten, denen wiederum der unkonventionelle Stil Bergoglios missfällt.

Tkachova: Nennen Sie uns Beispiele!

Hesemann: Nun, eine der ersten Meldungen, die nach der Papstwahl im Internet kursierten, betraf das motu proprio Benedikts XVI. „Summorum pontificum“, also die Wiederzulassung der „alten Messe“. Dem hätte sich Kardinal Bergoglio widersetzt, er sei ein „dezidierter Gegner“, ja ein „geschworener Feind“ (sic!) der Alten Messe“ gewesen.

Alles Unsinn, wie ich in Buenos Aires erfuhr. Im Gegenteil: Innerhalb von 48 Stunden bestimmte er, dass fortan in einer der schönsten und ältesten Kirchen im Zentrum von Buenos Aires, nur ein paar hundert Meter von der Kathedrale entfernt, die tridentinische Messe gefeiert wird. Er beauftragte einen erfahrenen alten Priester damit, junge Priester in diesem Ritus auszubilden.

Dann hieß es, seine erste Personalentscheidung sei die Entlassung des konservativen Liturgen Msgr. Guido Marini. Doch Marini wurde, Gott sei Dank, in seinem Amt bestätigt. Darauf von italienischen Bischöfen angesprochen, erklärte der Papst, er könne viel von Marini und dieser wiederum einiges von ihm lernen. Das nenne ich eine gesunde Einstellung!

Andere warfen Papst Franziskus sogar vor, er sei Freimaurer, nur weil der Rotary-Club Buenos Aires ihm vor Jahren die Ehrenmitgliedschaft verliehen hatte. Dabei war der Gründer der Rotarier, Paul Harris, gar kein Freimaurer. Sogar Papst Johannes Paul II. nahm eine Ehrenmitgliedschaft bei Rotary an, mehrere deutsche Bischöfe, darunter der ja nun wirklich traditionstreue Bischof Walter Mixa, sind Mitglieder des Clubs; warum hätte Bergoglio also diese Ehrenmitgliedschaft ablehnen sollen?

Selbst an seinem Pektorale wird herumgemäkelt, der Gestus des Guten Hirten, die gekreuzten Arme, fälschlich als Freimaurerzeichen bezeichnet. Dabei war dieser Gestus schon den ersten Christen geläufig, wurden Tote mit überkreuzten Armen bestattet; noch heute gehen orthodoxe Gläubige so zur Kommunion. Es ist ein Zeichen der innigen, vollkommenen Selbsthingabe an Gott.

Und dann ist auch immer wieder von einem „Blechkreuz“ die Rede. Ich habe zufällig herausbekommen, wo der damalige Erzbischof Bergoglio das Pektorale gekauft hat, nämlich in einer bekannten Buchhandlung in der Nähe des Petersplatzes. Es besteht aus massivem Sterlingsilber (925/1000) und stammt von einem bekannten italienischen Silberschmied, Giuseppe Albrizzi aus Padua, der sich auf sakrale Kunst spezialisiert hat. Ich besitze ein Exemplar, deutlich sind die Silberstempel zu sehen!

Ganz ehrlich: Benedikts Pektorale waren auch nur vergoldet, das gleiche gilt für seinen Fischerring.

Und die „prachtvollen Paramente“, die er trug, stammten fast alle aus der päpstlichen Sakristei, viele hat ausgerechnet der „Reformpapst“ Johannes XXIII. getragen. Da war es günstiger, sie liturgisch zu „recyclen“, statt neue anfertigen zu lassen, die vielleicht bescheidener aussehen mochten, aber teures Geld gekostet hätten.

Wer also franziskanische Schlichtheit gegen benediktinischen „Pomp“ auszuspielen versucht, der spielt mit gezinkten Karten.

Tkachova: Sie schreiben vieles den Medien und ihrer Berichterstattung zu, doch einige öffentliche Auftritte es argentinischen Papstes wirken schon ziemlich inszeniert: Etwa jetzt die Annahme des uralten Renaults…

Hesemann: Warum soll der Papst ein so liebevolles Geschenk denn ablehnen? Aber natürlich gibt es da auch, wie bei jedem Amtsträger, eine gewisse Selbstinszenierung.

Maria Elena Bergoglio hat mir erklärt, dass Franziskus einst von seinem Vater gelernt hat, nicht durch Worte, sondern durch das eigene Beispiel zu erziehen. Genau das macht er heute. Er kreiert Glaubwürdigkeit! Er weiß, dass es wenig Sinn macht, von einer armen Kirche zu predigen, von Barmherzigkeit und Teilen, während man selbst im Palast wohnt.

Dass er im Domus S. Marthae ein größeres Schlafzimmer hat als im päpstlichen „Appartamento“, spielt dabei keine Rolle. Es ist die Wirkung nach außen, die bei den Menschen ankommt.

Das hat Bergoglio besser verstanden als sein Vorgänger. Benedikt XVI. ist ein zutiefst demütiger Mensch, aber für ihn bedeutet Demut, sich zurückzunehmen, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen.

Bei Franziskus spreche ich von „demonstrativer Demut“ und „ostentativer Einfachheit“, ohne das negativ zu meinen. „Sei bescheiden und zeige das der Welt“, ist sein Motto, „denn Du bist ihr Vorbild!“ Wie sein Vater lehrt er, indem er es vorlebt: Schaut her, so mache ich das, jetzt seid ihr dran!

Und geben wir doch einmal zu: Dieser Papst ist ein PR-Genie.

Er hat ein natürliches Gefühl dafür, wie er die Menschen erreicht. Das hätten ihm hundert PR-Berater nicht besser beibringen können. Er versteht es, gut anzukommen. Er ist der Papst, der die Herzen erobert.

Dabei vermittelt er immer so viel vom Glauben, wie die Menschen, an die er sich gerade richtet, annehmen können. Auch das ist eine Kunst, statt durch unbequeme Wahrheiten Menschen vor den Kopf zu stoßen, sie zu brüskieren, sie für die Kirche zu verlieren.

Da ist er ganz der Pastor und nicht der Kirchenlehrer. Er passt sich dem Medienzeitalter mit seinen Twitter-Botschaften an: Seine Gesten sind halt leichter zu vermelden als Benedikts tiefgründige Betrachtungen.

Natürlich ist ein Papst mit einem so guten pastoralen Gespür für die Kirche ein Glücksfall, denn er holt auch viele zurück, denen Benedikt XVI., der „Cooperator veritatis“, zu anspruchsvoll und zu unbequem war. Und zu dieser Strategie gehören auch medien- und öffentlichkeitswirksame „große Gesten“, die halt positive Schlagzeilen kreieren!

Tkachova: Was kann man zukünftig von Papst Franziskus erwarten?

Hesemann: Vor allem, dass er das Werk Benedikts XVI. fortsetzt, aber auch durch eigene Akzente ergänzt. Sicher steht eine gründliche Reform der Kurie an, die auch, das sah Benedikt XVI. genauso, dringend notwendig ist.

Ansonsten ist der Name „Franziskus“ sein Programm: Einfachheit, Dialogbereitschaft, Einsatz für den Frieden. Er wird sich sehr für die Ökumene und den interreligiösen Dialog einsetzen, wie er es schon als Erzbischof von Buenos Aires getan hat, doch das wird, Gott sei Dank, ohne einen falschen Synkretismus geschehen.

Das wunderbare Friedensgebet vom letzten Samstag war doch das beste Beispiel dafür, wie man es richtig macht, ohne die Fehler von Assisi zu wiederholen. Da durften natürlich auch Muslime mitbeten, aber zum Dreieinigen Gott.

Statt liturgischer Experimente wurde auf die Kernkompetenz der Kirche zurückgegriffen, auf bewährte Formen der Anbetung, ja auf die kostbarsten Schätze von uns Katholiken: Den Rosenkranz und die Eucharistische Anbetung.

In meinen Augen war dieses Friedensgebet bislang der Höhepunkt des franziskanischen Pontifikats. Und er hat alles richtig gemacht!

Da sehen wir doch, dass man Franziskus völlig falsch einschätzt. Er ist eben kein Reformpapst, kein Modernisierer, sondern ein großer Restaurator, der die Kirche zu ihren Anfängen und zu ihrer Kernkompetenz zurückführt!

Tkachova: Das müssen Sie aber näher erklären!

Hesemann: Gerne, auch wenn ich dabei ein wenig ausholen muss. Bei beiden Päpsten, Benedikt und Franziskus, war und ist der Name Programm. Benedikt war der Papst der benediktinischen Gelehrsamkeit.

Seine liebste Zeitepoche ist die Spätantike, sein liebster Kirchenlehrer Augustinus, sein Thema war die Definition und Bewahrung der Glaubenswahrheit in einer Zeit, die nicht weniger sturmumtost ist als die Zeit der Völkerwanderung. Der hl. Franziskus trat eher in einer Epoche der Dekadenz auf und führte die Kirche auf die richtige Spur zurück, die apostolische Einfachheit.

Interessanterweise befasste sich Joseph Ratzinger schon in seiner Habilitationsschrift von 1955 mit der Geschichtstheologie des hl. Bonaventura, der nicht nur ein großer Kirchenlehrer, sondern auch der „offizielle“ Biograf des Mannes aus Assisi war.

Danach würde in der Endzeit auf die „benediktinische“ Kirche der Gelehrten eine „franziskanische“ Kirche der Armen folgen. Damit würde sich ein Kreis schließen.

In diesem Sinne wirkt Papst Franziskus. Er reinigt die Kirche von vielem Ballast, um sie zu ihren Anfängen zurückzuführen. Und schon deshalb glaube ich, in seiner so völlig überraschenden Wahl das Wirken des Heiligen Geistes erkennen zu können.

Wir haben das Glück, mit großen Päpsten gesegnet zu sein, was doch nur beweist, wie lebendig und stark unsere Kirche auch heute noch ist.

Und sie wird noch stärker, wenn der Papst sie und die Welt am 13. Oktober der Gottesmutter von Fatima weiht, denn mit Maria als Patronin kann doch eigentlich gar nichts mehr schief gehen!

Tkachova: Danke, Herr Hesemann, für dieses Interview!

kath.net-Lesetipp:
Papst Franziskus
Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche
Von Michael Hesemann
Gebundene Ausgabe,288 Seiten; m. 16 Abb.
2013 Herbig
ISBN 978-3-7766-2724-4
Preis 20.60 EUR

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Foto Titelblatt


Die Schwester vom Papst Franziskus, Maria Elena Bergoglio, mit Autor und Historiker Michael Hesemann


Der oben erwähnte Rabbi Abraham Skorka, Freund von Papst Franziskus, zeigt Michael Hesemann eine Thorarolle, die 1938 von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland gerettet wurde



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Lesermeinungen

 Aventin 14. September 2013 
 

Auch ich möchte mich ganz herzlich

bei Herrn Hesemann für seine Ausführungen bedanken. Ich hatte doch bislang große Sorgen, ob sich unsere Kirche weiterhin in guten Händen befindet. Das beruht vor allem auf dem Umstand, dass progressive Kräfte im deutschen Sprachraum (zuletzt Prof. Zulehner) partout meinen, Papst Franziskus für sich vereinnahmen und einen Gegensatz zwischen Franziskus und Benedikt konstruieren zu können. Nun nach den Darlegungen durch Herrn Hesemann bin ich überzeugt, dass dies Hirngespinste der Progressisten sind. Dennoch ist eines auch klar: niemand kann auf Dauer Papst sein, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen. Es ist nicht möglich über Jahre hinweg Liebling romtreuer Katholiken und progressiver Kräfte gleichzeitig zu sein.


4
 
 cayena 14. September 2013 
 

Das sage ich auch

DANKE


4
 
 Wiederkunft 14. September 2013 
 

Papst Franziskus

Sehr gut recherchiert und erklärt. Alles sehr einleuchtend. Danke!


3
 

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