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Homo duplex – Überlegungen zum „kleinen Unterschied“

7. Februar 2018 in Kommentar, 2 Lesermeinungen
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„…männlich und weiblich schuf er sie“, also nicht als Homo simplex oder multiplex, schon gar nicht als Homo triplex, selbst wenn das bundesdeutsche Verfassungsgericht eine solche „Spezies“ geradezu erfunden hat. Gastbeitrag Teil 2 von Helmut Müller


Vallendar (kath.net)
II. In der Erkenntnisordnung sollte weiterhin die Essenz der Existenz vorausgehen

Das absolute Gegenprogramm zur christlichen Welt- und Lebenserfahrung hat Jean Paul Sartre zusammen mit seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, um nur zwei von vielen zu nennen, formuliert. Diese Tradition wird vor allem von Judith Butler fortgeführt und radikalisiert. Sie möchte die Welt geradezu „reparieren“ und sie von ihrer „Zwangsheterosexualität“ befreien. Der ordo cognoscendi (die Erkenntnisordnung) der Tradition hat sich vor allem seit Nietzsche so gewandelt, dass der Grundsatz ordo essendi est ordo agendi oder das thomanische agere sequitur esse (Tun und Handeln nehmen Maß am Sein) bis in Kirchenkreise hinein bestritten wird. Dezidiert wendet sich Sartre gegen jede schöpferische Vorgabe. Er formuliert: Die Existenz geht der Essenz voraus. Es „gibt keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, um sie zu entwerfen. Der Mensch ist lediglich so, wie er sich konzipiert.“ D. h. wir kommen als unbeschriebene Blätter zur Welt. Kein Gott und keine Natur hat hier Linien oder gar Ordnungen vorgezeichnet. Sartre ist hier getreuer Schüler Nietzsches, der einmal mit Blick auf die 10 Gebote geschrieben hat: "Meinen Willen, schreibe ich mir auf meine Tafeln." Nach Sartre ist mit „meiner Existenz“ nicht schon eine Essenz, ein Wesen, eine Ordnung, ein Mann- bzw. Frausein mitgegeben, das heißt wir inszenieren nicht nur das Stück in eigener Verantwortung, wir schreiben auch das Drehbuch. Der Mensch ist nach Sartre sein eigener Herr, sein Schöpfer, sein Gott. Er ist homo creator (eigenmächtiger Schöpfer), nicht homo creatus et creans (geschaffen, schöpferischer Mensch). Sartres Schöpfertum baut auf keinem Geschaffensein auf. Kraft seines Geistes hat s. E. der Mensch das Recht mit der Asymmetrie seines Geistes aufzuräumen, eine Symmetrie oder eine Kaleidoskopie daraus zu machen, in der die psychische, geistige, soziale und gesellschaftliche Differenz der Geschlechter verlöschen oder schillernd multipliziert werden soll. Wenn immer mehr auch die leibliche Asymmetrie manipuliert werden kann, steht auch sie zur Disposition. Vor einem solchen Geist, vor einer nicht mehr „vernehmenden Vernunft“, sondern ihre Gegenstände gänzlich „herstellenden Vernunft“ kann nur gewarnt werden. Ein so gearteter ordo cognoscendi, weist in den vielen Spielarten postmodernen Philosophierens gar nicht mehr wie Sartre essentielles Denken zurück, sondern sieht es schon als philosophisch erledigt und keines philosophischen Argumentes mehr würdig. In Politik, Kirche und Gesellschaft, auch in Erziehungsbüchern, begegnet dieser Geist auf Schritt und Tritt. Schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts warnte Joseph Kentenich, der Gründer der Schönstattbewegung vor diesem Geist: "Der Zeitgeist dringt in unsere Seelen, wie der Rauch im Wirtshaus in unsere Kleider." Man nimmt ihn – wie nach längerer Zeit im Wirtshaus - gar nicht mehr wahr. Die Räume in der gegenwärtigen Gesellschaft, in denen man den Zeitgeist noch „riechen“ könnte, wie zu Hause den Rauch des Wirtshauses in den Kleidern werden immer kleiner und seltener. Das sprichwörtliche katholische Milieu in dem solches möglich gewesen wäre, gibt es nicht mehr. Man kann nicht einmal mehr über den Verlust klagen, ohne gleichzeitig als rückwärts gewandt, ängstlich, apologetisch oder fundamentalistisch angesehen zu werden.


Diese Gedanken sollten darauf aufmerksam machen, dass das Konzil nicht nur zur Kirche in der Welt ruft, sondern dass Kirche auch als Kontrastgesellschaft zur Welt verstanden werden kann. Kirche in der Welt, heißt nicht schlicht von der Welt sein. Für die Thematik bedeutet dies: Das hier vertretene Bild von Mann- und Frausein ist kein Programm von einem anderen Stern, erst recht kein bloßer Abklatsch des herrschenden Mannes- und Frauenbildes. Vielmehr sollten Kontraste erkennbar sein. Das erfordert Mut, wenn alle Welt anderer Auffassung ist. Aber ein klein wenig gegenläufig leben, schadet nichts, nein es ist sogar die Berufung des Christen schlechthin. Christus hat nämlich nicht gesagt, dass Christen der Honig der Welt sein sollten an dem sich alle laben, sondern das Salz der Erde, das diesem Leben erst seinen Geschmack gibt.

Abschließend wird nun die philosophische Gefährdung essentieller Lebensordnungen allgemein, wie sie Mann- und Frausein im besonderen darstellen, geschichtsphilosophisch aufgerissen.

III. Zur Gefährdung christlicher Lebensordnungen allgemein

Wer gefährdet christliche Lebensordnungen? Gemeinhin vermutet man, dass die Gefährdung von außen kommt. Durch den radikalen Islam? Durch Esoterik fernöstlicher Provenienz? Eigenartigerweise werden christliche Lebensordnungen in gefährlichster Weise von innen bedroht. Eine Bedrohung von innen ist gefährlicher als jede Gefährdung von außen. Schon einmal sah etwa Reinhold Schneider das Erbe im Feuer, exemplarisch in seinem berühmten Sonnett „Allein den Betern kann es noch gelingen“ eindringlich angemahnt. Auch damals kam die Gefährdung nicht von außen, sondern erwuchs aus dem Innern und wurde als solche selbst von so markanten Christen wie Kardinal Clemens August Graf von Galen erst erkannt als es schon zu spät war.

Die christlichen Lebensordnungen gehen zurück - um ein Bild des Kirchenvaters Tertullian aufzunehmen und zu erweitern – auf zwei Quellen:

Jerusalem steht für die hl. Schrift des alten und neuen Testamentes, für die christlich-jüdische Komponente der abendländischen religiösen Tradition und Athen für die griechische Weisheit und Bildung, in der die lateinischen und griechischen Kirchenväter und später die abendländischen Kirchenlehrer die Jerusalemer Botschaft auf höchstem Niveau geformt und in die ganze Welt getragen haben. Das Jahr 529 markiert das Jahr, in dem beide Ströme endgültig zusammengeflossen sind: 529 wird in Athen die Akademie, an der Platon und Aristoteles gelehrt haben geschlossen, und im gleichen Jahr baut auf dem Monte Cassino Benedikt - der nicht umsonst aufgrund dieser Leistung der Vater des Abendlandes genannt wird, seine Gemeinschaft, die durch die Stürme der Völkerwanderung die Ströme aus Jerusalem und Athen sicher ins christliche Mittelalter rettet. Das war die erste Rettung der christlich abendländischen Tradition vor dem drohenden Untergang in den Wirren einer haltlosen, barbarischen, jede Ordnung bedrohenden Zeit.

Eine ganz andere Gefahr bedrohte die Symbiose des Athener und Jerusalemer Erbes zu Beginn der Neuzeit. Ich wage es kaum nach dem 500jährigen Jubiläum zu sagen, zu mal ich gute evangelische Freunde habe: Das eben beschriebene Erbe lief Gefahr durch Wittenberg abgetrennt und reduziert zu werden. Vom katholon, dem typisch katholischen, dem allumfassenden, mit anderen Worten von griechischer Weisheit, jüdischer Gesetzlichkeit und dem christlichen Kreuz sollte nur letzteres übrig bleiben. Das katholon, das die drei wichtigsten Berge des Abendlandes die Akropolis, den Sinai und Golgotha zusammengerückt hat, sollte im wesentlichen auf Golgotha (solus Golgotha könnte man sagen) reduziert werden. (Erst jüngst ist tatsächlich in evangelischen Kreisen diskutiert worden, das AT zu „entsorgen“). Die Antwort auf die Bedrohung von Wittenberg war Manresa, die Reformation durch Luther fand ihren Gegner in der Gegenreformation durch Ignatius und seine Gefährten.

Auch die dritte Gefährdung – und auch da mache ich mir keine Freunde - erfolgt von innen, aus dem Kulturerbe des christlichen Abendlandes, dieses Mal – um nur den bedeutendsten zu nennen - durch Immanuel Kant von Königsberg aus. Kants Epigonen zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren die sog. Neukantianer Windelband, Natorp, Rickert und Cohen, die Metaphysik (der traditionelle Hort essentiellen Denkens) als „spekulative Schmuggelware“ ansahen, die im „Gepäck der exakten Naturwissenschaften“ (Natorp) in eine neue Zeit gerettet werden sollte. Romano Guardini, zusammen mit seinem Freund Karl Neundörfer erfuhr diese Gefährdungen damals (1905) in einer persönlichen Krise. In ihrer "Jugendkrise", einer Zeit, in der der Neukantianismus die philosophisch beherrschende Geistesströmung war, überwandten sie den kantischen Skeptizismus durch einen bewussten Glaubensakt. Die Gefährdung aus Königsberg besteht in einem Subjektivismus und Skeptizismus, der sich gegen die Metaphysik Athens und das Wächteramt Roms über das Glaubenserbe aus Jerusalem wendet. (Mir ist durchaus bewusst, dass Kant auch integriert werden kann. Das zeigt die Position Karl Heinz Menkes im Streitgespräch mit Magnus Striet).

Welt- und Gotteswahrnehmung werden subjektiv verschlossen, Glaube immer mehr privatisiert und entkonfessionalisiert: Wesenserkenntnis von Weltdingen könne nicht mehr objektiv demonstriert werden und Glaube sei nur noch eine Sache von Macht, Gefühl und Wollen, aber nicht mehr auch eine Sache des Wissens. In der Enzyklika „Fides et ratio“ kritisiert Johannes Paul II. diese von Kant zwar so nicht gewollte, aber eingeleitete „kopernikanische Wende“ in der Philosophie „vom Sein zum Bewusstsein“. Denn auch zu Beginn des neuen Jahrtausends hat diese Wende wiederum ihre Epigonen. Johannes Paul II. erläutert das Verhältnis von Glauben und Wissen wie folgt: „...dass der Mensch immer auch dazu berufen ist, sich einer Wahrheit zuzuwenden, die ihn übersteigt. ... So kam es, dass sich die Vernunft, anstatt die Spannung zur Wahrheit bestmöglich auszudrücken, unter der Last des vielen Wissens über sich selbst gebeugt hat und von Tag zu Tag unfähiger wurde, den Blick nach oben zu erheben, um das Wagnis einzugehen, zur Wahrheit des Seins zu gelangen.“ Die Frage nach der Wahrheit oder ihrer Erkennbarkeit wurde von den Nachfolgern des Königsbergers nicht mehr gestellt oder aber als unerkennbar für obsolet erklärt. „Metaphysisch fühlende Menschen sollten ihre theoretischen Neigungen unterdrücken, empfiehlt der Tübinger Philosoph Walter Schulz in seinem vielfach neu aufgelegten Werk Philosophie in der veränderten Welt. Wesenserkenntnis von Weltdingen sowie eine natürliche Gotteslehre werden damit unmöglich, also auch die Behauptung eines Wesens von Mann und Frau banal, weil nicht übersubjektiv erfahrbar. M. a. W. es wird eine Unerkennbarkeit des ordo essendi behauptet. Menschliche Erkenntnis bleibt in einem objektblinden neuzeitlichen ordo cognoscendi verschlossen. Dadurch kann ein ordo agendi nicht mehr Maß am Sein nehmen, sondern nur an der eigenen Vernünftigkeit, was schließlich schon im vergangenen Jahrhundert zur berühmten „Krise der praktischen Vernunft“ (Franz Vonessen), ja der Vernunft überhaupt geführt hat. Der Verfasser von „Die Vernunft frisst ihre Kinder“ Wullf D. Rehfus schreibt: „Die Moderne ist die Zeit der Aufklärung. Diese fühlt sich bis heute als Hort der Vernunft. Das Gegenteil aber ist wahr: Die Aufklärung hat die Vernunft zerstört, denn sie hat sie autonom gemacht, kritisch und reflexiv. Die Dreifaltigkeit der aufklärerischen Vernunft, Autonomie, Kritik und Reflexivität, hat sie in den Selbstmord getrieben.“

Wo aber Gefahr ist wächst auch das Rettende, um mit Hölderlin zu sprechen. Neuere amerikanische Untersuchungen (und auch Ulrich Kutschera auf kath.net) bestätigen immer mehr auch einen genetischen und neurologischen Unterschied der Geschlechter, so dass der Wesensunterschied nicht mehr nur geisteswissenschaftlich behauptet, sondern auch naturwissenschaftlich unterbaut werden kann. Die „Gefährdung aus Königsberg“ könnte also in Zukunft vielleicht durch einen starken Verbündeten aus der sog. neuen Welt überwunden werden mit Zentren in Princeton, Harvard und Berkeley. Nicht umsonst spricht man nach dem in die Jahre gekommenen sog. linguistic turn in der Philosophie mittlerweile durch die modernen Biowissenschaften befördert, von einem naturalistic turn (z. B. Bernhard Irrgang), der der traditionellen Metaphysik wieder neues Leben einhauchen könnte, auch wenn nur die „Drehung“ mitgemacht werden sollte und nicht ein damit verbundener Naturalismus.

kath.net-Lesetipp:
Unterirdische Ansichten eines Oberteufels über die Kirche in der Welt von heute
Von Helmut Müller
80 Seiten
2015 Dominus Verlag
ISBN 978-3-940879-38-7
Preis 5.10 EUR

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Lesermeinungen

 lesa 8. Februar 2018 

@Lasse: Ihre Frage nach dem "Problem" beantworten aus christlicher Sicht eindeutig die Bibel und der Katechismus der Katholischen Kirche. Die göttliche Ordnung sehen Sie dort auch diejenigen mit homosexueller Neigung mit ausreichender Klarheit schützen. Sie lautet: "Die Neigung ist nicht das Problem. Aber wenn du sie auslebst, gefährdest Du Dich und andere in Deiner seelischen und geistigen Berufung. Dein Leben entspricht dann nicht der Würde und Schönheit, die der Schöpfer dir zugedacht hat und die du trotz dieser Neigung verwirklichen kannst wenn du ihm und seinem Wort vertraust". Ein Mensch ist keine Bach´sche Fuge. Als Abbild Gottes hat er die Berufung, die ewige Seligkeit, die ewige Gemeinschaft mit Gott zu erlangen. Zum Taufversprechen eines Christen gehört das Versprechen, sich an die Lehre und Ordnung der Kirche zu halten. "Worin das Problem besteht" können Sie außerdem am Untergang von Hochkulturen und Reichen sehen, die aufgrund von Sittenlosigkeit zugrundegingen.


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  8. Februar 2018 
 

Wo ist das Problem?

Niemand, der homosexuell oder von mir aus auch transgender ist, wird leugnen, dass es in dieser wunderbaren Welt die Pole "weiblich" und "männlich" gibt. "Gott" schuf diese Welt polar - und das sollten wir so anerkennen. Aber muss sich deswegen jeder Mensch ohne Ausnahme klar und eindeutig einem dieser Pole zuordnen lassen müssen? Bach hat in seinem Wohltemperierten Klavier fest an der Polarität von freiem Präludium und strenger Fuge festgehalten. Aber auch in diesem geradezu göttlich perfekten Werk gibt es ein Präludium, das eine lange Doppelfuge enthält und eine darauf folgende viel weniger strenge Fuge. Bach war streng, aber nicht dogmatisch. Ist es die göttliche Ordnung nicht vielleicht auch?


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