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Ohne Träume gäbe es kein Christentum

13. August 2010 in Chronik, keine Lesermeinung
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Interview mit dem Schlafmediziner Rüdiger Karwath, Ärztlicher Direktor der Helios Kliniken in Schwerin: Selbst der nüchterne Apostel Paulus hatte einen Traum mit weitreichenden Folgen.


München (kath.net/idea)
Träume sind Schäume, sagt ein Sprichwort. Dagegen behauptet der Schlafmediziner Rüdiger Karwath (52): Gott spricht zu uns auch im Traum! Karwath ist Ärztlicher Direktor der HELIOS Kliniken in Schwerin und Leiter des Schlaflabors der dortigen Klinik für Pneumologie (Lungenheilkunde). Mit über 1.400 Betten und über 2.800 Mitarbeitern ist die Klinik der größte Arbeitgeber in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Mit ihm sprach Karsten Huhn.

Herr Karwath, wozu träumen wir?

Karwath: Träume nehmen etwa 25 % der gesamten Schlafzeit ein. Sie helfen uns, die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. Wer nicht träumt, vertrottelt!

Warum sind viele Träume so verworren?

Dieser Eindruck täuscht! In den meisten Fällen merken wir ja gar nicht, dass wir träumen, und wir nehmen unsere Träume nur als Bruchstücke wahr. Träume sind sehr flüchtig. In der Regel merken wir sie uns nur, wenn wir unmittelbar aus einem Traum erwachen. Das tun die meisten Menschen aber nicht. Deshalb denken viele, sie würden gar nicht träumen. Im Schlaflabor können wir jedoch exakt nachweisen, dass jemand träumt – durch die Aufzeichnung der Hirnströme und Augenbewegungen während des Schlafes.

Können Sie im Schlaflabor auch der Erinnerung an einen Traum auf die Sprünge helfen?

Nein, dafür empfehle ich, Zettel und Stift neben dem Bett zu platzieren und einen Traum – wenn man denn aus ihm aufwacht – sofort zu notieren.

Wozu soll das gut sein?

Manchmal sendet das Unbewusste wichtige Botschaften an unser Bewusstsein. Wenn man abends ein Problem bedenkt und dann schlafen geht, kann es passieren, dass einem im Traum die Lösung kommt.

Manche Forscher haben auf diese Weise bedeutende Entdeckungen gemacht. Zum Beispiel hat Dmitri Mendelejew (1834-1907) die Grundstruktur des Periodensystems der Elemente im Traum entdeckt.

Auch von manchen Komponisten wird berichtet, dass sie eine bestimmte Melodie im Traum gefunden haben. So wachte Paul McCartney eines Morgens mit der Melodie von „Yesterday“ auf.

Warum haben viele keine so bedeutenden Träume?

Dagegen sprechen allein schon unsere Lebensgewohnheiten: Die meisten stellen sich einen Wecker und haben damit nicht die Möglichkeit, auf natürliche Weise aus der morgendlichen Traumphase zu erwachen. Wer sich seinen Morgentraum erhalten will, darf sich nicht durch äußere Einflüsse aus ihm herausreißen lassen.


Was habe ich davon, wenn ich mich an meine Träume erinnere?

In früheren Zeiten haben die Menschen sehr genau auf die Botschaft ihrer Träume gehört. Sie wurden als Botschaft Gottes an die Menschen empfunden. In der Zeit der Aufklärung galt die Beschäftigung mit Träumen jedoch als anrüchig. Erst durch die Begründer der Tiefenpsychologie wurde die Bedeutung von Träumen wiederentdeckt.

Was haben die Tiefenpsychologen herausgefunden?

Es gibt drei wesentliche tiefenpsychologische Traumtheorien: 1. Sigmund Freud (1856-1939) sah in Träumen vor allem verdrängte Wünsche und Begierden, die im Traum an die Oberfläche kommen. 2. C. G. Jung (1875-1961) sah den Traum als Ergänzung zur Realität und das Unterbewusstsein als Gegengewicht zum Bewusstsein. Für ihn waren Träume ein Korrektiv für unser eigentliches Handeln. 3. Alfred Adler (1870-1937) zufolge ist der Traum die Fortsetzung des Tagesgeschehens. Im Traum bearbeiten wir die Dinge weiter, die uns schon tagsüber beschäftigt haben.

Wer von den dreien hat recht?

Alle drei Theorien haben eine gewisse Berechtigung. Wir sollten uns nicht auf eine Theorie fixieren. Ein Traumdeuter sollte jemandem, der einen Traum hatte, dabei helfen, seinen Traum selbst zu entschlüsseln, anstatt ihm eine Erklärung von außen aufzupfropfen.

Träume sind Schäume, sagt ein Sprichwort.

Wir dürfen nicht erwarten, dass wir jede Nacht etwas Besonderes träumen. Dennoch gibt es Träume, die uns wichtige Botschaften senden und uns bei wichtigen Lebensentscheidungen helfen können.

Im Buch Prediger 5,7 heißt es: „Wo viel Träume sind, da ist Eitelkeit und viel unnütze Worte. Du aber fürchte Gott!“

Richtig ist, dass wir für unser Glaubensleben nicht primär auf Träume bauen sollten. Mit dem Wort Gottes und mit Jesus Christus haben wir alles, was wir als Christen brauchen. Dennoch spielen Träume mitunter eine wichtige Rolle. Ohne Träume und deren Befolgung würde es das Christentum nicht geben!

Warum nicht?

Als die Sterndeuter aus dem Morgenland kamen, um dem Neugeborenen Geschenke zu bringen, fragten sie zunächst König Herodes nach dem Weg. Er schickt sie nach Bethlehem uns sagt: „Geht und erkundigt euch genau nach dem Kind und gebt mir Nachricht, sobald ihr es gefunden habt, damit ich auch hingehen und ihm die Ehre erweisen kann“ (Matthäus 2,8). Als die Sterndeuter das Baby gefunden haben, erhalten sie von Gott im Traum eine Weisung, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren – und reisen tatsächlich auf einem anderen Weg in ihr Land zurück (Matthäus 2,12). Gleich im nächsten Vers fordert ein Engel Josef im Traum dazu auf, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen, damit Herodes das Kind nicht umbringen kann (Matthäus 2,13). Josef befolgte diesen Traum – und so blieb Jesus am Leben!

Ein Traum dieser Art dürfte die absolute Ausnahme sein!

Falsch! Denn selbst der nüchterne Apostel Paulus hatte einen Traum mit weitreichenden Folgen. In Apostelgeschichte 16,9-10 wird davon berichtet, dass er in der Nacht eine Vision hatte: „Er sah einen Mazedonier vor sich stehen, der ihn bat: ‚Komm nach Mazedonien herüber und hilf uns!’“ Paulus folgt dieser Vision unverzüglich, weil er davon überzeugt war, dass Gott ihn dazu gerufen habe, den Menschen dort das Evangelium zu bringen. Paulus’ Traum war die Grundlage dafür, dass das Evangelium nach Europa kam!

Helfen uns Träume? Gibt Gott uns im Traum Entscheidungshilfen?

Ja! Auch dazu ein Beispiel aus der Bibel: Der babylonische König Nebukadnezar träumte von einem großen Baum, der abgehauen wurde (Daniel 4). Daniel deutete diesen Traum für Nebukadnezar: Wegen seiner Sünden sollte das Königreich von Nebukadnezar genommen werden. Nebukadnezar bekam jedoch die Chance, Buße zu tun und sein Leben zu ändern. Doch nichts passierte, und nach einem Jahr wurde Nebukadnezar wahnsinnig und von seinem Thron verstoßen.

Geschehen solche Träume auch heute?

Ja! Manchmal gebraucht Gott Träume, damit Menschen sich ihm zuwenden. Mir berichtete vor kurzem eine ältere Dame, dass sie vor 60 Jahren durch einen Traum den letzten Anstoß empfing, Christin zu werden. Sie träumte, dass sie in einen Sarg gelegt wurde, der zugenagelt wurde. Dieser Traum hat sich nach drei Monaten wiederholt. Sie verstand diesen Traum als Botschaft Gottes, mit ihrem alten Leben zu brechen und ein Leben mit Gott zu beginnen. Auch von ehemaligen Muslimen hört man häufig, dass sie dadurch Christ geworden seien, dass ihnen Jesus Christus im Traum erschienen ist.

Die Bibel berichtet auch von Alpträumen. So beklagt sich Hiob bei Gott: „Du erschreckst mich mit Träumen“ (Hiob 7,13-14).

Kein Wunder! Hiob hatte mit dem Verlust seiner Familie, seines Besitzes und seiner Gesundheit tagsüber schwere Qualen zu erleiden und es ist ganz natürlich, dass ihn das auch im Traum beschäftigt hat. Heute würden Ärzte bei Hiob vermutlich eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren, die nach schweren Ereignissen wie einem Unfall eintreten kann. Im Wachzustand versuchen viele Menschen schlimme Ereignisse zu verdrängen – doch im Traum kehren die Erinnerungen mit Macht zurück. Es ist deshalb wichtig, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Manchmal habe ich im Schlaflabor Patienten, die jedes Mal aus einem Traum erwachen und sich dann am nächsten Tag wie gerädert fühlen. Ihr Traum bewegt sie stark, sie wehren sich dagegen – und deshalb erwachen sie. Ich frage dann am nächsten Morgen: „Gibt es etwas, mit dem sie nicht fertig werden?“. Manche Patienten werden sich erst dadurch ihres Alptraums bewusst.

Haben sich Ihre Träume in Ihrem Leben erfüllt?

Ich bin Arzt geworden mit der Vision, Menschen zu helfen. Gerade im Schlaflabor gelingt das ganz gut. Oft kommen Menschen mit nächtlichen Atemstörungen zu uns. Ihnen durch unsere Behandlung einen erholsamen, normalen Schlaf zurückgeben zu können, ist für mich als Arzt ein großes Geschenk. Ein zweiter Traum von mir: Vor etwa 20 Jahren habe ich darüber nachgedacht, was ich Sinnvolles tun könnte, wenn ich in Rente gehe. Ich kam darauf, eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Lektor in der mecklenburgischen Landeskirche zu machen, um selbst Gottesdienste halten zu können. Dann dachte ich: ‚Vielleicht erlebe ich diese Zeit gar nicht mehr – also tue ich es lieber gleich.’ Jetzt halte ich seit einigen Jahren einmal im Monat einen Gottesdienst in einem Pflegeheim und predige hin und wieder auch in meiner Gemeinde. So kann ich etwas von dem, was Gott mir geschenkt hat, an andere weitergeben. Auch auf diese Weise hat sich für mich ein Traum erfüllt.

Vielen Dank für das Gespräch!


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