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| Kurienkardinal Kurt Koch: „Beten ist nur in der Lebenshaltung eines Kindes möglich“21. September 2021 in Spirituelles, 2 Lesermeinungen Predigt beim Treffen des Ratzinger Schülerkreises: „Gott hat das schiere Gegenteil von dem vollzogen, was uns Menschen aufgrund unserer erbsündlichen Vergiftung so wichtig ist. Wir pflegen uns gerne gross zu machen…“ Vatikan (kath.net) kath.net dokumentiert die Predigt „Kindliche Empfänglichkeit für die Erlösung“ 1 von Kurt Kardinal Koch zum Abschluss des diesjährigen Treffens des Ratzinger-Schülerkreises in der Kirche des Campo Santo in voller Länge – kath.net dankt für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung Das Kind als Vorbild des wahren Jüngers Zu allen Zeiten haben sich die Menschen Vorbilder ausgewählt, um ihrem Leben Orientierung zu geben. Vorbilder brauchen wir Menschen auch heute. An den Vorbildern, die jemand sich gibt, kann man unzweifelhaft ablesen, wie er sich selbst versteht. Die Vorbilder, die heute im Vordergrund stehen, sind zumeist erfolgreiche Menschen, die es zu etwas gebracht haben: im Geschäftsleben, in der Politik, im kulturellen Leben, im Showgeschäft, im Sport und oft sogar in der Kirche. Wer es genau wissen will, wer in der heutigen Gesellschaft Vorbildfunktion übernommen hat, braucht sich nur die tägliche Werbung im Fernsehen anzuschauen. Selig gepriesen werden hier allemal die Erfolgreichen, die Arrivierten und die Glücklichen. Wer käme in dieser gesellschaftlich ungesunden Atmosphäre auf die Idee, sich als Vorbild für das eigene Leben ein Kind zu wählen? Doch genau ein Kind legt Jesus seinen Jüngern nahe, indem er es in ihre Mitte stellt, es in seine Arme nimmt und zu den Jüngern sagt: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf“ (Mk 9, 37). Dass Jesus seinen Jüngern ein Kind als Vorbild vor Augen stellt, versteht man vor allem dann, wenn man auf den Kontext seines Handelns im heutigen Evangelium blickt. Dieser Kontext ist geprägt durch einen starken Kontrast, der zwischen der Geisteshaltung Jesu und derjenigen seiner Jünger besteht: Auf der einen Seite kündigt Jesus den Jüngern bereits zum zweiten Mal sein bevorstehendes Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung an. Auf der anderen Seite verstehen die Jünger die Worte ihres Meisters nicht und haben auf dem Weg nach Kafarnaum nichts Besseres zu tun, als sich darüber zu unterhalten, wer von ihnen denn als „der Grösste“ zu betrachten sei (Mk 9, 34). Um diesen Kontrast ins helle Licht seiner Botschaft zu stellen, erläutert Jesus in grosser Geduld den Jüngern seine Logik, die eine Logik der Liebe ist, die sich im Dienst bewährt und bis zur Selbsthingabe geht: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9, 35). Mit diesen Worten erklärt Jesus auch uns heute seine Logik, die die Logik des christlichen Glaubens überhaupt ist. Diese Logik entspricht der Wahrheit über uns Menschen, die wir nach dem Abbild Gottes geschaffen sind und deshalb von der Liebe berührt und angezogen sind. Sie steht aber ganz im Kontrast zum menschlichen Egoismus, der die Liebe unrein macht und vergiftet und die Ursache von bösen Absichten und Taten ist, wie es in der zweiten Lesung aus dem Jakobusbrief deutlich vor unsere Augen tritt, in der die Konsequenz der egoistischen Grundhaltung mit den drastischen Worten zum Ausdruck gebracht wird: „Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden“ (Jak 4, 2b-3). Wenn wir diese harte Konsequenz der allzu menschlichen Logik auf uns wirken lassen, können wir noch tiefer verstehen, weshalb Jesus seinen Jüngern ein Kind vor Augen führt. Grundhaltung glaubender Kindlichkeit Jesus weiss offensichtlich, welche Botschaft ein Kind in sich trägt und uns erwachsenen Menschen vermitteln will. In der menschlichen Erfahrung zeichnet sich das Kind dadurch aus, dass es auf andere Menschen ganz angewiesen ist. Das Kind ist jenes menschliche Lebewesen, dessen erster Ton im Leben das Schreien ist, das mit Tränen in die Welt hinein kommt und dessen erste Gebärden die ausgestreckten Hände sind, die nach Schutz und Geborgenheit tastend greifen. Ein Kind ist in radikaler Weise Armut, Ohnmacht und Angewiesenheit. Das Kind lebt buchstäblich auf Kosten anderer Menschen. In der Armut und Ohnmacht des Kindes ist aber ein grosser Reichtum verborgen. Dieser liegt freilich nicht in dem, was das Kind selbst beibringen und vorweisen könnte. Sein Reichtum besteht vielmehr darin, dass sich Andere von seiner Ohnmacht und Armut anrühren lassen und sich ihm liebevoll zuwenden können. Eben deshalb zeichnet sich das Kind auch dadurch aus, dass es herzhaft staunen kann. Die menschliche Erfahrung der Abhängigkeit wird im christlichen Glauben aufgenommen und vertieft. Denn der Reichtum, der in der Lebenshaltung einer elementaren Kindlichkeit verborgen ist, wird nirgendwo so deutlich und so schön offenbar wie in der Beziehung von uns Menschen zu Gott. Vor Gott dürfen wir Menschen uns erst recht als Kinder erfahren, die wir auf ihn ganz angewiesen sind und ihm unser Leben bis in die letzten Fasern hinaus verdanken. Wir sind in radikaler Weise abhängig von Gott und seiner Liebe. Dies ist die primäre Wahrheit des menschlichen Lebens. Und weil es sich so verhält, kann nur die Liebe, die Abhängigkeit in Freiheit umzuwandeln vermag, uns Menschen erlösen, wie Papst Benedikt XVI. immer wieder hervorhebt: „Erlöst, d.h. frei und wahr, können wir nur werden, wenn wir aufhören, ein Gott sein zu wollen, wenn wir auf den Wahn der Autonomie und der Autarkie verzichten. Wir können immer nur erlöst werden. Erst wenn wir dieses Passiv annehmen, kommen wir in die Region der Erlösung, der Freiheit und der Wahrheit.“ 2 In diese Region der Erlösung vermag aber nur das Kind zu kommen, weil es dieses „Passiv“ lebt und deshalb weiss, dass es elementar auf Liebe angewiesen ist. Die Erfahrung der Erlösungsbedürftigkeit machen wir Menschen vor allem im Gebet, in dem wir unsere Kindlichkeit ausdrücken und bewähren. Denn wenn wir beten, „machen“ wir Menschen etwas, das wir prinzipiell nicht machen können. Was im Gebet geschieht, entspringt nicht dem Machen des Menschen, sondern dem Handeln Gottes an uns. Das Gebet, das gewiss in empirischer Sicht von uns Menschen „gemacht“ wird, erinnert uns daran, dass nicht alles in unserem menschlichen Leben machbar ist. Der menschliche Beitrag im Gebet besteht vielmehr in der Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Es gibt zu denken, dass in der Sicht der Heiligen Schrift das Gebet vom Heiligen Geist angetrieben ist und eine seiner schönsten Wirkungen in uns Menschen ist, wie Paulus betont: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber jedoch tritt für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ (Röm 8, 26). Insofern sind es eigentlich nicht wir Menschen, die beten. Es ist vielmehr der Heilige Geist, der in uns betet. Er ist der wahre und eigentliche Vorbeter in uns. Und das Gebet ist der Atem des Glaubens, der aber nur im Kraftgeld des Heiligen Geistes möglich ist. Das Gebet gehört deshalb, wie der reformierte Theologe Oscar Cullmann sehr schön gesagt hat, „zu den grossen Liebesgaben Gottes für uns Menschen“ 3. Beten ist nur in der Lebenshaltung eines Kindes möglich, das Jesus uns als Vorbild vor Augen führt. Denn Jesus hat sich selbst vor Gott, seinem Vater, als Kind gewusst und erfahren, genauer als Sohn jenes Vaters, den er auf intim-zärtliche Weise „abba“ genannt hat. In diese Sohnesbeziehung will Jesus auch uns hinein nehmen, indem er uns einlädt, uns als Kind Gottes zu verstehen und zu erfahren. In dieser intimen Geborgenheit bei seinem Vater spricht Jesus auch seine besonderen Seligpreisungen aus. Jesus preist dabei diejenigen selig, die auf den hintersten Rängen des Lebens figurieren. Den Leidenden und Armen schickt er sein besonderes Glückwunschtelegramm. Denn diese wissen existenziell darum, was es heisst, Kinder und deshalb erlösungsbedürftig zu sein. Offenbarung Gottes als Kind Damit leuchtet der tiefste Grund auf, dass Jesus seinen Jüngern damals und uns heute ein Kind als Vorbild vor Augen stellt. Jesus kann uns diese Lebenshaltung deshalb zumuten, weil er zuvor für sich selbst das Kind als Vorbild gewählt hat, und zwar so sehr, dass er sich mit dem Kind nicht nur solidarisiert, sondern identifiziert, wie er im heutigen Evangelium betont: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat“ (Mk 9, 37). Die Identifizierung mit dem Kind ist dabei so weit gegangen, dass Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes, selbst Kind geworden ist, um in unsere Welt zu kommen und uns Menschen zu erlösen. Denn wenn er Mensch werden wollte, wollte er offensichtlich nicht nur ein bisschen, sondern ganz Mensch werden und alle Dimensionen des Menschseins – ausser der Sünde – annehmen. Er ist ganz konkret Mensch geworden – als Kind. Er wollte es nicht besser haben als das schwächste Glied in unserer Gesellschaft, als das Kind. Er wollte in unserer Welt ein Lebewesen sein, das auf die bergende Liebe von uns Menschen angewiesen ist. Er wollte ein Abhängiger und Angewiesener sein, um in dieser elementaren Bedürftigkeit in uns Menschen Liebe und Zuneigung zu erwecken. Jesus Christus ist nicht nur in diesem Kind, sondern als dieses Kind Mensch geworden. Der ewige Sohn Gottes ist ein kleines Kind geworden. Um dieses wohl grösste Paradox, das uns der christliche Glaube zumutet, wahrnehmen zu können, müssen wir noch tiefer danach bohren, warum Gott selbst diesen Weg der Kindwerdung gewählt hat. Eine hilfreiche Antwort hat uns der mittelalterliche Theologe Wilhelm von St. Thierry gegeben. Er ist der Überzeugung gewesen, die Grösse und Majestät Gottes hätten seit Adam die Menschen immer wieder zum Widerstand gegen ihn gereizt, da sie sich in ihrem Menschsein eingeschränkt und in ihrer Freiheit bedroht gefühlt hätten. Gott habe deshalb einen neuen Weg gewählt und sich entschieden, selbst Kind zu werden, sich uns Menschen klein, schwach und unserer Liebe bedürftig zu zeigen und in dieser Welt gleichsam einer von uns zu werden. Gott habe dies in der Zuversicht getan, dass wir Menschen in dieser Weise uns in unserer Freiheit respektiert wissen, uns von ihm nicht mehr bedroht fühlen, keine Angst mehr vor ihm zu haben brauchen, dass wir vielmehr Gott nur noch lieben können. Gott hat damit das schiere Gegenteil von dem vollzogen, was uns Menschen aufgrund unserer erbsündlichen Vergiftung so wichtig ist. Wir pflegen uns gerne gross zu machen und wollen gross herauskommen, selbst wenn wir dabei über unsere mittelmässigen Verhältnisse leben müssen. Solches menschliche und allzu menschliche Gehabe ist des Menschen Unart, aber keinesfalls Gottes Art. Er macht sich vielmehr klein, um den Kleinen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen auf „Du“ zu sein. Der allmächtige, reiche und ewige Gott will uns in der Ohnmacht, Niedrigkeit und Armut eines Kindes begegnen, damit wir ihn offenen Herzens empfangen können, wie dieses Geheimnis Papst Benedikt XVI. mit den tiefen Worten zum Ausdruck gebracht hat: „Gott kommt ohne Waffen, weil er nicht von aussen erobern, sondern von innen gewinnen, von innen her umwandeln will. Wenn irgendetwas den Menschen, seine Selbstherrlichkeit, seine Gewalttätigkeit, seine Habgier besiegen kann, dann die Schutzlosigkeit des Kindes. Gott hat sie angenommen, um uns so zu besiegen und zu uns selbst zu führen.“ 4 Mit den Augen von Kindern sehen In der Wehrlosigkeit eines Kindes kommt Gott auf uns Menschen zu und erwartet von uns, dass wir ihm in Freiheit und Liebe begegnen. So geschieht Erlösung, wie sie nur von Kindern mit ihren offenen Augen wahrgenommen und angenommen werden kann. Denn sie sehen aus dem Herzen heraus und sehen deshalb tiefer, wie Blaise Pascal mit Recht betont hat: „Le coeur a ses raisons que la raison ne connait pas.“ Das Herz hat in der Tat seine eigenen Gründe, und es hat auch seine eigene Vernunft, die über den blossen Verstand hinaus weist und hinaus reicht. Es braucht die Augen des Herzens, die die Augen des Glaubens sind, die das grosse Geschenk des Erlöstwerdens in Empfang nehmen können. Und es braucht die Augen von Kindern, die über das grösste aller Wunder staunen können, dass Gott Kind geworden ist und dass wir in der Beziehung zu ihm in der Haltung des Kindseins leben dürfen. In dieser Haltung des Kindseins vor Gott haben wir allen Grund, Gott für das Geschenk der Erlösung zu loben und in jenes intime Preisgebet einzustimmen, das Jesus aufgrund seiner eigenen Sohneserfahrung an seinen himmlischen Vater gerichtet hat: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so war es dein Wille. Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und jeder, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11, 25-27). Amen. Erste Lesung: Weish 2, 1a. 12. 17-20 Comp: JosephRatzinger-BenediktXVI.-Symposium2021Homilie 1 Homilie in der Eucharistiefeier mit den Schülerkreisen von Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. in der Kirche des Campo Santo Teutonico am 19. September 2021. Fotos oben - Kurienkardinal Koch beim Ratzinger-Schülerkreistreffen (c) LohmannMedia EWTN - Ratzinger-Schülerkreis Treffen 2021 - u.a. mit Erzbischof Gänswein, Kardinal Koch. Moderation: Martin Lohmann Mehr dazu auf kathtube:Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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