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| Faust baut Mist28. September 2013 in Buchtipp, keine Lesermeinung In Goethes »Faust« verstrickt sich der Held immer tiefer in Probleme. Der emphathische Mephistopheles deckt sofort das erhebliche Defizit an Selbstverwirklichung auf. Leseprobe 2 aus Raphael Bonelli: Selber schuld! Wien (kath.net) In Johann Wolfgang Goethes »Faust« verstrickt sich der Held immer tiefer in Probleme. Er lässt sich aus reiner Neugier, Langeweile und Lebensüberdruss auf die Ratschläge des Mephistopheles ein, der sofort das erhebliche Defizit an Selbstverwirklichung aufdeckt. Ein Liebestrunk à la Viagra forte macht aus dem verkopften Intellektuellen einen wagemutigen Latin Lover. Keine Frage, Faust hat viel zu lange seine Triebe unterdrückt, das ist definitiv ungesund! Gleich darauf begegnet Faust dem jungen, unschuldig-naiven Gretchen, das gerade von der Beichte kommt. Er entbrennt ob der pharmakologischen Unterstützung in heftiger Leidenschaft und verspürt das dringende Bedürfnis nach Triebentladung (Faust zu seinem Kumpel Mephisto: »Hör, du musst mir die Dirne schaffen!«). Der hilfsbereite Mephisto unterstützt ihn einfühlsam (Mephisto zu Faust: »Mit Sturm ist da nichts einzunehmen. Wir müssen uns zur List bequemen.«). Mit teuflischen Tricks baggert Faust nun die bigotte Unschuld an, indem er sie mit Schmuck und Schmeicheleien beeindruckt. Das ist ihre Schwachstelle. Gegenüber der Nachbarin Marthe ist Faust sogar bereit, einen Meineid zu schwören, um an sein Triebziel heranzukommen. Manchmal hat er Gewissenszweifel, es kommen da so komische Gedanken, dass er das Mädchen ins Unheil stürzen werde, dass seine Begierde sie verderben könnte. Aber er schiebt diese krankhaften Skrupel weg, lässt nicht ab von ihr: schließlich muss er sich endlich selbst verwirklichen! Und Gretchen will ja auch. Die ist nämlich in der Zwischenzeit auch ohne Medizin völlig hinüber und singt voller Sehnsucht am Spinnrad: »Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer ...« Sie macht sich noch kurz Sorgen wegen seiner mangelnden Religiosität, lässt sich aber von Fausts pseudoreligiöser Rhetorik schnell einlullen. Faust drängt sich in der Folge in ihre Schlafkammer, nachdem die beiden Turteltäubchen Gretchens Mutter mit einem Giftfläschchen ausgeschaltet haben, damit die von ihrem lustigen Treiben nichts hört. Die Schuldspirale dreht sich weiter, indem Faust mit Mephistos einfühlsamer Hilfe Gretchens Bruder im Zweikampf erdolcht. Gretchen sinkt weinend an der Seite ihres Bruders nieder, doch dieser weist sie sterbend zurück. Das ist der Super-GAU: Angsterfüllt und aufgewühlt von Schuldgefühlen wegen des Todes ihrer Mutter, des Todes ihres Bruders und ihrer unehelichen Schwangerschaft, stürzt Gretchen zum Dom, wo sie ohnmächtig zu Boden sinkt. Faust hingegen flieht vor der Katastrophe, das ist alles viel zu belastend für ihn. Er lässt sich vom empathischen Mephisto zur Walpurgisnacht mitnehmen, um sich von seinem schlechten Gewissen abzulenken. Abstand gewinnen zur Traumabewältigung. Doch mitten in der Party überkommen ihn wieder diese lästigen und völlig überflüssigen Schuldgefühle wegen Gretchens Unglück. Die hat inzwischen in der Einsamkeit ihr Kind geboren, es in ihrer Verzweiflung ertränkt und wurde dafür in den Kerker geworfen. Nun soll sie als Kindsmörderin hingerichtet werden. Faust versucht, sie mit Hilfe des Mephisto zu befreien. Doch Gretchen will aus Sühne für ihre Sünden die Strafe annehmen. Reuig befiehlt sie sich der Gnade Gottes an: »Dein bin ich, Vater! Rette mich!« Es graut ihr vor ihrem früheren Liebhaber (»Heinrich, mir grauts vor dir«) und seinen Taten. »Sie ist gerichtet!«, ruft Mephisto recht abgegrenzt. Doch aus der Höhe ertönt eine Stimme »Ist gerettet!«. Das ist das ziemlich unlustige Ende von Faust I. Die Dynamik bei meiner zugegebenermaßen eigenwilligen Faustinterpretation ist gekennzeichnet durch eine kraftvolle Ausblendung der Frage nach der Verantwortung, nach persönlicher Schuld. Kriterien sind die eigenen Bedürfnisse und die eigene Befindlichkeit. Rücksichtslosigkeit ist weniger direkt intendiert als eine logische Folge. Faust schiebt vor allem die Schuldfrage weg. Das ist angesichts der Dramatik und des entstandenen Schadens erstaunlich. In der realen psychotherapeutischen Praxis des 21. Jahrhunderts sieht man aber häufig, dass diese Karikatur mitunter Fleisch annimmt. Die eigene Schuld und die eigene Verantwortung können durchaus in einem Grad weggeblendet und verdrängt werden, dass einem unbeteiligten Zuschauer schwindlig wird. Faust verdrängt seine Schuld. Ist das nun so schlimm? Nun, dadurch, dass er seine eigenen Motive nur mangelhaft hinterfragen kann, reduziert er Gretchen tatsächlich auf ein Triebziel und handelt letztlich nach dem Motto »Der Zweck heiligt die Mittel«. Und der Zweck ist die eigene Befindlichkeit, das eigene Bedürfnis, die eigene Befriedigung. Eingeschlagene Handlungsstraßen können vom ihm nicht korrigiert werden, weil er sie nicht richtig zu interpretieren vermag und nicht abschätzen will, wohin sie führen. Faust wird durch seine Verdrängung skrupellos und unfähig, die dramatische Eskalation zu vermeiden. Leicht hätte er die beiden ersten Todesopfer verhindern können. Seine Rücksichtslosigkeit insbesondere gegenüber Gretchen gipfelt in seiner Flucht nach erfolgter Schwängerung, die sie in völlige Verzweiflung stürzt. Raphael Bonelli (Foto) lehrt und forscht an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Er leitet das "Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" (RPP), außerdem ist er Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin in Wien kath.net-Lesetipp: Bestellmöglichkeiten bei unseren Partnern: - Link zum kathShop - Buchhandlung Christlicher Medienversand Christoph Hurnaus: Foto Titelbild © Pattloch Verlag Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! LesermeinungenUm selbst Kommentare verfassen zu können müssen Sie sich bitte einloggen. Für die Kommentiermöglichkeit von kath.net-Artikeln müssen Sie sich bei kathLogin registrieren. Die Kommentare werden von Moderatoren stichprobenartig überprüft und freigeschaltet. Ein Anrecht auf Freischaltung besteht nicht. Ein Kommentar ist auf 1000 Zeichen beschränkt. Die Kommentare geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. | Mehr zuRaphael Bonelli
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