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| Das Abendland - Kontinent der Verwandlung und Labor der Freiheit6. Jänner 2021 in Kommentar, 3 Lesermeinungen "Das Abendland hat schon gewaltige Krisen hinter sich und mehr noch, fast könnte man es ein Labor der Krisen nennen, die es in ständiger Folge erschüttert haben." Gastbeitrag von Paul Badde Rom (kath.net) „Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“ hieß im Katastrophenjahr 1918 ein spektakulärer Jugendstil-Bestseller Oswald Spenglers im Wiener Braumüller Verlag, in dem der Münchener Autor von „kosmischen Flutungen“ und „erdverbundenen Daseinsströmen“ raunte und von „Kulturen“, die er sich irgendwie so organisch wie fleischfressende Riesenpflanzen vorzustellen schien. Aber auch im Katastrophenjahr 2020 ist das Abendland noch nicht untergegangen und oder in einer letzten Vollendung erloschen, wie Spengler wissen wollte. Denn das Abendland gleicht weder einem der Riesenmammutbäume Kaliforniens noch einem Ozeanriesen wie der Titanic - und es ist auch kein Land. Es ist eine Geschichte, die erzählt werden will. Und Ferment des Abendlands war viele Jahrhunderte, das beißt keine Maus den Faden ab, die lateinische oder römisch-katholische Kirche. Daran können auch die verschiedenen Spaltungen dieser Kirche nichts ändern und auch nicht die schlimmsten Missbräuche, die in den letzten Jahrzehnten bekannt wurden oder die Tatsache, dass Europas Katholiken wie Protestanten inzwischen der Kirche Christi in Scharen den Rücken zukehren und ihren alten Glauben aufgeben. Und wo die Stimmen innerhalb und außerhalb der Kirche immer lauter werden, die befinden, dieser Glaube sei nicht mehr „systemrelevant“. Die römische Kirche aber ist älter als alle Nationalstaaten Europas zusammengenommen. Sie war schon vor der Völkerwanderung da und reicht geradewegs in die Zeit der Cäsaren zurück. In dieser Epoche entwickelte sie sich in der Hauptstadt des Römischen Weltreichs aus der Lehre der Apostel und dem Blut der ersten Märtyrer im Circus des Imperators Nero auf dem Vatikanhügel, wovon der antike Historiker Tacitus im 15. Buch seiner „Annalen“ berichtet. Und bis zur Neuzeit hat sich die Geschichte des Abendlands um die Geschichte dieser Kirche und ihre Spaltungen herum entwickelt – und im Konflikt mit ihr, in einer stetigen schöpferischen Herausforderung. Die östliche Grenze des Abendlands kann man hingegen noch heute entlang der östlichsten gotischen Kathedralen ziehen. Dahinter begann das ähnlich alte byzantinische Reich der orthodoxen und orientalischen Christenheit im Zirkel von Russland zum Balkan und Griechenland, Syrien, Palästina und dem Irak bis hin nach Ägypten. Das war das Morgenland, das in großen Teilen schon im 7. Jahrhundert muslimisch wurde und blieb. Dieses Morgenland ist am Anfang des 3. Jahrtausends vor unseren Augen in die größte Krise seiner Geschichte geraten, zusammen mit dem Islam. Das Abendland hingegen hat schon gewaltige Krisen hinter sich und mehr noch, fast könnte man es ein Labor der Krisen nennen, die es in ständiger Folge erschüttert haben. Und Oswald Spengler hatte diesen unvergleichlichen geistigen Kontinent mit seinen Phantasien einfach nicht erfasst, auch wenn ihm viele Leser nach den Stahlgewittern von Verdun und den Giftgaswolken über der Somme seinen „Untergang des Abendlandes“ bereitwillig abnahmen. Vor allem aber hatte Spengler als eingefleischter Sozialdarwinist und Antisemit das jüdische Erbe des Abendlands nie begriffen, wo die Merowinger schon im 7. Jahrhundert an das messianische Salbungskönigstum des alten Israel anknüpften, bevor Karl der Große sich in seiner Aachener Pfalz als ein neuer König David in einem neuen Jerusalem begriff. Die Identifikation mit dem biblischen Volk Gottes war gewaltig, besonders im Heiligen Römischen Reich, das die Karolinger im Jahr 800 nördlich der Alpen neu errichteten. Nach Spengler ist es jedenfalls kein Wunder, dass in unseren Tagen auch die „patriotischen Europäer“ und neuheidnischen Nationalisten das Abendland nicht erfassen, die es gegen die Islamisierung und überhaupt alles Fremde verteidigen möchten. Widersprochen werden muss aber auch der Journalistenlegende Peter Scholl- Latour, der gegen Ende seines langen Lebens sagte: „Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes. Das Christentum hat teilweise schon abgedankt. Es hat keine verpflichtende Sittenlehre, keine Dogmen mehr." Christentum und Abendland waren aber niemals eins, ganz anders etwa als Saudi-Arabien mit seiner wahhabitischen Staatsdoktrin. Das Abendland hatte auch niemals Dogmen. Das hatte nur ihr innerer Widerpart: die römisch-katholische Kirche des Westens, die wir uns in der DNA des Abendlandes in historischer Dialektik wie den zweiten Strang einer Doppelhelix vorstellen dürfen, wo wir in dem anderen Strang alle Kräfte erkennen, die zu dieser Kirche in harter Konkurrenz standen. Das waren lange Zeit die Cäsaren und Imperatoren, dann überhaupt die Herrscher, selbst wenn sie getauft waren, und immer wieder auch Rebellen gegen das Dogma, von den Katharern des Mittelalters, bis zu Menschen wie Jan Hus, Martin Luther und Giralomo Savonarola zum Beginn der Neuzeit, die allesamt selbst der römischen Kirche entstammten. Es ließe sich auch eine höchst spannende und aufschlussreiche Geschichte des Abendlands entlang einer Kette von Antagonisten aus dieser langen Doppelhelix unserer Geschichte erzählen, also von erklärten Heiligen der römischen Kirche und von Rebellen gegen sie und das Dogma, also von Ambrosius aus Mailand und Theodosius dem Großen und bis zu Martin Luther aus Wittenberg und Ignatius von Loyola. Jedenfalls hat sich in der Spirale dieser Doppelhelix im Lauf der Jahrhunderte unser Begriff der Freiheit entwickelt. „Si tollis libertatem, tollis dignitatem“ (Wenn du die Freiheit nimmst, nimmst du die Würde) hieß der Leitgedanke, unter dem schon der irische Abt Columban von Luxeuil (540 bis 615 ) mit vielen anderen Missionaren aus Irland und Schottland das Abendland 600 Jahre nach Christus noch einmal neu begründete. Es war ein einzigartiger Geist, der hier im Innern des Abendlands eine Sehnsucht nach Freiheit kultivierte, bevor viele Konflikte wie der Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst und Glaubenskriege und Revolutionen dem Kontinent endlich die Trennung von Kirche und Staat bescherte, die den Staatsrechtler und Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930 – 2019) im Jahr 1964 eine Bilanz dieser Geschichte in die klassische Formel gießen ließ: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, 1967, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 92, 112 f.) Die Grundvoraussetzungen des freiheitlichen-säkularisierten Staates lassen sich aber nirgendwo anders und besser als in der Geschichte und filigranen Architektur des Abendlands studieren - wo in der römisch-katholischen Kirche zudem von Anfang an das Wunder der Verwandlung als Grundgut christlichen Glaubens gegen enorme Widerstände von einer Generation an die nächste weitergegeben und verteidigt wurde. Das ist zuerst der unglaubliche Glaube an die Verwandlung Gottes in seiner Menschwerdung, der in Bethlehem erstmals sein Gesicht gezeigt hat, zweitens ist es der Glaube an die Verwandlung des toten Jesus in den auferstandenen Christus als Lebender und drittens an die göttliche Verwandlung der eucharistischen Gestalten von Brot und Wein. Auch die Verwandlung gehört deshalb zum Wesen des Abendlands, selbst durch alle Katastrophen hindurch, wie es am 8. Dezember 1955 offenbar wurde, einem Schicksalsdatum unserer Geschichte, als es nach den Kataklysmen von zwei (!) Weltkriegen innerhalb von 30 Jahren und dem Versuch der Auslöschung des Volkes Israel inmitten des Kontinents der Kathedralen gelungen ist, Europa noch einmal neu zu begründen und aus erbitterten Todfeinden Verbündete zu machen. Ein Wunder lässt sich kaum gewaltiger und unglaublicher vor- und darstellen. Seitdem flattert die Flagge mit dem apokalyptischen Sternenkranz über dem bislang erfolgreichsten Friedensprojekt der Weltgeschichte. Diese Union hat dem Kontinent zudem eine Zeit des Wohlergehens beschert, wie Europa sie nie zuvor erlebt hat. In China aber trifft dieser Kontinent im globalen Wettstreit nun auf das vollständige Gegenbild zu sich selbst - in einem vorprogrammierten Konflikt. Denn in 2000 Jahren seiner Geschichte in Europa ist das Abendland ja nicht nur zu einem Labor der Krisen, sondern auch der Freiheit des Westens geworden. Die Freiheit des Christenmenschen ist deshalb auch Europas kostbarstes Exportgut, wobei das totalitäre China, das alles aufkauft, was es nur kann, dieses Gut unmöglich erwerben kann, ohne sich daran anzustecken. Einem Untergang des Abendlands müsste in diesem planetarischen Wettbewerb ein Untergang der lateinischen Kirche vorausgehen. Wenn die Kirche der Apostel Ihre Kraft zum Kontrast und zum Widerstand verlieren und der Glaube an die Verwandlung in ihr erlöschen würde. Dazu wird es nicht kommen. Das werden am Ende allerdings nicht die Theologen und die Bischöfe oder gar Strukturreformen, sondern die Institution des Papsttums und jene „alten abgelebten Weiblein“ verhindern, über die sich schon der legendär tolerante Alte Fritz zu seiner Zeit zusammen mit Voltaire so lustig gemacht hat. Diese Kirche wird niemals untergehen, auch nicht im Widerstreit mit dem Projekt einer neuen globalen Zivil-Religion. Darin findet sie höchstens zu sich selbst zurück. Die Geschichte des Abendlands ist darum noch lange nicht zu Ende erzählt. kath.net-Buchtipp: Bestellmöglichkeiten bei unseren Partnern:
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