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„Ortsbischof muss Politiker auf Widerspruch Abtreibungsförderung und Kommunionempfang hinweisen“

28. Mai 2021 in Interview, 1 Lesermeinung
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Kardinal Müller im kath.net-Interview zu abtreibungsfördernden katholischen Politikern: „Hier ist das Glaubenszeugnis gefragt bis zum blutigen Martyrium, nicht päpstliche Geheimdiplomatie und bischöfliche Machtspiele.“ Von Petra Lorleberg


Vatikan (kath.net/pl) In der Frage nach dem Kommunionempfang durch aktiv abtreibungsfördernde Politiker „darf es kein Denken und Handeln nach zweierlei Maß aufgrund einer ideologischen Selbstverblendung geben. Der für das Seelenheil seiner ihm von Christus anvertrauten Gläubigen zustände Ortsbischof hat die heilige Pflicht einem prominenten Katholiken ins Gewissen zu reden und ihn hinzuweisen auf den eklatanten Widerspruch zwischen der Förderung von Abtreibung und dem Empfang der hl. Kommunion.“ Das erläutert der emeritierte Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Kardinal Müller, im KATH.NET-Exklusivinterview. Denn „wer aktiv an der Abtreibung mitwirkt oder wider besseres Wissen und aller Belehrung zum Trotz sie durch Wort und Tat begünstigt oder als Katholik an verantwortlicher Stelle ihr nicht entgegenwirkt, steht im Widerspruch zum Willen Gottes und empfängt die Sakramente sich nicht zur Gnade, sondern zum Gericht (vgl. 1 Kor 11, 27)“, so Müller. kath.net hat ihn zu dem Konflikt in der katholischen Kirche in den USA befragt, wo die knapp 300 Bischöfe der US-amerikanischen Bischofskonferenz derzeit mit einem Standpunkt zu diesem Thema ringen, nicht zuletzt angesichts des US-Präsidenten Joe Biden, der gegen den offenen Widerspruch von US-Bischöfen die Erweiterung der Abtreibungslegalisierung durchsetzt und sich gleichzeitig als praktizierender Katholik zu präsentieren versucht.

Der frühere Präfekt der Glaubenskongregation kritisierte auch, dass in der säkularen Öffentlichkeit „Abtreibung verharmlost und verschleiert als reproduktive Gesundheit und den Müttern als Selbstbestimmungsrecht der Frau schmackhaft gemacht“ wird, „während man gegen die Lebensschützer als Verletzer des sogenannten ‚Menschenrechtes auf Abtreibung‘ mit Drohungen und Strafen juristisch und publizistisch vorgeht.“

kath.net: Herr Kardinal Müller, um was geht es im Konflikt zwischen den US-amerikanischen Bischöfen über die Zulassung von katholischen, abtreibungsbefürwortenden Politikern?

Kardinal Gerhard Müller: Es geht um die Einheit von Glauben und Leben, von Bekenntnis und Sittlichkeit. In das Reich Gottes kann nur kommen, wer Jesus als den Herrn und Gott bekennt, aber auch den Willen seines himmlischen Vaters erfüllt (vgl. Mt 7, 21; Röm 10, 9). Die sakramentale Kommunion im Empfang des eucharistischen Leibes und Blutes Christi gereicht dem gläubigen Empfänger nur zum Heil, wenn er auch moralisch und sozialethisch sich in Wort und Tat so verhält, wie es dem in der Taufe begründeten Leben in Christus und der vollen Kirchengliedschaft entspricht.

Papst Franziskus hat die Mitglieder der Mafia öffentlichkeitswirksam pauschal exkommuniziert und ihre privaten Frömmigkeitserweise als Heuchelei angeprangert.

Diesen Ausschluss von der heiligen Kommunion mit Christus muss man logischerweise auch auf alle Katholiken beziehen, die direkt und indirekt mitwirken an „Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes 27).

Auf die Unglaubwürdigkeit von Politikern hatte schon Friedrich Nietzsche hingewiesen, die sich öffentlich als Christen präsentieren, aber in ihren Taten sich antichristlich verhalten und damit das Christentum ad absurdum führen. In seiner Schrift „Der Antichrist. Fluch auf das Christentum“ (1889) hält er einer vom Ideal Christi entfernten Kirche, die sich im Staat bequem einrichtet, den Spiegel vor: „Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand, von Achtung vor sich selbst, wenn unsere Staatsmänner sogar, eine sonst sehr unbefangne Art Menschen und Antichristen der Tat durch und durch, sich heute noch Christen nennen und zum Abendmahl gehn?“ (Der Antichrist, 38). Der nihilistische Prophet des „Todes Gottes“ wusste noch besser als die Namenschristen von heute, dass man zur hl. Kommunion nur gehen kann, wenn auch das Leben mit der Lehre Christi übereinstimmt.


kath.net: Man kann da ja zwei Gedankenstränge im Umgang mit dem Thema verfolgen. Erstens: was sagt die katholische Lehre zum Eucharistieempfang durch dezidiert abtreibungsbefürwortende und entsprechend agierende Politiker?

Kard. Müller: Die meisten Regierungen des ehemals christlichen Westens sind von der Ideologie des Lebensfeindschaft infiltriert. Sie leugnen und bekämpfen die Gottebenbildlichkeit des Menschen, weil diese natürliche und geoffenbarte Wahrheit ihren absoluten Anspruch auf die Macht begrenzt und ihren vollen Zugriff auf Leib und Leben, Denken, Handeln und Fühlen ihrer Herrschaftsobjekte behindert.

Dagegen sagt die Lehre der Kirche eindeutig und klar: „Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen.“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes 51).

Nicht von ungefähr sind führende Weltpolitiker, Wirtschaftsbosse, Big-Tech-Giganten von dem totalen Überwachungsstaat in China berauscht. Ihre Great-Reset-Phantasien weisen in eine Welt der Beglückung der Massen durch die Ausschaltung des freien Denkens der Individuen. Dazu gehört ihre Bevölkerungspolitik. Sie sind der Meinung, dass es zu viele Menschen auf der Erde gibt, die die Ressourcen des Planeten verbrauchen. Deshalb müsse mit allen Mitteln die Bevölkerung reduziert werden, besonders durch Empfängnisverhütung und millionenfache Kindstötung. Dafür garantiert die herrschende Elite der Oligarchen und Philanthropen dem von ihnen beglückten Rest ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein betreutes Denken. Wo es keine Alternative mehr gibt, braucht sich keiner mehr Sorgen zu machen; alles wird „von denen da oben“ schon bestens geregelt.

Dazu wird das Verbrechen der Abtreibung verharmlost und verschleiert als reproduktive Gesundheit und den Müttern als Selbstbestimmungsrecht der Frau schmackhaft gemacht, während man gegen die Lebensschützer als Verletzer des sogenannten „Menschenrechtes auf Abtreibung“ mit Drohungen und Strafen juristisch und publizistisch vorgeht. Obendrein ermöglicht die Abtreibung dann das hochkriminelle Milliardengeschäft mit den Organen dieser ermordeten Kinder.

Dass eine solche Haltung nicht vereinbar ist mit der sakramentalen Gemeinschaft in Christus, dem Fleisch gewordenen Wort Gottes, liegt offen zu Tage. Der Sohn Gottes offenbarte sich den Jüngern als das lebendige Brot, das vom Himmel herab gekommen ist: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt... Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Joh 6,51. 55).

Ein frühchristlicher Autor stellte fest: Die Christen beteiligen sich positiv am öffentlichen Leben wie alle Bürger, tun aber nichts Böses und leben nach den Geboten Gottes: „Sie heiraten wie alle andern und zeugen Kinder, setzen aber die geborenen nicht aus“, d.h. respektieren also unbedingt das Lebensrecht jedes Kindes als Geschöpf Gottes (vgl. Diognet-Brief 5).

kath.net: Und zweitens: Wie geht man mit menschlicher, seelsorgerlicher und diplomatischer Klugheit mit dieser Frage um?

Kard. Müller: Manche Politiker reden sich heraus, dass sie persönlich gegen den Kindermord seien, aber als Verantwortungsträger in einer pluralistischen Gesellschaft nicht allen Mitbürgern gleichermaßen christliche Positionen auferlegen könnten. Man müsse die Meinung derer berücksichtigen, die den Kindern im Mutterleib das volle Menschsein absprechen.

Diese Politiker vergessen dabei, dass es sich um Fragen des natürlichen Sittengesetzes und um das grundlegendste aller Menschenrechte handelt, nämlich das Leben. „Denn der Mensch ist auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes Art. 24).

Papst Franziskus hat im Katechismus der Katholischen Kirche präzisiert, dass der Staat kein Recht habe, Schwerstverbrecher mit dem Tode zu bestrafen. Um wie viel weniger kann der Staat seinen Bürgern das Recht zuschreiben, unschuldige Menschen im Mutterleib grausam zu töten? Es ist ein schreiender Widerspruch, wenn die staatliche Gesetzgebung und die Justiz sich selbst aus der Verantwortung stehlen, das Leben von kleinen Kindern zu schützen - in den USA sind darunter beklagenswerterweise überproportional viele afroamerikanische Kinder - und zugleich den gewaltsamen Tod eines Afroamerikaners mit der Höchststrafe von 40 Jahren Freiheitsentzug ahnden.

Hier darf es kein Denken und Handeln nach zweierlei Maß aufgrund einer ideologischen Selbstverblendung geben. Der für das Seelenheil seiner ihm von Christus anvertrauten Gläubigen zustände Ortsbischof hat die heilige Pflicht einem prominenten Katholiken ins Gewissen zu reden und ihn hinzuweisen auf den eklatanten Widerspruch zwischen der Förderung von Abtreibung und dem Empfang der hl. Kommunion. Das ist die wahre Barmherzigkeit im Unterschied zu menschenkluger diplomatischer Taktik.

Der positive Einfluss der Kirche auf die Politik besteht nicht in der Kumpanei der Bischöfe und päpstlichen Delegaten mit der Macht, sondern in der Bereitschaft sich in den „Dienst an der Menschheit“ stellen zu lassen. „Und zwar in einen Dienst, den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack.“ So sagte es Pater Alfred Delp SJ (1907- 1945) in seinen Aufzeichnungen aus dem Nazi-Gefängnis über „Das Schicksal der Kirche“ –bevor ihn die Justiz eines durch und durch gottlosen Staates zum Tode verurteilte.

Hier ist das Glaubenszeugnis gefragt bis zum blutigen Martyrium, nicht päpstliche Geheimdiplomatie und bischöfliche Machtspiele.

Gegenüber der verächtlichen Frage des Skeptikers nach der Wahrheit sagte Jesus: „Ich bin dazu geboren und dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ (Joh 18, 37).

Christsein heute besteht privat und öffentlich nicht in schönen Kindheitserinnerungen, sentimentalem Selbstmitleid mit dem Pathos der Selbstverwirklichung oder großen Schaufensterreden über Umweltschutz und Klimaziele. „Ob die Kirchen den von göttlichen Kräften erfüllten, schöpferischen Menschen noch einmal aus sich entlassen, das ist ihr Schicksal... Nur dann haben sie die hellen Augen, die auch in den dunkelsten Stunden die Anliegen und Anrufe Gottes sehen. Und nur dann schlagen in ihnen die bereiten Herzen... denen es nur um eines geht: im Namen Gottes zu helfen und zu heilen... Die Wucht der immanenten Sendung der Kirche hängt ab vom Ernst ihrer transzendenten Hingabe und Anbetung.“ (Pater Delp, Mit gefesselten Händen, Freiburg 2007, 138-144).

kath.net: Wenn ein Spitzenpolitiker wie beispielsweise der US-Präsident Joe Biden sich den Wählern und Bürgern durch Messbesuche als praktizierender Katholik präsentiert, während er gleichzeitig die Prolife-Politik seines Vorgängers wieder rückgängig macht und sich auch schon im Wahlkampf als expliziter Befürworter der Legalisierung von Abtreibung erwies, besteht da die Gefahr, dass die katholischen Gläubigen über die katholische Lehre zur aktiven Tötung ungeborener Kinder in Verwirrung geraten?

Kard. Müller: Es ist die Aufgabe des Lehramtes der amerikanischen Bischöfe, jede Unklarheit über das unbedingte Lebensrecht jedes Menschen zu überwinden.

Wer aktiv an der Abtreibung mitwirkt oder wider besseres Wissen und aller Belehrung zum Trotz sie durch Wort und Tat begünstigt oder als Katholik an verantwortlicher Stelle ihr nicht entgegenwirkt, steht im Widerspruch zum Willen Gottes und empfängt die Sakramente sich nicht zur Gnade, sondern zum Gericht (vgl. 1 Kor 11, 27).

Bischöfe, die in politischem Kalkül ihre Parteinähe und das Medienlob über ihre Hirtenpflichten stellen, machen sich der Profanierung der Kirche schuldig, die sie damit vor der Welt als eine NGO präsentieren und ihr wahres Sein als der Leib Christ und Tempel des Heiligen Geistes verleugnen. Mit ihren schlauen Ausreden, sie wollten die hl. Kommunion nicht zu einem Mittel der Politik herabwürdigen, täuschen sie nur sich selbst aber nicht andere, die das würdelose Spiel durchschauen, mit dem die hl. Kommunion zum Mittel der Politik gemacht wird. Auf geradezu selbstzerstörerische Weise bestätigen sie das liberale Vorurteil, dass die Religion Privatsache sei und in der Öffentlichkeit nichts zu suchen habe.

kath.net: Über diesen Streitigkeiten in der US-amerikanischen Bischofskonferenz schwebt aktuell der Vorwurf der „Spaltung“. Wer genau spaltet die US-Kirche – jene, die die katholische Lehre öffentlich verteidigen oder jene, die bereit sind, mit abtreibungsbefürwortenden Politikern zusammenzuarbeiten?

Kard. Müller: Die Wahrheit des Evangeliums ist der Grund der Einheit der Jünger in der Kirche Christi. Unsere weltklugen „Pastoralisten“ stellen diese Wirklichkeit auf den Kopf. Sie wollen eine zur Schau gestellte Einheit nach Menschenart, um der herausfordernden Wahrheit des geoffenbarten Glaubens auszuweichen.

Viele seiner Jünger fanden die eucharistische Rede Jesu in der Synagoge von Kafarnaum zu hart. Denn „wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?“ Aber Jesus geht mit ihnen keinen synodalen Weg des beschwichtigenden Dauerdialogs bis sich alle auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, oder das „Salz der Erde“ (Mt 5, 13) so schal geworden ist, dass es die Menschen auf der Straße achtlos zertreten.

Er fragte die Zwölf Apostel damals und er fragt die ganze Kirche heute: „Wollt auch ihr gehen?“ Und Petrus bekennt bis zur Stunde aus dem Munde seines Nachfolgers, dem römischen Papst: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ (Joh 6, 68f).

kath.net: Hoffen Sie persönlich darauf, dass sich die für Juni angesetzte Vollversammlung der US-amerikanischen Bischofskonferenz zu einem deutlichen und öffentlichen Statement durchringen kann? Welche Inhalte würden Sie als konstruktiv einschätzen und warum?

Kard. Müller: Wenn die Bischöfe den Primat der Wahrheit anerkennen und der Versuchung widerstehen, sich – wie leider so oft in der Geschichte – der scheinbaren Omnipotenz des Staates und dem Ansehen bei den wankelmütigen Zeitgenossen unterzuordnen, kann etwas Gutes herauskommen für die katholische Kirche in den USA und anderswo.

Kindesmissbrauch ist eine schwere Sünde an der leiblichen Integrität der Heranwachsenden, an ihrer Seele und an ihrem Leben. Hoffentlich hat man aus dem Fall McCarrick gelernt und nicht nur, dass er ungewollt aufflog, sondern dass das Zulassen des Bösen nie mit etwas Gutem ausgeglichen werden kann.

Wegschauen und Verharmlosen, Kungeln mit den Mächtigen, klüger sein wollen als die Kinder dieser Welt, anpassungsschlau weltliche Interessen verfolgen – all das hat noch nie der Kirche gedient und immer nur ihre Sendung verdunkelt, das „allumfassende Sakrament des Heiles zu sein, welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht.“ (II. Vatikanum , Gaudium et spes Art. 45).

 

VIDEO - Sonntagsimpuls zum Dreifaltigkeitssonntag - P. Klaus Einsle LC - 30. Mai 2021

 

Archivfoto: Kardinal Müller im Vatikanischen Presseraum (c) Michael Hesemann


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Lesermeinungen

 physicus 28. Mai 2021 
 

Vielen Dank für diese klaren Worte der Orientierung. Kardinal Müller bleibt ein "Leuchtturm".


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