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„Die Liebe kann auf einem Gesicht gelesen werden … sie berührt das härteste Herz“

28. Mai 2021 in Spirituelles, 1 Lesermeinung
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Worte des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit in seiner diesjährigen Pfingstpredigt in Saint-Germain l’Auxerrois. Von Juliana Bauer


Paris (kath.net) Schon mehrfach war das Angesicht des Menschen Thema in Mgr Aupetits Predigten. So im vergangenen Jahr in seiner Homilie über die Verklärung Christi sowie in einer seiner damaligen vorpfingstlichen Predigten. Auch in der diesjährigen Homilie des Pfingstsonntags nennt Erzbischof Aupetit das menschliche Antlitz in einem bedeutenden Zusammenhang seiner Worte über die Auswirkung von Gottes Geist. Das Gesicht des Menschen, das aktueller denn je ist. Und zunehmend in den Mittelpunkt allgemeiner Diskussionen rückt.

Schauen wir uns zuerst die Pfingst-Predigt des Erzbischofs im Gesamten an. Nach seiner letztjährigen Betrachtung, die er dem Feuer und dem Atem des Heiligen Geistes widmete, schenkte er in diesem Jahr den Sprachen, der Sprachverwirrung und der einen Sprache des Geistes Gottes seine Aufmerksamkeit, der Sprache Gottes, welche von allen Völkern verstanden werden kann, der Sprache, die auch ihre tiefe Verbindung zum menschlichen Antlitz nicht leugnen kann.

Zentrale Pfingst-Botschaft Mgr Aupetits: „Der Heilige Geist, die Liebe Gottes wird allen zugänglich“

Immer wieder von neuem beeindrucke ihn das „großartige Ereignis von Pfingsten, als auf jeden der Apostel Feuerzungen niedergingen… und die Apostel, bis dahin gelähmt vor Angst, aus dem Abendmahlsaal hinausgehen und in allen Sprachen die Frohe Botschaft von Jesus und seiner Auferstehung verkünden.“ Mit einem humorvollen Abstecher zu persönlichem und gegenteiligem Erleben, das er mit zwei Sätzen reinwirft, sorgt er für ein Schmunzeln: er frage sich, warum er sich in der italienischen Sprache noch immer so schwertue, wenn er in Rom sei – wo er doch in seiner Taufe und Firmung die Gaben des Heiligen Geistes erhalten habe. Und wie die Apostel das denn „machten... in allen Sprachen zu sprechen…?“

Bei diesen Gedanken erinnerte sich Michel Aupetit an den Turmbau zu Babel, wo Gott als Konsequenz für die Maßlosigkeit der Menschen die eine Sprache, die alle verstanden, „verwirrte“ und die „Sprachen vermischte“ (Gen.11,1-9). Der Erzbischof zeigte die ewige Versuchung und den immer wiederkehrenden maßlosen Anspruch des Menschen auf, alle unter die eigenen Vorstellungen zu zwingen, „eine vom Menschen künstlich geschaffene Wahrheit durchsetzen“ zu wollen, die anderen zu unterjochen und „Totalitarismen“ zu errichten und sich den Himmel „gegen Gott“ erobern, ja, selbst „wie Gott sein zu wollen.“ Kommt uns das nicht bekannt vor, frage ich. Nicht allein aus der Geschichte, sondern ganz konkret in der aktuellen Situation, wie sie in etlichen Ländern Europas gerade vorangetrieben wird?

„Am Pfingsttag erfahren wir das Gegenteil: die Worte der Apostel, die vom Geist Gottes erfüllt sind, sind für alle verständlich. Für alle Völker, Sprachen, Kulturen.“


Dann stellt Michel Aupetit die Frage nach der Bedeutung des Apostelberichtes. Seine Antwort darauf ist schlicht und schnörkellos: „Es ist nicht so, dass die Apostel in jeder Sprache sprechen…“ Dann, sich unmittelbar an der Apostelgeschichte orientierend, verweist er darauf, dass jeder die Worte der Apostel in seiner Sprache verstehe, dass es die Frohe Botschaft von Gott und von Jesu Auferstehung sei, die sich an alle Kulturen und ihre Besonderheiten richte und die Sprache eines jeden zu achten vermag.

„Welche Sprache aber ist das“, fragt Mgr Aupetit weiter. „Das ist ganz einfach. Es ist die Sprache der Liebe.“ Denn „der Heilige Geist, die Liebe Gottes wird allen zugänglich, die ihn willkommen heißen.“ In diesem Kontext nennt er die zahlreichen Bibelübersetzungen sowie die keinesfalls überraschende Tatsache, „dass die Bibel und das Evangelium heute in alle auf der Erde existierende Sprachen und Dialekte übersetzt werden … da sie die Liebe Gottes sind, die sich an alle richtet…“ In engem Bezug zum Pfingstfest formuliert Aupetit schließlich den aussagekräftigen Satz: „Pfingsten ist die Liebe Gottes, die nicht anders kann, als sich uns zu schenken.“ Er erinnert die Christen aber auch mit dem Wort Jesu daran, diese Liebe anderen selbst nicht zu versagen: „Niemand hat eine größere Liebe, als der, der sein Leben gibt für seine Freunde…“ (Joh.15,13).

An dieser Stelle beleuchtet Erzbischof Aupetit das menschliche Antlitz, wo diese Liebe zuerst sichtbar würde – das Gesicht und „seine Zerbrechlichkeit“, welches der christliche Philosoph Martin Steffens unlängst als den „beste(n) Widerstand gegen das Unmenschliche“ bezeichnete („Faire Face“, Aleteia). Denn „Liebe“, so Michel Aupetit, „braucht keine Worte. Die Liebe kann auf einem Gesicht gelesen werden, die Liebe begreift man durch wohlwollende Gesten, sie berührt das härteste Herz, sie ist eine universelle Sprache.“

Hier schließe ich nicht nur seine fast am Ende angelangte Predigt mit seinem Hinweis auf die Früchte des Heiligen Geistes, die da sind Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Wohlwollen, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal. 5,22-23) und die erkennen ließen, ob wir den Geist von Pfingsten lebten und die Sprache von Gottes Liebe sprächen, sondern ich gehe gleichzeitig die Zeitspanne eines Jahres zurück, um die Worte des Erzbischofs aus der bereits erwähnten Homilie, die sich ganz in das Thema einfügen, vorzustellen und seine heutige Aussage zu vertiefen.

Jean-Louis oder das Angesicht des Menschen

„Die Liebe kann auf einem Gesicht gelesen werden, die Liebe begreift man durch wohlwollende Gesten…“ Den aktuellen Worten Mgr Aupetits schließt sich jene Geschichte vom vorletzten Ostersonntag des vergangenen Jahres an, jene Geschichte von Jean-Louis, einem Pariser Obdachlosen, die Michel Aupetit so lebendig zu erzählen weiß. Bekannt in der französischen Hauptstadt, saß Jean-Louis häufig vor einer Kirchentür und bettelte um Almosen. Georgette, eine „charmante, alte Dame gab ihm jeden Tag eine kleine Münze… Aber die alte Dame genierte sich immer ein wenig…, Jean-Louis, der auf der Straße loggierte, zu begegnen…, sie traute sich nicht…, ihm ins Gesicht zu sehen.“ Den Grund hierfür sieht der Erzbischof in der Tat in dessen Gesicht, das er in seiner Zerbrechlichkeit und mit nur einem einzigen Satz beschreibt: „Dieses war unrasiert sowie von Witterungseinflüssen und vom Alkohol lädiert.“

Dann berichtet Erzbischof Aupetit von einer entscheidenden Wendung: „Als Georgette eines Tages wieder aus der Messe kam, knickte sie, als sie vom Bürgersteig herunterwollte, um und zog sich eine Verstauchung zu, sodass sie vor Schmerzen nicht aufstehen konnte. Jean-Louis eilte zu ihr. Er half ihr mit großer Feinfühligkeit aufzustehen. Und zum ersten Mal, zum allerersten Mal begegnete sie seinem Blick und sah so viel Zärtlichkeit darin, dass sie ganz erschüttert war.

Seitdem unterhielt sie sich jedes Mal lange mit ihm, wenn sie die Messe verließ. Eines Tages, als sie ihm wieder Geld geben wollte, sagte Jean-Louis zu ihr: ‚Geben Sie mir kein Geld mehr, Madame. Was ich brauche, ist Ihr freundlicher Blick; Sie haben mit mir gesprochen, ich war jemand für Sie, ich interessierte Sie ein wenig. Ich interessiere sonst ja niemanden.‘ Das sagt uns, dass wir lernen sollen, … die Liebe Gottes in unserem Herzen wohnen zu lassen“ folgert der Erzbischof daraus, seine Zuhörer ermunternd.

Jean-Louis‘ Antlitz, sein Blick, seine Gesten und die wachsende Offenheit der alten Dame, ein inneres Wachsen, das sich im Gegenüber mit dem anderen, ganz konkret im Blickkontakt, von Angesicht zu Angesicht, aber auch im Gespräch entwickelt, bilden das zentrale Motiv in Michel Aupetits Schilderung – eine Schilderung, die bereits in die maskenverpflichtende Virus-Zeit fiel, die jedoch aus einer Zeit davor erzählt. Aus einer Zeit, in der das Gesicht der Mitmenschen zu sehen war, zu betrachten war, wahrgenommen werden, erkannt werden konnte.

„Wenn wir jemanden sehen und wenn wir ihm wirklich begegnen wollen, schauen wir zuerst in sein Gesicht. Das Gesicht ist der Ausdruck des Menschen…“ Das waren Erzbischof Aupetits Worte in der Predigt zur Verklärung Christi (8.März 2020), kurz bevor das „Confinement“ in Frankreich zuschlug, das allgemeine Weggesperrt-Werden der Menschen, dem, wie auch in Deutschland, das Weggesperrt-Werden der Gesichter vorausging. Das Verschließen des zutiefst Menschlichen. Gesichter, die zum Abschotten gezwungen werden, denen man Mimik und Gefühl erstickt. Aus denen gerade noch die Augen über die vermaledeiten Masken blicken, Augen, aus denen sich wenigstens hin und wieder ein Lächeln oder Lachen herausstiehlt. Gesichter, die dazu gezwungen werden, sich vom Anderen abzuwenden, sich zu distanzieren. Wie will ich dann dem Mitmenschen begegnen?

Was folgte, nach nunmehr 15 Monaten, war und ist eine zunehmende „verschleierte Menschlichkeit…, ein verhindertes Lächeln“, die „Behinderung“ der „Sprache“ (Steffens, Faire Face). Wen wundert es, dass der Philosoph Steffens und sein Co-Autor daher eine „Atmosphäre latenter, täglicher Gewalt wahrnehmen“ (Steffens, Faire Face) – eine Wahrnehmung, die sich durch zahlreiche Fakten unserer Gesellschaft bestätigt.

„Zumindest die Maskenpflicht bleibt trotz niedriger Inzidenz … in allen … Bereichen bestehen“ (bo). Ich möchte Erzbischof Aupetits pfingstliche Worte wiederholen und sie dieser gerade mitgeteilten Information aus Baden-Württemberg entgegensetzen: „Die Liebe kann auf einem Gesicht gelesen werden … sie berührt das härteste Herz…“ Ich möchte aber den Verkündern des Gottesworts ebenso entgegensetzen: Geht ihr voran. Zeigt ihr den Menschen endlich wieder euer Gesicht. Das Gesicht, das euer Herz widerspiegelt…, das Gott ausstrahlen soll… (Aupetit). Es ist Zeit.

Wie hätten denn die Apostel den Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden vermögen, hätten sie sich Mund und Nase zubinden lassen?

Homélies – Diocèse de Paris, Homélie de Mgr Michel Aupetit. Messe de Pentecôte à St Germain l’Auxerrois, Paris. Dimanche 23 mai 2021 und KTOTV, Messe de la Pentecôte à Saint-Germain l’Auxerrois, 23/05/2021
Homélies – Diocèse de Paris, Homélie de Mgr Michel Aupetit. Messe du 6e Dimanche de Pâques à St Germain l’Auxerrois, Paris, Dimanche 17 mai 2020 und KTOTV, Messe du dimanche 17 mai 2020 à Saint-Germain l’Auxerrois, 17/05/2020

Homélies – Diocèse de Paris, Homélie de Mgr Michel Aupetit. Messe à St Germain l’Auxerrois, Paris, Dimanche 8 mars 2020 und KTOTV, Messe du dimanche 8 mars 2020 à Saint-Germain l’Auxerrois, 08/03/2020

“Faire Face“ sans se voiler la face („Gesicht zeigen“, ohne sich das Gesicht zu verhüllen), Aleteia France 19.05.2021. Über die Publikation „Faire Face“ von Martin Steffens und Pierre Dulau, April 2021.

Übersetzung für kath.net: Dr. Juliana Bauer

Archivfoto Erzbischof Aupetit (c) Erzbistum Paris


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Lesermeinungen

 apokalyptischerreiter1 30. Mai 2021 
 

Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.

Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handet nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.


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