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| „Lagerdenken verbietet sich, es ist von vornherein un-katholisch“26. August 2022 in Interview, 14 Lesermeinungen „Auch Papst Franziskus hat trotz Einschränkung der Heiligen Messe nach früherem Ritus auch auf verheerende Mißstände hingewiesen bei denen, die daraus launige Unterhaltung/Selbstdarstellung machen.“ Gerhard Kard. Müller im Gespräch mit Martin Lohmann Vatikan (kath.net/Una Voce) Mit freundlicher Genehmigung der Una Voce-Korrespondenz veröffentlicht kath.net dieses zuerst bei „Una Voce“ erschienene Interview und dankt für die freundliche Erlaubnis. Martin Lohmann: Eminenz, es wird berichtet, dass Sie in den vergangenen Monaten die Einladung zweier Gemeinschaften päpstlichen Rechts angenommen haben, um dort Weihen im überlieferten Ritus vorzunehmen. Sie waren in der Benediktinerabtei Le Barroux in Südfrankreich und im Institut vom guten Hirten bei Chartres. War das für Sie die erste Erfahrung mit der alten Liturgie als Zelebrant? Gerhard Kardinal Müller: Ich habe die Einladung zur Spendung der hl. Weihen angenommen, nicht wegen der sogenannten Alten Liturgie, sondern wegen des Auftrags Christi an die Apostel und ihre Nachfolger, Bischöfe, Priester und Diakone als Diener für die Kirche einzusetzen. Was die Sendung und Vollmacht der Bischöfe in der apostolischen Sukzession ist, können wir alle nachlesen schon im 1. Clemens-Brief 42-44 oder bei Hippolyt von Rom, Traditio Apostolica 2; 7 ; 8. Aber es war auch das erste Mal, dass ich die Liturgie in der Form gefeiert habe, wie sie bis 1967 allgemein in der lateinischen Kirche üblich war, von Benedikt XVI. als außerordentlicher Ritus etabliert wurde und auch heute unter den gegebenen Voraussetzungen gültig und rechtmäßig gefeiert werden kann. Ich habe also nicht irgendein liturgisches Lager gewechselt, weil sich für mich als Katholik, Bischof und Theologe ein Lagerdenken verbietet, das von vorherein absolut unkatholisch ist. Ich bejahe mit voller Überzeugung auch die Prinzipien der „Erneuerten Liturgie“ nach den Grundsätzen der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums, vor allem die volle, bewusste, tätige und fromme Teilnahme aller Gläubigen an der Verehrung Gottes und der Vermittlung der Gnade nach Sacrosanctum concilium 2; 14. Aber auch Franziskus hat trotz der Einschränkung der Feier der Heiligen Messe nach dem früheren Ritus auch auf die verheerenden Mißstände hingewiesen bei denen, die aus der Göttlichen Liturgie eine launige Unterhaltung und Selbstdarstellungmachen. Lohmann: Papst Benedikt XVI. hatte mit seinem Motu proprio Summorum Pontificum vom 7. Juli 2007 deutlich gemacht, dass es kein Gegeneinander der Liturgien geben könne. Und er hatte ja als Brückenbauer deutlich gemacht, dass die sogenannte Alte Liturgie ebenso normal sein muss wie die würdig gefeierte Neue Liturgie. Beide Weihen, die Sie nun vollzogen haben, fanden statt, nachdem Franziskus das Motu proprio Traditionis Custodes erlassen hat. Dieses steht ja, um es vornehm auszudrücken, in einer gewissen Spannung zu „Summorum pontificum“. Was bedeutet dies für Sie als Zelebrant? Und: Wie muss „Traditionis custodes“ authentisch interpretiert werden? Beides zusammen geht ja wohl kaum. In unserem Gespräch für unser Buch „Wahrheit - Die DNA der Kirche“ 2020 hatten Sie die Weisheit Papst Benedikts und seine Fähigkeit als Brückenbauer gerade in so wesentlichen Fragen besonders gewürdigt. Kard. Müller: Papst Benedikt hat mit seiner hohen theologischen Urteilskraft und seiner umfassenden humanistischen Bildung die weise Unterscheidung von ordentlichem und außerordentlichem Ritus getroffen und damit auch den ganzen spirituellen Reichtum und Tiefgang der lateinischen Liturgiegeschichte in die Gegenwart hineingerettet. Immer, wenn man sich hingegen von Vorurteilen und Ressentiments leiten lässt, kommen Entscheidungen mit negativen Folgen für die kirchliche Gemeinschaft, ihre Einheit und die Förderung des Glaubens zustande. Die äußere liturgische Form – jenseits der unveränderlichen Form und Materie, die auf Christus und die Apostel zurückgehen – ist wandelbar und hat sich in den vielen legitimen Riten der einen katholischen Kirche einen reichen kulturellen Ausdruck verschafft (SC 2). Ich meine, dass die Berater, die Papst Franziskus zu „Traditionis Custodes“ gedrängt haben, eher von einem ideologischen Fanatismus geleitet waren als von tieferen Einsichten in die katholische Sakramentenlehre und in die Systematik der katholischen Theologie überhaupt. Die Vorliebe einer nicht kleinen Gruppe von – besonders auch jungen – Katholiken für die ältere Liturgieform mit einer Ablehnung des II. Vatikanums in Verbindung zu bringen, ist schon deshalb unglaubwürdig, weil man von verantwortlicher Seite in Rom die Irrlehren des Deutsch-Synodalen Wegs von Laienfunktionären und Bischöfen unbeanstandet lässt, die als Ganze und im Einzelnen der Lehre des II. Vatikanums über die Sakramentalität der Kirche, das Priesteramt, die Ehe und Sexualmoral diametral widersprechen. Hier sieht man mehr den Splitter im Auge des Bruders und merkt nicht den Balken im eigenen Auge. Mein Rat wäre in dieser dramatischen Stunde der Weltkirche, sich um das Wesentliche des Glaubens zu kümmern und sich nicht in Fragen der variablen Ordnungen zu verzetteln. Und Versöhnung zu schaffen, statt immer wieder neue Unruhen zu stiften. Denn der „Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (Lumen gentium 18, 23). Lohmann: Sie hatten ja sehr bald nach Veröffentlichung von „Traditionis Custodes“ deutliche Kritik daran geübt. Sie gelten, wenn man das so sagen darf, eher als Mann der Ratio, als „kühler Denker“, und weniger als ein Mann der „Emotionen“. Darf ich fragen, ob Sie nach dem Vollzug dieser Liturgie leichter nachvollziehen können, warum so viele Katholiken auch mit ganzem Herzen an dieser „Form“ der Messfeier hängen? Mir wird auch immer wieder berichtet, dass vor allem junge Menschen durch diese Liturgie den Zugang zum Glauben finden. Eine Frage der Nostalgie kann es also vermutlich nicht sein. Kard. Müller: Es kommt immer auch auf die Harmonie von Denken, Fühlen und Handeln an. Der Gegensatz besteht eher zwischen einer menschengemachten, politisierenden Ideologie, die zu Intoleranz führt, und der Theologie, die nichts anderes ist als der Versuch, den geoffenbarten Glauben mit der Vernunft zu verstehen, ohne ihn unserer endlichen Vernunft zu unterwerfen und das unerschöpfliche Geheimnis Gottes in unsere Kategorien einzusperren nach dem Motto: Gott kann nur das tun, was ich mir vorstellen kann. Ich selbst feiere mit Überzeugung die Liturgie in der neuen Form; aber ich verstehe auch, dass angesichts absurder Missbräuche und der Selbstsäkularisierung sog. progressiver Priester die Sehnsucht nach einer würdigen Form der Liturgie und nach frommen und gläubigen Priestern da ist – gerade unter jungen Menschen, die nicht nur oberflächlich einer Funktionärskirche, sondern in tiefer Liebe zu Christus der Kirche als Haus Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes zugehören wollen. Das Maß der Liturgie ist die Anbetung Gottes und die opfernde Hingabe an ihn, und nicht das Ankommen bei den Gläubigen wie der Entertainer bei seinem Publikum. Lohmann: Beide Gemeinschaften, die Sie besucht haben, waren ursprünglich eng mit Erzbischof Lefebvre verbunden. In Ihrer Zeit als Regensburger Bischof hatten Sie das Priesterseminar Zaitzkofen quasi vor der Haustür, und als Präfekt der Glaubenskongregation waren Sie mit dem „Dossier“ befasst. Waren die jüngsten Weihen Beiträge zum Brückenbau? Wie geht es weiter? Wie kann es weitergehen in einer Kirche, der es um das Bekenntnis zum auferstandenen Gottessohn gehen muss und die in ihrer Liturgie den heiligsten Kern ihrer Existenz feiert. In unserem Gespräch für das Buch sagten Sie: Liturgie ist etwas Heiliges und die Begegnung mit dem heiligen Gott, der uns Anteil an seinem Leben gibt. Man könnte sagen, dass das ganze Leben der Kirche sich hier konzentriert und zum Höhepunkt gelangt. Von hier geht alles aus für die Kirche. Also daher meine Frage: Wie kann, wie muss, wie sollte es weitergehen? Wie wichtig ist der liturgische Brückenbau? Kard. Müller: Die Trennung der Leute um Erzbischof Lefebvre von der vollen Einheit der Kirche ist in die Wolke der Tragik eingehüllt. Die Weihe von vier Bischöfen ohne Erlaubnis Roms und sogar gegen das ausdrückliche Verbot, kann als schwerstmöglicher Verstoß gegen die Einheit der Bischöfe cum et sub Petro (mit und unter dem römischen Papst) keinesfalls hingenommen werden. Aber es darf auch von Rom nicht mehr an Gehorsam verlangt werden als es sich aus der Wahrheit des Evangeliums und der sichtbaren Gemeinschaft der Kirche ergibt. Es müssen keineswegs bei einem Wechsel des Papstes sich alle auf eine „neue Linie“ einschwören lassen. Wir sind keine politische Partei und schon gar nicht eine totalitäre Weltanschauung. Die selbsternannten Progressisten, die mit Vehemenz gegen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gekämpft haben bis zur häretischen Infragestellung des göttlichen Rechtes des Papsttums, sehen nun in Papst Franziskus „einen von uns“, wie sie sich ausdrücken. Und jetzt sei die Gelegenheit gekommen, ihrer Fraktion die alleinige Herrschaft in der Kirche zu verschaffen, indem man die „Traditionalisten“ oder „fundamentalistischen Katholiken“ mit Hilfe der verabsolutierten päpstlichen Machtfülle zum Gehorsam zwinge bis zur Ablehnung geoffenbarter Glaubensinhalte in der Heiligen Schrift, der Apostolischen Tradition und den definierten Dogmen des Lehramtes. Das steht auch hinter der völlig un-katholischen Meinung, Papst Franziskus könne irreversible Reformen rein kirchlichen Rechtes einführen. Irreversibel sind nur die Entscheidungen des Lehramtes, die den geoffenbarten Glauben und die sakramentale Gestalt der Kirche göttlichen Rechtes betreffen. Der Trick dahinter ist, dass sie nach ihrem Gusto die Katholiken einteilen in Freunde und Feinde des Papstes. Und sie bestimmen wie in totalitären Staaten die Zugehörigkeit zum richtigen Lager und liquidieren mit vollem Recht die Feinde des Systems. Ein freier Christenmensch aber braucht sich von den Machthabern dieser Welt nicht einschüchtern zu lassen. Lohmann: Bisher ist die Kritik am Novus Ordo – wie diese Zeitschrift ihn seit Jahren übt – von den meisten Bischöfen als Kritik am Lehramt verstanden worden. Die Kritik an der vorkonziliaren Liturgie wurde indes nie so interpretiert. Was muss man als Theologe bei einer „relecture“ des Problems von Liturgiereformen vor allem beachten. Kard. Müller: Man kann als Katholik niemals die Substanz der Sakramente kritisieren oder ihre von Christus unmittelbar oder durch die Apostel mittelbar verfügte Form und Materie der Sakramente. Wir können etwa bei der Taufe das Wasser oder bei der Eucharistie das Brot und den Wein nicht durch andere materielle Zeichen ersetzen. Und wir können aus den Sakramenten als Mittel und Zeichen der heiligmachenden Gnade nicht religiöse Symbole zur bloß subjektiven inneren Erbauung machen. Auf der anderen Seite wäre es nicht richtig, eine gewachsene Form der Liturgie mit ihren ausdeutenden Zeichen zu verabsolutieren oder, im Gegenteil, ohne Rücksicht auf ihre gewachsene Form sie vom Schreibtisch der Liturgiewissenschaftler rationalistisch neu zu konstruieren. Hier besteht nicht die Alternative zwischen einer totalen Rückkehr zur Alten Liturgie oder einer Verabsolutierung des Novus Ordo, der auch in liturgischen Einzelelementen veränderbar ist. Man muss sich ebenso vor einem äußerlichen Rubrizismus hüten wie vor einem oberflächlichen Unterhaltungsstil.“ Lohmann: Sie haben den Begriff „deutschsynodal“ geprägt. Was ist in der Kirche in Deutschland falsch gelaufen, dass wir heute Zustände wie 1517 erleben: Vorreformation! Und welche Rolle kommt dabei der Liturgie zu? Es ist sicher kein Zufall, dass man unter den Anhängern der Tradition keine Befürworter des sogenannten Synodalen Weges findet. Kard. Müller: Die Parallele besteht nicht in dem religiösen Ernst, der die „Reformatoren“ und ebenso ihre katholischen Kritiker beseelte, sondern in der mangelnden theologischen Bildung und mangelnden echt katholischen Gesinnung des Episkopates damals und heute. Nicht die Wahrheit des Evangeliums und die Bereitschaft zur Verkündigung des Wortes Gottes – ob gelegen oder ungelegen – war damals der erste Beweggrund der Hirten der Kirche, sondern der Erhalt ihrer bischöflichen Pfründe. Dieser niederen Gesinnung entspricht heute der Wunsch, in den Medien und der veröffentlichten Meinung gut dazustehen. Wer das Wort Gottes in der Heiligen Schrift, der Liturgie und in der Lehre der Kirche relativiert und die sogenannte Lebenswirklichkeit und pseudowissenschaftliche Thesen von der Nicht-Lebbarkeit und der Schädlichkeit der katholischen Sexualethik zum Maß seines bischöflichen Handelns macht, der sollte sich vom Apostel Paulus fragen und sagen lassen: „Geht es mir denn um die Zustimmung der Menschen oder geht es mir um Gott? Suche ich etwa Menschen zu gefallen? Wollte ich noch den Menschen gefallen, dann wäre ich kein Diener Christi.“ (Gal 1, 10). Lohmann: Viele reden schon gar nicht mehr von der (einen) Kirche in Deutschland, sondern – theologisch falsch – von der Deutschen Kirche. Das, so sagten Sie, wäre oder ist häretischer Nationalismus, Sie sprechen von Provinzialismus und Deutschtümelei. Das klingt gelegentlich so, als gebe es eine neue Mental-Hegemonie innerhalb der Kirche in Deutschland. Ist das so? Kard. Müller: Sie haben recht: Man redet – und das tun sogar Bischöfe – immer wieder von deutscher Kirche, was in einem theologisch geschulten Ohr klingt wie ein Hammerklavier bei Schweigeexerzitien. Richtig wäre in der Tat von der katholischen Kirche – in den USA, in Polen oder in Deutschland – zu sprechen. Es ist die eine weltweite katholische Kirche „in“ einem bestimmten Land. Wenn man bewusst von „deutscher Kirche“ spricht, dann ist das in der Tat eine Deutschtümelei. Es ist eine Art von nationalistischer Überheblichkeit, als müsse der ganze christliche Glauben, die Wesensverfassung der Kirche und die ganze Mission Christi durch ein metaphysisch aufgeladenes Deutschtum hindurchgepresst werden. Lohmann: Aber das wäre doch reinste Häresie, oder? Wäre das häretisch? Kard. Müller: Es ist primitiv und häretisch, und es ist auch zudem einfach noch ganz provinziell. Ich finde das erschreckend, wenn ausgerechnet die Deutschen irgendwie einen Führungsanspruch für die ganze Weltkirche anmelden wollen. Mit was wäre das zu rechtfertigen? Mit den dicken Portemonnaies unserer Kirche in Deutschland? Es sollte wirklich alles vermieden werden, was einen deutschen Überlegenheitskomplex pflegen würde. Alles andere wäre simpelster Kleingeist, der sich als Großmannssucht tarnt. Einen deutschen Dünkel brauchen wir nicht. Der dient zu nichts. Lohmann: Dahinter steckt ein defizitäres, ein falsches Kirchenbild? Kard. Müller: Ja. Man leugnet zwar nicht, dass die Kirche irgendwie das Ursakrament ist, aber man verhält sich im Alltag ganz anders. Denken Sie nur an die Katholikentage. Da spielen vor allem die Politiker aus bestimmten Parteien eine Rolle. Es gibt ein mainstreamgerechtes Vorfiltern. Und wenn ein ehemaliger US-Präsident auf einem Kirchentag erklärt, dass alle Religionen gleich sind und keiner die Wahrheit beanspruchen könne, bekommt er tosenden Beifall. Christen applaudieren solchen Behauptungen und relativieren sich selbst, sie leugnen Christus und die von ihm geoffenbarte Wahrheit Gottes. Man stelle sich das vor: Christen leugnen Christus als den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Offenbar wissen selbst viele Christen nicht mehr, dass Christus nicht reduziert werden kann auf die Rolle eines von vielen Religionsstiftern oder beeindruckenden religiösen Menschen und Impulsgebers. Lohmann: Sie sagten einmal, das sei ein gigantischer christlicher Minderwertigkeitskomplex. Kard. Müller: Richtig. Und ich wiederhole gerne: Wer sich auf Christus beruft und an ihn wirklich glaubt, der hat dazu nun wahrlich keinen Grund. Wir als Christen sind doch nicht nur ein Teil des politischen Gerangels. Das ist dann am Ende eine Form von Selbstverzwergung, die Jesus Christus wahrlich nicht gerecht wird. Der Glaube an ihn ist keine Lobbyarbeit für die eigene Gemeinschaft, sondern führt uns in die Proexistenz, das Dasein-für-andere. Unser Christentum ist kein selbstgefälliger Überlegenheitsanspruch, sondern Dienst an den Menschen in ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die wir unserem Glauben an Gott verdanken und den wir weiterzugeben haben. Wo immer Menschenrechte verletzt werden, müssen wir mit Wort und Tat eingreifen. Lohmann: Sie warnen immer wieder vor der Gefahr des Glaubensverlustes auch innerhalb der Kirche. Ist diese Gefahr wirklich groß und auch konkret erkennbar? Etwa durch allzu billige Anpassung an die Welt? Kard. Müller: Offensichtlich. Das Wichtigste wäre doch, den Glauben zu verkünden und den Menschen das Brot des Evangeliums zu geben statt der Steine der Anpassung. Die Anpassung an das Weltliche und Politische macht im letzten eben nicht – um das für Kirchliches ohnehin unpassende Wort einmal zu gebrauchen – attraktiver. Die Kirche wird nicht anziehender, wenn sie das sagt, was die Welt ohnehin schon weiß. Sie ist für die Welt da, aber sie ist nicht von der Welt. Lohmann: Wir stehen vor einer Synode über Synodalität. Obwohl dieser Begriff in aller Munde ist, werden die wenigsten Katholiken mit ihm etwas anfangen können. Was steht zu erwarten? Gibt es nicht die Gefahr eines vollkommenen Mißverstehens wie bei vielen Begriffen nach dem II. Vatikanum? Sie hatten sich in der Glaubenskongregation ja um Schadensbegrenzung bemüht. Kard. Müller: Synodalität ist ein Abstraktum, das genommen wurde von der Vollmacht des Gesamtepiskopates auf einer Synode, einem Konzil, um die wahre lehre der Offenbarung von der Häresie abzugrenzen. Jetzt haben wir eine Inflation des Begriffs zu einem Passpartout für die Vermengung mit einer falschen Auffassung von „sensus fidei fidelium“ (Lumen gentium 12). Es geht nicht um die Erneuerung der Kirche in Christus. Sondern um die Ersetzung der Wahrheit, die von oben kommt, von der Autorität des sich offenbarenden Gottes, durch die Weisheit aus dem Volk, der Stimme des Volkes, dem romantisierenden Geist des Volkes – vermittels einer gelenkten Demokratie, eben gelenkt von der Synodenführung, die die Ergebnisse schon vorher in die Diskussionen einfiltriert hat. Am Ende wird das herauskom- men, was hineingeben wurde. Und das Ganze wird dann mit der – an sich systemfremden – Berufung auf den Heiligen Geist unangreifbar und irreversibel gemacht – selbst wenn man im Widerspruch steht zum Wort Gottes. Denn Jesus ist hier nicht mehr das Wort des Vaters, das endgültig sich als die Wahrheit geoffenbart hat. Er ist nur ein Impulsgeber aus ferner Zeit, der seinen Horizont nicht überschreiten konnte. Aber wir haben heute nach den professoralen Ideengeber der Bischöfe auf katholisch.de ein höheres Bewußtsein, das die Wahrheit Gottes und des Menschen besser und endgültiger begreift. Nach Jesus sind die neuen Propheten unter den progressiven Theologieprofessoren, „reformbereiten“ Bischöfen und ZdK-funktionären die Wegbereiter der Zukunft einer Kirche von Katholiken, die sich von den Vormundschaft Gottes, Christi und des Lehramtes der Apostel befreit haben und die im unerschütterlich-arroganten Bewusstsein der Mündigkeit und Autonomie des Gewissens sich selbst bewundern und anbeten. Lohmann: In den vergangenen Monaten sind prominente Ex-Kleriker in die „Alt-Katholische Kirche“ gewechselt. Diese gilt seit ihrer Gründung als Auffangbecken von Priestern mit Zölibatsproblemen. Ein ehemaliger Generalvikar scheint seinen gelebten Zölibatsbruch zu nutzen, um medienwirksam für sein Buch zu werben. Manche meinen, hier werde eine Kirchenspaltung instrumentalisiert, um einen weiteren Spaltpilz zu befördern. Bereitet man vielleicht aus dieser Richtung das Schisma vor? Oder anders gefragt: Haben wir faktisch längst ein Schisma, das „nur noch“ offiziell verkündet werden müsste? Kard. Müller: Eine gelungene mediale Inszenierung nach dem Motto ,Haltet den Dieb’. Die hohe Kunst, sich selbst als Opfer seiner jahrelangen Heuchelei zu stilisieren, bringt rauschenden Beifall und reichen Gewinn. Hinter der Maske der Reform verbirgt sich nur der Abfall vom katholischen Glauben an den dreifaltigen Gott und seine inkarnatorische Gegenwart in Christus und seine kirchlich-sakramentale Vermittlung, wie wir den aus Gnade empfangenden Glauben alle in der Taufe bekannt haben und so oft in der liturgie erneuert haben. Lohmann: Zurück zur Liturgie, dem eigentlichen Wesensvollzug der Kirche: Was raten Sie den bisweilen verzagten Anhängern der überlieferten Form der Messe, die nach Traditionis Custodes in liturgische Existenznöte kommen? Und was raten Sie jenen Katholiken, die in ihren „NO-Heimatgemeinden“ zunehmend unter liturgischen Greueltaten und synodalen Anwandlungen ihrer Pfarrer – oder zumindest unter deren Aufsicht – leiden, nach Traditionis Custodes aber keinerlei Aussicht haben, dass sich neue Standorte auftun, an denen die alte Messe zelebriert wird? Kard. Müller: Es geht nicht um die Alternative zwischen der älteren und der neuen Form der Liturgie des lateinischen Ritus, sondern um die Wahrheit des Glaubens, die Anbetung Gottes und die Vermittlung der Gnade, die für beide Formen das Richtmaß sein müssen. Jeder Gläubige hat das Recht und die Pflicht, den katholischen Glauben zu leben und zu bezeugen und im Notfall auch seinen Bischof oder seinen Pfarrer auf Irrlehren oder Missbrauch der Liturgie oder ihrer geistlichen Vollmacht hinzuweisen oder auch nur dort hinzugehen, wo es keinen Abfall vom Glauben gibt. Wir wissen, dass die selbsternannten Pseudo-Reformkatholiken mangels Argumente autoritär und Menschen verachtend vorgehen und Bischöfe und ihre Exekutoren klerikalen Machtmissbrauch betreiben. Sie machen sich vor Gott und der Kirche schwer schuldig, wenn sie Priester nötigen zur Blasphemie und dem Betrug der Homo-Segnung, wenn sie verlangen, Nichtkatholiken die hl. Kommunion zu reichen und vieles andere mehr. Angefeindet werden ist das los derer, die zu Christus halten auch dort wo er nicht den Beifall der Massen findet, die heute ihr Hosianna und morgen ihr Kreuzige-ihn durch die breiten Straßen brüllen. Nicht einmal vor einem so frommen und gebildeten Mann der Kirche wie Benedikt XVI. macht der Mob halt. Es gibt keinen geschützten Platz, wie schon der hl. Paulus wusste, angesichts der Verfolgungen von außen und der innerkirchlichen Anfeindungen. Das kann ich selbst sagen in meiner Stellung als Bischof und Kardinal, der seit zwanzig Jahren im Fadenkreuz der Machenschaften und Lügengespinste derer steht, die den Begriff der Kirchenreform missbrauchen für ihre antikatholische Agenda. Es ist so, dass die Rolle zwischen denen, die des Trostes bedürfen und die trösten, vertauschbar geworden ist. Angesichts des Stachels im Fleische Christi, den auch der Apostel in all den Verfolgungen um Christi willen in seinem eigenen Fleisch schmerzen spürt, vernimmt der Apostel nur die Antwort Gottes: „Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. (2 Kor 12, 9f). Lohmann: Herr Kardinal, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch. Der Journalist und Publizist MARTIN LOHMANN, 1957 in Bonn geboren, studierte Geschichte, katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Er war stellvertretender Bundesgeschäftsführer des Bundes katholischer Unternehmer (Köln), leitete das Ressort Christ und Welt bei der Wochenzeitung Rheinischer Merkur, wo er zuletzt stellvertretender Chefredakteur war – und führte als Chefredakteur die Rhein-Zeitung (Koblenz). Später war er Chefredakteur beim Fernsehsender K-TV. Er gehört zum Neuen Schülerkreis von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., hat zahlreiche Bücher über Kirche und Gesellschaft veröffentlicht und moderierte einhundert Mal im Bayerischen Fernsehen die live-Sendung „MünchnerRunde“. Lohmann ist unter anderem Päpstlicher Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem sowie Marienritter der Schwarzen Muttergottes Jasna Gora in Tschenstochau und Mitglied der römischen Bruderschaft Santa Maria dell’Anima. Viele Jahre führte er als (ehrenamtlicher) Vorsitzender den Bundesverband Lebensrecht (BVl). Er ist Geschäftsführer der Akademie für das Leben, Bonn. www.akademiefuerdasleben.de Archivfoto Kardinal Müller (c) Bistum Sandomierz/Polen kath.net-Buchtipp! Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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