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| Ich bin mit euch alle Tage (Mt 28,20)22. Juni 2021 in Aktuelles, 2 Lesermeinungen Botschaft zum ersten Welttag der Großeltern und älteren Menschen. Drei Pfeiler des Wiederaufbaus: Träume, Erinnerung und Gebet Rom (kath.net) Der Vatikan veröffentlichte am heutigen Dienstag die Botschaft von Papst Franziskus zum ersten Welttag der Großeltern und älteren Menschen. Der Tag, der am Sonntag, den 25. Juli 2021 gefeiert wird, steht unter dem Motto: „Ich bin mit euch alle Tage (Mt 28,20)“. Die Botschaft des Papstes im Wortlaut: Liebe Großeltern, liebe ältere Menschen, „Ich bin alle Tage mit euch“ (vgl. Mt 28,20b). So lautet die Verheißung, die der Herrn seinen Jüngern gab, bevor er in den Himmel auffuhr. Dies sagt er heute auch zu einem jeden von euch. „Ich bin alle Tage mit dir, lieber Großvater, liebe Großmutter.“ Auch ich möchte mich als Bischof von Rom und als ein Mensch, der ebenfalls schon älter ist, anlässlich dieses ersten Welttags der Großeltern und älteren Menschen mit diesen Worten an euch wenden. Die ganze Kirche ist euch nahe. Oder sagen wir besser: sie ist uns nahe. Du bist ihr nicht gleichgültig, sie liebt dich und möchte dich nicht allein lassen! Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass diese Botschaft euch in einer schwierigen Zeit erreicht. Die Pandemie war ein unerwarteter und heftiger Sturm, eine harte Prüfung, die das Leben aller getroffen hat, insbesondere aber uns ältere Menschen. Sehr viele von uns sind krank geworden, viele von uns sind heimgegangen oder mussten mitansehen, wie das Leben ihres Ehepartners oder eines geliebten Menschen zu Ende ging, zu viele waren für sehr lange Zeit zur Einsamkeit gezwungen und isoliert. Der Herr kennt alle unsere Leiden in dieser Zeit. Er ist denen nahe, die die schmerzliche Erfahrung machen, bei Seite geschoben zu werden; unsere Einsamkeit – die durch die Pandemie noch verschlimmert wurde – ist ihm nicht gleichgültig. Der Überlieferung nach wurde der heilige Joachim, der Großvater Jesu, von seiner Gemeinschaft verstoßen, weil er keine Kinder hatte; sein Leben wurde – wie das seiner Gattin Anna – als nutzlos angesehen. Aber der Herr schickte ihm einen Engel, um ihn zu trösten. Als er traurig außerhalb der Stadttore verweilte, erschien ihm ein Bote des Herrn und sagte: „Joachim, Joachim! Der Herr hat dein eindringliches Gebet erhört“.[1] Giotto scheint in einem seiner berühmten Fresken[2] diese Begebenheit nachts anzusiedeln, in einer jener vielen schlaflosen Nächte voller Erinnerungen, Sorgen und Wünsche, die auch viele von uns aus eigener Erfahrung gut kennen. Aber selbst wenn alles dunkel erscheint wie in diesen Monaten der Pandemie, schickt der Herr weiterhin Engel, um uns in unserer Einsamkeit zu trösten und uns wieder und wieder zu sagen: „Ich bin alle Tage mit dir“. Das sagt er zu dir, zu mir, zu allen. Das ist der Sinn dieses Welttages, und es war mir ein Anliegen, ihn gerade in diesem Jahr zum ersten Mal zu begehen, nach dieser langen Zeit der Isolierung und der langsamen Wiederaufnahme des sozialen Lebens. Mögen alle Großeltern, jeder ältere Mensch – vor allem diejenigen von uns, die besonders einsam sind – den Besuch eines Engels erhalten! Manchmal werden sie das Gesicht unserer Enkelkinder haben, manchmal das Gesicht von Familienmitgliedern, von guten alten Freunden oder von Menschen, die wir gerade in dieser schwierigen Zeit kennengelernt haben. In dieser Zeit haben wir gelernt zu verstehen, wie wichtig Umarmungen und Besuche für einen jeden von uns sind. Wie traurig stimmt es mich, dass dies an manchen Orten immer noch nicht möglich ist! Der Herr aber sendet uns seine Boten, auch durch das Wort Gottes, diesen immerwährenden Zuspruch für unser Leben. Lasst uns jeden Tag einen Abschnitt des Evangeliums lesen, lasst uns mit den Psalmen beten, lasst uns die Propheten lesen! Wir werden von der Treue des Herrn innerlich bewegt sein. Die Schrift wird uns auch helfen zu verstehen, was der Herr heute von unserem Leben erwartet. Denn er sendet Arbeiter in seinen Weinberg zu jeder Stunde des Tages (vgl. Mt 20,1-16) und in jeder Lebensphase. Ich selbst kann bezeugen, dass ich den wichtigsten Ruf meines Lebens, der mich auf den Stuhl Petri brachte, erhielt, als ich das Ruhestandsalter erreicht hatte und mir schon dachte, dass ich nicht mehr viel Neues anfangen könne. Der Herr ist uns immer nahe, auf immer neue Weise lädt er uns ein, mit neuen Worten, mit seinem Trost, aber immer ist er uns nahe. Ihr wisst, dass Gott ewig ist und dass er nie in den Ruhestand geht, niemals. Im Matthäusevangelium sagt Jesus zu den Aposteln: »Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28,19-20). Diese Worte gelten auch uns heute, und sie helfen uns, besser zu verstehen, dass es unsere Berufung ist, unsere Wurzeln zu bewahren, den Glauben an die Jungen weiterzugeben und sich um die Kleinen zu kümmern. Hört gut zu: Was ist unsere Berufung, jetzt, in unserem Alter? Die Wurzeln bewahren, den Glauben an die Jungen weitergeben und sich der Kleinen annehmen. Vergesst das nicht. Es spielt keine Rolle, wie alt du bist, ob du noch arbeitest oder nicht, ob du allein bist oder eine Familie hast, ob du in jungen Jahren Großmutter oder Großvater geworden bist, oder später, ob du noch selbständig bist oder Hilfe brauchst. Denn es gibt kein Pensionsalter für die Aufgabe der Verkündigung des Evangeliums oder der Weitergabe von Traditionen an die Enkel. Es ist notwendig, sich auf den Weg zu machen und vor allem aus sich herauszugehen, um etwas Neues anzufangen. Es gibt also auch für dich noch eine neue Berufung in diesem entscheidenden Moment der Geschichte. Du wirst dich fragen: Wie aber ist das möglich? Meine Kräfte gehen zur Neige, und ich glaube nicht, dass ich viel tun kann. Wie kann ich anfangen, mich anders zu verhalten, wenn inzwischen die Gewohnheit mein Leben bestimmt? Wie kann ich mich denen widmen, die ärmer sind als ich, wenn ich gedanklich schon so mit meiner eigenen Familie beschäftigt bin? Wie kann mein Blick sich weiten, wenn ich nicht einmal die Wohnung verlassen darf, in der ich wohne? Ist meine Einsamkeit nicht eine zu schwere Last? Wieviele von euch stellen sich diese Frage: Ist meine Einsamkeit nicht eine zu schwere Last? Jesus selbst bekam eine ähnliche Frage von Nikodemus gestellt: »Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden?« (Joh 3,4). Das kann geschehen, antwortet der Herr, wenn man sein Herz für das Wirken des Heiligen Geistes öffnet, der weht, wo er will. Der Heilige Geist ist frei – er gelangt überall hin und tut, was er will. Wie ich bereits einige Male sagte, werden wir aus der Krise, in der sich die Welt befindet, nicht unverändert hervorgehen: wir werden besser oder schlechter daraus hervorgehen. »Gott gebe es, dass [...] es nicht das x-te schwerwiegende Ereignis der Geschichte gewesen ist, aus dem wir nicht zu lernen vermocht haben.« Wir sind ganz schön dickköpfig! Gott gebe, »dass wir nicht die älteren Menschen vergessen, die gestorben sind, weil es keine Beatmungsgeräte gab [...]. Dass ein so großer Schmerz nicht umsonst war, dass wir einen Sprung hin zu einer neuen Lebensweise machen und wir ein für alle Mal entdecken, dass wir einander brauchen und in gegenseitiger Schuld stehen. So wird die Menschheit wiedergeboren« (Enzyklika Fratelli tutti, 35). Niemand rettet sich allein. Wir stehen in gegenseitiger Schuld. Wir sind alle Brüder und Schwestern. Daher möchte ich euch sagen, dass wir euch brauchen, um in Geschwisterlichkeit und sozialer Freundschaft die Welt von morgen aufzubauen: die Welt, in der wir leben werden – wir mit unseren Kindern und Enkeln –, wenn sich der Sturm gelegt hat. Wir alle müssen »aktiv Anteil haben beim Wiederaufbau und bei der Unterstützung der verwundeten Gesellschaft« (ebd. 77). Unter den vielen Pfeilern, die diesen Wiederaufbau tragen werden, gibt es drei, die ihr besser als andere mitaufbauen könnt. Drei Pfeiler: Träume, Erinnerung und Gebet. Die Nähe des Herrn wird selbst den Schwächsten unter uns die Kraft geben, einen neuen Weg einzuschlagen – durch das Träumen, durch das Erinnern und durch das Gebet. Eine Verheißung des Propheten Joel lautete: »Eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen« (Joël 3,1). Die Zukunft der Welt liegt in diesem Bund zwischen Jung und Alt. Wer, wenn nicht die Jungen, kann die Träume der Älteren aufnehmen und weitertragen? Aber dafür ist es notwendig, weiter zu träumen: In unseren Träumen von Gerechtigkeit, von Frieden, von Solidarität liegt die Möglichkeit, dass unsere jungen Menschen neue Visionen haben und wir gemeinsam die Zukunft aufbauen können. Es ist nötig, dass auch du bezeugst, dass es möglich ist, erneuert aus einer harten Prüfung hervorzugehen. Und ich bin sicher, dass die aktuelle Prüfung nicht die einzige sein wird, denn in deinem Leben hast du bestimmt schon einige durchgemacht, und du warst in der Lage, sie zu bestehen. Lerne auch aus diesen Erfahrungen, damit du jetzt gut aus der Krise kommst. Daher ist das Träumen mit dem Erinnern verknüpft. Ich denke daran, wie wertvoll die schmerzhafte Erinnerung an den Krieg ist und wie viel die neuen Generationen daraus über den Wert des Friedens lernen können. Und du bist es, der das weitervermittelt, du, der du das Leid der Kriege erlebt hast. Das Erinnern ist eine echte Aufgabe eines jeden älteren Menschen. Das Erinnern und die Weitergabe der eigenen Erinnerung. Edith Bruck, die die Tragödie der Shoah überlebt hat, sagte einmal, dass »schon die Erleuchtung eines einzigen Gewissens die Mühe und den Schmerz wert ist, die Erinnerung an das, was gewesen ist, wachzuhalten.« Und sie fährt fort: »Leben bedeutet für mich Erinnerung«.[3] Ich denke auch an meine Großeltern und an diejenigen von euch, die auswandern mussten und wissen, wie schwer es ist, seine Heimat zu verlassen, wie es so viele auch heute noch auf der Suche nach einer Zukunft tun. Einige von ihnen befinden sich vielleicht in unserer Nähe und kümmern sich um uns. Diese Erinnerung kann dazu beitragen, eine menschlichere, gastlichere Welt zu schaffen. Aber ohne Erinnerung kann man nichts aufbauen; ohne Fundamente kann man kein Haus bauen. Niemals. Und das Fundament des Lebens ist die Erinnerung. Kommen wir schließlich zum Gebet. Mein Vorgänger, Papst Benedikt, ein heiligmäßiger Greis, der weiterhin für die Kirche betet und wirkt, sagte einmal: »Das Gebet der alten Menschen kann die Welt schützen und ihr vielleicht entscheidender helfen als die rastlosen Anstrengungen vieler Menschen.«[4] Das hat er 2012, fast am Ende seines Pontifikats gesagt. Das ist schön. Dein Gebet ist ein sehr kostbares Gut: es ist eine Lunge, welche die Kirche und die Welt dringend brauchen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 262). Gerade in dieser für die Menschheit so schwierigen Zeit, in der wir alle im selben Boot die stürmische See der Pandemie durchqueren, ist euer Gebet für die Welt und für die Kirche nicht vergeblich, sondern für alle ein Zeichen gelassener Zuversicht auf ein gutes Ende. Liebe Großeltern und ältere Menschen, zum Abschluss dieser meiner Botschaft möchte ich auch euch auf das Beispiel des seligen – und bald heiligen – Charles de Foucauld hinweisen. Er lebte als Einsiedler in Algerien und äußerte dort an der Peripherie »den Wunsch, sich als Bruder eines jeden Menschen empfinden zu können« (Enzyklika Fratelli tutti, 287). Seine Geschichte zeigt, wie es auch in der Einsamkeit der eigenen Wüste möglich ist, für die Armen der ganzen Welt fürbittend einzutreten und wirklich allen zum Bruder und zur Schwester zu werden. Ich bitte den Herrn, dass, auch dank seines Beispiels, jeder von uns das eigene Herz weitet und empfänglich macht für die Leiden der Geringsten und fähig, im Gebet für sie einzutreten. Möge jeder von uns lernen, allen, und besonders den Jüngsten, jene Worte des Trostes zu wiederholen, die wir heute auf uns bezogen haben: „Ich bin alle Tage bei dir“. Vorwärts, nur Mut! Der Herr segne euch. Rom, St. Johannes im Lateran, am 31. Mai 2021, Fest Mariä Heimsuchung. FRANZISKUS _______________________ [1] Davon erzählt das Protoevangelium des Jakobus. [2] Dieses Bild wurde als Logo für den Welttag der Großeltern und älteren Menschen ausgewählt. [3] Erinnerung ist Leben, Schreiben ist Atem. L’Osservatore Romano, 26. Januar 2021. [4] Benedikt XVI., Besuch im Seniorenheim „Viva gli anziani“, 12. November 2012.
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