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| „Der Himmel ist viel schöner!“2. Jänner 2023 in Kommentar, 6 Lesermeinungen Meine Erinnerungen an Papst Benedikt XVI. - Gastbeitrag von Michael Hesemann Vatikan (kath.net) Als ich am Abend des 10. Dezembers 2022 das Monastero Mater Ecclesiae, die Altersresidenz Benedikts XVI., verließ, ahnte ich, dass ich gerade meine letzte Begegnung mit einem Giganten der Kirchengeschichte gehabt hatte, der zu meinem Glaubenslehrer geworden war. Ich kannte den emeritierten Papst seit 1998 persönlich, als ich ihm mein Buch über die Identifikation der Kreuzesinschrift Jesu geschenkt hatte. Zwei Jahr später unterstützte ich die Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses von Fatima, wobei sein späterer Sekretär, Georg Gänswein, mir bei der Übersetzung half. Doch meine eigentliche Beziehung zu Joseph Ratzinger begann, als er auf der Beisetzungsfeier für Johannes Paul II. die vielleicht emotionalste Predigt seines Lebens hielt. Ich war gerade beauftragt worden, ein Buch über den großen Polen zusammenzustellen und ich wollte den Text unbedingt darin abdrucken. Georg Gänswein half mir dabei und ich weiß noch, wie wir beide am Vorabend des Konklaves dafür beteten, dass der Herr uns einen guten neuen Papst schenkt. Keiner von uns ahnte, wie bald und auf welch wunderbare Weise dieses Gebet erhört worden würde. Die folgenden acht Jahre waren die spannendste und kreativste Zeit meines Lebens und Benedikt XVI. dabei meine ständige Quelle der Inspiration. Ob er nach Köln zum Weltjugendtag kam, nach Auschwitz fuhr oder ins Heilige Land pilgerte, das Paulusjahr ausrief, das Turiner Grabtuch besuchte oder Papst Pius XII. rehabilitierte, immer lieferte ich die Bücher dazu. So durfte ich auch 2011 seine Ansprachen auf seiner letzten Deutschlandreise kommentieren – und schrieb schließlich mit seinem Bruder Georg den Weltbestseller ‚Mein Bruder, der Papst‘, der in 16 Sprachen übersetzt wurde. Ohne ihn wäre ich nie der geworden, der ich heute bin. Ich begleitete ihn auf seinen Reisen nach Bayern, Spanien und ins Heilige Land und nicht selten gelang es mir, auch ihn zu überraschen. Etwa als ich ihn vor seinem Besuch beim Weltfamilientreffen in Valencia über die Reliquie des Heiligen Grals, des Kelches von Jesu letztem Abendmahl, informierte, der in der dortigen Kathedrale verehrt wird. Bei der Abschlussmesse bestand er schließlich darauf, mit dem „Santo Caliz“ zu konsekrieren. Oder als ich erfuhr, dass zum Zeitpunkt seiner Amtseinführungsmesse vor der Küste Maltas ein Anker eines alexandrinischen Kornschiffes geborgen wurde, der höchstwahrscheinlich vom Schiffbruch des Apostels Paulus stammt. „Ist das nicht ein Zeichen der göttlichen Vorsehung?“, fragte er mich, als ich ihm meinen Bericht dazu präsentierte, was ich nickend bestätigte. Zwei Jahre später reiste er nach Malta und ich arrangierte, dass ihm dieser Anker und sein Entdecker präsentiert würden. Als er 2010 zur Ausstellung des Turiner Grabtuchs reiste, präsentierte ich ihm eine Jesus-Büste, die der spanische forensische Künstler Prof. Minarro in mühevoller Kleinarbeit nach den Vorgaben des Tuchbildes geformt hatte – und wieder war er begeistert, war doch die Suche nach dem menschlichen Antlitz Gottes, das für ihn Jesus Christus war, eines der großen Themen seines theologischen Wirkens. Besonders aber interessierten ihn meine Forschungen zur Rolle der Kirche und des Papstes Pius XII. im Nationalsozialismus und angesichts des Holocaust. Selbst bei unserem letzten Treffen im Dezember 2022 ging es um eben diese Frage, die ihn als Deutschen besonders bewegte. Die Nazi-Zeit nämlich war es, die ihn letztendlich seiner Bestimmung zuführte. Sein Vater, ein bayerischer Landgendarm, war ein entschiedener Hitler-Gegner gewesen und hatte seine Söhne entsprechend erzogen. Für die tiefgläubige Familie wurde das tägliche Gebet des Rosenkranzes, kniend auf dem Küchenboden, zur Waffe und Kraftquelle ihres inneren Widerstandes. Dass beide Söhne Priester wurden, war auch ein Akt des Widerstandes, sowohl gegen den satanischen Geist der Nazis wie auch den materialistischen Zeitgeist der Nachkriegszeit. Doch der bayerische Katholizismus mit seiner barocken Pracht und seinem weiten Geist bewirkte noch mehr; er inspirierte die beiden Brüder zu Höherem und formte aus ihnen Genies. Der eine, Georg, wurde zum weltweit gefeierten Chorleiter und Komponisten, der andere, Joseph, zum größten Denker und Theologen unserer Zeit und 265. Nachfolger Petri, einem Kirchenlehrer des 21. Jahrhunderts. Doch so sehr Joseph Ratzinger auch in wissenschaftliche und kirchliche Höhen aufstieg – erst als gefeiertes „Wunderkind“ der Theologie du Professor, dann als Bischof und Kardinal, als Präfekt der Glaubenskongregation unter Johannes Paul II. und als Papst – er verlor nie die Bodenhaftung, er vergaß nie seine einfache Herkunft und seine geliebte bayerische Heimat. So wurde er, der in Marktl am Inn unweit von Salzburg geboren wurde und in Traunstein aufwuchs, zum „Mozart der Theologie“. Zu dem Mann, der in einfachen, klaren Worten von überwältigender Schönheit den Himmel greifbar werden ließ und das Geheimnis Gottes offenbarte. Der die herzerwärmende Kraft des Volksglaubens über die kalte Logik und Rationalität vieler Lehrstuhl-Theologen stellte. Einem Feingeist, der Musik und Kunst liebte und dessen ganzes Wesen nobel und rein war. Er wusste, dass nur die Freude am Glaubens den Menschen dauerhaft erfüllen kann und dass die Gottesferne unserer Zeit das Individuum und die Gesellschaft in die Katastrophe führt. Wirkte Johannes Paul II. durch sein Charisma, durch das er meine Generation aufweckte, vertiefte Benedikt XVI. diese neuerweckte Begeisterung und schenkte ihr ein theologisches Fundament, das die Zeiten überdauern kann. Dass er gerade wegen dieser Klarheit und seiner Verwurzelung in den Lehren Jesu und der Kirche von Jüngern des antichristlichen Zeitgeistes innerhalb und außerhalb der Kirche und ganz besonders deutscher Nationalität zeitlebens und selbst posthum noch angegriffen wurde, lag auf der Hand. Der Prophet galt schon immer wenig in der Heimat und wer Klartext redet, verträgt sich nicht mit dem Relativismus, dem großen, bunten Einheitsbrei, bei dem nichts wahr und alles erlaubt ist. Wie sehr er durch sein bescheidenes, fast schüchternes, aber in der Sache immer klares Auftreten provozierte, erlebte ich am deutlichsten, als ich 2011 half, seine Deutschlandreise vorzubereiten. Wäre es nach den deutschen Bischöfen gegangen, hätte er in der Bundeshauptstadt Berlin nicht vor 70.000 Menschen im Olympiastadion das Messopfer gefeiert, sondern vor ein paar hundert Funktionären in der Kirche von Plötzensee. Kaum hatte er bei seiner Abschlussrede in Freiburg vor Vertretern der katholischen Laienverbände eine „Entweltlichung der Kirche“ gefordert, erklärten die betroffenen deutschen Kirchenfürsten, er habe damit ganz sicher nicht sie oder die Situation in Deutschland gemeint. So schien es oft, als kämpfte er gegen Windmühlen, nicht nur jene des Unglaubens, sondern auch die eines angepassten, institutionalisierten, übersättigten Zeitgeist-Christentums. So sehr er sich anstrengte, er konnte es vielen nicht recht machen. Gegen die Krake des Missbrauchs ging der sonst so milde Papst entschiedener vor als jeder andere vor oder nach ihm, entließ sogar 800 Täter-Priester in den Laienstand, doch auch das genügte kaum jenen, die statt einer Bestrafung der Täter lieber gleich die ganze Kirche umgekrempelt haben wollen. Wie sehr ihn das mitnahm, erlebte jeder, der ihn auf seinem Weg begleitete. Als er im Februar 2013 seinen Rücktritt ankündigte, geschah dies, weil er mit seinen Kräften am Ende war und seine Ärzte die höchste Alarmstufe vermeldet hatten. So zog er sich von der Welt zurück, um die letzte Etappe seines Lebensweges mit zunehmender Besorgnis um seine geliebte Kirche im Gebet zu verbringen. Auch in dieser Zeit durfte ich ihn einmal im Jahr besuchen, um ihm von meinen Forschungen zu berichten. Unser diesjähriges Treffen war für Ende Oktober geplant, aber eine Erkrankung zwang mich, um einen anderen Termin zu bitten, was zu meinem Glück werden sollte. Es war der Vorabend des 3. Advents und ich wusste ja, wie viel ihm das Weihnachtsfest und gerade auch die deutschen Traditionen zu Weihnachten bedeuten. Also kam ich mit zwei großen Reisekoffern voller Stollen, Printen, Spekulatius und Bunten Tellern, über die er sich wie ein Kind freute. Zum Glück hatte mich ein Fahrer der Schweizergarde abgeholt und ins „Monastero“ gefahren. Dort empfing mich sein Sekretär Erzbischof Gänswein und führte mich in das Wohnzimmer im 1. Stock. Als ich eintrat, erwartete mich Benedikt XVI. bereits in seinem breiten, cremefarbenen Ledersessel. Eine Stunde lang nahm er sich Zeit für mich, bis ihn die Kräfte allmählich verließen. Er war die ganze Zeit über geistig hellwach, aber man merkte ihm die physische Schwäche an; schon seit Jahren war er an den Rollstuhl gefesselt. Seine Stimme war jetzt kaum noch hörbar, nur noch ein heiseres Flüstern, und oft musste er abhusten, um seine Lunge zu entlasten. Wir sprachen über die Situation der Kirche in Deutschland und meine Forschungen, aber auch über den Tod meiner Hündin Lucy, an dem er als Tierfreund besonderen Anteil nahm. Auf einem Beistelltisch stand eine Reproduktion des Volto Santo von Manoppello, das übernatürlich geschaffene Antlitz dessen, den er zeitlebens geliebt und nach dem er sich gesehnt hatte und neben ihm eine Statue der Gottesmutter, die zu seiner Mutter geworden war. Es war eine intensive Begegnung und ich glaube, wir ahnten beide, dass es unsere letzte sein würde. Von ganzem Herzen dankte ich ihm für alles: sein Leben, sein Werk, seine Inspiration und wünschte ihm ein frohes Weihnachtsfest. Ihm auch ein gutes, gesundes Neues Jahr zu wünschen, wagte ich schon nicht mehr… Ich wusste, dass Benedikt XVI. längst bereit war, vor seinen Schöpfer zu treten, in dem er mehr seinen Freund als seinen Richter erkannte. Fünf Jahre zuvor, im Mai 2017, hatte ich ihm zu seinem damaligen 90. Geburtstag gratuliert: „Heiliger Vater, ich wünsche Ihnen noch viele gute, gesunde Jahre in voller Schaffenskraft“. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, ging sein Zeigefinger in die Höhe: „Das wünschen Sie mir bitte nicht, Herr Hesemann!“ „Aber Sie haben es doch gut hier, inmitten dieser wunderschönen vatikanischen Gärten“, stammelte ich erstaunt. Da zeigte der päpstliche Finger ganz nach oben: „Der Himmel ist viel schöner!“, war Benedikt fest überzeugt. Der Tod ist ein Geschenk an den Sterbenden, erkauft mit den Tränen der Hinterbliebenen. Natürlich trauere ich um diesen herzensguten und bescheidenen Weisen, der als einer der größten Deutschen, der gescheitesten Denker und der heiligsten Päpste in die Geschichte eingehen wird. Die Welt ist ärmer geworden ohne ihn, seine prophetische Stimme wird uns fehlen, wo sie doch heute mehr denn je gebraucht wird. Aber ich weiß auch, dass er jetzt endlich das Ziel seines Lebens und Strebens, seines Forschens und Suchens erreicht hat. In all seinen Büchern und Predigten hat er nach Worten gesucht, um das zu beschreiben, was er jetzt gerade erlebt. Nach Worten von Klarheit, Schönheit und Eleganz, die uns die ewige Freude von Gottes Herrlichkeit erahnen lassen und uns den Weg in den Himmel, zu Christus, weisen. Seine Inspiration, ihm auf diesem Weg zu folgen, ist sein großes Vermächtnis an uns alle. Vielleicht werden wir erst allmählich begreifen, was wir an ihm gehabt haben, welches immense Licht am Morgen des Silvestertages verloschen ist und anfangen, sein Werk neu zu entdecken. Dann endlich können wir beginnen, die Kirche in seinem Sinn zu erneuern, zu heilen und zu retten! Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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