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Licht aus der Dunkelkammer

30. April 2010 in Buchtipp, keine Lesermeinung
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Jede Woche im April exklusive Leseproben aus dem neuen Buch von Paul Badde über das Grabtuch von Turin


Rom (kath.net)
„Tiefer hat sich noch keiner in die Grabhöhle Jesu Christi vorgewagt“, hat Klaus Berger über das jüngste Buch Paul Baddes geschrieben. Badde habe „als erster Mensch plausibel rekonstruiert, wie Petrus die Spur der Auferstehung Jesu Christi von den Toten sah“. Zwei Tage vor der Pilgerreise des Papstes vor das Grabtuch Christi in Turin schließen wir unsere Vorstellung dieses Buches hier mit der gekürzten Fassung einer Schlüsselszene ab:

Licht aus der Dunkelkammer

Das Grab Christi war ein so genanntes Troggrab. Das heißt, links führte hier ein schmaler Gang in die Kammer, wo rechts daneben der in Tücher gewickelte Leichnam auf die steinerne Bank gelegt und zurück gelassen worden war. Es waren mehrere Tücher, die Johannes nach der Auferstehung Christi von den Toten da liegen sah. Dass sich das große Grabtuch darunter befand, das heute in Turin ausgestellt wird, darf als sicher angenommen werden. Gewiss war unter den Tüchern aber auch noch das Bluttuch, das im nordspanischen Oviedo aufbewahrt wird, das dem Gekreuzigten unmittelbar nach dessen Sterben auf das Gesicht gedrückt worden war, um das Blut aufzufangen, das ihm nach dem letzten Atemzug aus dem Mund brach. Doch dieses Tuch enthält kein Bild.

Das „Bild“ auf dem vier Meter langen Turiner Grabtuch hingegen kann Petrus unmöglich im Grab schon gesehen haben. Dazu war es viel zu düster und die Kammer viel zu klein, um es hier schon zu entfalten.

Nach der Erwähnung der „Tücher“ spricht Johannes aber auch noch von einem kleinen „Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte“, das „nicht bei den Leinenbinden lag, sondern zusammengefaltet daneben an einer besonderen Stelle.“ Das heißt, es muss links in dem Gang auf dem Boden gelegen haben. Sonst gab es kein „Abseits“. Die steinerne Bank war kein Bett, wo etwas in einer Ritze verschwinden kann.

Maria Magdalena war frühmorgens – „als es noch dunkel war!“ – zu den Aposteln gelaufen gekommen und hatte sie atemlos alarmiert: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat!“ Da liefen Petrus und Johannes zum Grab. Johannes kam als erster an, beugte sich vor, sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Inzwischen war es schon etwas heller geworden. In Jerusalem ist die Dämmerung ein kurzer Prozess. Und nun kam auch Petrus an. Er war außer sich, seit er den liebsten Menschen seines Lebens zwei Abende zuvor dreimal verleugnet hatte, in der Stunde von dessen höchster Not. Jetzt ging er sofort in die Grabkammer hinein und „sah die Leinenbinden liegen“, wie Johannes schreibt.


Doch ohne Kerzen, ohne Licht außer dem schwachen Schein der verdämmernden Nacht, müssen wir uns das „Sehen“ in diesen Momenten unbedingt auch als ein Tasten und Fühlen vorstellen. Da fühlte und „sah“ Petrus also die Tücher und sofort war klar: ER war nicht mehr da! Er tastete noch einmal die leeren Tücher auf der Steinbank ab. Jesus lag nicht mehr in ihnen.

Warum rannte er nun nicht gleich hinaus zu Johannes? Warum stürzte er nicht zu den anderen Aposteln, um zu beraten, was sie nun tun sollten, oder zum Hohen Rat? Warum geht der Faden der Erzählung nun ganz anders weiter als bei Maria von Magdala. Jesus konnte doch nur weggeschafft worden sein, was denn sonst!? Vielleicht von Römern, vielleicht von Räubern. So hatten es die Frauen gesehen und so sah und fühlte es jetzt auch Petrus – mit einem Unterschied.

Denn er sah auch „das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte“, aber nicht bei den Leinenbinden, sondern daneben an einer besonderen Stelle“. Der Eingang des Grabes ging nach Osten. Schwaches Morgenlicht fiel durch die Öffnung des Felsens in die Kammer. Das war der Unterschied.

Denn nun fing sich das leise Licht in dem schattigen Dunkel vor den Füßen Petri in etwas Unbestimmtem, wie sich Wind in einem Strauch fängt. Es schimmerte bronzen. Hätte es auf der Bank bei den anderen Tüchern gelegen, hätte das erste Morgenlicht es nicht erfassen können. Auf der Bank mit den Tüchern blieb alles im Schatten. Nur auf dem Boden konnte Petrus etwas sehen. Das Tüchlein auf dem Boden war das „Schweißtuch“ Christi, zart wie gewebter Atem und so fein, dass Petrus es auch nicht gesehen hätte, hätte es flach auf dem Boden gelegen. Doch es war gewickelt, gebunden, gefaltet oder zusammengelegt. Es lag nicht plan da. Es war leicht wie eine Engelsfeder, als Petrus es aufhob, entfaltete und gegen das Licht des Eingangs hielt. Was denn sonst? So muss er es gehalten haben, nicht in die dunkle Kammer hinein, sondern gegen das Licht. Es war aber ein Lichttuch. Es reagiert auf Licht.

Und was Petrus nun auf dem Schleier gegen den Morgen sah, machte mit einem Wimpernschlag klar wie die Sonne: keiner hatte den Herrn aus dem Grab genommen. Jesus war nicht geraubt und weg geschafft worden. Auf diesem transparenten Gewebe blickte Petrus gegen das Licht des Eingangs plötzlich Christus an! Es war das Wahre Bild. Drei Tage zuvor hatte Petrus noch gesagt, er kenne diesen Menschen nicht. Jetzt kannte er ihn sofort. „Ich lebe!“ hieß es auf diesem Bilderbrief. Vor dem Grab hatte Johannes mitbekommen, wie Petrus die Entdeckung in die Glieder fuhr. Da ging auch er hinein und sagte danach über sich: „Er sah und glaubte.“

Kann nicht insgesamt alles auch ganz anders gewesen sein? Nicht wirklich, sagt der gesunde Menschenverstand, der die Tücher und Texte der Evangelien ernst nimmt, mit der Örtlichkeit des Grabes vertraut ist – und genug Finger hat, um eins und eins und eins und eins und eins zu fünf zu addieren. Nimmt man die Komponenten also zusammen, das Zeugnis des Augenzeugen Johannes, den Raum, die Stunde, das Licht und die Tücher, nimmt man all dies zusammen, dann kann es nach menschlichem Ermessen kaum anders gewesen sein. Dann muss es Petrus im Grab ähnlich gegangen sein wie Secondo Pia in Turin im Jahr 1898 mit den ersten Fotoplatten des Grabtuchs vor dem Rotlicht der Dunkelkammer, nur viel dramatischer. Was Petrus von „der besonderen Stelle“ aufhob und gegen das Licht hielt, war der erste Kommentar zu dem, was im Grab geschehen war. Bis auf den heutigen Tag ergänzt und erschließt deshalb das kleine Grabtuch das große Grabtuch. Zusammen passen sie in das Evangelium des Johannes wie ein letztes Puzzle.

Damit sind wir beim nächsten Schritt. Denn jetzt können wir nicht nur, jetzt müssen wir beobachten, wie Petrus und Johannes die Tücher allesamt hastig an sich nahmen und ins Helle brachten. Aus dieser Dunkelkammer durfte nichts mehr verloren gehen! Wer wusste denn, was die anderen Tücher bargen? Unmittelbar sahen sie jetzt nur dies: der Tod hatte in dieser Kammer seine Gewalt verloren. Der Tote war nicht mehr tot. Diese kultisch höchst unreinen Grabtücher waren nicht länger unrein. Der Durchbruch der Christenheit in die Geschichte fing mit einer vollkommenen Verwandlung an. Hätte Christus aber auf dem Soudarion nicht schon sein Antlitz gezeigt, sie hätten alles liegen gelassen. Sie waren fromme Juden. Die nehmen keine Leichentücher aus leeren Gräbern mit.

Das Turiner Grabtuch, das schon kurz danach der Jerusalemer Urgemeinde die Passion Christi in Bilderschrift nacherzählte, dieses Leinen wäre ohne das kleine Grabtuch nie gerettet worden. Das Lichtbild auf dem Schweißtuch ist das „missing link“ der Osternacht, dem eine bezwingende Logik für den Ablauf aller Aktionen und Reaktionen für diese wenigen Augenblicke inne wohnt.

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