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"Handeln wir üblicherweise unbewusst?"

18. August 2019 in Familie, keine Lesermeinung
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"ER will, dass das Gute, das Schöne, das Große, und das heißt, besonders unsere Liebe für IHN und für die Menschen in unserem Umfeld in uns ausreift und schließlich sogar zu einer Hauptsache wird" - Gastkommentar von Christa Meves


Linz (kath.net)
„Sie wissen nicht, was sie tun.“ Laut Lukas (Lk 23, 34-37) hat Christus diese Worte während seiner Kreuzigung gesprochen, nachdem das Volk und die Soldaten den Herrn mit zynischen Worten verhöhnt und begonnen hatten, um den Besitz seines Rockes zu würfeln. Aber diese Wahrheit, die die unermessliche Trauer über die Ignoranz der Höhnenden ausdrückt, weil sie offensichtlich keine Ahnung darüber haben, dass es ihr Gott ist, dem sie diese Beleidigungen zufügen, enthält in dieser so tief bedeutsamen Aussage ja noch einen Satz vorab, in welchem Christus seinen Vater, Gott, den Allmächtigen, mit folgenden Worten anspricht:

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht ...“ (Lk 23, 34). Und diese Einleitung scheint dem sterbenden Christus nötig zu sein, um den berechtigten Zorn des Vaters über die abgrundtiefe Schändung seines Sohnes zu beschwichtigen; denn letztlich hat dessen Opfertod das Vollziehen einer unfassbar tiefen Liebe Gottes für uns alle zum Ziel.

Einmal mehr kommt damit - noch weit über den einfachen Sinn dieser Worte hinaus - eine Wahrheit von einer schier unlöschbaren, allgemeinen Gültigkeit zum Ausdruck: eine erbarmende Antwort des HERRN auf eine allgemein durchgängige Schwäche von uns Menschen. Wenn wir nämlich genau in uns hineinlauschen, lässt sich erkennen, dass unsere oberflächlichen Aktionen oder auch Worte nicht selten auch noch eine unbekannte, unbewusste Motivation enthalten. Viele unserer oberflächlichen Motive haben noch eine untermeerische Schicht. Wir handeln oder schwätzen häufig spontan drauf los, ohne zu erkennen, dass es in uns noch andere Motive gibt, die sich vor unserem Bewusstsein versteckt haben. Oft sind diese keineswegs so edel oder auch nur so koscher, wie unser oberflächliches Verhalten zu sein scheint: Sie kommen aus dem unbewussten Antrieb, vor allen anderen sich selbst zu dienen.

Es lohnt sich um der eigenen Selbsteinschätzung willen sehr, solchen im Grunde egoistischen Motiven aus unserem Unbewussten nachzugehen. Das soll im Folgenden versucht werden. Unser Egoismus ist ja nicht absolut böse, schon ganz und gar nicht vom Lebensanfang an und in der frühen Kindheit: Unser Gott ist ein Gott des Lebens, und er setzt in jedem von uns mit einem mächtigen Impuls, sich zu erhalten an. Und das ist immer zunächst in ganz natürlicher Weise egozentrisch. Nur: Gott hat mehr mit uns Menschen vor, als lebenslänglich allein in einem solchen Urbereich der Natur zu verbleiben, in dem jeder allein für sich selbst sorgt. ER will, dass das Gute, das Schöne, das Große, und das heißt, besonders unsere Liebe für IHN und für die Menschen in unserem Umfeld in uns ausreift und schließlich sogar zu einer Hauptsache wird. Dadurch allerdings muss unser rohes Anfangswollen durch ein kluges, gütiges, vorbildliches Erziehen ein Stück auf ein gesundes Maß gebracht werden. Aber je mehr wir als Erziehende dabei Fehler machen, je weniger das Kind die notwendigen Entfaltungsphase hat leben dürfen, muss es unbewusst seinen Selbsterhaltungswillen verstärken. Dadurch gewinnen in ihm die selbstischen Urbedürfnisse die Oberhand und beginnen im Verhalten zu dominieren mit dem Akzent: Ich muss viel haben, immer mehr, immer mehr – ich muss das, was ich habe, festhalten, es verteidigen, ich muss Konkurrenten ausschalten, am besten, indem ich mich ihrer bemächtige.


Oft ist unser aller Wollen und Tun deshalb in Wirklichkeit nicht so total rein und so edel, wie wir das selbst einschätzen und das uns selbst einbilden. Forschen wir ganz genau in uns selbst hinein, so entdecken wir oft viel mehr Eigennutz, als wir unnachdenklich meinen. Bestaunen wir wirklich selbstlos das goldene Geschmeide unserer Schwägerin? Sind wir wirklich ohne Neid die mitbeglückten Bewunderer des neuen Superautos unseres Freundes? Und solche selbstkritischen Fragen lassen sich endlos verlängern bis zum Staunen über das eigene heimliche Wünschen nach einem „Aug um Auge“ als Bedürfnis nach Rache bei einer seelischen Verletzung. Oh, „wir elenden Menschen“, seufzt da der Heilige Paulus angesichts solcher Selbsterkenntnis zur Recht (Röm 19, 7 u. 24) nachdem wir mutig unser Unbewusstes zu entlarven versucht haben.

Ein weiteres Beispiel - nach langer allgemeiner Erfahrung aus meiner
Praxis - kann vielleicht helfen, über unsere unbewussten, versteckt
egoistischen, natürlichen Handlungsmotive in konstruktiver Weise nachzudenken: Ein junges Mädchen mit einer schweren Essstörung und der Gefahr, einer Magersucht zu verfallen, kommt zu mir in die Praxis. Nachdem wir miteinander vertraut geworden sind, wagt sie mit einem Tränenausbruch zu berichten, dass sie eigentlich eine große Wut auf ihre Mutter habe, obgleich diese doch ihr Leben in anscheinend selbstloser Weise der positiven Entwicklung ihrer Tochter voll gewidmet habe. „Aber, so sagt das Mädchen, „nie hört meine Mutter mir wirklich zu. Stattdessen ist sie mir immerfort auf den Fersen mit etwas, das ich tun soll. Und das Schlimmste ist dabei ihr ständiges Drängen, mich zum Klavierspielen zu nötigen.“ „Du hast das Zeug, eine berühmte Pianistin zu werden“, sagt sie dann. Mittlerweile ekelt es mich schon, wenn ich ein Klavier nur sehe.

Warum muss ich so werden sollen, wie meine Mutter mich haben will, damit sie mit mir angeben kann? Damit ich so etwas wie eine Vorzeigepuppe, ein Schauobjekt werde. Das liegt mir ganz und gar nicht. Ich möchte viel lieber eine Korrektorin oder eine Übersetzerin oder so etwas in dieser Richtung werden, aber solchen Interessen durfte ich überhaupt nicht nachgehen, auch meiner Freude am Briefmarkensammeln nicht.“ In diesem Fall konnte es mir nach fortgeschrittener Therapie gelingen, auch die Mutter zur Eigenentfaltung des jungen Menschen heranzuziehen. Und ich konnte dieser verständigen Frau vermitteln, dass sie heimlich unbewusst von einem selbstischen Bedürfnis nach Superansehen bestimmt war.

Das war ihr aber keineswegs bewusst und erst recht nicht, das ein egozentrisches Bedürfnis dahintersteckte. Aber auch dieses ließ sich verstehen: Sie selbst hatte immer im Schatten einer älteren Schwester gestanden. Sie, die Jüngere hatte nie ihrem Bedürfnis nach Anerkennung, nach eigener Werthaltung nachgehen können, weil die Schwester sie dann regelmäßig mit spitzen Worten herabzusetzen suchte. Anfangs hätte sie ja gerne Klavierunterricht genommen, aber allein für die große Schwester waren Extra-Ausgaben zur Entwicklung von deren Begabungen vorhanden gewesen....

Aber dieses ist nur ein kleines Beispiel der allgemeinen Schwäche bei uns Menschen, nicht nachdenklich genug unsere Handlungsmotive zu hinterfragen. Ohne solche Selbstkritik bleiben wir heute nur allzu oft allein mit unseren oberflächlichen Worten und Handlungen in den unbewussten egozentrische Aspekten stecken. Jeder müsste eigentlich im stillen Kämmerlein fragen, ob die Motivation des Handelns wirklich dem hohen Wert der Motivation entspricht, dem man ihm beimisst. Sich selbst zu verstehen, kann dann aber auch die Gefahr einer Wertlosigkeit zunichte machen. Gott hat uns eben nicht nur als sein Ebenbild haben wollen – er hat uns zuvor aus ERDE gemacht. Und das heißt, er hat in die Schöpfungsordnung in großer Quantität unser Bedürfnis eingebaut, das eigene Leben aufzubauen und zu erhalten.

Genau dieses hat uns übrigens für unsere Moderne der kluge Beobachter Sigmund Freud ins Bewusstsein geholt. Er erklärte, oberflächliches Tun gleiche der Spitze eines Eisberges auf einem Gewässer, während der Hauptteil untermeerisch – also im Unbewussten - zu suchen sei.

Aber wir brauchen bei Freud nicht stehen zu bleiben. Jesus Christus hat nicht allein erst auf Golgatha, sondern schon während seiner drei
Missionsjahre mehrere Male darauf hingewiesen, dass wir schwachen Menschen grundsätzlich gut daran tun, die Balken in unserem eigenen Auge zu suchen, ehe wir unbewusst hochnäsig versuchen, die Splitter im Auge der Menschen im Umfeld beseitigen zu wollen (Mt 7,3-5).

Christus weist mit vielen Beispielen an anderen Stellen seiner Reden darauf hin, nicht allein den eigenen Bedürfnissen des natürlichen Ich das Feld zu überlassen. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“, betont er zu Recht (Mk 14, 37-38).

Die Beispiele, um dieses aufzuzeigen, um zu vertiefter Selbsterkenntnis vorzustoßen, könnten ein Buch füllen. Wie oft stehen jetzt z. B. falsche Propheten auf, die angeben, den Menschen ihr selbstausgedachtes neues Heil bringen zu können, die aber – wie auch unsere bösen politischen Machthaber der nahen Vergangenheit – lediglich ihrem unermesslich aufgeblähten Machttrieb frönen, sodass die Menschen und ihre Würde dabei auf der Strecke bleiben.

Aber den maßlos gewordenen Machttrieb als ein entartetes Ego gibt es nicht nur in den politischen Systemen, sondern in jedem privaten Umfeld. Auch dieser ist eine große allgemeine Gefahr - für Chefs ebenso wie für die Mitläufer nach der Manier von Schafen, die auf dem gleichen Ton blöken. Die Auswüchse unserer Zeit rütteln geradezu daran, erneut mit erhöhter Nachdenklichkeit nach unserer unbewussten Egozentrizität zu fragen und sie immer dann abzuweisen, wenn in ihnen nicht christlicher Geist, sondern die Selbstsucht des Habenwollens und des Bemächtigens in uns ein heimliches, uns selbst unbewusstes Regiment anzutreten suchen.

kath.net-Buchtipp
Von der Natur zum Geist
Der Mensch im Schöpfungsplan
Von Christa Meves
Taschenbuch, 84 Seiten
2017 Christiana-Verlag
ISBN 978-3-7171-1286-0
Preis Österreich: 5.10 EUR

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