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| Joseph Ratzinger: Die Wahrheit und die Verleumdung - Jüngste Missbrauchsskandale und ihre Echos7. Juli 2022 in Kommentar, 5 Lesermeinungen „Benedikt XVI. soll erneut skandalisiert werden. Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit eines langen und bedeutenden Theologenlebens und seines Erbes, das im Ganzen einer damnatio memoriae unterzogen werden soll.“ Gastbeitrag von Prof. Harald Seubert Vatikan (kath.net/Internationale Konferenz bekennender Gemeinschaften) Der evangelische Theologe Prof. Dr. Harald Seubert ist Professor und Fachbereichsleiter für Philosophie und Religionswissenschaft an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, außerdem nebenamtlicher Dozent für Politische Philosophie an der Hochschule für Politik München. Seit 2016 ist er obendrein der Vorsitzende der Martin-Heidegger-Gesellschaft – Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in „Diakrisis – Geistliche Orientierung für bekennende Christen, 43. Jahrgang, Nr. 1, Logos Editions, Ansbach 2022, Seiten 6 -14“. kath.net dankt Prof. Seubert sowie der Konferenz bekennender Gemeinschaften für die freundliche Erlaubnis zu Veröffentlichung. I Ein Sturm der Erschütterung bricht über die katholische Kirche herein angesichts des Abgrundes von Missbrauch, der nach und nach ans Tageslicht kommt. Damit verbindet sich zugleich eine Verunsicherung bis in höchste Kirchenkreise. Dies scheint auf den ersten Blick sehr verständlich zu sein. Es gibt kaum etwas Infameres als sexuellen und psychischen Missbrauch gegenüber minderjährigen Schutzbefohlenen. Die tiefen Wunden, die solche frühen Entwürdigungs- und Leiderfahrungen schlagen, dürfen in keiner Weise verharmlost werden, wie auch immer sie motiviert gewesen sein mögen. Christlich und theologisch sind solche Handlungen schlechterdings und ohne jede Einschränkung zu verurteilen. Für sie kann es keinerlei Pardon geben. Richtig ist auch, dass das Ausmaß der Missbrauchsfälle erschreckend ist. Ebenso trifft zu, dass viel zu lange darüber geschwiegen und den Opfern kaum Gehör geschenkt wurde. Dies gilt keineswegs nur, aber auch für die katholische Kirche. Der Fokus der Empörung fokussiert sich aber, seitens der Öffentlichkeit und ebenso seitens katholischer Laienverbände und mancher Moraltheologen, auf einen Mann: Den emeritierten Papst Benedikt XVI, der in wenigen Wochen seinen fünfundneunzigsten Geburtstag begehen wird. Die Empörung gerade gegen diesen Mann ist heuchlerisch, verdrehend, sie ist, wie dessen Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein, zu Recht kommentierte, mit „viel Dreck“ verbunden.1 Skandalisiert wird ein Papst, der Großes geleistet hat und dessen Wahl im April 2005 wie ein geistliches und intellektuelles Aufbruchssignal wahrgenommen wurde, gegen einen Mainstream des Säkularismus, die „Diktatur des Relativismus“, wie Ratzinger dies nannte.2 In Erinnerung ist die Schlagzeile der BILD-Zeitung damals im April 2005: „Wir sind Papst“. Ratzingers Pontifikat war noch einmal, und vielleicht für lange Zeit letztmals, von einer tiefen Sorge für Europa und seine große christliche Traditionslinie bestimmt. Ratzingers Lebensthema war und ist der Zusammenhang von Glaube und Vernunft. Über das „Viergespann“3 der platonisch-stoischen Tugenden (Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit, Weisheit) und die christlichen Kardinaltugenden Liebe, Glaube und Hoffnung schrieb er seine wichtigsten Enzykliken. Gerade Ratzinger zog im besten Sinn die Folgerungen aus dem II. Vatikanischen Konzil, das er besser als fast jeder andere kennt. Der Geist des Konzils, so wie Ratzinger ihn versteht, konzentriert sich auf eine „Reformatio“ gegenüber den Deformationen der Kirche, die dieser Papst ein Theologenleben lang benannte und unter denen er tief litt: Zurück zu den Wurzeln hieß, in den Großen Konsens des ersten christlichen Jahrtausends zurückzufinden. Ihm ging es darum, die Macht- und Rechtsformen der lateinischen, petrinischen Kirche wieder auf die griechischen Väter zurückzuführen. Ratzinger war niemals ein starrer Thomist oder Traditionalist. Aber er war auch einer Modernisierungsideologie von Grund auf abgeneigt, die zur Selbstsäkularisierung und zum Verlust von Heiligkeit und Tiefe führte. Der Weg des Neuprotestantismus stand ihm plastisch vor Augen. Aus dem großartigen Werk Ratzingers ragen für evangelische Leser zwei Bücher besonders heraus: Seine frühe ‚Einführung in das Christentum‘, 1968 erstmals erschienen und aus Tübinger Vorlesungen hervorgegangen4, ging zu den Quellen, ad fontes. Sie zeigt eine neue heilsgeschichtliche und biblische Öffnung katholischer Theologie, zugleich aber die Verbindung mit dem Magnus Consensus, dem Großen Konsens, des ersten Jahrtausends des Christentums. In den Jahren um 1968 wurde ein vergleichbares Buch nicht geschrieben. Diese Linie wird durch das dreibändige Jesus-Werk, das Ratzinger in seiner Zeit als Papst verfasste, konsequent weitergeführt und gekrönt.5 Ratzinger, Papst Benedikt XVI., hat damit für die gesamte Christenheit ihr Zentrum, ihre Mitte in Christus, ins Gedächtnis gerufen. Besonders bemerkenswert ist dabei, wie der Autor als Papst zugleich als Christ und Theologe schreibt. Er erbat sich schon, als er von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation bestimmt wurde, das Recht, weiter im eigenen Namen publizieren zu dürfen. Diese Freimut in höchsten Ämtern allein straft die törichten Epitheta vom „Panzerkardinal“ Lügen, die ihm seine Verächter beilegten. Joseph Ratzinger erfüllte gerade mit seinem Jesus-Buch für das Lehramt eine höhere Aufgabe, als er es in bürokratischer Administration hätte tun können. Immer gab es gerade von deutschen Theologen und Kirchenfunktionären beider Konfession eine Tendenz des Ratzinger-Bashings. Dies entlud sich anlässlich der Regensburger Rede im September 2006, eigentlich einer großen Abschiedsvorlesung des „Prof. Dr. Papst“, als er, unter anderem mit dem Zitat des Byzantinischen Kaiser Manuel Palaiologos, auf den Zusammenhang von Glaube und Vernunft, Fides und Ratio, hinwies und damit sein Lebensthema wiederaufnahm. Der Islam war nur Paradigma, um zu zeigen, was geschehen kann, wenn dieses Band reißt.6 Ratzinger geht es freilich immer um eine weite Vernunft, die den Horizont der Transzendenz mit umfasst und nicht nur eine irdisch operative Rationalität, sondern zugleich den Grund der Metaphysik in den Blick nimmt. Zudem steht die Vernunft nicht für sich alleine. Wahrheit ist in der Theologie Ratzingers immer auf Schönheit hin transparent. Der Glaube soll leuchtend zur Darstellung kommen. Es geht darum, auf Hoffnung hin gerettet zu sein (Röm 8,24). Die gängige Bezeichnung von Ratzinger als „dem Mozart der Theologie“ bestätigt sich in seinem gesamten Leben und Wirken. Es ist wichtig, in Umrissen zu wissen, wer der Mann ist, der 2013 freiwillig auf die Würde des Papstamtes verzichtete und der nun erneut skandalisiert werden soll. Tief beeindruckend an diesem Papst ist die einzigartige Verbindung von höchster Intellektualität und tiefer Frömmigkeit. Dabei geht es nicht allein um eine gravierende moralische Verunglimpfung. Es geht um die Glaubwürdigkeit eines langen und bedeutenden Theologenlebens und seines Erbes, das im Ganzen einer damnatio memoriae unterzogen werden soll. Dies darf nicht unwidersprochen bleiben. II Die Skandalisierung, die durch die Kanzlei Westpfahl – Spilker – Wastl und die ihr nachsprechende Presse lawinenartig in die Welt gestreut wird, fokussiert sich winkeladvokatisch auf Benedikts Fehlerinnerung nach immerhin 42 Jahren, ob er als Erzbischof an einer Sitzung 1980 teilgenommen habe oder nicht. In jener Sitzung war auch die Aufnahme jenes Essener Kaplans in seinem Erzbistum verhandelt worden.7 Seinerzeit war davon die Rede, dass Kaplan Hullermann psychotherapeutische Hilfe und Unterstützung bekommen sollte. Vage war in den Berichten aus dem Bistum Essen von dessen „Gefährdungen“ die Rede gewesen. Unthematisiert blieb, was sich dahinter verbarg. Später war auch von den „Gefährdungen“ nicht mehr die Rede. Nie wurde Hullermanns Pädophilie thematisiert. Insgesamt fallen in die nur fünfjährige Wirkungszeit von Ratzinger als Erzbischof von München und Freising dort 4 von 65 Missbrauchsfällen in dem Erzbistum. Die Mehrzahl ist unter seinen Vorgängern und Nachfolgern geschehen. Michael Hesemann ist ihnen im einzelnen umsichtig nachgegangen.8 Auch hier spricht viel dafür, dass die Aussage des Rechtsgutachtens jener Münchner Kanzlei, Ratzinger habe „nicht regelkonform bzw. angemessen“ reagiert, die Proportionen verzeichnet und eine Verfälschung der Faktenlage darstellt.9 Es wird mit Mutmaßungen und Verdächtigungen operiert, die nach dem Grundsatz „in dubio contra Ratzinger“ („im Zweifel gegen Ratzinger“) geführt werden. Die Stellungnahme, die Ratzinger dazu verfasste, unterstützt von vier Freunden, mag im einzelnen unglückliche Formulierungen enthalten. Der Vorwurf der „Lüge“ ist jedoch abwegig, noch weniger die Insinuierung, dass Ratzinger an einer systemstabilisierenden Wirkung mehr interessiert gewesen sei als am Leiden der Opfer. Im rechtsstaatlichen Zusammenhang ist es besonders prekär, dass eine Rechtsanwaltskanzlei ein Gutachten erstellt, dabei aber sich zugleich die Stellung des verurteilenden Richters anmaßt. Doch um rechtsstaatliche Gewaltenteilung geht es nicht. Es geht um einen weiteren Baustein jener immer stärker um sich greifenden „Tribunalisierung der Wirklichkeit“10, die regelmäßig dort greift, wo gravierende Grundfragen des Lebens abgelöst vom Gericht Gottes in Selbstgerechtigkeit verhandelt werden sollen. III Offensichtlich ist gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger eine Kampagne im Gange, die frühere Fäden wieder aufnimmt. Die deutsche Mainstream-Öffentlichkeit liebte ihn nie, auch nicht die katholische. Mitarbeiter in einer Wahrheit zu sein, die größer ist als menschliche Vernunft, Ratzingers Lebensmotto, war eher suspekt. Den Kirchenkritikern mit den ewig gleichen Positionen von Dorothee Sölle bis Eugen Drewermann und dem Dalai Lama hörte man lieber zu. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Sexueller und psychologischer Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, durch Menschen, denen sie zum Schutz anbefohlen wurden, ist so abscheulich, die Schädigungen der Kinderseelen und -leiber wiegt so schwer, dass die Insinuierung, damit etwas zu tun zu haben, das große Lebenswerk des mittlerweile fast 95jährigen dauerhaft schädigen soll: Eine „Damnatio memoriae“ ist im Gang, die, wie die öffentliche Meinung sich organisiert, sogar gelingen könnte. Umgekehrt wäre aber bei einem unvoreingenommenen Blick festzustellen, dass vermutlich kein Bischof oder Erzbischof mit ähnlicher Kraft und Wirksamkeit gegen dieses Skandalon vorging wie der emeritierte Papst. Die Glaubenskongregation war überhaupt erst ab 2001 mit Fragen des Missbrauchs befasst. Seither nahm sich Ratzinger entschieden der Aufklärung jener Fälle an. Bei den Kreuzweg-Exerzitien am 25. März 2005 hatte Ratzinger von der Kirche als einem sinkenden Boot gesprochen. Er hatte die Frage aufgeworfen, wie viel Christus in und von seiner eigenen Kirche erdulden müsse. Auch vom Schmutz in der Kirche hatte Ratzinger damals gesprochen11, von Hochmut und Selbstherrlichkeit, die sich gerade auch unter Priestern finden, die doch ihm, Jesus Christus, ganz und gar gehören sollten. Das „Kyrieleison“, die Bitte um das Erbarmen, ließ Ratzinger, der keinen Monat später zum Papst gewählt werden solle, in die Gewissheit der Auferstehung münden.12 Im Mai 2005 folgen erste entschiedene Handlungen des neuen Papstes: Dino Brunesi, der einer Marienkongregation vorgestanden hatte, wird suspendiert. Im Mai 2006 wird der Gründer der Kongregation der Legionäre Christi Maciel Degollado von Benedikt XVI. aus demselben Grund zum Rückzug auf Gebet und Buße verurteilt. Degollado hatte bei Johannes Paul II. in hohen Ehren gestanden. Joseph Ratzinger hatte sich dem schon als Kardinal nicht angeschlossen.13 Denkwürdig ist die Ansprache an die Bischöfe Irlands vom Oktober 2006, in der Benedikt die Aufklärung über die vergangenen Vergehen des Missbrauchs einforderte. Alles müsse ans Licht der Wahrheit kommen. Immer wieder mahnte er, sich der Kleinen und Kleinsten anzunehmen, so in der Angelus-Ansprache vom 2. März 2008. Wenige Wochen später gab der Papst auf dem Flug in die USA ein denkwürdiges Interview, in dem er Pädophilie und Homosexualität ausdrücklich unterschied und sich auf Schritte gegen jene Vorkommnisse verpflichtete. Pädophile seien vom Priesteramt in jeder Hinsicht auszuschließen. Die USA-Reise stand unter dem Zeichen der tiefen Betroffenheit und Scham angesichts des Missbrauchs. Kein Wort könne das Leid und den Schmerz beschreiben. Auch auf der Reise nach Sydney im Juli desselben Jahres setzte sich dieses dunkle Leitmotiv fort. Den Aussagen folgten entschieden Taten: Rückversetzungen in den Laienstand und Suspendierungen sind eindrucksvoll dokumentiert.14 Über die Irlandreise hinaus verfolgt Benedikt einen klaren Kurs. Durch Audienzen und Visitationen verfolgte er die Situation in Irland konsequent weiter. Das Muster, das 2022 eklatant offen zutage tritt, deutete sich bereits 2010 an, als die deutschen Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kolleg öffentlich wurden: Die Spitze eines Eisbergs. Verschiedentlich wurde insinuiert, dass Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation an Verschweigen und Vertuschung beteiligt gewesen sei. Einer näheren Überprüfung halten diese Vorwürfe nicht stand. Auch der Fall des Essener Priesters während Ratzingers Zeit als Erzbischof in München und Freising wurde bereits 2010 versuchsweise skandalisiert. Es ist allerdings auch eine Tatsache, dass die Kommunikation im Vatikan sehr zu wünschen übrig ließ und dass Benedikt mit jenen Vorwürfen weitgehend alleine gelassen blieb. Der Wiener Erzbischof und Kardinal Schönborn indes legte offen, dass es Ratzinger gewesen war, der sich gegen den einstigen Wiener Erzbischof und Kardinal Groer gewendet hatte und auf dessen Absetzung hingewirkt habe. Die römische Kurie habe dies freilich verhindert.15 2010 wurde als Priester-Jahr begangen. Der Papst brachte im Juni 2010 die Scham gegenüber den Missbrauchsvergehen und deren Verurteilung nachdrücklich zum Ausdruck. Dies bekräftigte er noch einmal in einem Brief an Seminaristen zum Abschluss des Priester-Jahres im Oktober. Buße, Demut, Umkehr und neue Aufrichtigkeit waren für Papst Benedikt im Spätjahr 2010 das zentrale Grundmotiv seiner Ansprachen, Predigten und sonstigen Äußerungen, anders als bei seinem großen Vorgänger, ungleich stärker als bei seinem Nachfolger. Dies hatte auch, wie Benedikt gerade in Irland wieder formulierte, materielle und psychische Hilfe für die Opfer zur Folge. Nichts wäre verfehlter, als in Benedikts Äußerungen Unverbindlichkeit oder Lippenbekenntnisse zu vermuten, wie es in vielen Einlassungen am Beginn des Jahres 2022 wieder geschieht. Im April 2009 empfing Benedikt unter anderem auf seiner Kanadareise auch eine Gruppe kanadischer Indianer, die in Internaten Opfer von Missbrauch geworden waren. Nicht erst Papst Franziskus nutzte die traditionelle Weihnachtsansprache an die Kurie zu deutlichen und klaren Aufrufen zu Umkehr und Buße. An diesem Punkt besteht vielmehr eine hohe Kontinuität zwischen beiden Pontifikaten. Am 20. Dezember 2010 sprach er von der mit Staub bedeckten Ansicht der Kirche, deren Gewand zerrissen sei. Auch von der Schuld der Priester war dabei die Rede. Benedikt XVI. fasste das Übel zu Recht sehr grundsätzlich auf: Nur die Wahrheit rettet, lehrte er in jener Botschaft, die an die Kreuzwegmeditation von 2005 unmittelbar anschloss. Papst Benedikt verband seine Einlassungen immer auch mit der Erinnerung daran, dass ein relativierender moraltheologischer und übrigens auch -philosophischer Zugriff Klarheit und Wahrheit verhindern müsse. IV Die Selbstgerechten in der säkularisierten Öffentlichkeit und der sich selbst säkularisierende Protestantismus sollten ihre Verdikte gegen Papst Benedikt Joseph Ratzinger zwingend überdenken! Es ist hinreichend dokumentiert16, wie sich eine Sexualisierung der Pädagogik, die die Päderastie begünstigte, auf Kirchentagen und in evangelischen Kirchengremien sich unbeanstandet entfalten konnte. Eine „gute“ aufklärerisch-linke von einer „schlechten“ schwarzen Päderastie zu unterscheiden, ist ein Unding. Wo die Opfer im Horizont einer antiautoritären, „nicht verklemmten“ Pädagogik ins Verderben gestürzt wurden, kann und darf in keiner Weise Pardon gegeben werden. Evangelische Stellen sind dringend aufgerufen, den oft mit Schweigen gedeckten Missbrauch klar zu benennen und gegenüber ihren Kentlers, Gerold Beckers, von Hentigs und denen, die sie deckten, endlich klar und deutlich Aufarbeitung zu leisten. Die Sündenbockstruktur, die sich nun an Joseph Ratzinger, Benedikt XVI, austobt, ist christlichem Glauben zuwider. Auf eine Person soll abgeladen werden, was ein Kollektiv verschuldet hat. Der große französische Ethnologe und Philosoph René Girard hat eindrücklich gezeigt, wie im heilsgeschichtlichen Zusammenhang von Altem und Neuem Bund diese verderbliche Logik durchbrochen worden ist17: besiegelt in der Menschwerdung des Gottessohnes, der sich in den Tod dahingab. V Angesichts von abgründigen und schrecklichen Verbrechen, die Menschenleben über Generationen prägen und in unseliger Weise vergiften, kann nur das Gericht Gottes, nicht das wechselnde Gericht der Zeitgeister und ihrer Selbstgerechtigkeiten Gerechtigkeit schaffen. Papst Benedikt XVI. weiß dies selbstverständlich, im Unterschied zu seinen Verächtern, sehr genau und er lebt es bis auf den heutigen Tag. Ich erinnere an zwei tief bewegende Zeugnisse des alten emeritierten Papstes: Die Botschaft, die er anlässlich des Todes seines Bruders Georg im Juli 2020 verlesen ließ: Zeichen eines tiefen Gottvertrauens und einer Aufrichtigkeit, die auch die Beschädigungen eines Lebens nicht verschweigen muss, weil es sich in Gott vollenden darf. Und jenen Brief, in dem er im Februar 2022 noch einmal Scham und tiefe Trauer ausdrückte. Benedikt XVI. folgt nicht den Gesetzen jener im dauernden Skandalisierungsmodus begriffenen Öffentlichkeit. Eindeutig formuliert er: „Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Die Opfer von sexuellem Mißbrauch haben mein tiefes Mitgefühl und ich bedauere jeden einzelnen Fall“.18 Solche Worte und ihre Grundhaltung entziehen sich der Korrektur und Besserwisserei. Sie können zu Recht beanspruchen, als das gelesen zu werden, was sie sind: Selbstaussagen im Gegenüber zu dem letzten, ewigen Richter. Den abschließenden Worten, die Gericht und Gnade gleichermaßen im Blick haben, ist nichts hinzuzufügen. Ratzinger spricht in jenem Brief, wie ein Vater an seine Kinder, von der dunklen Pforte des Todes, die ihm bevorstehe. Seine Worte verdienen es deshalb ausführlicher zitiert zu werden: „Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und läßt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen. Mir kommt dabei immer wieder in den Sinn, was Johannes in seiner Apokalypse am Anfang erzählt: Er sieht den Menschensohn in seiner ganzen Größe und fällt vor ihm zusammen, wie wenn er tot wäre. Aber da legt er seine Hand auf ihn und sagt: ‚Fürchte dich nicht, ich bin es...‘ (vgl. Apk 1, 12 – 17).“19 Das Szenarium, dem sich Papst Benedikt heute ausgesetzt sieht, erinnert in vielfacher Hinsicht an das „Gerichtet!“, das die Welt sagt. Er weiß selbst am besten, dass im Blick auf sein Leben und Werk darauf nur eine Antwort von Jesus Christus kommen kann: das „Gerettet!“, wie es gerade der große Heide Goethe an das Ende seiner Gretchen-Tragödie setzt. Diejenigen, die selbstherrlich über diesen großen Papst den Stab brechen, sollten bedenken, dass die Verkehrung der Wahrheit Kennzeichen des Diabolos ist, des „Durcheinanderwerfers“, und dass er als „Ankläger unserer Brüder“ auftritt (Offb 12,10). Fußnoten: Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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