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| Kardinal Koch: 'Theologie von Ratzinger/Papst Benedikt XVI. ist ein so reicher und kostbarer Schatz'26. September 2022 in Weltkirche, 3 Lesermeinungen Koch beim Ratzinger-Schülerkreis: „Benedikt XVI. hat die Ursachen für die negativen Entwicklungen, die nach dem Konzil aufgetreten sind, nicht beim Konzil selbst gesucht hat, sondern in seiner fehlenden und fehlgeleiteten Rezeption“ Rom (kath.net) Kurienkardinal Kurt Koch sprach beim jüngsten Treffen der beiden Ratzinger-Schülerkreise die Einführung sowie die Schlussworte – kath.net dankt S.E. für die freundliche Erlaubnisse, die schriftliche Vorlage seiner Worte in voller Länge zu veröffentlichen. „ICH HABE VOM HERRN EMPFANGEN, WAS ICH EUCH DANN ÜBERLIEFERT HABE“ (1 KOR 11, 23) VERBINDLICHE WAHRHEIT UND WEITERENTWICKLUNG DER LEHRE DER KIRCHE Begrüssung und Einführung in das Symposium. Von Kurt Cardinal Koch Liebe Schwestern und Brüder im Glauben Auch in diesem Jahr darf ich Sie zu unserem Symposium begrüssen, das von den beiden Schülerkreisen von Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. organisiert und durchgeführt wird. Ich heisse Sie herzlich willkommen und danke Ihnen für Ihre Teilnahme hier im Saal oder zu Hause am Radio Horeb oder Fernsehen EWTN, denen ich bereits an dieser Stelle für die wiederum kompetente Übertragung der Vorträge einen besonderen Dank sagen darf. Es ist bereits das vierte Symposium, das in der Überzeugung veranstaltet wird, dass die Theologie von Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. ein so reicher und kostbarer Schatz ist, der hilft, bedeutsame Fragen der heutigen Zeit und wichtige Herausforderungen auch in unserer Kirche zu beleuchten und tragfähige und weiterführende Antworten ausfindig machen zu können. Nachdem wir beim ersten Symposium die Bedeutung und Sendung des Amtes in der Kirche bedacht, das zweite Symposium der fundamentalen Frage nach Gott gewidmet und im dritten Symposium über die schöne Botschaft der Erlösung von uns Menschen in Jesus Christus nachgedacht haben, steht heute die Frage nach dem Verhältnis zwischen verbindlicher Wahrheit des Glaubens und Weiterentwicklung der Lehre der Kirche im Mittelpunkt des Symposiums. Es handelt sich dabei um eine keineswegs leichte, aber leicht missverständliche Fragestellung. Denn wie kann die Wahrheit des Glaubens verbindlich und zugleich offen für Weiterentwicklungen sein? Ist dies nicht ein Widerspruch in sich selbst? Diese Frage stellt sich umso mehr, als in der Kirche zumindest in unseren Breitengraden oft das Postulat einer Weiterentwicklung der Lehre der Kirche erhoben wird, unter Weiterentwicklung jedoch Veränderung verstanden wird. Von daher erhebt sich die besorgte Rückfrage, wie die Wahrheit unseres Glaubens von Gott her verbindlich sein kann, wenn sie zugleich von uns Menschen verändert werden kann, und was folglich in richtiger Weise unter Weiterentwicklung zu verstehen ist. Den entscheidenden Schlüssel zur Beantwortung dieser komplexen Frage ist uns im biblischen Zitat im Titel des Symposiums vorgegeben: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe“ (1 Kor 11, 23). Mit dieser Aussage in seinem Ersten Brief an die Korinther bekennt Paulus, dass er das und nur das den christlichen Gemeinden weitergeben kann, was er selbst empfangen hat. So schreibt er im 11. Kapitel über die rechte Feier der Eucharistie: „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11, 23-25). Dieselbe Traditionsformel finden wir nochmals im 15. Kapitel, in dem Paulus über die Auferstehung spricht: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäss der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäss der Schrift, und erschien dem Kephas, und dann den Zwölf“ (1 Kor 15, 3-5). Den Gehalt der beiden Textabschnitte, die im Ersten Korintherbrief eingeflochten sind, hat Paulus in Jerusalem kennen gelernt und er dürfte bis in die dreissiger Jahre, also kurz nach dem Tod Jesu, zurückreichen. Die beiden Texte enthalten grundlegende Elemente der christlichen Überlieferung, die sich auf die Auferstehung Jesu und die Feier der Eucharistie beziehen. Denn beide Glaubensgeheimnisse gehören für Paulus unlösbar zusammen, insofern die Auferstehung Jesu Christi der verheissungsvolle „Beginn eines Präsens“ ist, „das nicht mehr endet“, und die Eucharistie das „Präsens des Auferstandenen, der in den Zeichen der Hingabe immerfort sich selber gibt und so unser Leben ist“ . Mit diesen beiden Texten dokumentiert Paulus unmissverständlich, dass er das Entscheidende des christlichen Glaubens nicht selbst erdacht oder erfunden, sondern dass er es empfangen hat. Und damit kommt an den Tag, wie Paulus seine Sendung der Weitergabe des Evangeliums gesehen hat, nämlich in den beiden Bewegungen des Empfangens und des Überlieferns. Mit den beiden Verben, und zwar in dieser strikten Reihenfolge, ist das Thema des heutigen Symposiums angetönt. Auf diesem Fundament der Vorgaben des Apostels Paulus hat die Kirche das Verhältnis von verbindlicher Wahrheit des Glaubens und Weiterentwicklung der Lehre in ihrer Geschichte stets gestaltet und auch vertieft. Dies zeigt bereits ein Blick auf jene Grundvorgänge, mit denen die Kirche bereits in apostolischer Zeit konstituiert ist und die zu ihren bleibenden Wesensmerkmalen gehören : Der erste Grundvorgang besteht in der Ausbildung des Kanons der Heiligen Schrift, die gegen Ende des zweiten Jahrhunderts zu einem gewissen, aber noch nicht endgültigen Abschluss gekommen ist. Das Entstehen des Kanons ist dabei das Werk der Apostolischen Kirche gewesen, die in einem intensiven Ringen aus der Vielzahl von damals im Umlauf befindlichen literarischen Zeugnissen jene Schriften ausgewählt hat, in denen sie den authentischen Ausdruck und den Masstab ihres Glaubens gefunden und denen sie die jüdische Bibel als Altes Testament zugeordnet hat. Die Heilige Schrift in der Zwei-Einheit von Altem und Neuem Testament ist somit ein Buch der Kirche, das aus der kirchlichen Überlieferung hervorgegangen ist und durch sie weitergegeben wird. Bei der Auswahl von jenen Schriften, die von der Apostolischen Kirche schliesslich als Heilige Schrift anerkannt worden sind, hat die Kirche einen Masstab verwendet, den sie als regula fidei, als Glaubensregel bezeichnet hat. Dabei handelt es sich um eine kurze Summe der grundlegenden Inhalte des Glaubens der Kirche, die in den verschiedenen Taufbekenntnissen eine von der Liturgie her geformte Gestalt erhalten und in den konziliaren Definitionen ihre Fortsetzung gefunden haben. Die grundlegenden Glaubensbekenntnisse der Christenheit bilden den eigentlichen Schlüssel, um die Heilige Schrift ihrem Geist gemäss auszulegen und weiterzugeben. Darin besteht der zweite Grundvorgang in der Apostolischen Kirche. Die Lesung der Heiligen Schrift und das Rezitieren des Glaubensbekenntnisses sind in der Apostolischen Kirche in erster Linie gottesdienstliche Akte der um ihren auferstandenen Herrn versammelten Gemeinde gewesen. Von daher gehen drittens auch die Grundformen des christlichen Gottesdienstes, vor allem der Feier der Eucharistie auf die Apostolische Kirche zurück und gehören zu ihrer Tradition, und zwar in der Überzeugung, dass das Gesetz des Betens und Feierns auch das Gesetz des Glaubens ist. Das Wort Gottes, das im Licht der Glaubensregel ausgelegt und im Gottesdienst der Kirche verkündet wird, findet in der Apostolischen Kirche viertens seine primäre Gestalt in der persönlichen Zeugenschaft des Bischofs. Von daher hat sich in der frühen Kirche die Überzeugung von der apostolischen Sukzession im Bischofsamt herausgebildet, das im Dienst der treuen Weitergabe der Offenbarung Gottes und der Apostolischen Tradition steht. Mit dem katholischen Kirchenhistoriker Ernst Dassmann muss man die „Herausbildung, theologische Begründung und institutionelle Stärkung des Bischofsamtes“ als „eines der wichtigsten Ergebnisse der nachapostolischen Entwicklung“ einschätzen . Kanon der Heiligen Schrift, Glaubensregel, Grundform des eucharistischen Gottesdienstes und apostolische Sukzession im Bischofsamt sind die vier Grundgegebenheiten in der Apostolischen Kirche, die man nicht voneinander isolieren darf, sondern unlösbar zusammengehören. In diesen Grundvorgängen zeigt sich, wie das Zusammenspiel von Empfangen und Überliefern in harmonischer Weise geschieht. Auszugehen ist dabei von der Bewegung des Empfangens, die deshalb grundlegend ist, weil der Glaube der Kirche ein Geschenk Gottes ist, der sich in der Geschichte Israels und im Geschick Jesu Christi endgültig offenbart hat. Die Offenbarung Gottes richtet sich in erster Linie an die Kirche, von der sie empfangen und weitergegeben wird. Die Weitergabe der Offenbarung in der Tradition ist dabei ein komplexes, weil lebendiges Geschehen. Unter der Tradition ist nicht einfach eine gleichsam mechanische Weitergabe des ererbten Glaubensgutes im Sinne einer Archivierung des Gewesenen zu verstehen. Sie ist vielmehr als ein „dynamischer Prozess“ zu betrachten, in dem das überkommene Glaubensgut „zugleich neu ausgelegt und auf die jeweilige Situation der Kirche hin entfaltet“ wird. Eine legitime und notwendige Weiterentwicklung der Glaubenslehre hat von daher einen wesentlichen Grund darin, dass auf der einen Seite Gott in Jesus Christus alles offenbart hat, was er uns sagen wollte, und dass die Apostel die Offenbarung vollständig bezeugt haben, dass aber auf der anderen Seite damit noch nicht garantiert ist, dass die vollständige Bezeugung in der Kirche auch vollständig empfangen und verstanden ist. Die Unterscheidung zwischen der abgeschlossenen Offenbarung Gottes und der Unabschliessbarkeit des menschlichen Empfangens und Verstehens der Offenbarung führt die Kirche immer wieder vor die Aufgabe, die Lehre des Glaubens ursprungstreu und zeitgemäss zugleich zu tradieren und auszulegen. Dies bedeutet gerade nicht, dass der Glaube in origineller Weise neu erfunden und ein neuer Glaube verkündet würde, sondern dass die Auslegung des Glaubens an seiner wahren Origo, der Offenbarung Gottes orientiert und so ausgelegt wird, dass er in den jeweiligen geschichtlichen Situationen auch verstanden werden kann und verstanden wird. Die besondere Verantwortung des bischöflichen und päpstlichen Lehramtes besteht dabei in der Sorge um die Ursprungstreue des Glaubens. Denn Hierarchie heisst nicht „heilige Herrschaft“, sondern „heiliger Ursprung“ . Ihre Hauptverantwortung liegt darin, den „heiligen Ursprung“ des Christusereignisses zu schützen und zu tradieren, damit er auch in der heutigen Situation seinen befreienden Lauf nehmen kann. Die Hierarchie hat sich als Repräsentant, Garant und Hirte der Vorgegebenheiten und Unverfügbarkeiten des Evangeliums zu bewähren und dafür zu sorgen, dass eine immer wieder notwendige Weiterentwicklung der Glaubenslehre der Kirche so in die jeweilige Zeit hinein geschieht, dass sie zugleich ursprungsgetreu und zeitgemäss erfolgt. Damit stehen wir mitten in der Thematik des heutigen Symposiums, als dessen Hauptreferenten ich Herrn Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, seit 2013 Bischof von Regensburg, herzlich begrüssen darf. Zuvor in den Jahren 2005 bis 2013 war Bischof Voderholzer Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Trier. Er ist auch Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg und ein profunder Kenner der Theologie Joseph Ratzingers wie auch des mit ihm geistesverwandten Henri de Lubac, und er hat zur Thematik unseres Symposium viel gearbeitet, wie auch sein neueres Buch „Offenbarung, Tradition und Schriftauslegung“ zeigt . Bischof Voderholzer wird uns darlegen, dass im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils die Apostolische Überlieferung unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt. Nach der Pause werden auch in diesem Jahr wiederum drei kürzere Statements folgen, die einzelne Aspekte der Grundthematik näher beleuchten werden. Der zweite Teil und die anschliessende Diskussion wird moderiert werden von Herrn Martin Lohmann, Journalist und Publizist und korrespondierendes Mitglied des Neuen Schülerkreises. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Dienst, den Sie uns auch in diesem Jahr wiederum schenken. Die Frage des Verhältnisses von Verbindlichkeit und Lehrentwicklung zeigt sich auch im Recht der Kirche, bei dem dieses Verhältnis in kanonistische Normen übersetzt wird. In diesem Sinne hat Papst Johannes Paul II. bei der Promulgation des erneuerten Kirchenrechts im Jahre 1983 dessen Aufgabe darin gesehen, die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils „in die kanonistische Sprache zu übersetzen“ . Er hat deshalb den neuen Codex gleichsam als das „letzte Dokument des Konzils“ betrachtet. Zur Thematisierung der damit angesprochenen Balance zwischen Treue und Veränderung in der Lehr- und Rechtstradition darf ich Herrn Prälat Dr. Markus Graulich herzlich begrüssen. Als Salesianer-Pater ist er lange Zeit Professor für Grundfragen und Geschichte des Kirchenrechts an der Päpstlichen Universität der Salesianer in Rom gewesen. Seit dem Jahre 2014 wirkt Prälat Graulich als Untersekretär des Dikasteriums für Gesetzestexte an der Römischen Kurie. Auch er ist korrespondierendes Mitglied des Neuen Schülerkreises und der Theologie von Joseph Ratzinger-Benedikt XVI. sehr verbunden. Die Thematik des Symposiums findet eine konkrete Zuspitzung in der Liturgie der Kirche, da sich die lebendige Tradition der Kirche am deutlichsten im liturgisch-sakramentalen Leben der Kirche verwirklicht. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dabei betont, dass bei jeder liturgischen Erneuerung die gesunde Überlieferung gewahrt bleiben und zugleich das Tor für „berechtigten Fortschritt“ geöffnet werden soll, und dass folglich neue liturgische Formen „aus den schon bestehenden organisch herauswachsen“ . Im Blick auf diese grundlegende Aussage vom organischen Wachstum hat auch Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. stets betont, dass es in der Liturgiegeschichte durchaus Wachstum und Fortschritt gibt, aber auf keinen Fall Brüche. Denn in der Liturgie bringen wir am deutlichsten zum Ausdruck, was wir glauben, und zwar in der Gemeinschaft der Kirche gestern und heute und in die Zukunft hinein. Dieser Thematik widmet sich Dr. Uwe Michael Lang; er ist Priester des Oratoriums von Philipp Neri in London und ein versierter Kenner der Geschichte und Theologie der Liturgie der Kirche und ebenfalls korrespondierendes Mitglied des Neuen Schülerkreises. Seien Sie herzlich willkommen! Auch in diesem Jahr soll ein mehr persönlich gehaltener Vortrag über die Wurzeln des theologischen Denkens von Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. nicht fehlen. Dazu begrüsse ich herzlich Herrn Prälat Dr. Helmut Moll. Er kennt die Persönlichkeit und Theologie von Joseph Ratzinger aus eigener Erfahrung als einer seiner Doktoranden und Mitarbeiter an der Kongregation für die Glaubenslehre und als Mitglied des Schülerkreises. Prälat Moll ist auch ehrenamtlicher Professor an der Gustav-Siewerth-Akademie und verantwortlich für die Herausgabe des Deutschen Martyrologiums des 20. Jahrhunderts. Ich hoffe, dass wir mit diesen Beiträgen die verschiedenen Dimensionen der Thematik mit Sorgfalt beleuchten können. Ich wünsche uns allen ein bereicherndes Symposium und überbringe Ihnen dazu auch die lieben Grüsse von Papst emeritus Benedikt XVI. Ich durfte den Papa emerito am vergangenen Montag besuchen und ihm das Programm des Symposiums vorstellen. Er freut sich darüber, dass wieder ein Symposium stattfinden kann, und entbietet Ihnen seine besten Segenswünsche. Ich darf nun das Wort Herrn Bischof Rudolf Voderholzer für seinen Hauptvortrag übergeben. Wir freuen uns über Ihr Dasein und Ihre Ausführungen.
ABSCHLUSS DES SYMPOSIUMS. Von Kurt Cardinal Koch „Während des Konzils herrschte eine bewegende innere Spannung angesichts der gemeinsamen Aufgabe, die Wahrheit und die Schönheit des Glaubens im Heute unserer Zeit erstrahlen zu lassen, ohne sie den Ansprüchen der Gegenwart zu opfern, noch sie an die Vergangenheit gefesselt zu halten: Im Glauben schwingt die ewige Gegenwart Gottes mit, die über die Zeit hinausreicht und dennoch von uns nur in unserem unwiederholbaren Heute aufgenommen werden kann.“ Diese Sicht von der Aufgabe, vor der das Zweite Vatikanische Konzil gestanden hat, hat Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt in der Heiligen Messe zur Eröffnung des Jahrs des Glaubens geäussert, das er fünfzig Jahre nach der Eröffnung des Konzils ausgerufen hat. Diese Worte belegen einmal mehr, wie sehr es Papst Benedikt XVI., der als Peritus selbst am Konzil teilgenommen und viele positive Beiträge einbringen konnte, ein wichtiges Anliegen gewesen ist, dass das Konzil in authentischer Weise in der gesamten Kirche rezipiert wird. Von daher versteht man, dass Papst Benedikt XVI. die Ursachen für die negativen Entwicklungen, die nach dem Konzil aufgetreten sind, nicht beim Konzil selbst gesucht hat, sondern in seiner fehlenden und fehlgeleiteten Rezeption, wie er bereits in den siebziger Jahren festgestellt hat: „Was die Kirche des letzten Jahrzehnts verwüstete, war nicht das Konzil, sondern die Verweigerung seiner Annehme.“ An diese Sicht Benedikts XVI. von der Aufgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnere ich bewusst zum Abschluss unseres Symposiums, weil ich in dieser Sicht eine synthetische Zusammenfassung dessen wahrnehme, was unter Weiterentwicklung der Glaubenslehre in unserer Kirche zu verstehen ist und was nicht. Hören wir also abschliessend nochmals die authentische Stimme von Papst Benedikt XVI. zur Thematik unseres Symposiums. Bereits in seiner ersten Botschaft am Morgen nach seiner Wahl zum Papst hat er seinen festen Willen bekräftigt, dass er sich „weiter um die Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils“ bemühen werde, und zwar „auf den Spuren meiner Vorgänger und in treuer Kontinuität mit der zweitausendjährigen Tradition der Kirche“ . Seine erste grosse Rede beim Weihnachtsempfang für die Römische Kurie im Jahre 2005 hat Benedikt XVI. der bleibenden Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils gewidmet , und zwar in der Überzeugung, dass es „eine grosse Kraft für die stets notwendige Erneuerung der Kirche sein und immer mehr zu einer Kraft werden“ kann, „wenn wir es mit Hilfe der richtigen Hermeneutik lesen und rezipieren“ . Papst Benedikt XVI. hat dabei zwei gegensätzliche Konzilshermeneutiken unterschieden, nämlich auf der einen Seite die „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“, die er ablehnt, und auf der anderen Seite die „Hermeneutik der Reform“, die er für die adäquate Art und Weise der Interpretation und der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils hält. Die „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“ sieht im Konzil die Beendigung der bisherigen Traditionsgestalt der Kirche, nach der etwas Neues begonnen habe, das im so genannten „Geist des Konzils“ greifbar, jedoch noch nicht zum Durchbruch gekommen sei und deshalb nach dem Konzil verwirklicht werden müsse. Diese Hermeneutik ist vor allem daran zu erkennen, dass in einer beinahe inflationären Weise zwischen der so genannten vor-konziliaren und nach-konziliaren Kirche unterschieden wird. In einer weithin dualistischen Geschichtsschau wird die Diskontinuität zwischen der Zeit vor und nach dem Konzil betont. In diesem Verständnis bedeutet Weiterentwicklung der Glaubenslehre nicht mehr Entwicklung, sondern Veränderung und Neuformulierung nach dem Bruch. Einer der wohl profiliertesten Protagonisten dieser Konzilshermeneutik ist Hans Küng gewesen, der das Konzil als „Integration des Paradigmas der Reformation und der Moderne in die katholische Kirche“ verstanden wissen wollte. Da die Moderne wesentlich einen gravierenden Traditionsbruch bedeutet, impliziert nach Küng auch die Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils in der modernitätsverträglichen Sinnrichtung einen elementaren Bruch mit der Tradition. Küng hat zudem im Zweiten Vaticanum, das er als „Konzil mit seinen Kompromissen, Halbheiten und Mehrdeutigkeiten“ beurteilt, einen gravierenden „Geburtsfehler“ diagnostiziert, den man nur dadurch korrigieren könne, dass der mit dem Konzil begonnene Bruch über das Konzil hinaus zu Ende geführt werde . Als gravierenden Bruch mit der Tradition beurteilen aber auch die Traditionalisten im Geist von Erzbischof Marcel Lefebvre das Zweite Vatikanische Konzil, indem sie behaupten, mit dem Konzil sei eine neue Kirche in Erscheinung getreten, die mit der bisherigen nicht mehr identisch sei. Im Unterschied zu den Progressisten sehen die Traditionalisten im Konzil deshalb einen Bruch mit der Tradition, weil sie eine Hermeneutik der reinen und geschichtslosen Kontinuität vertreten. Der gemäss werden nur jene Lehren des Konzils angenommen, die bereits in der Tradition auffindbar sind, während jene Lehren des Konzils – wie vor allem die Religionsfreiheit – abgelehnt werden, die angeblich keinen Anhalt in der Tradition haben. Gemäss dieser Konzilshermeneutik kann es in der Glaubenslehre der Kirche keine wirkliche Weiterentwicklung geben, ohne einen Bruch mit der Tradition zu riskieren und zu vollziehen. Beide genannten Extrempositionen vertreten, freilich aus völlig unterschiedlichen Gründen eine Hermeneutik des Bruchs und der Diskontinuität, weil sie das Zweite Vatikanische Konzil nicht im Gesamt der Tradition der Kirche verstehen. Diese verfehlte Einstellung hat Papst Benedikt XVI. klarsichtig erkannt und mit den Worten ausgesprochen: „Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren – das muss der Bruderschaft (sc. der Priesterbruderschaft St. Pius X.) ganz klar sein. Aber manchen von denen, die sich als grosse Verteidiger des Konzils hervortun, muss auch in Erinnerung gerufen werden, dass das II. Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm gehorsam sein will, muss den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.“ In diesem Urteil ist deutlich, dass Papst Benedikt XVI. eine Lehrentwicklung für möglich und theologisch verantwortbar hält, wenn sie wirklich Entwicklung in Kontinuität und nicht Veränderung im Bruch ist. Die Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches hält er deshalb für „absurd, gegen den Geist und gegen den Willen der Konzilsväter“ . Dieser Hermeneutik gegenüber vertritt Papst Benedikt XVI. jedoch nicht, wie ihm oft unterstellt wird, eine Hermeneutik der reinen Kontinuität. Diejenige Konzilshermeneutik, die er allein für adäquat hält, bezeichnet er als „Hermeneutik der Reform“. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass mit ihr die Treue zur Tradition der Kirche genauso ernst genommen wird wie die Dynamik, die mit den verheissungsvollen Reformen im Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben ist. Sie nimmt deshalb nicht nur Kontinuität wahr, sondern rechnet auch mit Diskontinuitäten: „Genau in diesem Zusammenspiel von Kontinuität und Diskontinuität auf verschiedenen Ebenen liegt die Natur der wahren Reform.“ Mit diesem Prinzip einer Erneuerung der Kirche und auch ihrer Lehre in Kontinuität mit der Tradition wird sichtbar, wie Papst Benedikt XVI. das Zweite Vatikanische Konzil als ganzes versteht: Seiner eigenen Intention gemäss wollte das Zweite Vaticanum wie jedes frühere Konzil im Licht der umfassenden und lebendigen Tradition der Kirche verstanden und interpretiert werden. Diese Kontinuität mit der Tradition ist vom Konzil aber in einer innovativen Weise wahrgenommen worden, indem es die Tradition der Kirche mit einer vergegenwärtigenden Interpretation in der neuen geschichtlichen Situation, in der die Kirche lebt, verbunden hat. Das Konzil ist in die Tradition hinein offen gewesen, und es ist zugleich für die Gegenwart und die Zukunft des Glaubens offen gewesen. Im Entwicklungsprozess des Neuen unter Wahrung der Kontinuität ist es dem Konzil um die Erneuerung des einen Subjekts „Kirche“ gegangen: „Die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg.“ In diesem zweifachen Sinn ist das Zweite Vaticanum ein Reformkonzil gewesen. Es hat keine neue Kirche im Bruch mit der Tradition geschaffen und auch keinen neuen Glauben intendiert, sondern eine erneuerte Kirche und eine Erneuerung des Glaubens aus dem Geist der christlichen Botschaft, die ein für allemal offenbart worden ist und in der lebendigen Tradition der Kirche überliefert ist. Wahre Erneuerung besteht deshalb in der Rückbesinnung auf das Ursprüngliche, das als normativ zu betrachten ist. Von der Notwendigkeit einer solchen Erneuerung sind die Konzilsväter überzeugt gewesen, und sie haben die Kirche von den Quellen des Glaubens in der Heiligen Schrift und bei den Kirchenvätern her erneuert, damit sie ihre Sendung in den Herausforderungen der damaligen Zeit und damit zeitgemäss wahrnehmen kann. Für das Konzil sind Ursprungstreue und Zeitgemässheit keine Gegensätze gewesen, wie sie es nach dem Konzil weithin geworden sind und wie sie bis in die heutigen innerkirchlichen Polarisierungen nachwirken. Das Konzil aber wollte den katholischen Glauben ursprungsgetreu und zeitgemäss verkünden, um den Menschen im Heute die Wahrheit und Schönheit des Glaubens so weitergeben zu können, dass sie ihn verstehen und als Geschenk für ihr Leben annehmen können. Was von der Reform der Kirche zu sagen ist, gilt auch für die Erneuerung und Weiterentwicklung der Lehre des Glaubens. Sie muss sich an der verbindlichen Offenbarung orientieren und in die jeweilige Zeit hinein neu so ausgelegt werden, dass sie von den Menschen empfangen und verstanden werden kann. Im Sinne einer Synthese gebe ich abschliessend Professor Dr. Dr. Ralph Weimann das Wort, der seine umfassende Doktoratsdissertation „Dogma und Fortschritt bei Joseph Ratzinger“ dieser wichtigen Thematik gewidmet hat: „Der Kirche kommt die Aufgabe zu, Wahrheit durch die Zeiten hindurch zu vermitteln, denn sie ist jenes lebendige transtemporale Subjekt, in dem Christus gegenwärtig ist, der die Zeiten überschreitet. Weder die Statik der Identität noch der Fortschritt des Werdens vermögen Orientierung zu geben, wohl aber eine recht verstandene Kontinuität, die ein Voranschreiten in der Erkenntnis in dem Mass ermöglicht, wie sie die Treue zu ihrem Ursprung wahrt. Auf diese Weise kann Entwicklung als Ausdruck von Lebendigkeit des sich Gleichbleibenden verstanden werden, und so lässt sich von einer grundsätzlichen Invarianz der Sache und einer Varianz ihrer gedanklichen und sprachlichen Fassung sprechen.“ Ich hoffe, dass das heutige Symposium zur wichtigen Thematik „Verbindliche Wahrheit und Weiterentwicklung der Lehre der Kirche“ in der heute schwierigen Situation der Kirche und ihres Glaubens Orientierung geben kann. Ich danke allen, die bei der Vorbereitung und Durchführung des Symposiums mitgewirkt haben, vor allem den Referenten für ihre Beiträge und Herrn Martin Lohmann für seine kompetente Moderation, dem Leiter des Schülerkreises, Herrn Dr. Josef Zöhrer, und dem Vorstand des Neuen Schülerkreises, Herrn Professor Christoph Ohly, Pater Dr. Sven Conrad und Pfarrer Dr. Rainer Hangler. Einen besonderen Dank sage ich allen Teilnehmenden am Symposium hier im Saal und bei Radio Horeb und beim Fernsehen EWTN. Gehen wir gestärkt unseren Weg weiter im Geist des heiligen Paulus: Seien wir dankbar für das, was wir als Offenbarung Gottes empfangen durften, und geben wir grosszügig und in Freude weiter, was wir empfangen haben: die Wahrheit und Schönheit unseres Glaubens, der immer derselbe ist, aber im Heute gelebt werden will, damit er auch in der heutigen Geschichtsstunde ein gelebter Glaube sein kann, und zwar in der Überzeugung, dass Jesus Christus die wahre Neuheit ist, die von keiner anderen Neuheit je eingeholt werden kann. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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