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Abtreibung und Menschenwürde

21. November 2024 in Prolife, 1 Lesermeinung
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„Es besteht die Gefahr, dass ein Gesetz beschlossen wird, durch das wegen der Entkriminalisierung der Abtreibung das Menschenrecht auf Leben in ein Recht auf Töten verwandelt wird.“ Gastbeitrag von Rechtsanwalt Lothar Christian Rilinger


Berlin (kath.net) Nun hat es die jetzige Bundesregierung doch noch geschafft, die Abstimmung über das Gesetz, das die Entkriminalisierung der Abtreibung zum Ziel hat, auf die Tagesordnung der möglicherweise verbleibenden letzten Sitzungswochen des Bundestages – obwohl ihr die parlamentarische Mehrheit fehlt – setzen zu lassen. Dieser Schritt war nur möglich, da die linken Parteien gemeinsam die Tagesordnung beschlossen haben. Es werden jetzt voraussichtlich drei Lesungen einschließlich einer Sachverständigenbefragung noch vor dem geplanten Wahltermin am 23. Februar 2025 durchgeführt werden – was als Durchpeitschen einer Ideologie angesehen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass dem Kanzler am 16. Dezember 2024 nicht das Vertrauen ausgesprochen wird, was freilich theoretisch scheitern könnte, wenn die AfD zusammen mit der SPD und den Grünen sowie den beiden linksextremen Parteien dem Antrag zustimmen würden. Da aber auch die Regierung Neuwahlen durchführen möchte, spricht einiges dafür, dass sich die Abgeordneten der Regierung zumindest teilweise der Stimme enthalten werden, so dass die Voraussetzung für die Neuwahl gegeben sein wird.

Es besteht deshalb die Gefahr, dass noch in den letzten Sitzungen des Parlaments ein Gesetz beschlossen wird, durch das wegen der Entkriminalisierung der Abtreibung das Menschenrecht auf Leben in ein Recht auf Töten verwandelt wird – in ein Recht, einen Menschen töten zu dürfen, ohne dass diese Tat von der Rechtsordnung als verwerflich deklariert wird. Diese Entscheidung hat eine fundamentale Auswirkung auf unser gesamtes Rechtssystem, es stellt einen Paradigmenwechsel dar, der als einzigartig in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden muss.

Nach unserer Rechtsordnung werden jedem Menschen diese Menschenrechte von der Nidation der befruchteten Eizelle bis zum natürlichen Tod intrinsisch zugeordnet. Ihm stehen diese Rechte allein auf Grund seines Menschseins zu, ohne dass es eines besonderen Rechtsaktes bedürfe. Es sind deshalb Rechte, die niemand entziehen kann. Sie finden ihren Urgrund in der Annahme, dass jeder Mensch ein imago Dei verkörpert, ein Ebenbild Gottes. Diese Rechtstatsache ist nicht nur in unserer Verfassung aufgenommen, sie ist auch Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO aus dem Jahr 1948. Obwohl die Unhintergehbarkeit und Unaufhebbarkeit dieser Rechte Grundlage jeder Rechtsordnung auf der Welt sein müssen, wird trotzdem die Forderung erhoben, Menschen in den ersten drei Monaten ihrer Existenz strafrechtlich irrelevant töten zu dürfen.


Die Menschenrechte auf Würde und auf Leben können allerdings nach unserer Rechtsordnung dem ungeborenen Menschen nicht entzogen werden, schließlich stehen sie jedem Menschen zu, auch den ungeborenen. Ein Verfassungsgericht würde deshalb diesen Entzug sofort als verfassungswidrig verurteilen. Deshalb beziehen sich die Verfechter der Entkriminalisierung auch auf die Lehre des Transhumanismus, um durch den Rekurs auf diese atheistische Ideologie die Frage zu beantworten, welches menschliche Wesen als Mensch im Sinne der Verfassung und damit als Inhaber von Menschenrechten angesehen werden muss. Im Transhumanismus wird der Mensch im Rahmen eines Dualismus aufgespalten in Körper und Geist, während im christlichen Humanismus Körper und Geist eine Einheit bilden. Der Körper wird im Transhumanismus als Sache angesehen, so dass nur der Geist Inhaber von Rechten sein kann. Überdeutlich sichtbar wird die Folge dieser Trennung im Rahmen der Geschlechtsidentität. Nur der Geist soll über die Identität entscheiden, nicht mehr der Körper oder die Biologie. Wenn demnach ein Mensch nicht über Geist verfügen kann, kann er auch keine Rechte für sich reklamieren. Einem ungeborenen Menschen in den ersten drei Monaten seiner Existenz wird apodiktisch der Geist abgesprochen. Deshalb werden sie auch nur als „Zellhaufen“, „parasitäre Zellhaufen“ oder als „Schwangerschaftsgewebe“ bezeichnet, um anzuzeigen, dass sie nicht als rechtsfähige Menschen angesehen werden. Noch trauen sich die Verfechter nicht, ungeborene Menschen öffentlich als Sache zu bezeichnen, da eine solche Einstufung und Bewertung von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Da es aber erlaubt sein soll, ungeborene Menschen in den ersten drei Monaten ihrer Existenz zu töten, wird ihnen infolge dessen das Menschsein abgesprochen. Als Sache können sie folglich nicht die rechtliche Privilegierung als Mensch erfahren. Deshalb kann der Entkriminalisierung der Abtreibung nicht vorgehalten werden, dass die Verfassung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO die Tötung eines Menschen verbietet, schließlich kann man als Inhaber oder Eigentümer über Sachen frei verfügen.

Sollte das Gesetz eine Mehrheit finden, würde die CDU-CSU-Fraktion sofort ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beantragen. Doch nach der Entscheidung des Spruchkörpers im Verfahren auf Aufhebung des Gesetzes über das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid, was mit dem Selbstbestimmungsrecht der Person, die den Tod wünschte, begründet wurde, bestünde die Möglichkeit, dass auch im Falle der Entkriminalisierung der Abtreibung das Gericht in der Abwägung der Rechte der Mutter und denjenigen des Kindes das Selbstbestimmungsrecht der Mutter über die Rechte des Kindes triumphieren lassen könnte.

Eine derartige Negierung der Menschenrechte auf Würde und auf Leben des ungeborenen Kindes würde jedoch rechtliche Folgen haben, die die Rechte von Menschen auch in anderen Lebensabschnitten ausschließen könnten. Da der Mensch im Transhumanismus als Dualismus von Körper und Geist gedacht wird und Rechte nur am Geist festgemacht werden, könnten Menschen ohne Geist oder mit vermindertem Geist rechtliche Beeinträchtigungen erfahren. Sollte ein Mensch auf Grund Krankheit, Behinderung oder Unfall seine Fähigkeit verloren haben, über sich selbst nachzudenken, oder sollte er über kein Selbstbewusstsein verfügen, könnte im transhumanistischen Sinn der Geist abgesprochen werden – mit der Folge, dass er auch keine Menschenrechte für sich reklamieren könnte und legal getötet werden darf. Sollte er über geringen Geist verfügen, könnten auch die Rechte gemindert werden, die er geltend machen möchte. Eine weitere Konsequenz könnte sein, dass auch sein Wahlrecht beschnitten wird. Entsprechend des Umfanges seines Geistes könnte deshalb auch der Wert seiner Stimme eingeschränkt werden. Damit wäre das Prinzip one man, one vote außer Kraft gesetzt und damit die Grundlage unserer demokratischen Grundordnung.

Diese Konsequenzen werden gerne als Verschwörungstheorien bezeichnet – mit dem vermeintlichen Totschlagargument, das aber nur die Borniertheit und Beschränktheit der Argumentationsmöglichkeiten der Verfechter offenbart. Wer sich auch nur ansatzweise mit den Grundlagen einer Gesellschaft beschäftigt und sich Gedanken darüber macht, dass Politik auch unter dem Gesichtspunkt des Utilitarismus gedacht und exekutiert wird, wird zu dem Schluss kommen, dass Personen, die schicksalshaft über keinen Geist verfügen können und deshalb gepflegt werden müssen, was sehr hohe Kosten verursacht, in die Gefahr geraten, getötet werden zu dürfen, um Angehörigen, um ein Beispiel zu nennen, die immensen Pflegekosten für Menschen, die möglicherweise nichts mehr registrieren, zu ersparen.

Wenn man sich aber juristisch auf eine slippery lane begibt, darf man sich nicht wundern, wenn immer weitere Möglichkeiten gewünscht werden, um Tötungen vornehmen zu dürfen. Als nach dem letzten Weltkrieg Euthanasie weltweit als rechtswidrig verworfen wurde, galt diese Verurteilung nur kurze Zeit. Dann sollte sie erlaubt werden, wenn der Patient irreversibel erkrankt ist, wenige Jahre später sollte es gestattet sein, wenn er schwerkrank ist, dann wenn er sich nicht gut fühlt. Jetzt ist die aktive Sterbehilfe inzwischen sogar in einigen Ländern Europas erlaubt. In gleicher Weise wird auch das Töten von Menschen ohne Geist erlaubt werden, wenn nicht der Dammbruch durch die strafrechtlich irrelevante Erlaubnis der Abtreibung Gesetz wird. Personen ohne Geist, die nach christlicher Auffassung selbstverständlich über Würde und das Recht auf Leben verfügen, auch wenn sie unter Pflegschaft stehen, stünden schwere Zeiten bevor – lebensgefährliche sogar. Was das mit Menschlichkeit zu tun haben soll, ist unerklärlich. Wir können deshalb nur hoffen, dass das Gesetzesvorhaben scheitert.

Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D., und Autor mehrerer Bücher.

kath.net-Buchtipp
Lothar C. Rilinger: Auf der Suche nach dem Licht
Zeichen des Glaubens auf dem Weg von Aquileia nach Rom
Taschenbuch, 328 Seiten; Fotoeinlage
2024 Lepanto Verlag
ISBN: 978-3-942605-33-5
Preis Österreich: € 22,10
9783942605335


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Lesermeinungen

 remigius66 21. November 2024 
 

Henkergesellschaft

Wenn die Gesellschaft es zulassen würde, dass nach transhumanistischer Vorstellung, Menschen in Geisthabende und Geistlose eingeteilt werden, und dann den als geistlos Deklarierten, seien sie Ungeborene, Kleinstkinder, Demente, durch Krankheit oder Unfall geistig Geschädigte, das Lebensrecht abgesprochen werden kann oder wird, dann macht sich eine derartige Gesellschaft zu einer Henkergesellschaft, zu einer geisteskranken, am Ende sich selbst vernichtenden Veranstaltung. Kein vernünftiger Mensch kann so etwas wollen.


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