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Der Papst ist kein Orakel…

24. August 2005 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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… und auch er leidet am Mangel an Berufungen und an der Situation der Wiederverheirateten Geschiedenen. Benedikt XVI. im Wortlaut zu aktuellen Problemen unserer Zeit.


Vatikan (www.kath.net) Er sei in den seltensten Fällen unfehlbar und vor allem kein Orakel. Sagt Benedikt XVI. höchstpersönlich. Aktuelle Probleme unserer Zeit trage er ebenso mit wie alle, meinte der Papst bei einer Begegnung mit dem Klerus der Diözese Aosta am 25. Juli in der Pfarrkirche von Introd.

Er beantwortete Fragen zu aktuellen Problemen der Kirche und Welt von heute, die von den Priestern selbst vorschlagen wurden. Der Vatikan veröffentlichte nun die Ansprache und die Antworten des Papstes auf aktuelle Fragen in deutscher Übersetzung. Wir dokumentieren im Folgenden die Ansprache und zwei seiner Antworten.


Exzellenz, liebe Brüder!

Zunächst möchte ich meine Freude und Dankbarkeit ausdrücken für die Möglichkeit, euch zu begegnen. Als Papst besteht die Gefahr, daß man der alltäglichen Lebenswirklichkeit ein bißchen fern ist, besonders den Priestern, die gerade hier im Tal an vorderster Front in vielen Pfarreien tätig sind und die derzeit – wie Seine Exzellenz sagte – aufgrund des Mangels an Berufungen auch unter Bedingungen mit besonderer physischer Belastung leben. So ist es für mich eine Gnade, in dieser schönen Kirche mit den Priestern und dem Presbyterium dieses Tals zusammenzutreffen. Ich möchte euch danken, daß ihr gekommen seid, denn auch für euch ist Urlaubszeit.

Wenn ich euch versammelt und mich mit euch vereint sehe, wenn ich also den Priestern nahe bin, die Tag für Tag als Sämänner des Wortes für den Herrn arbeiten, dann ist das für mich ein Trost und eine Freude. In der vergangenen Woche haben wir zweimal oder – mir scheint – dreimal das Gleichnis vom Sämann gehört, das ja eine tröstliche Parabel in einer anderen Situation ist, die aber in gewissem Sinn unserer Situation ähnelt.

Die Arbeit des Herrn hatte mit großem Enthusiasmus begonnen. Man sah, daß die Kranken geheilt wurden und alle mit Freude das Wort hörten: »Das Reich Gottes ist nahe.« Die Veränderung der Welt und die Ankunft des Gottesreiches schienen tatsächlich bevorzustehen, so daß sich endlich die Traurigkeit des Gottesvolkes in Freude verwandeln konnte. Man erwartete einen Boten Gottes, der das Steuerrad der Geschichte in die Hand nehmen würde. Aber dann sah man, daß die Kranken zwar geheilt, die Dämonen ausgetrieben wurden und das Evangelium verkündet wurde, aber im übrigen blieb die Welt so, wie sie war. Nichts hatte sich geändert. Die Römer waren immer noch die Herrscher. Das Alltagsleben war schwierig, trotz dieser Zeichen und dieser schönen Worte. So erlosch der Enthusiasmus, und am Ende verließen auch die Jünger, wie wir aus dem 6. Kapitel von Johannes wissen, diesen Prediger, der predigte, aber die Welt nicht veränderte.

Worin besteht diese Botschaft? Was bringt dieser Prophet Gottes?, fragten sich am Ende alle. Der Herr spricht vom Mann, der auf dem Feld der Welt Samen ausstreut. Und der Same scheint wie sein Wort, wie diese Heilungen zu sein, etwas Winziges im Vergleich zur historischen und politischen Wirklichkeit. So klein und nebensächlich wie der Same ist auch das Wort.

Dennoch, sagt er, ist die Zukunft im Samen enthalten, denn der Same trägt das Brot von morgen, das Leben von morgen in sich. Der Same scheint ganz unbedeutend zu sein, und doch ist der Same Gegenwart und Zukunft, er ist die heute schon gegenwärtige Verheißung. Und so sagt er mit diesem Gleichnis: Wir befinden uns in der Zeit der Aussaat; das Wort Gottes scheint bloßes Wort, es scheint fast nichts zu sein. Aber habt Mut, dieses Wort birgt das Leben in sich! Und es trägt Frucht! Das Gleichnis sagt auch, daß ein großer Teil des Samens keine Frucht bringt, weil er auf den Weg, auf felsigen Boden usw. gefallen ist.

Aber der Teil, der auf guten Boden gefallen ist, bringt Frucht, teils dreißigfach, teils sechzigfach, teils hundertfach. Das gibt zu verstehen, daß wir Mut haben sollen, auch wenn das Wort Gottes, das Reich Gottes, keine geschichtlich-politische Bedeutung zu haben scheint. Am Palmsonntag hat Jesus schließlich alle diese Lehren über das Samenkorn des Wortes zusammengefaßt: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es in die Erde fällt und stirbt, bringt es viele Frucht. Und so hat er zu verstehen gegeben, daß er selbst das Samenkorn ist, das in die Erde fällt und stirbt.

Mit der Kreuzigung scheint alles gescheitert, aber gerade so, indem es in die Erde fällt und stirbt, auf dem Weg des Kreuzes, bringt es Frucht zu jeder Zeit und zu allen Zeiten. Hier haben wir sowohl die christologische Zielsetzung, nach der Christus selbst das Samenkorn, das gegenwärtige Reich ist, als auch die eucharistische Dimension: Dieses Samenkorn fällt in die Erde, und so wächst das neue Brot, das Brot des künftigen Lebens, die heilige Eucharistie, die uns nährt und die uns für die göttlichen Geheimnisse, für das neue Leben öffnet.

Mir scheint, daß es in der Geschichte der Kirche, in unterschiedlichen Formen, immer diese Fragen gibt, die uns tatsächlich plagen: Was sollen wir tun? Die Leute scheinen uns nicht zu brauchen, alles, was wir tun, scheint nutzlos. Aber wir lernen aus dem Wort des Herrn, daß nur dieser Same die Erde immer wieder verändert und sie dem wahren Leben öffnet.

Ich möchte, soweit ich kann, kurz auf die Worte Seiner Exzellenz eingehen, aber ich möchte auch sagen, daß der Papst kein Orakel und – wie wir wissen – nur in den seltensten Fällen unfehlbar ist. Ich teile nämlich mit euch diese Fragen, diese Probleme. Ich leide auch. Aber wir wollen alle zusammen einerseits diese Probleme erleiden und auch, indem wir leiden, diese Probleme umwandeln, denn gerade das Leiden ist der Weg der Verwandlung, und ohne Leiden verändert sich nichts.

Das ist auch der Sinn des Gleichnisses vom Samenkorn, das in die Erde fällt: Nur in einem durchlittenen Umwandlungsprozeß erzielt man die Frucht, und es gibt eine Lösung. Wenn die scheinbare Unwirksamkeit unserer Verkündigung kein Leiden für uns wäre, dann wäre es ein Zeichen des Mangels an Glauben, an echtem Bemühen. Wir müssen uns diese Schwierigkeiten unserer Zeit zu Herzen nehmen und verwandeln, indem wir mit Christus leiden und so uns selbst verändern. Und in dem Maß, in dem wir selbst verändert sind, können wir auch die obengenannten Fragen beantworten, können wir auch die Gegenwart des Reiches Gottes sehen und es den anderen sichtbar machen.

Der erste Punkt betrifft ein Problem, das sich in der ganzen westlichen Welt einstellt: der Mangel an Berufungen. Ich habe in den vergangenen Wochen die Bischöfe von Sri Lanka und des südlichen Afrika zum »Ad-limina«-Besuch empfangen. Dort nehmen die Berufungen zu, ja, sie sind so zahlreich, daß die Seminare nicht ausreichen, um diese jungen Männer aufzunehmen, die Priester werden wollen.

Diese Freude bringt natürlich auch eine gewisse Bitterkeit mit sich, weil ein Teil von ihnen in der Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg kommt. Wenn sie Priester werden, dann werden sie gleichsam Stammesoberhäupter und sind damit privilegiert, sie haben eine andere Lebensform usw. Unkraut und Weizen gehen also in diesem Wachstum der Berufungen zusammen, und die Bischöfe müssen sehr sorgsam unterscheiden und dürfen sich nicht einfach darüber freuen, daß sie so viele zukünftige Priester haben, sondern sie müssen schauen, wo tatsächlich wahre Berufungen vorhanden sind, das Unkraut vom guten Weizen unterscheiden.

Dennoch besteht ein gewisser Enthusiasmus des Glaubens, weil sie sich in einer bestimmten geschichtlichen Stunde befinden, das heißt in der Stunde, in der die traditionellen Religionen offensichtlich nicht mehr ausreichen. Und man erkennt, man sieht, daß diese traditionellen Religionen eine Verheißung in sich haben, aber auf etwas warten. Sie warten auf eine neue Antwort, die reinigt und, sagen wir, in sich all das Schöne aufnimmt und sie von solchen ungenügenden und negativen Aspekten befreit. In diesem Augenblick des Übergangs, wo ihre Kultur wirklich eine neue geschichtliche Stunde anstrebt, werden das Christentum und der Islam als mögliche geschichtliche Antworten angeboten.

In diesen Ländern gibt es also in gewissem Sinn einen Frühling des Glaubens, aber natürlich im Kontext der Konkurrenz zwischen diesen beiden Antworten, vor allem auch im Kontext des Leidens aufgrund der Sekten, die sich als die bessere, leichtere, bequemere christliche Antwort darstellen. Auch in einem verheißungsvollen Moment der Geschichte, des Frühlings, ist die Arbeit dessen, der mit Christus das Wort aussäen und – sagen wir – die Kirche erbauen muß, schwierig.

Anders ist die Situation in der westlichen Welt, die ihrer eigenen Kultur überdrüssig ist, in einer Welt, die an einem Punkt angelangt ist, wo offensichtlich kein Bedarf mehr an Gott und noch weniger an Christus besteht, und in der der Mensch sich scheinbar aus sich heraus schaffen kann. In dieser Atmosphäre eines in sich verschlossenen Rationalismus, der das Modell der Wissenschaften als einziges Modell der Erkenntnis ansieht, ist alles übrige subjektiv. Natürlich wird auch das christliche Leben eine subjektive und damit willkürliche Wahl und nicht mehr der Weg des Lebens. Und deshalb wird es natürlich schwierig zu glauben; und wenn es schon schwierig ist zu glauben, ist es um so schwieriger, dem Herrn sein Leben darzubringen, um sein Diener zu sein.

Das ist bestimmt ein Leiden, das sich – ich würde sagen – in unserer geschichtlichen Stunde eingestellt hat, in der man allgemein sieht, daß die sogenannten großen Kirchen zu sterben scheinen. So ist es vor allem in Australien, auch in Europa, nicht so sehr in den Vereinigten Staaten.

Hingegen wachsen die Sekten, die sich mit der Sicherheit eines Minimums an Glauben darstellen, und der Mensch sucht Sicherheiten. Und so befinden sich die großen Kirchen, vor allem die großen traditionellen protestantischen Kirchen wirklich in einer abgrundtiefen Krise. Die Sekten bekommen die Oberhand, weil sie mit wenigen einfachen Gewißheiten auftreten und sagen: Das genügt.

Um die katholische Kirche steht es nicht so schlecht wie um die großen historischen protestantischen Kirchen, aber sie teilt natürlich das Problem unseres geschichtlichen Augenblicks. Ich denke, daß es kein System für einen raschen Wandel gibt. Wir müssen weitergehen, durch diesen Durchgang, diesen Tunnel hindurchgehen, mit Geduld und in der Gewißheit, daß Christus die Antwort ist und daß am Ende sein Licht wieder erstrahlen wird.

Die erste Antwort ist also die Geduld in der Gewißheit, daß die Welt ohne Gott nicht leben kann, ohne den Gott der Offenbarung – und nicht ohne irgendeinen Gott: Wir sehen, wie gefährlich ein grausamer Gott, kein wahrer Gott sein kann –, den Gott, der in Jesus Christus sein Angesicht gezeigt hat. Dieses Antlitz, das für uns gelitten hat, dieses Antlitz der Liebe, die die Welt verändert, so wie es das Weizenkorn tut, wenn es in die Erde fällt.

Wir selbst müssen also diese tiefe innere Gewißheit haben, daß Christus die Antwort ist und daß die Welt ohne den konkreten Gott, den Gott mit dem Antlitz Christi, sich selbst zerstört, und daß es auch immer offensichtlicher wird, daß ein in sich verschlossener Rationalismus, der glaubt, daß der Mensch allein die wahre, bessere Welt bauen könne, nicht wahr ist. Im Gegenteil, wenn es nicht das Maß des wahren Gottes gibt, zerstört sich der Mensch selbst. Wir sehen das mit eigenen Augen.

Wir selbst müssen eine neue Sicherheit haben: Er ist die Wahrheit, und nur wenn wir seinen Spuren folgen, gehen wir in die rechte Richtung und müssen mit den anderen in diese Richtung gehen und sie führen.

Der erste Punkt meiner Antwort lautet: In diesem ganzen Leiden dürfen wir nicht nur nicht die Sicherheit verlieren, daß Christus wirklich das Antlitz Gottes ist, sondern wir müssen vielmehr diese Sicherheit und die Freude, ihn zu kennen und wirklich Verwalter der Zukunft der Welt, der Zukunft jedes Menschen zu sein, vertiefen. Und diese Sicherheit sollen wir in einer tiefen persönlichen Beziehung zum Herrn vertiefen. Denn die Sicherheit kann auch durch rationale Erwägungen wachsen. Wirklich, mir scheint eine vertiefte Reflexion sehr wichtig, die auch rational überzeugt, die aber durch eine täglich mit Christus gelebte persönliche Freundschaft personal, stark und anspruchsvoll wird.

Die Sicherheit erfordert also diese Personalisierung unseres Glaubens, unserer Freundschaft mit dem Herrn, und so entstehen auch neue Berufungen. Das sehen wir in der jungen Generation nach der großen Krise des 1968 ausgebrochenen Kulturkampfes, als die geschichtliche Ära des Christentums wirklich der Vergangenheit anzugehören schien. Wir sehen, daß die Verheißungen von ’68 sich nicht bewahrheitet haben, und so entsteht, sagen wir, wieder die Erkenntnis, daß es eine kompliziertere Methode gibt, weil sie diese Umkehr unseres Herzens erfordert, eine wahre Methode – und so wachsen auch neue Berufungen. Aber auch wir selbst müssen etwas Phantasie zeigen und den Jugendlichen helfen, daß sie diesen Weg auch in Zukunft finden. Das ist auch aus dem Gespräch mit den afrikanischen Bischöfen hervorgegangen. Trotz der vielen Priester sind viele von ihnen zu einer schrecklichen Einsamkeit verurteilt, und viele von ihnen werden moralisch nicht durchhalten.

Es ist wichtig, die Wirklichkeit des Presbyteriums, der Gemeinschaft der Priester um sich zu haben, die helfen und die in der Solidarität des gemeinsamen Glaubens zusammen auf dem Weg sind. Auch das scheint mir wichtig. Denn wenn die Jugendlichen nur isolierte, traurige, müde Priester sehen, dann denken sie: Wenn das meine Zukunft ist, dann übersteigt das meine Kräfte. Man muß wirklich diese gelebte Gemeinschaft schaffen, die den Jugendlichen zeigt: Ja, das kann auch für mich eine Zukunft sein, so kann man leben.

Ich habe zu lange geredet. Über den zweiten Punkt habe ich, so scheint mir, wenigstens ansatzweise schon etwas gesagt. Es ist wahr: Den Menschen, vor allem den Verantwortungsträgern in der Welt erscheint die Kirche als etwas Veraltetes und unsere Angebote als unnötig. Sie verhalten sich so, als könnten, ja wollten sie ohne unser Wort leben, und sie denken immer, daß sie uns nicht brauchen. Sie suchen unser Wort nicht.

Das stimmt, und wir leiden darunter, aber es gehört auch zu dieser geschichtlichen Situation, zu einer gewissen anthropologischen Sichtweise, wonach der Mensch die Dinge so tun muß, wie Karl Marx gesagt hat: Die Kirche hat 1800 Jahre gehabt, um zu zeigen, daß sie die Welt verändern kann, und sie hat nichts getan, jetzt tun wir es allein.

Das ist ein sehr verbreiteter Gedanke, der auch durch Philosophien unterstützt wird, und so versteht man den Eindruck vieler Leute, daß man ohne die Kirche leben könne, die etwas Veraltetes zu sein scheint. Aber es scheint auch immer klarer zu werden, daß nur die moralischen Werte und die anspruchsvollen Überzeugungen Möglichkeiten bieten, auch unter Opfern zu leben und die Welt aufzubauen. Man kann nicht, wie Karl Marx es vorgeschlagen hatte, mechanisch nach der Theorie des Kapitals und des Eigentums usw. aufbauen.

Wenn es keine moralischen Kräfte in den Herzen gibt und keine Bereitschaft, für diese Werte auch zu leiden, kann man keine bessere Welt aufbauen, im Gegenteil, die Welt wird jeden Tag schlechter, der Egoismus beherrscht und zerstört alles. Und wenn man das sieht, drängt sich von neuem die Frage auf: Woher kommen die Kräfte, die befähigen, auch für das Gute zu leiden, für das Gute, das vor allem mich schmerzt, das keinen unmittelbaren Nutzen bringt, wenn man dafür leidet? Wo sind die Ressourcen, die Quellen? Woher kommt die Kraft, diese Werte weiterzutragen?

Man sieht, daß die Moralität als solche nicht lebt, nicht wirksam ist, wenn sie nicht ein tieferes Fundament in Überzeugungen hat, die wirklich Sicherheit geben und auch die Kraft zu leiden geben, denn sie gehören gleichzeitig zu einer Liebe, einer Liebe, die im Leiden wächst und Lebenssubstanz ist. Denn am Ende läßt uns nur die Liebe leben, und die Liebe ist immer auch Leiden; sie reift im Leiden und gibt die Kraft, für das Gute zu leiden, ohne auf mich in meiner jetzigen Lage Rücksicht zu nehmen.

Mir scheint, daß dieses Bewußtsein wächst, denn man sieht schon die Auswirkungen eines Zustands, in dem die Kräfte nicht vorhanden sind, die von einer Liebe kommen, die Kern meines Lebens ist und die mir die Kraft gibt, den Kampf für das Gute fortzusetzen. Natürlich brauchen wir auch hier Geduld, aber auch eine aktive Geduld in dem Sinn, daß wir den Leuten verständlich machen: Ihr braucht dies.

Auch wenn sie sich nicht gleich bekehren, nähern sie sich wenigstens dem Kreis derer, die in der Kirche diese innere Kraft besitzen. Die Kirche hat immer diese innerlich starke Gruppe gekannt, die wirklich die Kraft des Glaubens trägt, und Personen, die sich gleichsam anschließen und sich mittragen lassen und so teilhaben.

Ich denke an das Gleichnis des Herrn vom Senfkorn, das so klein ist und dann ein so großer Baum wird, daß sogar die Vögel des Himmels in ihm wohnen. Und ich würde sagen, daß diese Vögel die Personen sein können, die sich noch nicht bekehren, sich aber doch auf dem Baum der Kirche niederlassen. Ich habe folgendes überlegt: In der Zeit der Aufklärung, in der Stunde, als der Glaube zwischen Katholiken und Protestanten gespalten war, dachte man, daß es notwendig sei, die gemeinsamen moralischen Werte zu bewahren, indem man ihnen eine ausreichende Grundlage gab. Man dachte: Wir müssen die moralischen Werte unabhängig machen von den religiösen Bekenntnissen, damit sie standhalten »etsi Deus non daretur«.

Wir befinden uns heute in der entgegengesetzten Lage, die Situation hat sich umgekehrt. Für die moralischen Werte gibt es keine offensichtliche Grundlage mehr. Sie werden nur offensichtlich, wenn Gott existiert. Ich habe deshalb vorgeschlagen, daß die Laien, die sogenannten Laien, darüber nachdenken sollten, ob für sie heute nicht das Gegenteil gilt: Wir müssen leben »quasi Deus daretur«, auch wenn wir nicht die Kraft zu glauben haben, müssen wir nach dieser Hypothese leben, sonst funktioniert die Welt nicht. Und das wäre, meiner Ansicht nach, ein erster Schritt, um dem Glauben näherzukommen. Und ich sehe in vielen Kontakten, daß der Dialog zumindest mit einem Teil des Laizismus wächst, Gott sei Dank.

Dritter Punkt: Die Lage der Priester, die weniger geworden sind und in manchmal drei, vier und bis zu fünf Pfarreien arbeiten müssen und erschöpft sind. Ich denke, daß der Bischof zusammen mit seinem Presbyterium nach den besten Mitteln der Abhilfe suchen müßte. Als ich Erzbischof von München war, hatte man dieses Modell der Wortgottesdienste ohne Priester geschaffen, um die Gemeinde in ihrer Kirche sozusagen präsent zu machen. Und sie sagten: Die Gemeinde bleibt bestehen, und wo es keinen Priester gibt, halten wir diesen Wortgottesdienst.

Die Franzosen haben die angemessene Bezeichnung für diese sonntäglichen Versammlungen »in Abwesenheit eines Priesters« gefunden, und nach einer längeren Zeit haben sie erkannt, daß das auch schiefgehen kann, weil man den Sinn für das Sakrament verliert; es entsteht eine Protestantisierung, und wenn es am Ende nur das göttliche Wort gibt, dann kann ich es auch bei mir zu Hause feiern.

Ich erinnere mich, als ich in Tübingen Professor war, an den großen Exegeten Kelemann – ich weiß nicht, ob euch der Name bekannt ist – ein Schüler von Bultmann, dem großen Theologen. Obwohl er überzeugter Protestant war, ging er nie in die Kirche. Er sagte: Ich kann die Heilige Schrift auch zu Hause meditieren.

Die Franzosen haben diese Formel der sonntäglichen Versammlungen »in Abwesenheit des Priesters« in die Formel »in Erwartung eines Priesters« umgewandelt. Das heißt, es muß ein Warten auf den Priester geben, und normalerweise, würde ich sagen, sollte der Wortgottesdienst am Sonntag eine Ausnahme sein, denn der Herr will leiblich kommen. Es kann deshalb nicht die Lösung sein.

Der Sonntag wurde geschaffen, weil der Herr auferstanden und zur Gemeinschaft der Apostel gekommen ist, um bei ihnen zu sein. Sie haben auch verstanden, daß der liturgische Tag nicht mehr der Sabbat, sondern der Sonntag ist, an dem der Herr immer wieder leiblich bei uns ist und uns mit seinem Leib nähren will, damit wir selbst sein Leib in der Welt werden. Auf welche Weise man möglichst vielen Personen guten Willens diese Möglichkeit bieten könnte, dafür wage ich jetzt nicht, ein Rezept zu geben. In München sagte ich immer – aber hier kenne ich die Lage nicht, die sicher verschieden ist –, daß unsere Bevölkerung unglaublich beweglich, flexibel ist. Die Jugendlichen fahren 50 und mehr Kilometer weit, um in eine Diskothek zu gehen, warum können sie nicht wenigstens zusammen in eine fünf Kilometer weit entfernte Kirche gehen? Aber das ist etwas ganz Konkretes, Praktisches, und ich wage nicht, dafür ein Rezept zu geben. Aber man muß versuchen, dem Volk das Gefühl zu vermitteln: Ich muß mit der Kirche verbunden bleiben, mit der lebendigen Kirche und mit dem Herrn verbunden bleiben!

Und so soll ich diesen Eindruck von Bedeutsamkeit weitergeben, und wenn ich es für wichtig halte, dann werden auch die Voraussetzungen für eine Lösung geschaffen. Aber in Wirklichkeit muß ich doch diese Frage offenlassen, Exzellenz.

An dieser Stelle haben einige Priester das Wort ergriffen. Auf die Fragen bezüglich der Jugenderziehung, der Rolle der katholischen Schule und des geweihten Lebens antwortete der Papst wie folgt:

Es sind sehr konkrete Fragen, auf die man nicht leicht ebenso konkrete Antworten geben kann.

Ich möchte vor allem danken, daß unsere Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit gelenkt wurde, die Jugendlichen zur Kirche hinzuführen; sie fühlen sich leicht von anderen Dingen angezogen, von einem Lebensstil, der ziemlich weit weg von unseren Überzeugungen ist. Die frühe Kirche wählte den Weg der Gemeinschaften des alternativen Lebens, ohne notwendige Brüche. Ich würde sagen, daß es wichtig ist, daß die Jugendlichen die Schönheit des Glaubens entdecken, und daß es schön ist, eine Orientierung zu haben, daß es schön ist, einen Gott zum Freund zu haben, der uns wirklich die wesentlichen Dinge des Lebens sagen kann.

Dieser geistige Faktor muß dann von einem affektiven und sozialen Faktor begleitet werden, das heißt von einer Sozialisierung im Glauben. Denn der Glaube kann sich nur verwirklichen, wenn er auch einen Leib hat, und das bezieht den Menschen in seinen Lebensvollzügen mit ein. Früher, als der Glaube für das Gemeinschaftsleben entscheidend war, mag es genügt haben, den Katechismus zu lehren, der auch heute wichtig ist.

Aber weil sich das soziale Leben vom Glauben entfernt hat, müssen wir – im Hinblick darauf, daß auch die Familien oft keine Sozialisierung des Glaubens anbieten – Methoden für eine Sozialisierung des Glaubens vorschlagen, damit der Glaube Gemeinschaft, Orte des Lebens bildet und durch eine Verbundenheit im Denken, Fühlen und in der Freundschaft überzeugt.

Ich meine, daß diese Ebenen zusammengehen müssen, denn der Mensch hat einen Körper, er ist ein soziales Wesen. In diesem Sinn ist es zum Beispiel schön, hier so viele Pfarrer zu sehen, die mit Jugendgruppen die Ferien verbringen. Auf diese Weise teilen die Jugendlichen die Freude über die Ferien und leben sie mit Gott und mit der Kirche in der Person des Pfarrers oder des Kaplans. Mir scheint, daß die Kirche von heute, auch in Italien, Alternativen und Möglichkeiten für eine Sozialisierung anbietet, wo die Jugendlichen gemeinsam mit Christus auf dem Weg sein und Kirche bilden können. Und deshalb müssen sie von intelligenten Antworten auf die Fragen unserer Zeit begleitet werden: Brauchen wir Gott noch? Ist es noch vernünftig, an Gott zu glauben? Ist Christus nur eine Figur der Religionsgeschichte, oder ist er wirklich das Antlitz Gottes, das wir alle brauchen? Können wir gut leben, ohne Christus zu kennen?

Man muß einsehen, daß, wenn man das Leben, die Zukunft aufbauen will, es auch Geduld und Leiden erfordert. Auch im Leben der Jugendlichen wird das Kreuz nicht fehlen, aber es ist nicht leicht, das verständlich zu machen. Der Bergsteiger weiß, daß er, wenn er einen schönen Aufstieg machen will, Opfer bringen und trainieren muß. So muß auch der junge Mensch erkennen, daß für den Aufstieg in das Leben, in die Zukunft das Einüben in ein inneres Leben notwendig ist.

Personalisierung und Sozialisierung sind also die beiden Wegweiser, die die konkreten Situationen der Herausforderungen von heute durchdringen müssen: die Herausforderungen der Liebe und der Gemeinschaft. Denn diese beiden Dimensionen erlauben es, sich der Zukunft zu öffnen und auch zu lehren, daß, wenn es manchmal schwierig ist, an Gott zu glauben, es dennoch meinem Wohl in der Zukunft dient.

Im Bezug auf die katholische Schule kann ich sagen, daß viele Bischöfe bei ihrem »Ad-limina«- Besuch mehrmals deren große Bedeutung unterstrichen haben. Die katholische Schule, zum Beispiel in Afrika, wird ein unerläßliches Mittel für die kulturelle Förderung, für die ersten Schritte der Alphabetisierung und für eine Erhöhung der kulturellen Ebene, auf der sich eine neue Kultur herausbildet. Dank dieser ist es möglich, auch den Anforderungen der Technik zu begegnen, die an eine nicht technisch orientierte Kultur gestellt werden, indem sie althergebrachte Formen des Stammeslebens mit ihren moralischen Inhalten zerstören.

Bei uns ist die Situation anders, aber was mir hier wichtig zu sein scheint, ist die Gesamtheit einer geistigen Bildung, die klar zu verstehen gibt, daß auch heute das Christentum nicht von der Wirklichkeit zu trennen ist.

Im ersten Teil sagten wir, daß auf den Spuren der Aufklärung und der »zweiten Aufklärung« von ’68 viele dachten, die geschichtliche Ära für die Kirche und den Glauben sei zu Ende und eine neue Ära habe begonnen, in der man diese Dinge wie die klassische Mythologie studieren könne. Hingegen ist es notwendig, verständlich zu machen, daß der Glaube immer aktuell und sehr vernünftig ist. Also eine geistige Bejahung, in der man auch die Schönheit und die organische Struktur des Glaubens erfaßt.

Das war eine der grundlegenden Absichten des Katechismus der Katholischen Kirche, der jetzt in einem Kompendium zusammengefaßt ist. Wir dürfen nicht denken, es sei wie mit einem Paket von Vorschriften, das wir wie einen schweren Rucksack auf dem Rücken während unseres Lebensweges mitschleppen müssen. Am Ende ist der Glaube einfach und reichhaltig: Wir glauben, daß es Gott gibt, daß Gott etwas mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Aber welcher Gott? Ein Gott mit einem Angesicht, einem menschlichen Angesicht, ein Gott, der versöhnt, der den Haß überwindet und die Kraft zum Frieden gibt, den kein anderer geben kann. Man muß verständlich machen, daß das Christentum in Wirklichkeit sehr einfach und folglich sehr reichhaltig ist.

Die Schule ist eine kulturelle Einrichtung zur geistigen und beruflichen Bildung. Es ist also notwendig, die Einheitlichkeit, die Logik des Glaubens verständlich zu machen und damit die Grundbegriffe zu kennen, zu verstehen, was Eucharistie ist, was am Sonntag geschieht oder was die christliche Ehe bedeutet. Man muß auch verständlich machen, daß die religiöse Disziplin keine rein geistige und individualistische Ideologie ist, wie es vielleicht bei anderen Fächern der Fall ist: Ich weiß zum Beispiel, wie ich in Mathematik eine bestimmte Rechenaufgabe lösen muß. Auch andere Fächer haben am Ende eine praktische Ausrichtung, eine Ausrichtung zur Professionalität, zur Anwendung im Leben. So muß man verstehen, daß der Glaube hauptsächlich Gemeinschaft bildet, vereint.

Gerade dieser Wesenskern des Glaubens ist es, der uns von der Isolierung des Ichs befreit und uns zu einer großen Gemeinschaft vereint, einer vollständigen Gemeinschaft – in der Pfarrgemeinde, in der sonntäglichen Versammlung – und universalen Gemeinschaft, in der ich ein Verwandter aller Menschen in der Welt werde.

Man muß diese katholische Dimension der Gemeinschaft verstehen, die sich jeden Sonntag in der Pfarrei versammelt. Einerseits ist die Kenntnis des Glaubens ein Ziel, anderseits bedeutet in der Kirche sozialisieren oder »ekklesialisieren «, sich in die große Gemeinschaft der Kirche, den Ort des Lebens, einzugliedern, von dem ich weiß, daß ich auch in den kritischen Stunden meines Lebens – vor allem im Leiden und im Tod – nicht allein bin.

Seine Exzellenz sagte, daß viele Menschen uns scheinbar nicht brauchen, aber die Kranken und die Leidenden ja. Und das sollte man von Anfang an verstehen, daß man im Leben nicht mehr allein ist. Der Glaube rettet uns vor der Einsamkeit. Wir werden immer von einer Gemeinschaft getragen, aber zugleich muß jeder einzelne Träger der Gemeinschaft sein und von Anfang an auch die Verantwortung für die Kranken, die Isolierten, die Leidenden lehren, so daß das, was ich schenke, wieder zurückkommt. Man muß also im Menschen, in dem sich diese Bereitschaft zur Liebe und zum Sichschenken verbirgt, diese große Gabe wecken und so sicherstellen, daß ich auch Brüder und Schwestern haben werde, die mich in solchen schwierigen Situationen stützen, wo ich eine Gemeinschaft brauche, die mich nicht allein läßt.

Hinsichtlich der Bedeutung des Ordenslebens wissen wir, daß das monastische und kontemplative Leben angesichts dieser gestreßten Welt attraktiv ist, weil es wie eine Oase erscheint, in der man wirklich leben kann. Auch hier handelt es sich um eine romantische Vorstellung, so daß es notwendig ist, die Berufungen gut auszuwählen. Die geschichtliche Situation verleiht vor allem dem kontemplativen, nicht so sehr dem aktiven Ordensleben eine gewisse Anziehungskraft.

Das wird im männlichen Zweig besser deutlich, wo man Ordensmänner, auch Priester, antrifft, die im Bildungswesen, bei den Kranken usw. ein wichtiges Apostolat ausüben. Leider wird es bei den weiblichen Berufungen weniger sichtbar, wo die Professionalität scheinbar die Ordensberufung überflüssig macht. Es gibt diplomierte Krankenschwestern, es gibt diplomierte Lehrerinnen, so daß diese Tätigkeiten nicht mehr als Ordensberuf erscheinen, und es wird schwer sein, noch einmal anzufangen, wenn die Kette der Berufungen einmal unterbrochen ist. Liebe zur leidenden Person

Wir erkennen aber immer mehr, daß, um eine gute Krankenschwester zu sein, die Professionalität allein nicht ausreicht. Man braucht das Herz. Man braucht die Liebe zur leidenden Person. Das hat eine tiefe religiöse Dimension. So ist es auch im Lehrberuf. Wir haben jetzt neue Formen wie die Säkularinstitute, deren Gemeinschaften durch ihr Leben zeigen, daß es eine Lebensweise gibt, die gut ist für die Person, aber vor allem notwendig für die Gemeinschaft, für den Glauben und für die menschliche Gemeinschaft. Ich denke also, daß die Kirche, auch wenn sie die Formen ändert – ein Großteil unserer aktiven Frauengemeinschaften stammen aus dem 19. Jahrhundert mit den genauen sozialen Aufgaben der damaligen Zeit, und heute sind die Aufgaben verschieden –, uns zu verstehen gibt, daß der Dienst an den Leidenden und der Schutz des Lebens Berufungen sind, die eine tiefe religiöse Dimension haben, und daß es Lebensformen für solche Berufungen gibt. Es entwickeln sich neue Lebensformen, so daß zu hoffen ist, daß der Herr auch heute die notwendigen Berufungen für das Leben der Kirche und der Welt gewähren wird.

Ein anderer Priester schnitt das Thema der Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen an. Hier die Antwort des Heiligen Vaters:

Wir alle wissen, daß das ein besonders schmerzliches Problem für die Personen ist, die in Situationen leben, in denen sie vom Empfang der eucharistischen Kommunion ausgeschlossen sind, und ein ebenso schmerzliches Problem für die Priester, die diesen Personen helfen wollen, die Kirche zu lieben, Christus zu lieben. Hier ergibt sich eine Schwierigkeit.

Keiner von uns besitzt ein Patentrezept, auch weil sich die Situationen immer unterscheiden. Besonders schmerzlich würde ich die Situation derer nennen, die kirchlich verheiratet, aber nicht wirklich gläubig waren und es aus Tradition taten, sich aber dann in einer neuen nichtgültigen Ehe bekehren, zum Glauben finden und sich vom Sakrament ausgeschlossen fühlen. Das ist wirklich ein großes Leid, und als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre lud ich verschiedene Bischofskonferenzen und Spezialisten ein, dieses Problem zu untersuchen: ein ohne Glauben gefeiertes Sakrament.

Ich wage nicht zu sagen, ob man hier tatsächlich ein Moment der Ungültigkeit finden kann, weil dem Sakrament eine grundlegende Dimension gefehlt hat. Ich persönlich dachte es, aber aus den Debatten, die wir hatten, verstand ich, daß es ein sehr schwieriges Problem ist und daß es noch vertieft werden muß. Weil aber diese Personen in einer leidvollen Situation sind, muß es vertieft werden.

Ich wage jetzt nicht, eine Antwort zu geben, auf jeden Fall scheinen mir zwei Aspekte sehr wichtig. Der erste: Obwohl sie die sakramentale Kommunion nicht empfangen können, sind sie doch nicht von der Liebe der Kirche und der Liebe Christi ausgeschlossen. Eine Eucharistie ohne gleichzeitige sakramentale Kommunion ist zwar nicht vollständig, es fehlt etwas Wesentliches. Aber es stimmt auch, daß die Teilnahme an der Eucharistie ohne eucharistische Kommunion ihren Wert hat, sie bedeutet immer, in das Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung Christi einbezogen zu sein. Sie ist immer Teilhabe am heiligen Sakrament in der spirituellen und pneumatischen Dimension; auch in der ekklesialen Dimension, wenn auch nicht direkt sakramentalen.

Und weil es das Sakrament des Leidens Christi ist, umfängt der leidende Christus diese Personen in besonderer Weise und kommuniziert mit ihnen in anderer Weise, und sie dürfen sich also vom gekreuzigten Herrn umfangen fühlen, der zu Boden fällt und stirbt und für sie, mit ihnen leidet. Es ist deshalb notwendig, verständlich zu machen, daß sie, obwohl leider eine grundlegende Dimension fehlt, nicht vom tiefen Geheimnis der Eucharistie, von der Liebe des hier gegenwärtigen Christus ausgeschlossen sind.

Das scheint mir wichtig, ebenso wichtig ist es, daß der Pfarrer und die Pfarrgemeinde diesen Personen zu verstehen geben, daß wir einerseits die Untrennbarkeit des Sakraments respektieren müssen und anderseits, daß wir diese Personen lieben, die auch für uns leiden. Und wir müssen auch mit ihnen leiden, weil sie ein wichtiges Zeugnis geben, weil wir wissen, daß man in dem Augenblick, wo man aus Liebe nachgibt, dem Sakrament Unrecht tut, und die Unauflöslichkeit erscheint immer weniger wahr.

Wir kennen das Problem nicht nur der protestantischen Gemeinschaften, sondern auch der orthodoxen Kirchen, die oft als Vorbild dargestellt werden, in dem man die Möglichkeit hat, wieder zu heiraten. Aber nur die erste Ehe ist sakramental; auch sie erkennen an, daß die weiteren Eheschließungen kein Sakrament sind, sondern verkürzte, eingeschränkte Ehen in einer Situation der Buße; die Personen dürfen zur Kommunion gehen, aber sie wissen, daß es »in economia« – wie sie sagen – aus Barmherzigkeit erlaubt ist, daß sich aber die Tatsache nicht ändert, daß ihre zweite Ehe kein Sakrament ist. Ein weiterer Punkt in den orientalischen Kirchen besteht darin, daß für diese Ehen mit großer Leichtigkeit die Möglichkeit der Ehescheidung gewährt wurde und daß damit das Prinzip der Unauflöslichkeit, der wahren Sakramentalität der Ehe schwer verletzt wird.

Auf der einen Seite gibt es das Wohl der Gemeinschaft und das Gut des Sakraments, das wir achten müssen, und auf der anderen Seite das Leiden der Personen, denen wir helfen sollen.

Der zweite Punkt, den wir lehren und durch unser Leben glaubwürdig machen müssen, ist, daß das Leiden in verschiedenen Formen zwangsläufig zu unserem Leben gehört. Es ist ein edles Leiden, würde ich sagen. Wiederum muß man verständlich machen, daß das Vergnügen nicht alles ist; daß das Christentum uns Freude schenkt, wie die Liebe Freude schenkt. Aber die Liebe ist auch immer Selbstverzicht. Der Herr selbst hat uns die Formel dafür gegeben, was die Liebe ist: Wer sich selbst verliert, findet sich; wer sich selbst gewinnt und bewahrt, verliert sich.

Es ist immer ein Exodus und deshalb auch ein Leiden. Die wahre Freude unterscheidet sich vom Vergnügen; die Freude wächst und reift immer im Leiden in Gemeinschaft mit dem Kreuz Christi. Nur hier entsteht die wahre Freude des Glaubens, von der auch diese Personen nicht ausgeschlossen sind, wenn sie lernen, ihr Leiden in Gemeinschaft mit dem Leiden Christi anzunehmen.

Foto: (c) SIR



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