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Jordanien: Christen fürchten 'Arabischen Winter'

22. Juni 2011 in Weltkirche, 1 Lesermeinung
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Der gesellschaftliche Druck, zum Islam zu konvertieren, ist so groß, dass viele christliche Eltern davor zurückschrecken, ihre Kinder auf staatliche Schulen zu schicken


München (kath.net/KIN)„Kirche in Not“-Mitarbeiter André Stiefenhofer ist vor kurzem von einer dreiwöchigen Informationsreise in den Irak, nach Israel und Jordanien zurückgekehrt. Im Interview mit der Journalistin Eva-Maria Vogel berichtet er, wie die Christen in Jordanien die aktuellen Entwicklungen in ihrer Region beurteilen.

Herr Stiefenhofer, wie erleben die Christen in Jordanien die Umbrüche im Nahen Osten?

Die Christen im Nahen Osten stehen dem "Arabischen Frühling" generell eher skeptisch gegenüber. Immer wieder habe ich die Aussage gehört, dass die Revolutionen eher ein "Arabischer Winter" seien. Wie die Erfahrung aus Ägypten oder Libyen zeigt, neigen viele Einwohner dazu, eher aus ihren Ländern auszuwandern zu wollen, als sich an der Umgestaltung ihrer Gesellschaften zu beteiligen. So viel Vetternwirtschaft, Stillstand und Armut die bisherigen autoritären Systeme auch bedeutet haben - immerhin haben sie politische Stabilität und Sicherheit garantiert. Und Sicherheit ist für die Christen in Jordanien das Allerwichtigste, schließlich haben sie die katastrophale Entwicklung im Irak vor Augen, wo die Christen nach dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung zwischen alle Fronten geraten und Opfer blutiger Gewalt geworden sind. In Jordanien werden die Christen als Minderheit vom Staat gut geschützt. Aber sie bezweifeln, dass sich durch eine eventuelle Revolution eine tatsächliche Demokratie durchsetzen würde. Die Menschen befürchten vielmehr, dass radikale Islamisten wie die Muslimbrüder an die Macht kommen könnten. Diese Bewegung hat auch in Jordanien zahlreiche Unterstützer und würde sofort davon profitieren, wenn dort das System ins Wanken geriete.

Regt sich auch dort der Widerstand gegen Korruption und verkrustete Machtstrukturen?

Zumindest nicht offen. Jordanien ist ähnlich wie Syrien ein von Geheimdiensten und Polizei kontrollierter Staat, der Demonstrationen im Keim erstickt. Das ist sicher kein gesunder Zustand. Die Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit sorgen mancherorts für schlechte Stimmung, die kaum ein Ventil findet. Aber es ist für einen Außenstehenden schwer, offene Anzeichen für eine Unzufriedenheit zu finden. Ein großer Unterschied zu Syrien ist außerdem der große Respekt, den die Bevölkerung König Abdullah II. entgegenbringt. Eine Hassfigur für die Massen, wie es Mubarak in Ägypten war oder Assad in Syrien ist, fehlt in Jordanien.


Sitzt König Abdullah II. fest im Sattel?

Soweit ich das beurteilen kann, ja. Jedes jordanische Kind wächst mit seinem Bild im Klassenzimmer auf und das Nationalbewusstsein der Jordanier ist sehr auf das Königshaus zentriert. Es ist schwer, sich einen völligen Sturz der Königsfamilie vorzustellen - aber die Erfahrung hat gezeigt, dass man mit solchen Prognosen in der derzeitigen Situation vorsichtig sein sollte.

Müsste sich der König an die Spitze einer Revolution stellen?

Sagen wir es so: Soll der Umbruch friedlich verlaufen, müsste er von ihm ausgehen. Doch das Grundproblem bleibt das gleiche. Wir müssen uns fragen, ob Demokratie nach unserem Verständnis überhaupt möglich ist in Staaten, deren Mentalität und tägliche Wirklichkeit noch stark geprägt sind von Stammeszugehörigkeit und Vetternwirtschaft. Die wirtschaftlich schlechte Lage ist meiner Ansicht nach weniger eine Konsequenz der Staatsform als vielmehr der gesellschaftlichen Prägung der Menschen. Man kann hier keinen Quantensprung aus einer Stammesmentalität hin zu einer modernen Zivilgesellschaft erwarten. Als der König sein Volk zum Beispiel dazu aufrief, Parteien zu gründen, waren das Ergebnis keine auf Konsens aufbauenden Volksparteien, sondern hunderte Splittergrüppchen, die jeweils sehr begrenzte Einzelinteressen vertraten. Die einzigen, die auf breiter Front Unterstützung erhielten, waren extremistische Parteien, wie zum Beispiel die Muslimbrüder. Man kann verstehen, warum der König und auch viele seiner Untertanen unter diesen Umständen lieber am Status Quo festhalten. Leider ist dieser Stillstand aber auch nicht die Lösung für die drängenden Probleme der Region.

Warum ist gerade Jordanien auf Frieden besonders angewiesen?

Das Land ist arm, es besitzt kaum Bodenschätze und besteht zum größten Teil aus Wüste. Mit seinen sechs Millionen Einwohnern hat es in den vergangenen acht Jahren sehr viele Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen, was das Land wirtschaftlich an den Rand seiner Belastungsgrenze geführt hat. Das einzige Kapital Jordaniens ist seine öffentliche Ordnung, die Einkünfte aus dem Tourismus ermöglicht und die Grundlage für Hilfen aus dem Ausland bildet. Bricht diese Ordnung zusammen, wird aus Jordanien das Armenhaus der Region.

Wie viele Iraker sind zwischenzeitlich nach Jordanien geflohen und wie wirkt sich das in Jordanien aus?

Im Nahen Osten nach Statistiken zu fragen, ist eine heikle Angelegenheit. Selbst staatliche Stellen geben Ihnen komplett unterschiedliche Zahlen. Ich halte die Zahlen der Caritas in Amman für seriös, die angibt, bis 2010 etwa 100.000 Iraker als Flüchtlinge offiziell registriert zu haben. Rechnet man in diese Zahl noch die Menschen mit ein, die illegal nach Jordanien gekommen sind und sich nicht bei der Caritas gemeldet haben, kann man davon ausgehen, dass seit dem Einmarsch der "Koalition der Willigen" im Irak über eine halbe Million Menschen nach Jordanien geflohen sind. Die Auswirkungen sind greifbar: Die Lebenshaltungskosten sind explodiert, während die Löhne relativ gleich geblieben sind. Ein jordanischer Lehrer verdient zum Beispiel knapp 300 Euro im Monat, während die Preise für Nahrungsmittel und Mieten inzwischen ähnlich hoch sind wie hier in Deutschland.

Unter welchen Bedingungen leben die christlichen Irak-Flüchtlinge in Jordanien?

Die rein äußerlichen Bedingungen sind nicht schlecht. Fast niemand lebt in Lagern, die allermeisten haben ein Dach über dem Kopf. Auch wenn es vorkommen kann, dass eine achtköpfige Familie in einer kleinen Zweizimmerwohnung haust, gibt es doch staatliche Stellen und Hilfsorganisationen, die sich um diese Menschen kümmern. Das Problem ist, dass die meisten der Flüchtlinge für sich und ihre Familie keine Zukunft mehr sehen. Die Ausreise in den Westen wurde den meisten verwehrt, und in Jordanien ist es ihnen verboten zu arbeiten. Ihre Kinder dürften zwar die staatlichen Schulen besuchen, jedoch ist dort der gesellschaftliche Druck, zum Islam zu konvertieren, so groß, dass viele Eltern davor zurückschrecken, ihre Kinder auf diese Schulen zu schicken. Eine Alternative sind christliche Privatschulen, aber die kann sich kaum jemand leisten, und es fehlt an ausreichenden Stipendiatenprogrammen.

Wie kann ihnen geholfen werden, was unternimmt zum Beispiel "Kirche in Not"?

Es gibt viele Organisationen und Gemeinschaften, die in Jordanien helfen. Das geschieht aber leider oft recht unkoordiniert. So helfen viele Gruppen den Kindern christlicher Flüchtlinge dabei, auf Privatschulen zu gehen, aber sie sprechen sich dabei nicht ab. Wir wollen dabei helfen, diese Zusammenarbeit zu verbessern. Außerdem sorgen wir dafür, dass die Flüchtlinge ihren Glauben bewahren können und helfen dabei, indem wir religiöse Schriften auf Arabisch verbreiten sowie Versammlungszentren und Kirchen für Christen ausbauen. In dieser schwierigen Lage ist es vor allem wichtig, den Verantwortungsträgern den Rücken zu stärken: Priester und Katecheten tragen eine schwere Last in Jordanien. Sie wollen wir finanziell und im Gebet unterstützen.

Foto Kirche und Moschee: © Kirche in Not


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Lesermeinungen

 goegy 22. Juni 2011 
 

Es ist offensichtlich: Die muslimischen Gesellschaften haben versagt. Aber nicht in allem. Familien- und Freundschaftbande funktionieren. Besser als bei uns. Man hält zusammen. Man lässt Angehörige nicht fallen.
An Korruption und Machtmissbrauch ist der Westen mit schuld. Um Geschäfte zu machen, arbeitet man mit den verbrecherischsten Machthabern zusammen. Um Bahn- und Strassenprojekte, Waffen-Deals, Gewässer -Aufbereitungs- und Kerichverbrennungs Projekte an Land zu ziehen, schmiert die deutsche Industrie mit Milliarden-Beträgen. Dies hat man auch in Griechenland gemacht. Und jetzt jammert man, wenn man die Hellenen stützen muss.


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