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Wien: Missing Link in der Geschichte des Ostertermins entdeckt

22. April 2022 in Chronik, 7 Lesermeinungen
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Wiener Historiker und Byzanzforscher Gastgeber entdeckt in Beständen der Mailänder Biblioteca Ambrosiana Schriftstück, das belegt, wie sich das für Ostern zentrale Berechnungsmodell in Mittel- und Westeuropa durchgesetzt hat


Wien/Mailand (kath.net/KAP) Der Wiener Historiker Christian Gastgeber von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat in der italienischen Biblioteca Ambrosiana (Mailand) ein Dokument aufgespürt, das erstmals belegt, wie sich das für Ostern zentrale Berechnungsmodell der astronomisch fortgeschrittenen Ägypter in Mittel- und Westeuropa durchgesetzt hat. Damit hat er auch ein Missing Link in der Geschichte des Ostertermins entdeckt. Der Fund gelang dem Experten freilich nicht vor Ort in der Bibliothek in Mailand, sondern in der Wiener U-Bahn beim digitalen Surfen durch die Bestände der Bibliothek.

Ostern war im Mittelalter der zentrale Fixpunkt im Kalenderjahr. An welchem Tag das Fest gefeiert wurde, war deshalb lange Zeit ein heftig umstrittenes Politikum. Das Osterfest wandert jedes Jahr, weil der Termin auf dem Mondkalender basiert, dessen Monate nur 29,5 Tage lang sind. "Erst nach 532 Jahren sollte sich im Mittelalter das Fest wieder am selben Datum wiederholen", so Gastgeber, Historiker am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Mit modernen Methoden könne man heute zwar den Termin problemlos festlegen, Einigkeit über den Ostertermin herrsche deshalb aber noch lange nicht. Orthodoxe Christen feiern Ostern aufgrund des Julianischen Kalenders nach wie vor meistens an einem anderen Tag als die Christen im Westen.


Im Mittelalter sei die Situation freilich noch viel komplizierter gewesen, so Gastgeber: "Es gab verschiedenste Methoden zur Berechnung, teilweise wurde Ostern in benachbarten Regionen zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert. Dazu kam, dass das Thema politisch brisant war, weil es zu Machtkämpfen um die Festlegung des Datums kam. In der Fastenzeit war zum Beispiel Kriegsführung nicht sinnvoll." Weil Ostern das wichtigste Fest für Christen ist, diente es auch als Referenzpunkt im Kalender zur Festlegung anderer wichtiger Daten.

Durchgesetzt hat sich im Einflussbereich der Westkirche das ägyptische Berechnungsmodell, auch weil die alexandrinischen Astronomen zur damaligen Zeit führend waren. Wie dieser Übergang genau vonstattengegangen ist, war aber lange Zeit mysteriös. Bekannt war, dass der Gelehrte Dionysius Exiguus eine für Europa maßgebliche Ostertermintabelle erstellte, die ab 532 n. Chr. eine bislang verloren geglaubte ägyptische Tabelle fortsetzte. Eine griechische Abschrift dieser Tabelle aus einem damaligen griechischen Siedlungsgebiet in Süditalien hat Gastgeber nun in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand aufgespürt. "Das ist für einen Historiker ein Sensationsfund, der für die Datumsberechnungen die Brücke zwischen Ost und West schlägt", so der Forscher.

Entdeckung in der Wiener U-Bahn

Gastgeber hat das im 12. Jahrhundert handschriftlich in Griechisch verfasste Dokument, das neben der relevanten Tabelle noch viele weitere Informationen zu Berechnungsmethoden enthält, beim Durchstöbern digitaler Datenbanken gefunden. "Aus Neugierde und Berufsinteresse vertiefe ich mich manchmal in der U-Bahn in solche Sammlungen und ihre freigestellten Texte. Aufgrund unzureichender Katalogisierung gibt es da noch viele Schätze zu entdecken", so der Byzanzforscher. Als ihm klar wurde, dass hier ein bedeutendes Dokument vorliegt, nach dem Historiker schon lange gesucht haben, hat Gastgeber sich auf nach Mailand gemacht, um das Original zu sichten.

Bei der Handschrift handelt es sich teils um ein Pergament, das zweimal beschrieben wurde ("Palimpsest"), um wertvolles Beschreibmaterial zu sparen. In diesem Fall entpuppte sich die jüngere Schrift als interessant. Gastgeber: "Die vielen Zahlen in dem Text und der schlechte Erhaltungszustand haben andere Kolleginnen und Kollegen wohl abgeschreckt. Das Lesen war teilweise sehr mühsam, da braucht man für ein paar Wörter schon mal einen halben Tag. Ohne die Unterstützung von Federico Gallo, dem Direktor der Biblioteca Ambrosiana, wäre die Analyse nicht möglich gewesen."

Die Ergebnisse der Untersuchung hat Gastgeber mittlerweile im Verlag der ÖAW publiziert. Die Wanderung und die Übernahme der ägyptischen Vorlage zur Berechnung des Osterdatums ist für den Westen damit sicher dokumentiert. "Dieser Fall zeigt, dass man historische Schätze nicht in Geheimbibliotheken suchen muss, die verstecken sich oft in öffentlich zugänglichen Archiven vor unserer Haustüre", sagt Gastgeber. Weitere Funde sind noch zu erwarten. "Einiges habe ich noch in petto aus meinen U-Bahn-Leseabenteuern", kündigte Gastgeber an, der diese Forschung im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Prisms of Time: Comparative Approaches to Historiography, Computus and Cosmology in the Global Medieval World" an der ÖAW betreibt. 

Copyright 2022 Katholische Presseagentur KATHPRESS, Wien, Österreich
Alle Rechte vorbehalten


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Lesermeinungen

 scientia humana 23. April 2022 
 

Beispielrechnung:

Dieses Jahr war der 7.4 ein Meteonvollmond (der gregorianische "wahre" war am 16.4). Da der julianische Kalendar um 13 Tage "falsch" geht, war der 7.4 julianisch ein Mittwoch (gregorianisch Donnerstag). Der nächste julianische Sonntag ist also der 11.4 (gregorianisch Montag). Um den 11.4 gregorianisch zurückzurechnen, muss man 13 Tage addieren, also ist morgen das orthodoxe Osterfest.

Frohe Ostern! Möge der Herr Frieden schenken!

Hat Herr Gastgeber die bislang verloren geglaubte nizänische Formel gefunden?


0
 
 scientia humana 23. April 2022 
 

Die orthodoxe Formel (Meteonzyklus) ist vergleichsweise einfach:

19 Jahre (mit fünf Schaltjahren) umfassen 365 ∗ 19 + 5 = 6940 Tage. Ebenfalls kommt man fast auf diese Zahl mit 235 Monaten, nämlich 235 ∗ 29.53 =
6939,55. Nimmt man an, dass 19 Jahre exakt 235 Monaten entsprechen, ergibt sich, dass es nur 19 mögliche Vollmondkonstellationen gibt, nach oder zum Frühlingsvollmond, nämlich in der folgenden Reihenfolge:

5. April, 25. März, 13. April, 2. April, 22. März, 10. April, 30. März, 18. April, 7. April, 27. März, 15. April, 4. April, 24. März, 12. April, 1. April, 21. März, 9. April, 29. März und den 17.
April

Am Sonntag danach ist dann Ostern im julianischen Kalendar.

Jetzt noch + 13 (siehe mein Post zuvor) und man erhält das orthodoxe Osterfest.


0
 
 Stock 23. April 2022 
 

Sehr interessant

Es würde mich sehr freuen, wenn die kath.net-Redaktion uns Leser über die weiteren Forschungsergebnisse Prof. Gastgebers informieren würde.


0
 
 scientia humana 22. April 2022 
 

Eine kleine Übersicht

Der julianische Kalendar hat 365 Tage und alle 4 Jahre wird ein Schalttag dazu genommen.
Der gregorianische Kalendar ist etwas genauer, alle hundert Jahre fällt der Schalttag aus, alle vierhundert Jahre nicht.
Damit geht der julianische Kalendar alle 400 Jahre um drei Tage nach, mittlerweile sind es 13 Tage und das bleibt so bis 2100, dann werden es 14 Tage. "Bald" wird das orthodoxe Osterfest also niemals mehr mit dem katholischen zusammenfallen.

N.B.1) Die Regel, der erste Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond ist nicht genau genug. Es muss nicht nur auch der Ort festgelegt werden, auch wandert der sogenannte Frühlingspunkt... Der moderne westliche Kalendar kennt auch noch Schaltsekunden zur größeren Genauigkeit ...

N.B.2) Im Prinzip (ich glaube, das schreibt Eusebius) legte das nizänische Konzil eine Osterterminberechnung fest, die ist aber nicht erhalten.


0
 
 SCHLEGL 22. April 2022 
 

@ Fischlein

Die Juden feiern Pessach am 14. des Monats Nisan, egal welcher Wochentag! Christus aber ist an einem SONNTAG von den Toten auferstanden, daher feiert die Kirche das "neue Passah" immer am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond! Denn mit Christus hat der NEUE und EWIGE Bund begonnen.


0
 
 Fischlein 22. April 2022 
 

Das ist interessant.

Für mich bleibt aber die Frage: Warum feiern wir Ostern nicht nach dem jüdischen Pascha-fest?
Ich verstehe den Unterschied zu Ostkirchen mit ihrem julianischen Kalender. Vor einigen Jahren habe ich aber erfahren, dass die Juden das Pascha (nach dem ersten Frühlingsvollmond) oft zu anderen Zeiten (Wochen) feiern als unser Osterfest.


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 winthir 22. April 2022 

Spannender Artiikel! danke.


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