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Die Päpstlichen Zuaven und das Ende des Kirchenstaates

14. September 2010 in Chronik, keine Lesermeinung
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Vor 150 Jahren begannen militärische Operationen gegen den Kirchenstaat im Zuge der Einigung Italiens. Eine wichtige Rolle in den Kämpfen spielten die Päpstlichen Zuaven, eine Art kirchliche ‚Fremdenlegion’. Von Ulrich Nersinger


Rom (kath.net)
Italien gedenkt in diesen Tagen der Vollendung seiner staatlichen Einheit. 150 Jahre liegt der Beginn militärischer Operationen gegen den damaligen Kirchenstaat zurück; vor 140 Jahren besetzten italienische Truppen die Ewigen Stadt und setzten der weltlichen Herrschaft der Päpste ein Ende. Eine bedeutsame Rolle in der militärischen Auseinandersetzung um den Kirchenstaat nahmen die Päpstlichen Zuaven ein, eine Art kirchliche ‚Fremdenlegion’, ein ‚corps d’elite’, auf das man in ganz Europa mit Bewunderung schaute.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war in Italien ein Nationalbewusstsein erwacht, das sich in dem Streben nach staatlicher Einheit äußerte. Dadurch wurde die Unabhängigkeit des Kirchenstaates, dessen Souverän der Papst war, bedroht. Nachdem 1859 revolutionäre Umtriebe die Romagna erschüttert hatten und sie für den Kirchenstaat verlorengegangen war, machte sich der künftige Monarch Italiens, Viktor Emanuel II., im September 1860 auf, zwei weitere päpstliche Provinzen, Umbrien und die Marken, durch einen Feldzug zu erobern.

Es wurde dem Papst klar, dass er eine größere Streitmacht benötigte, um sein Territorium verteidigen zu können. Deshalb rief er die Katholiken in aller Welt zu Hilfe. Die Armee des Papstes wurde neu organisiert. Es entstanden Bataillone und Regimenter, in denen fast ausschließlich Freiwillige aus den verschiedensten Ländern Dienst taten. Eine der neu aufgestellten Einheiten war die „Compagnie des Tirailleurs Franco-Belges“ (Kompanie der französisch-belgischen Schützen). Als der aus Frankreich stammende Kommandant der „Tirailleurs“ für seine Truppe eine neue, bequemere Uniform suchte, besann er sich auf die Tracht des Berberstamms der Zwawa, der in Algerien an der Seite der Grand Nation gefochten hatte.

Die exotisch anmutende Uniform war von grauer Farbe (grau-blau für die Offiziere). Sie bestand aus einer sehr kurzen, rot (bei Offizieren schwarz) gesäumten Jacke, die an den unteren Rändern abgerundet war. Die kragenlose Jacke war nur am Hals geschlossen, sonst vorne offen, so dass man das mit Knöpfen geschlossene Leibchen sehen konnte. Dazu kamen weite Pumphosen, weiße Gamaschen und schwarze Stiefel. Um den Leib trugen die Zuaven eine lange rote Schärpe, die mehrfach gewunden war und zumeist durch eine Metallspange oder einen Gürtel gehalten wurde. Es verging nur wenig Zeit, und man sprach von den Tirailleurs nur mehr als „Zuaven“. Am 1. Januar 1861 erhielt das Korps dann auch offiziell die Bezeichnung „Bataillon der Päpstlichen Zuaven“.


Besonders aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden fanden Katholiken aller sozialen Schichten als Zuaven den Weg in die päpstliche Armee: Königliche Prinzen aus dem Hause Bourbon-Anjou und römische Fürsten dienten in dem Korps ebenso wie Ärzte und Juristen aus Frankreich oder Handwerker und Bauern aus den Niederlanden – als einfache Soldaten, ohne irgendwelche Standesprivilegien. Um die päpstliche Kasse zu entlasten, waren überall in Europa Komitees gegründet worden, die für den Sold der Zuaven mit aufkamen. Die Entlohnung der päpstlichen Soldaten war so gering, dass die am römischen Hof akkreditierten Botschafter dies eigens in den Berichten an ihre Regierungen vermerkten. Bald war die Mannschaftsstärke des Zuavenkorps so hoch, dass das Bataillon in den Rang eines Regiments erhoben werden konnte.

Ende September 1867 schickten sich die Banden des italienischen Freiheitskämpfers Garibaldi an, in den Kirchenstaat einzufallen. Zunächst gelang es den Zuaven, die schlecht organisierten Banden über die Grenze zurückzuschlagen. Aber schon in den Kämpfen um Bagnorea, Farnese und Nerola mussten viele der Zuaven ihr Leben lassen. Zu einem blutigen Treffen wurde das Gefecht um Monte Libretti. Fast 1000 Freischärlern standen nicht einmal 90 Zuaven gegenüber. Die Rückeroberung des strategisch wichtigen Ortes wurde für die Zuaven zu einer Bewährungsprobe, sollte aber auch ihren weltweiten Ruhm mitbegründen.

Selbst Rom blieb von revolutionären Umtrieben nicht verschont. In einem Aufruf des „Nationalkomitees“ vom 8. Oktober hieß es voller Pathos: „Das Blut der Brüder, welches der päpstliche Zuave eben in den Provinzen vergießt, sei der Funke, unsere Geister zu entflammen.“ Am Abend des 22. Oktobers kam es zu einem brutalen Terrorakt in der Ewigen Stadt. Es war Verschwörern gelungen, an einer Zuavenkaserne Sprengladungen anzubringen. Das Gebäude wurde durch die Wucht der Explosionen beinahe völlig zerstört. Doch blieben die dort untergebrachten Kompanien von dem Attentat verschont – die Zuaven hatten kurz zuvor ihr Quartier verlassen. Vierundzwanzig Regimentsmusiker, überwiegend Italiener, aber fanden den Tod, ebenso zahlreiche Zivilisten.

Inzwischen waren immer mehr Freischärlerbanden in den Kirchenstaat eingedrungen; in kurzer Zeit befanden sich mehr als 15.000 „Freiheitskämpfer“ im Herrschaftsgebiet des Papstes. Garibaldi konnte so Monte Rotondo und Mentana einnehmen, zwei Ortschaften von enormer strategischer Bedeutung, von denen aus der Weg nach Rom offen stand. In den frühen Morgenstunden des 3. Novembers verließ eine dreitausend Mann starke päpstliche Streitmacht unter dem Kommando von General Hermann Kanzler die Ewige Stadt und zog in Richtung Monte Rotondo, gefolgt von dem französischen Expeditionskorps, das Kaiser Napoleon III. in aller Eile zu Schutz des Papstes nach Rom entsandt hatte. Es waren dann die Zuaven, die gegen 13.00 Uhr zur Attacke auf die zahlenmäßig überlegenen Garibaldiner ansetzten. Über mehrere Stunden tobte ein heftiges Gefecht. Als sich entgegen allem Erwarten ein Sieg für die Truppen des Papstes abzuzeichnen begann, entschied sich Garibaldi für den Rückzug, den Großteil seiner Kämpfer im Stich lassend.

Die Berichte über den unerwarteten Sieg der päpstlichen Truppen trugen dazu bei, dass sich immer mehr Katholiken aus aller Welt für den Dienst in der Armee des Papstes meldeten und überwiegend um Aufnahme bei den Zuaven baten. Aus Übersee kamen mehr als 300 Kanadier zur Auffrischung des Regiments nach Rom. Der französische Kaiser ließ einen Teil des Expeditionskorps zum Schutz des Papstes in der Ewigen Stadt zurück.

Für fast drei Jahre blieb der Kirchenstaat vor größeren Bedrohungen verschont. Das I. Vatikanische Konzil konnte in Rom zusammentreffen und das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen definieren. Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, sah sich Napoleon III. gezwungen, seine in Rom stationierten Soldaten abzuziehen; am 19. August verließen die letzten Franzosen die Ewige Stadt – der Kirchenstaat war nun auf sich selbst gestellt.

Am 20. August teilte General Hermann Kanzler, der aus Deutschland stammende Befehlshaber des päpstlichen Heeres, dem Papst mit, dass er über eine Armee von mehr als 13.000 Soldaten verfüge könne. Mit fast 3.000 Mann stellten die Päpstlichen Zuaven das stärkste Regiment (vier Bataillone zu je sechs Kompanien sowie vier Depotkompanien; ausgerüstet mit den modernsten Remington-Karabinern und Maschinengewehren der Marke „Claxton“).

Der italienische König nutzte die Gunst der Stunde und ließ seine Truppen am 11. September in den Kirchenstaat einmarschieren. In einer Audienz teilte der Papst General Kanzler mit, dass er aufgrund der Übermacht des Feindes (50.000 Mann) und eines zu befürchtenden Blutbades davon absehen wolle, von seinen Soldaten zu verlangen, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Jedoch solle der Kirchenstaat nicht ohne Gegenwehr aufgegeben werden; das unrechtmäßige Handeln des italienischen Königs müsse vor der Welt sichtbar dokumentiert werden. Die päpstliche Order, nicht bis zum letzten Bluttropfen zu kämpfen, traf vor allem die Zuaven hart. Sie wären bereit gewesen, alles für die Sache der Papstes zu geben.

Auch in den letzten Tagen des Kirchenstaates gaben sie noch einmal Zeugnis von ihrem Kampfgeist und Idealismus. Sie waren es, die überall die stärkste Gegenwehr leisteten. Auch am 20. September, dem Tag der Einnahme Roms, standen die Einheiten der Zuaven an allen Kampforten in vorderster Front. Als die italienischen Truppen nach mehrstündigem Gefecht bei der Porta Pia eine Bresche in römische Stadtmauer geschlagen hatten, kam aus dem Vatikan der Befehl, das Feuer einzustellen und die weiße Flagge zu hissen. Erst jetzt gaben die Zuaven ihren Widerstand auf. Der amerikanische Konsul schrieb in seinem Bericht an das State Department in Washington: „Die Zuaven konnten ihr bestes nicht geben. Was für eine bewundernswerte und herrlich anzusehende Truppe!“ Das päpstliche Heer musste kapitulieren; der alte Kirchenstaat hatte aufgehört zu existieren. Der Papst zog sich als freiwilliger Gefangener in den Vatikan zurück. Die Zuaven mussten den nunmehr italienischen Boden verlassen.

Auch nach dem Ende des Kirchenstaates zogen viele der päpstlichen Soldaten den Waffenrock nicht aus. Ein Großteil der aus Frankreich stammenden Zuaven stellte sich als „Legion des Volontaires de L’Ouest“ für den Kampf in der Heimat zur Verfügung. Und im Spanien des Jahres 1872 fochten viele Angehörige des Eliteregiments im „Bataillon Carlistischer Zuaven“ für die Rechte des spanischen Thronprätendenten Don Carlos.

In Frankreich, Kanada und den Beneluxstaaten fanden sich die ehemaligen Zuaven in Vereinigungen und Organisationen zusammen, die anfänglich darauf abzielten, dem Papst zur Verfügung zu stehen, sobald er sie wieder benötigen sollte. Später machten es sich die Alt-Zuaven zur Aufgabe, einander zu unterstützen und auf kirchlichem und sozialen Gebiet tätig zu werden. Am 27. September 1946 starb Petrus Verbeek, der letzte noch lebende europäische Zuave. Er gehörte zu den 3200 Niederländern, die von 1860-1870 im Päpstlichen Zuavenregiment gedient hatten. In Erinnerung an ihn und seine Kameraden wurde in Oudenbosch bei Breda ein Museum errichtet, das noch heute besteht und besichtigt werden kann (www.zouavenmuseum.nl).


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