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Fürchte dich nicht, du kleine Herde

15. September 2012 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Keine Gemeinschaft ist weltweit so vielen Bedrohungen und Gefährdungen ausgesetzt wie Christen in der muslimischen Welt. Ihnen versucht Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Libanon Mut zu geben. Von Paul Badde/DieWelt aus Beirut


Beirut (kath.net/DieWelt)
Die Religionsfreiheit ist der Gipfel aller Freiheiten", heißt es zentral in einem 93 Seiten starken Dokument über die Zukunft der Kirche im Nahen Osten, das Papst Benedikt XVI. in diesen Tagen wie eine olympische Flamme in den brennenden Orient getragen hat. Am Freitagabend hat er es im Libanongebirge über Beirut im Kreis vieler Würdenträger unterzeichnet.

Seinen Wächterruf zur Religionsfreiheit wiederholt er noch oft auf seiner Reise in die Krisenregion, wo er den Präsidenten des Libanon stellvertretend für alle Regierungen der Region daran erinnert, dass diese Freiheit "das Grundrecht ist, von dem viele andere abhängen."

Sich zu seiner Religion zu bekennen und sie frei zu leben, ohne sein Leben und seine Freiheit in Gefahr zu bringen, müsse jedem möglich sein. "Die Religionsfreiheit hat eine für den Frieden unverzichtbare gesellschaftliche und politische Dimension!" Es ist die Freiheit, im Zweifel sogar nichts glauben zu dürfen, ohne dafür bedroht zu werden, die der alte Mann hier so leidenschaftlich wie kaum je ein Atheist verteidigt.

Arabische Christen sind vielen Bedrohungen ausgesetzt

Der Christenheit aber ruft der Papst hier in Erinnerung, was schon lange vor dem Aufruhr in der muslimischen Welt in ihr fast ganz vergessen wurde. Dass nämlich auch ihr ältester Teil bis heute die gleiche Sprache spricht, in der der Prophet des Islam den Koran niederschrieb. Das allerdings ist keineswegs ein Schutz.

Keine Gemeinschaft ist heute so vielen Bedrohungen und Gefährdungen ausgesetzt wie die der arabischen Christen, die nicht etwa als Missionare mit den Truppen der Alliierten in den Orient gekommen sind, sondern die schon hier beheimatet waren, bevor Mohammed im 7. Jahrhundert von Mekka nach Medina floh. Der Nahe Osten mag das Stammland des Islam sein. Er bleibt auch die Wiege der Juden und aller, die der Glaube eint, dass Gott vor 2000 Jahren in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist.


Unter den vielen verschiedenen Kirchen ist hier das Bewusstsein nie erloschen, dass der Faden zu ihrem Ursprung nach Jerusalem reicht. Für den ältesten Teil dieser Kirchen ist die Kultsprache ihrer Gottesdienste zwar Griechisch – deren Gläubige aber auch vor allem nur Arabisch reden und verstehen. Der größere Teil der orientalischen Christen hingegen ist katholisch und spricht und singt nur Arabisch.

Nirgends gibt es so viele Patriarchen und Bischöfe

Die sogenannten "Lateiner", wie die römisch-katholischen Christen hier heißen, sind unter ihnen nur eine kleine Minderheit, obwohl sie in Europa und dem Rest der Welt meist als die Katholiken schlechthin gelten. Ein bemerkenswerter Irrtum, wie der Papst hier gleichsam nebenbei aufzeigt. Denn das Geheimnis der Katholiken ist vielmehr – der Libanon zeigt es modellhaft wie kein anderes Land der Welt – gerade ihre enorme Vielfalt, besonders in vielen Teilkirchen "eigenen Rechts".

In diesem fast unüberschaubaren Mosaik mit überwältigend vielen Riten und Traditionen gibt es die Kopten Alexandriens, die Melkiten, Syrer und Maroniten Antiochiens, die Chaldäer Babylons oder die Armenier Kilikiens. Es sind Katholiken allesamt. "Einheit bedeutet nicht Einförmigkeit", schreibt ihnen der Papst ins Gästebuch. Nirgendwo gibt es deshalb auch so viele Patriarchen und Bischöfe (und natürlich so viel Streit) wie im Libanon.

Untereinander benutzen sie allesamt Arabisch als Lingua Franca. Es sind keine Fremden im Land. "In dieser Hinsicht ist die Kirche im Nahen Osten beispielhaft für die anderen Ortskirchen der restlichen Welt", sagt der Papst. Gerade um das filigrane Gewebe dieses faszinierenden gesellschaftlichen Laboratoriums zu stärken, ist er in einem Moment der höchsten Krise hierhin nach Beirut geflogen.

Geschossen wird nur aus Konfettikanonen

Der Sicherheitsaufwand für den Papst ist überwältigend. Die Autobahnen sind abgesperrt. Alle paar Meter steht ein bewaffneter Soldat auf Posten, auf den Dächern kontrollieren Scharfschützen das Umfeld, die Sicherheitsbeamten haben selten so nah am Papst ihre automatischen Waffen im Anschlag gehabt.

Doch geschossen wurde bis zum Samstag nur aus Konfetti-Kanonen – etwa, als der Papst mit seinem Papamobil zwischen Reiterkolonnen vor dem Präsidentenpalast in Baabda vorfuhr. Sein Empfang ist überall überwältigend. Kein Gast hat hier seit dem Besuch Johannes Pauls II. – nach dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1997 – mehr Hoffnung verkörpert, die offensichtlich sehr viele Muslime mit sehr vielen Christen teilen.

Der als A-capella gesungene Vortrag des Evangeliums nach Johannes in der melkitischen Pauls-Basilika auf dem Harissahügel über Beirut könnte dem Klang nach für europäische Ohren auch eine Koran-Sure sein. Die Stimme geht durch Mark und Bein. Und die Chöre der Maroniten klingen, als ließe sich dazu auch ein Bauchtanz beginnen. Der Mozart-Liebhaber Benedikt lauscht ihnen mit scheuem Lächeln.

Zukunft der Kirche als offenes Haus des Dialogs

Voll Mitleid erkennt er die "Schmerzen einer nicht enden wollenden Geburt", an denen die Menschen des Nahen Ostens seit Jahren und Jahrzehnten so offenkundig leiden. Doch was er hier auch noch vor sich sieht, schwebt ihm als ein prophetisches Modell der weltweiten christlichen Ökumene überhaupt vor Augen.

Die Zukunft der Kirche in der pluralistischen Welt beschwört er deshalb als ein offenes Haus des Dialogs mit "den jüdischen und muslimischen Brüdern", zwischen denen "der Libanon mehr denn je dazu aufgerufen ist, Vorbild zu sein".

Sein Mut erregt Aufsehen weit über Beirut hinaus, wohin er nun eines der reifsten und dichtesten Dokumente überbracht hat, die wohl je über den Nahen Osten geschrieben wurden. Es ist eine ebenso realistische wie kühne Roadmap der Christen in eine ungewisse Zukunft.

"Fürchte dich nicht, du kleine Herde"

Es ist das Ergebnis einer Unzahl von Analysen und Erfahrungen, die die Bischöfe des Orients vor zwei Jahren in ihrer Synode nach Rom getragen haben, wenn er lakonisch schreibt: "Die ganze Welt richtet ihre Aufmerksamkeit auf den Nahen Osten, der seinen Weg sucht. Möge diese Region zeigen, dass das Zusammenleben keine Utopie ist und dass Misstrauen und Vorurteil kein unabwendbares Schicksal sind."

Dazu, das unterstreicht Benedikt XVI. viele Male, ist allerdings eine unbedingte Stärkung der christlichen Identität auch unter größten Schwierigkeiten und Opfern Vorbedingung.

Christlicher Glaube, so macht er vor den Patriarchen wie den enthusiastischen Jugendlichen deutlich, kann niemals ein bloßer Zustand sein, sondern ist immer auch ein Akt und eine Willensanstrengung unter dem Kreuz – zwischen "Schmerzensschreien und verzweifelten Gesichtern" –, wo er die Christen zum Abschied mit den Worten Jesu stärkt: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde!"


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