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| Der letzte Ritter der Moderne27. Mai 2012 in Aktuelles, 3 Lesermeinungen Vernunft und Tradition - Der heilige Faden der Erinnerung Von Paul Badde. Rom (www.kath.net) Das mag aus der Ferne betrachtet vielleicht täuschen. Es gab rund 60.000 Teilnehmer um 1200 Veranstaltungen, mal frisch, fromm, fröhlich, frei und mal weniger von all dem. In der medialen Wahrnehmung aber überwogen die kontroversen Themen der Mammutveranstaltung vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Der Chef einer Landesregierung warf der Kirchenführung mangelnde Dialogbereitschaft vor. Ein Priesterrebell wollte herausgefunden haben, dass es den Gläubigen in der Kirche an Grundrechten für Getaufte fehle. Ein evangelischer Landesbischof sah die Katholiken prinzipiell im Widerspruch zur Bibel. Doch dafür gab es ein Freitagsgebet mit Muslimen und reichlich Kritik an Rom, mit nicht mehr allzu frischen Reizthemen, zu denen sich ältere Herren vor Fernsehkameras darüber echauffierten, dass der Vatikan sich immer noch nicht zu den Beschlüssen der Würzburger Synode aus ihren Sturm- und Drang-Tagen (zwischen1971 bis 1975) bekehrt hat. Es klang irgendwie alles gut katholisch. Im klassischen Sinn römisch-katholisch aber war die Veranstaltung nur noch bedingt. Hier feierte eine deutsche Nationalkirche sich leise selbst. Aus der Summe der Signale dieses Forums ließ sich vor allem ein Tenor grundtiefer Skepsis vieler Reformkatholiken gegen die Tradition herausfiltern, die der alte Papst gleichmütig und unerschrocken wie Don Quijote gegen ihre zahllosen Widersacher verteidigt, als letzter Ritter der Moderne. Die drohende Aussöhnung mit der erzkonservativen Priesterschaft Pius X. und sogar die Verhinderung dieser bisher letzten Spaltung innerhalb der römisch-katholischen Weltkirche werden in diesem Umfeld nicht als bereichernd empfunden. Die Kritik der Überlieferung hingegen ist seit vielen Jahren der Cantus Firmus aller deutschen Reflexe gegen Rom. Das ist keine originelle Beobachtung. Zu diesem Pfingstfest aber sollte sie vielleicht Anlass sein, das schöne deutsche Wort Vernunft ein wenig neu zu beleuchten, das ja einer der Schlüsselbegriffe des deutschen Bischofs von Rom ist. Etymologisch also von seiner Herkunft her gesehen stammt der Begriff von dem deutschen Verb vernehmen ab. Vernunft ist ursprünglich und zuerst das Vernommene. Der Kernbegriff der Aufklärung transportiert demnach in sich schon das Überlieferte, die Tradition, das Gehörte, das Erlernte, das Erlauschte. Es ist das Hinhören und Durchdringen der Fülle des vorab schon Erfahrenen und Erkannten und durch die Jahrhunderte Überprüften und eben nicht das nur Erdachte und neu Gefundene und Ausgeklügelte. Vernunft und Tradition sind in der Geistesgeschichte Europas seit den Tagen der griechischen Philosophie also keine Gegensätze, sondern der Grundstruktur allen Nachdenkens über die Wahrheit quasi einverwoben. Seit damals hat die europäische Aufklärung ihre Wurzeln in der Tradition selbst. Nur Gott hat in dieser Sicht die Wahrheit substantiell ganz in sich. Alle andere Erkenntnis ist von ihm abgeleitet, vermittelt, überliefert, vernommen. Als vernünftig gilt in der katholischen Kirche deshalb bis heute noch die vertrauensvolle Annahme glaubwürdiger Zeugnisse bis zu ihrem Anfang in Jesus von Nazareth und seiner Passion und Auferstehung von den Toten. Es ist die Gabe des Heiligen Geistes durch die Jahrhunderte. Tradition ist das Rückgrat der Vernunft. Die Überlieferung reicht bis in den Himmel hinein. Ab dem 19. Jahrhundert aber kam dann auch der Begriff der Vernunft in die Krise und emanzipierte und entfremdete sich in einer eigenartigen Metamorphose von seinem Ursprung. Da galt zunehmend gleichsam nicht mehr das sicher Vernommene und Geprüfte als Vernunft, sondern das neu Entdeckte. Das Erdachte. Das Erträumte auch. Das visionär Geschaute. Die aktuelle Offenbarung. Gerade das vernünftig Vernommene schien von da an immer weniger wert. Seit Hegel die Vollendung des Weltgeistes im Zeitgeist der Geschichte entdecken wollte, kam die Überzeugung auf, auch die biblische Offenbarung sei am besten zu ersetzen durch die akute aktuelle Offenbarung. Es war nicht weniger als eine Perversion vom alten Verständnis der Vernunft, die damit zunehmend als quasi autonom gedacht und vergöttlicht wurde. Der absurde Kult einer derart losgelösten und absoluten Vernunft gipfelte schon in der Französischen Revolution darin, dass die Jakobiner eine Hure als Allegorie der Raison auf dem Altar von Notre Dame tanzen ließen. Es war das Vorspiel zu dem Klacken der gut geölten Guillotine auf der Place de la Concorde von Paris. So ging es zu mit der ersten Vergötzung der Vernunft. Vernünftig war das nicht mehr. Es war eine Entwicklung mit enormen Opferzahlen, die der Aufklärung selbst allergrößten Schaden zufügte. Benedikt XVI. hat deshalb im Beharren auf dem ursprünglichen Verständnis der Vernunft auch nicht weniger als eine Reinigung der Aufklärung selbst im Sinn. Für ihn ist nicht der Problemstau, sondern die Gottesfinsternis am Ende der Neuzeit die größte Krise der ehemals christlichen Nationen. Es ist der praktische Nihilismus nach der Diskreditierung aller Traditionen. Daher erklärt sich auch seine unverdrossene Verteidigung der römischen Liturgie, die sich nach dem Verständnis der Kirche ja auch jener Vernunft verdankt, die bis in den Himmel reicht. Der Kult, so sagte er deshalb erst wieder in den letzten Tagen, orientiert den Menschen zu Gott hin und gibt Gott seinen Primat wieder. Es ist der heilige Faden der Erinnerung, von dem Valeriu Marcu 1933 auf seiner Flucht vor den Nazis in Frankreich sprach, den die römische Kirche stets mit den Juden verteidigt habe in Zeiten der immer wiederkehrenden Barbarismen, die verkünden, die Geschichte fange mit ihnen an. Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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