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Zu den Wurzeln!

4. September 2015 in Buchtipp, 2 Lesermeinungen
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Das Vorwort von Erzbischof Georg Gänswein zum Buch von Robert Kardinal Sarah, „Gott oder Nichts – Ein Gespräch über den Glauben“ in voller Länge - Leseprobe 1


Kissleg (kath.net) Dieses Buch ist radikal. Natürlich nicht in dem Sinne, in dem wir das Wort heute oft benutzen, etwa mit Blick auf Protestformen und extreme politische Ansichten. Nein, es ist die Radikalität des Evangeliums, die dieses Buch inspiriert, die Radikalität, die schon so viele Glaubenszeugen bewegt und angetrieben hat, die Radikalität einer unausweichlichen Entscheidung, vor der letztlich jeder einzelne Mensch steht, wenn er, früher oder später in seinem Leben, den Ruf Christi hört, ihn ernst nimmt, ihm nicht länger ausweichen will und endlich darauf antworten muss. Dann versteht er, dass seine ganze menschliche Existenz auf diese eine Frage zuläuft: Gott oder nichts!

Robert Kardinal Sarah hat keine Scheu, über die Radikalität des Evangeliums zu sprechen und ihr eine schonungslose Zeitanalyse gegenüberzustellen. Überzeugend zeigt er auf, dass es sich bei den neuen Formen des Atheismus und der Gottesgleichgültigkeit nicht einfach um gedankliche Irrwege handelt, die man auf sich beruhen lassen könnte. Vielmehr sieht er in den tiefgreifenden moralischen Transformationen unserer Gesellschaften eine existenzielle Bedrohung nicht nur des Christentums, sondern der menschlichen Zivilisation schlechthin. Erst verschwindet Gott, dann macht sich der Mensch selbst zu Gott: »Heute führt die Gottesfinsternis in den reichen und mächtigen Ländern den Menschen zu einem praktischen Materialismus, zu einem chaotischen oder übermäßigen Konsum und zur Schaffung von falschen moralischen Normen. Das materielle Gut und die sofortige Befriedigung werden zum alleinigen Lebensinhalt. Am Ende dieser Entwicklung geht es noch nicht einmal mehr darum, gegen Gott zu kämpfen; Christus und der Vater werden ignoriert. (…) Die neue Regel lautet: den Himmel zu vergessen, damit der Mensch total frei und autonom sei.« Dass in dieser prekären Lage der Auftrag, das Evangelium glaubwürdig zu verkünden, an Dringlichkeit gewinnt, steht für Kardinal Sarah außer Frage. Hier steht einer auf, der eine müde gewordene Glaubenswelt wieder wachrütteln will, indem er unumwunden sagt, worum es für die Kirche in dieser dramatischen Situation tatsächlich geht: »Um eine radikale Änderung des konkreten Lebens zu bewirken, muss die Lehre Jesu und der Kirche das Herz des Menschen erreichen.« Wo ihr das nicht gelingt, sieht er die Lösung nicht etwa in Anpassung an die Lehren des Hier und Jetzt, sondern in einer selbstkritischen Reflexion über die Mängel der Verkündigung: »Dabei geht es nicht darum, die Forderungen des Evangeliums aufzuweichen oder die Lehre Jesu und der Apostel zu ändern, um sich an die sich verflüchtigenden Moden anzupassen, sondern um uns selbst über die Art und Weise infrage zu stellen, wie wir das Evangelium Jesu leben und das Dogma präsentieren.«


Es wäre falsch, dieses Buch als einen Beitrag zu einer ganz bestimmten Debatte oder eine Erwiderung auf konkrete Standpunkte anderer zu lesen. Damit würde man der Tiefe dieser Theologie und der Strahlkraft dieses bewegenden Glaubenszeugnisses nicht gerecht. Kardinal Sarah geht es gerade nicht um die einzelne Konfliktfrage, sondern um das Ganze des Glaubens; er beweist, wie aus dem richtig verstandenen Ganzen auch das Einzelne zu verstehen ist – und wie, umgekehrt, mit jedem theologischen Versuch, Teilfragen zu isolieren, auch das Ganze beschädigt und geschwächt wird. Mag sein, dass Politik die Kunst des Machbaren ist, die Fertigkeit des Kompromisses unter sich ständig wandelnden Bedingungen; die christliche Botschaft aber kann niemals Verhandlungsmasse sein. Sie ist uns anvertraut und kann nur unverfälscht ihre heilbringende Wirkung in der Welt entfalten – auch und gerade in der Welt von heute.

»Gott oder nichts« – im Titel dieses Buches hallen berühmte Glaubenszeugnisse aus der Kirchengeschichte nach, zumal aus der Geschichte der Mystiker. Auf dem kleinen handschriftlichen Zettel, den man nach dem Tod Teresa von Ávilas in ihrem Brevier fand, stand schon der Gedanke in ähnlich leidenschaftlicher Diktion: »Solo Dios basta« – Gott allein genügt! Und die heilige Margareta Maria Alacoque, deren Visionen wir die Herz-Jesu-Verehrung verdanken, bekannte schon früh in ihrem Leben: »Ich brauche nichts außer Gott.« Man kann Kardinal Sarahs in diesem Buch skizzierte Theologie durchaus in diese Traditionslinien stellen, aber nicht als Anknüpfung an spätmittelalterliche Mystik, sondern als eine Theologie, die mit dem eigenen Leben und dem persönlichen Bekenntnis untrennbar verbunden ist, wie die fesselnden Kindheits- und Jugenderinnerungen im ersten Teil des Buches zeigen.

Ich will gestehen, dass mir bei der Lektüre dieses langen Gesprächs zwischen Kardinal Sarah und Nicolas Diat mehr als einmal jener Brief in den Sinn kam, mit dem Papst Gelasius I. aus Afrika im Jahr 494 von Rom aus dem Allmachtstreben Kaiser Anastasios’ I. in Konstantinopel entgegentrat. Achtzehn Jahre zuvor hatten germanische Stämme die alte Hauptstadt überrannt; West-Rom existierte nicht mehr. Hier hatte nur die katholische Kirche überlebt, deren Oberhaupt dem mächtigsten Herrscher des Erdkreises in diesen Jahren nun unerschrocken das Recht absprach, auch über die Seelen seiner Untertanen herrschen zu wollen. Europas staunenswerte Geschichte und die Geschichte der katholischen Kirche als zivilisatorischer Kraft ist undenkbar ohne jene Spur, die Gelasius I. damals mit seinem entschlossenen Widerspruch legte.

Die totalitäre Versuchung hat unsere Geschichte seither weiter begleitet. Jede Generation kennt sie, auch wenn sie in jeder Epoche in neuer Gestalt und Sprache auftritt. Es ist im Kern auch heute noch dieselbe totalitäre Versuchung, der Kardinal Sarah hier so einsam, freimütig und furchtlos entgegentritt wie Papst Gelasius I. vor über 1500 Jahren.

Dieses Buch ist radikal – ganz im Sinne des Wortursprungs: Das lateinische Radix heißt im Deutschen »Wurzel«. Und genau dorthin, zu den Wurzeln unseres Glaubens, zu den Wurzeln des Evangeliums, führt uns Robert Kardinal Sarah in diesem Buch. Ihn auf diesem Weg mitlesend, mitdenkend, mitbetend zu begleiten, ist eine große Ermutigung für jeden, der sich mit wachem Verstand und offenem Herzen darauf einlässt.

Vatikanstadt, am Gedenktag Jean-Marie Vianneys, des heiligen Pfarrers von Ars, am 4. August 2015

+ Georg Gänswein

kath.net-Lesetipp!
Gott oder Nichts
Ein Gespräch über den Glauben
Von Nicolas Diat; Robert Sarah
Sonstiger Urheber Georg Gänswein; Übersetzt von Katrin Krips-Schmidt; Claudia Reimüller
Hardcover, 399 Seiten
2015 Fe-Medienverlag
ISBN 978-3-86357-133-7
Preis 18.30 EUR

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Foto Erzbischof Gänswein (oben) (c) kath.net/Petra Lorleberg


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Lesermeinungen

 wandersmann 5. September 2015 
 

Leid

Und die heilige Margareta Maria Alacoque, deren Visionen wir die Herz-Jesu-Verehrung verdanken, bekannte schon früh in ihrem Leben: »Ich brauche nichts außer Gott.«

Ganz richtig lieber Erzbischof. Aber sie hat auch gesagt:

Leiden und im Leiden lieben, nur dazu bin ich geboren.

Wer reine Liebe sagt, der sagt Ja zum reinen Leiden.

Das Leid, was wir Menschen zu tragen haben ist nie etwas Schlechtes. Pater Pio:


Die Versuchungen in unserem Leben kommen vom Teufel,
das Leiden hingegen kommt von Gott und führt zum Paradies.
Verachtet die Versuchungen, aber nehmt die Prüfungen an.



Denken wir an das Leiden und den Tod Unseres Herrn
und an sein Blut, das er für uns vergossen hat.
Dann werden wir uns nicht mehr über unser Leiden beklagen.


1
 
 jadwiga 3. September 2015 

Danke, diese Ausführung hier hat mir gut gefallen.

Gott hatte Barmherzigkeit mit dem Volk, das im Dunkel lebt.
Ich bin davon überzeugt, dass Gott die letzte Familiensynode haben wollte. Diese Synode war wie die Befragung vor der Taufe. Der Mensch kann sich frei entscheiden, ob er im Dunkel oder im Licht leben will. Gott hat Mitleid, Er ist barmherzig und fragt uns immer wieder wofür wir stehen.

"Widersagt ihr dem Bösen, um in der Freiheit der Kinder Gottes zu leben?"

Jedoch viele haben noch gesagt: Nein, ich widersage nicht!

Ja, es ist schwer vom Baum der Erkenntnis runter zu kommen und wieder bei der Wurzel anzufangen.


9
 

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