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Soll es in der Erziehung absolute Verbote geben?

29. Jänner 2016 in Familie, 5 Lesermeinungen
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KATH.NET-SERIE: Sie fragen, Psychiater Raphael Bonelli beantwortet auf kath.net Grenzfragen zwischen Psychiatrie und Religion - Sie schreiben, der Psychiater antwortet. Heute Frage 7 über Erziehung und Verbote.


Wien (kath.net)
Sie suchen Antworten auf Lebensfragen. Seit vielen Jahren berät Psychiater Prof. Dr. Raphael Bonelli Menschen in Grenzfragen zwischen Psychiatrie und Religion. Ab sofort können Sie ihm eine Frage via Email stellen. In regelmäßigen Abständen wird der Wiener Mediziner vielleicht auch Ihre Frage beantworten. Die Fragen werden diskret behandelt und anonymisiert auf www.kath.net veröffentlicht. Schreiben Sie noch heute in möglichst kurzer Form Ihre Frage an [email protected] Schon morgen könnten Sie darauf eine Antwort bekommen.

FRAGE: Sehr geehrter Herr Professor, ich bin Ihnen dankbar über die Beantwortung der Frage, ob es sinnvoll ist, in der Erziehung absolute Verbote zu setzen, die keinesfalls übertreten werden dürfen. Ich denke hier besonders an den erst durch das Verbot entstehenden Reiz, diese Verbote zu missachten, und davon unabhängig an die Gebote Gottes, die interessanterweise keine Verbote sind, sondern Verheißungen oder Anweisungen, die übertreten werden dürfen, auch wenn dies zu selbstverursachtem Leid führt.

Meiner Erfahrung nach gehen Verbote bei einem verschlossenem Herz beim einen Ohr rein und beim anderen raus, bis der Mensch erst selbst (nach intensiver Leiderfahrung) erkennt, dass die Befolgung der Gebote Gottes in Wahrheit ein Wegweiser zum Glück ist. Wie käme man zu dieser Erkenntnis, wenn es nicht möglich wäre, Verbote/Gebote zu übertreten? Herr A.

Sehr geehrter Herr A.,
Sie legen mir eine schwere Frage vor, die die Freiheit und die Verbote in der Erziehung zum Thema hat. Für mich ist sie besonders schwierig, weil Sie mir durch die Art Ihrer Fragestellung schon die von Ihnen gewünschte Antwort in den Mund legen, nämlich dass „absolute Verbote“ schlecht sind. Aber da stutze ich. Das ist mir zu einfach. Stellt sich mir die Frage, was das Wort „absolut“ bezeichnet. „Relative Verbote“ - um mich mit dem Umkehrschluss zu nähern - sind in der Erziehung problematisch, weil ein verbietender Vater (oder Mutter), der dann bei Überschreitung der Grenze nicht mit der Wimper zuckt, schnell seine Glaubwürdigkeit verliert. „Euer Ja sein ein Ja, euer Nein ein Nein“ ist ganz wichtig in der Pädagogik: Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Eltern.


Wir wissen heute nach den unmenschlichen Erziehungsexperimenten der letzten Jahrzehnte, dass Kinder definitiv Grenzen brauchen. Experten warnen immer lauter und drastischer davor, dass die Kinder zu Tyrannen werden. Grund dafür ist oft, dass man die wenigen Kinder, die man noch hat in den Himmel hebt und oftmals über den Ehepartner stellt. Das passiert besonders leicht bei Scheidungskindern, Einzelkindern oder vaterlosen Kindern. Kinder brauchen die Gewissheit, dass die Eltern zusammengehören und sie gegenüber diesen Erwachsenen die zweite Geige spielen. Nein, nein, lieber Herr A., Kinder brauchen definitiv Verbote (wie Sie es nennen), und zwar keine relativen – wir nennen das heute lieber Grenzen. Das grenzenlose Kind wird zum selbstverliebten, selbstüberschätzenden Narzissten verhätschelt. Das können Sie Ihren Kindern nicht antun.

Die Grenzen müssen natürlich altersgemäß sein und immer einen Spielraum an Freiheit offenhalten. Aber diese Freiheit eben dort begrenzen, wo es für das Kind gefährlich wird. An den Grenzen können Kinder leichter wachsen und das Gute kennenlernen. An ihnen können sie lernen, ihre Bosheit und Ichsucht zu begrenzen und ihre Nächsten damit menschenwürdig und liebevoll zu behandelt. Ja, Herr A., in jedem von uns (und unseren Kindern) steckt auch der Hang zum Bösen, und wir Eltern sind verpflichtet, unseren Kindern eine Strategie mitzugeben, wie sie damit zum Wohl ihrer Umgebung und zu ihrem eigenen Wohl umgehen können. Erziehung heißt, den Kindern die Tugend leicht zu machen und ihren charakterlichen Schwächen und Lastern klug entgegenzuwirken.

Grenzen setzen ist in der Erziehung also unerlässlich: allerdings natürlich in Liebe, mit einer altersentsprechenden Freiheit und ohne ein hysterisches Drama zu machen, wenn die Grenze einmal überschritten wird – wohl aber (immer!) mit den angekündigten Konsequenzen. Es ist auch wichtig und hilfreich, dem Kind nach seinem Fassungsvermögen den Sinn der Grenze zu erklären. „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg’ auch keinem andern zu“ ist zum Beispiel eine Grenze, die vom Kind schnell nachvollziehbar ist. Grenzen des anderen nicht zu überschreiten ist ein fundamentaler Baustein des menschlichen Zusammenlebens.

Es ist natürlich die Verantwortung des Erziehers, die Grenze mit Augenmaß zu setzen – nicht zu eng, weil dann das Kind erstickt wird und nicht mit Freiheit umgehen lernt, und nicht zu weit, weil es mit zu viel Freiheit nichts anfangen kann.

Sie erwähnen den Reiz, Verbote zu missachten und zu übertreten. Das kann schon mal eine Versuchung für Kinder sein, gibt es aber in erster Linie bei solchen, die keine Grenzen gewöhnt sind oder eine Grenze nicht verstehen (können/wollen). Aber die These, dass erst eine Grenze zur Grenzüberschreitung reizt, ist irrig, weil es natürlicherweise für jeden Menschen Grenzen gibt (etwa die Intimität und die Freiheit anderer Menschen) und die Kinder lernen müssen, damit umzugehen. Die These verunmöglicht jede Grenze und damit jede Erziehung.

Sie erwähnen auch die Gebote Gottes, von denen Sie meinen, dass sie „übertreten werden dürfen, auch wenn dies zu selbstverursachtem Leid führt“. Nun, ich würde das präziser formulieren: die Gebote KÖNNEN übertreten werden, darin besteht die Freiheit des Menschen, aber das zieht eben die von Ihnen genannten Konsequenzen mit sich. Nicht nur für den Täter, auch für das Opfer und auch auf transzendenter Ebene. Ich erinnere Sie an religiöse Konzepte vom endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott, die in praktisch jeder Religion vorkommt und etwa im katholischen Katechismus unter der Nummer 1033 behandelt wird. Da ist eine liebevolle Warnung ob der Konsequenzen schon menschlicher.

Durch trial and error kommt das Kind natürlich auch oft weiter, da gebe ich Ihnen recht. Das eine (Grenzen setzen) schließt aber das andere (Erfahrungen sammeln lassen) nicht aus. Lernen durch „Erfahrung sammeln“ ist besonders mit zunehmenden Alter und bei zunehmendem Vernunftgebrauch wichtig. Aber manche „Erfahrungen“ im Leben eines Kindes – etwa bei Spielen auf Bahngleisen, der Umgang mit Kinderschändern oder Heroinkonsum – führt nicht unbedingt zu den erwünschten Lerneffekten – hier wäre definitiv der Platz für „absolute Verbote“.

Haben auch Sie eine Lebensfrage? Schreiben Sie noch heute in möglichst kurzer Form Ihre Frage an [email protected]. Schon morgen könnten Sie darauf eine Antwort auf kath.net bekommen. Alle Fragen werden diskret behandelt! In den nächsten Wochen gibt es weitere Antworten auf Anfragen!

Raphael M. Bonelli. Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Facharzt für Neurologie

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Lesermeinungen

 Stiller 29. Jänner 2016 
 

Erziehung...

Bei uns gab es gegenüber unserer Tochter immer klare 'Ansagen', erklärte je nach Verständnis, vorgelebte, gelegentlich zur Diskussion gestellte, aber nie in Frage gestellte (eine hohe 'Kunst', die uns Eltern viel abverlangte).
Es gab immer auch 'Vorankündigungen', wenn sie möglich waren, z.B.: "In 10 Minuten geht's ins Bett." - Da entstehen vermeintliche Spielräume, die Kindern gut tun.

In wenigen Situationen griff meine Frau zu einer strengen Methode und zählte: "Eins, zwei ..."
Irgendwann, schon 17 Jahre alt, fragte unsere Tochter, was bei "drei" passiert wäre.
Meine Frau zuckte mit den Schultern: "Weiß ich nicht", und beide umarmtem sich. Ich saß schmunzelnd dabei.

Mit unseren beiden Pflegekindern, jetzt 11 1/2, weiblich, und 7, männlich geht das so nicht.

Beide erfuhren keine Primärsozialisation, die ein "Eins, zwei..." zugelassen hätten.
Drum müssen wir ihnen absolute Grenzen setzen. Schade, sie können nicht lernen und erfahren...


2
 
  29. Jänner 2016 
 

Man soll keine künstliche Grenzen setzen

Es gibt Handlungen, die absolut verboten sind. Wir Theologen nennen das "schwere Sünde". Der Katholik ist verpflichtet eher den Tod auf sich zu nehmen, als eine schwere Sünde zu begehen. Eine gute Erziehung muss das Kind zur Wahrheit führen.
Es gibt auch weitere naturgegebene absolute Grenzen, die nichts mit der Sünde zu tun haben, aber die kann man notwendigerweise nicht überschreiten. Man muss nur lernen, dass es sie gibt.


Es ist aber falsch dem Kind andere absolute Grenzen vorzugeben, als die welche bereits in grosser Zahl bestehen.

Allerdings ist es notwendig dem Kind Grenzen zu setzen, die nicht absolut sind, damit das Kind Gehorsam lernt und erkennt, dass es beschränkt ist und sich in der Gesellschaft nicht alles leisten kann und darf.


0
 
 Karlmaria 29. Jänner 2016 

Dass das Kind lernt das Gute von Bösen zu unterscheiden

Das ist eine der Hauptaufgaben der Erziehung. Und wie es schief gehen kann wurde ja oben schon gesagt. Wenn ein Kind das alles darf zum Narzissten wird. Dann kann dieses Kind auch wenn es dann erwachsen ist nicht mehr Gut von Böse unterscheiden. Denn dann ist das was ICH will das Gute und alles was nicht von MIR ist das Böse. So funktioniert das natürlich nicht. Irgendwie ist Narzissmus eine Gefahr für uns alle. Da hilft es immer daran zu denken wie jede Entscheidung sich auf andere auswirkt und nicht immer nur auf mich selbst. Oder ganz einfach immer an die Liebe denken. Dienen und Opferbereitschaft!


0
 
 Krisi 29. Jänner 2016 
 

...

Kleinkinder können sich schnell und Andere in Gefahr bringen, z.B. in die Steckdose greifen(Strom) oder steile Wendeltreppe allein hochgehen oder mit Holzstäben auf die Köpfe anderer Kinder schlagen, Steine werfen...ect.!

Manchmal habe ich als Mutter und Christin in der heutigen Zeit Angst vernünftige Grenzen zu setzen.

Man muss sich heute so erpresst dabei vorkommen.

Obwohl es für die Kinder wichtig ist, Grenzen kennenzulernen. Menschen haben schreckliche Probleme im Erwachsenenalter, wenn dies in der Kindheit verpasst wurde.

Echt wichtig um auch das Kind vor ernsthafte Gefahren zu schützen!!!

Das würde ich in der Erziehung auch weiter so machen, selbst wenn eine verteckte Kamera in unserem Heim untergebracht wäre.


3
 
 Stefan Fleischer 29. Jänner 2016 

Grenzen setzen

Da ich dabei bin, meine persönliche Budgetkontrolle neu aufzubauen, kam mir noch folgendes in den Sinn:
Jeder Mensch kommt immer wieder in die Lage, sich selber Grenzen setzen zu müssen. Das ist zwar meist relativ leicht. Aber sich an diese Grenzen auch zu halten, ist oft etwas schwieriger. Aber auch bei diesen Grenzen, wie auch bei jenen, welche die Gesetze und Vorschriften des Staates, der Kirche oder sonst einer Gemeinschaft uns setzten, gilt: "Was Hänschen nicht lernt, ..." Auch das ist also ein Grund, um in der Erziehung Grenzen zu setzen, die Kinder anzuleiten, sich an die gegebenen Grenzen zu halten einerseits und sie zu lehren, sich selber Grenzen zu setzen, seien es Untergrenzen (führen durch Zielsetzung) oder eben auch Obergrenzen (zur Risiko- oder Schadensbegrenzung).


4
 

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