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'Nur das kranke Auge sieht sich selbst'

5. Mai 2015 in Familie, 18 Lesermeinungen
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NEUE KATH.NET-SERIE: Sie fragen, Psychiater Raphael Bonelli beantwortet auf kath.net Grenzfragen zwischen Psychiatrie und Religion - Sie schreiben, der Psychiater antwortet. Heute Frage 6 über die Frage nach der Selbstliebe


Wien (kath.net)
Sie suchen Antworten auf Lebensfragen. Seit vielen Jahren berät Psychiater Prof. Dr. Raphael Bonelli Menschen in Grenzfragen zwischen Psychiatrie und Religion. Ab sofort können Sie ihm eine Frage via Email stellen. In regelmäßigen Abständen wird der Wiener Mediziner vielleicht auch Ihre Frage beantworten. Die Fragen werden diskret behandelt und anonymisiert auf www.kath.net veröffentlicht. Schreiben Sie noch heute in möglichst kurzer Form Ihre Frage an [email protected] Schon morgen könnten Sie darauf eine Antwort bekommen.

Sehr geehrter Prof. Bonelli,
meine Frau macht seit mehreren Monaten ein Seminar zur „Persönlichkeitsentwicklung“. Seither streiten wir vermehrt wegen Kleinigkeiten. Sie betont in letzter Zeit immer mehr die Wichtigkeit der Selbstliebe, aber ich bin da skeptisch. Sie muss sich plötzlich „selbst finden“, „sich selbst was Gutes tun“ und „zuerst einmal an sich denken“. Dafür bezieht sie sich auf Erich Fromm, der die Selbstliebe angeblich als Grundlage dafür gesehen hat, überhaupt andere Menschen lieben zu können. Auch die Psychotherapeutin meiner Frau behauptet (angeblich), wenn sie sich selbst nur genug liebt, wird unsere Ehe wieder besser. Sie behauptet, Selbstliebe und Selbstwertgefühl sind Voraussetzung eines wertschätzenden Umgangs mit anderen Menschen. Man ist also ein umso besserer Mensch, je mehr man sich selbst liebt.

Meine Frau ist – im Gegensatz zu ihrer Psychotherapeutin - katholisch, aber bezieht das biblische Gebot „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ neuerdings allein auf die Selbstliebe. Das Gebot wird ihrer Meinung nach häufig falsch ausgelegt: „Liebe Deinen Nächsten“ im Sinne von „Du musst Dich um Deinen Nächsten kümmern und sorgen, seinen Wert höher setzen als Deinen“. Die im Gebot enthaltene Selbstliebe wandele sich auf Kosten der Selbstliebe angeblich zum Gegenteil, statt „Liebe Dich selbst“ wird es zu „Liebe die anderen, Dich selbst zu lieben wäre egoistisch und steht Dir nicht zu.“ Ich bin verwirrt bis verärgert – wir können kein friedliches Gespräch darüber führen. Was sagen Sie als Psychiater dazu? Herr C.


Antwort von Raphael Bonelli:

Sehr geehrter Herr C.,
die Frage nach der Selbstliebe ist eine ganz wichtige Frage in der Psychologie, für die bedanke ich mich wirklich herzlich. Sie haben das Leiden vieler Ehepaare auf den Punkt gebracht. Bei diesem Thema finden wir in der älteren, nicht mehr aktuellen Psychologie eine hochemotionale Denkverirrung, die den Menschen verkennt. Leider hat sich dieses Denken in viele Köpfe eingeschlichen - mit tragischen Folgen in den Ehen. Bedauerlicherweise haben manche Pastoraltheologen und Prediger diese veralteten Hypothesen unkritisch übernommen.

Die Neigung zur Eigenliebe (d.h. sich selbst über die anderen stellen) ist jedem Menschen natürlich eigen. Dazu muss man sich nicht anstrengen. Die Tendenz sehen wir schon bei 2-3jährigen Kleinkindern, die irgendwann beginnen, die anderen schlechter zu behandeln, als sie selbst behandelt werden wollen. Jeder Mensch muss in Erziehung und/oder Selbstreifung lernen, dieser Neigung zu widerstehen und die Tugend der Gerechtigkeit („jedem das seine geben“) zu erlernen. Es ist das Verdienst des agnostischen Psychologen Martin Seligmann, die Tugenden für die Psychologie wiederentdeckt zu haben. Die Tugend der Gerechtigkeit ist dem Menschen nicht angeboren sondern muss von ihm erworben werden. Er hat nur angeboren ein recht gutes Gespür dafür, was SEIN eigenes Recht ist. Das wiederum ist die brillante Beobachtung des Psychoanalytiker Albert Görres, die ich teile.

Die Aussage des biblischen Satzes ist eindeutig, das beweist schon die Sprachlogik: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ kann definitiv nicht heißen „Liebe zuerst einmal Dich“, aber natürlich auch nicht „Liebe Deinen Nächsten mehr als Dich selbst“. Wer das so versteht, der beherrscht unsere Sprache nicht. Die Hauptaussage und der Appell ist „Liebe Deinen Nächsten“, weil das nicht selbstverständlich ist. Hingegen ist das „wie Dich selbst“ als Richtschnur und Vergleich formuliert – weil es eben selbstverständlich ist. Der Satz ist also mitnichten eine schlichte Aufforderung zur Selbstliebe, sondern die Eigenliebe wird vorausgesetzt und durch Aufwertung der Nächstenliebe auf gesunde Grenzen heruntergekürzt. Denn nur wenn man den Nächsten denselben Stellenwert gibt wie sich selbst, ist Gerechtigkeit („jedem das seine geben“) möglich.

Die Eigenliebe (oder Selbstliebe) ist auch psychologisch gefährdet, wenn sie nicht von der Nächstenliebe begrenzt, relativiert und eingebettet wird. Dieses Phänomen der unbegrenzten Selbstliebe kann angstvoll oder selbstverliebt sein. Angstvoll: Eine pathologische Angst um sich selbst nennt der Individualpsychologe Fritz Künkel „Ichhaftigkeit“: das angstvolle Kreisen um sich selbst und kann den anderen und seine Bedürfnisse nicht erkennen. Selbstverliebt: Derjenige, der in der Eigenliebe gefangen ist, leidet damit auch an einer mangelnden Beziehungsfähigkeit: er will den anderen und seine Bedürfnisse nicht erkennen. In der Psychologie nennt man das „Narzissmus“, ein künstlich aufgeblasenes, überzogenes Selbstwertgefühl.

Also stimmt die These Ihrer Frau nicht, dass derjenige der bessere Mensch ist, der „mehr Selbstliebe und mehr Selbstwertgefühl“ hat – ganz im Gegenteil! Die psychisch gesündeste innere Haltung – Ziel jeder guten Psychotherapie – ist sich selbst zu erkennen. Wer sich aber selbst erkennt, sieht sich selbst so, wie es der Wirklichkeit entspricht. Die klassische Philosophie hat das auch als Ziel definiert und nennt diese seltene Einsicht „Demut“. In ihr ist man nicht kränkbar (all diese Um-sich-Kreiser sind fürchterlich kränkbar, wegen jeder Bagatelle) und kann den Blick auf seiner Umgebung, auf dem Nächsten richten (statt auf sich selbst). Nur so wird man beziehungs- und liebensfähig. Victor Frankl sagt: „Nur das kranke Auge sieht sich selbst“.

Natürlich gibt auch diejenigen, die „sich selbst nicht mögen“, die sich wegen jedem Fehler selbst zerfleischen. Aber der psychologische Hintergrund ist nicht eine mangelnde Selbstliebe, sondern ebenfalls eine überzogene Eigenliebe, bei der man sich in seiner Mittelmäßigkeit, Durchschnittlichkeit und Fehlerhaftigkeit selbst nicht annehmen kann. Weil man sich nicht so sehen kann/will, wie es der Wirklichkeit entspricht. Das ist der Perfektionist, der in der Ichhaftigkeit gefangen ist.


Ihr RM Bonelli


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Raphael M. Bonelli. Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Facharzt für Neurologie

Neues Buch von Raphael Bonelli: Perfektionismus. Wenn das Soll zum Muss wird

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