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| AD ORIENTEM Plädoyer für eine unbekannte Zelebrationsrichtung13. Oktober 2016 in Kommentar, 15 Lesermeinungen Als Kardinal Sarah die Zelebration ad orientem auch für die ordentliche Form des Römischen Ritus nahelegte, reagierten deutsche Katholiken, ihre Kleriker voran, mehrheitlich mit dröhnendem Schweigen. Gastbeitrag von Michael Schmitt Frankfurt (kath.net) Als Robert Kardinal Sarah, Präfekt der Kongregation für Gottesdienst und Sakramentenordnung, Anfang Juli 2016 allen Priestern die Zelebration ad orientem auch für die ordentliche Form des Römischen Ritus nahelegte, reagierten deutsche Katholiken, ihre Kleriker voran, mehrheitlich mit dröhnendem Schweigen. In einer wahrhaft offenen oder lebendigen bzw. missionarischen Kirche sollte und könnte die Reaktion unschwer auch eine ganz andere sein. Der Kardinal hat den Advent 2016 als Zeitfenster vorgeschlagen, um überall dort wo es möglich ist damit zu beginnen, die geostete Zelebrationsrichtung im ordentlichen Ritus zu erproben und zu implementieren. Selbst wenn anfangs noch nicht viele mittun werden, eröffnet er damit bereits Ende November eine Zeit des Kairos, die es zu nutzen gilt! Die folgenden Ausführungen wollen den behaupteten Kairos-Charakter begründen, wohl wissend, dass dem allenthalben Skepsis entgegensteht. Sie sind jedoch nicht aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf der regelmäßigen Erfahrung in einer kleinen Morgenmesse-Gemeinde, wo werktags in der ordentlichen Form, jedoch mit genau dieser Zelebrationsrichtung gefeiert wird: ad Orientem. Die meisten Kritiker dieser Richtung dürften nicht über solche Erfahrungen verfügen. Vielleicht erginge es ihnen ansonsten, entgegen ihrer ursprünglichen Skepsis, wie dem Verfasser. Nach anfänglichem Widerstand wandelte die regelmäßige Erfahrung seine zunächst ablehnende Bewertung der Zelebration ad orientem. Er stellt seine persönliche Reflexion hier als Anstoß für eine konstruktive Auseinandersetzung zur Debatte. Eine andere Zelebrationsrichtung? Es war Robert Kardinal Sarah, der im Juli 2016 die Frage der Zelebrationsrichtung in den Raum stellte, doch in deutschen Kirchenkreisen scheint das Thema nicht angekommen zu sein. Anders zelebrieren? Nicht wenige Katholiken finden es so überflüssig wie einen Kropf, die Frage überhaupt zu stellen. Sie fragen zurück: Es sei doch nach wie vor eine großartige Konsequenz des Aggiornamento und eine unumkehrbare Öffnung zu den Menschen, dass seit dem Konzil zum Volk hin zelebriert werde; christliche Mahlsge-meinschaft eben was gebe es daran herum zu nörgeln? Wolle man das Rad zurück drehen ins Mittelalter? Der Vorschlag bezüglich einer Zelebrationsrichtung ad Orien-tem befremdet sie, er provoziert Kopfschütteln, erscheint nicht wenigen einfach völlig daneben, - also Schluss damit! Ob wir denn heute als Christen wirklich nichts Wichtigeres zu bedenken hätten? Die Gegenfrage, die keiner stellt, muss lauten: Was genau wäre denn wichtiger oder das Wichtigste für einen Christen, speziell für einen katholischen Christen? Immerhin ist die Antwort des erwähnten Konzils eindeutig; es nennt die Eucharistie: Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens (LG 11). Was könnte für katholische Christen wichtiger sein, als die Quelle und der Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens? Und darf es jemals unerwünscht sein, die Handhabung des Wichtigsten in den Blick zu nehmen? Bitte nicht wieder alles aussitzen Mahnworte sind an dieser Stelle unumgänglich. Vor dem Hintergrund der dringend erforderlichen Neuevangelisierung am Beginn des dritten christlichen Jahrtausends haben Tabus oder Denkverbote bezüglich der evtl. sogar intensiveren Zelebrationsrichtung nach Osten keine Berechtigung, zumal sie sich in voller Übereinstimmung befindet mit der konziliaren Lehre. Noch weniger angemessen erschienen ressentimentbedingte (1) Zurückweisungen vor der realistischen Drohkulisse des unaufhaltsamen Verschwindens der Kirche aus Europa, da nach allen Prognosen Katholiken eine aussterbende Art sind; ein Verein sozusagen, der in Zukunft nur ein Schattendasein führen wird als unbedeutender, religiöser Dienstleister zur folkloristischen Aufhübschung familiärer Feiern... falls nicht ein neuer Aufbruch, eine innere Wende, Kehre oder Bekehrung kommt. Kardinal Sarahs Kritiker sollten sich klarmachen, dass es ihm mit seinem apostolischen Vorstoß weder darum geht, vorkonziliare Zustände im Sinne der Piusbrüder zu rekonstruieren, noch und schon gar nicht darum, geistlosen Gehorsam einzufordern (wobei Gehorsam im Sinne des Glaubens niemals als geistlos bezeichnet werden kann). Der Kardinal beabsichtigt nicht mehr und nicht weniger, als eine von vielen notwendigen Kurskorrekturen für das untergehende Schiff der Kirche in ihren europäischen Stammländern, ohne die diesem Schiff, speziell dem deutschen, trotz (oder wegen?) seines enormen Reichtums das Schicksal der Titanic widerfahren wird. Auch wenn es manchem zunächst befremdlich erscheinen mag, gilt es deshalb mit christlicher Offenheit und Ernsthaftigkeit Fragen des Gottesdienstes zu erörtern und die Argumente für die Zelebrationsrichtung ad Orientem zu erwägen. Wo sie überzeugen, gilt es sie mit Bedacht dort, wo es möglich ist, wo ein Priester und eine Gruppe von Gläubigen sich dazu bereit finden, zu erproben. Die Kirche darf sich nicht an den Trägen ausrichten. Sie muss Freiräume für das geistliche Wachstum der Gläubigen sicherstellen und dabei spielt die Liturgie eine zentrale Rolle. (2) Auf keinen Fall aber sollte es einmal mehr hingenommen werden, dass ein pastoraler Anstoß aus Rom und sein prominenter Urheber, auf den wir sogleich eingehen wollen, von den neuen Pastoralteams pragmatisch übergangen würden. Es wäre ein großer Fehler, wenn die Praxis der Gottesdienstordnung unserer Pfarreien nicht damit in Berührung käme oder wenn des Kardinals ad orientem von gewissen Seelsorgern in trauter, seit Langem eingeübter Ignoranz als Flop entsorgt werden sollte. Noch einmal: Reflexartige Zurückweisungen passen nicht mehr in die heutige Kirche, in der wie bei der Echternacher Springprozession oft genug ein Schritt zurück zwei weitere nach vorn erst ermöglicht. Der Präfekt Anfang Juli 2016 meldeten katholische Medien (3), dass Robert Kardinal Sarah, der Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, alle Priester der katholischen Kirche ersucht, die heilige Messe auch (4) in der ordentlichen Form des Römischen Ritus ad orientem zu feiern. Der erste Adventsonntag wäre ein geeigneter Termin, um die geänderte Zelebrationsrichtung einzuführen. In seinem Vortrag bei einer Konferenz in London berichtete der Kardinal, er sei von Papst Franziskus mit einer Reform der Liturgie nach dem II. Vatikanischen Konzil beauftragt worden. (5) Eine Weisung aus Rom? Ersucht habe der Kardinal die Priester, so wird er zitiert, die ...Ausrichtung zu einer gemeinsamen Gebetsrichtung von Zelebrant und Gläubigen überall dort, wo es möglich sei, mit der nötigen Umsicht und pädagogischem Geschick umzusetzen, zugleich aber auch mit der Zuversicht, dass dies eine gute Sache für die Kirche und die Gläubigen ist. (6). Ein Ersuchen ist keine amtliche Anweisung, sondern ein freier Appell an die Priester. Vielleicht ist es trotz der Vorbehalte realistisch darauf zu setzen, dass nach und nach und wo es geht - wie eingangs bereits angedeutet - kleinere Messfeiern dieser Ordnung auch bei uns angeboten werden. Niemand sollte freilich dazu genötigt werden, eine ungewohnte und eventuell (noch) abgelehnte Form mitzufeiern, - wie es allerdings nach dem Konzil, bei der Einführung des Volksaltars, für einen beträchtlichen Teil der älteren Gläubigen der Fall war. (7) Das Ersuchen Kardinal Sarahs zu übergehen entspräche natürlich deutschen Gepflogenheiten zum Schaden der Kirche. In dieser Weise hat die DBK in den ersten fünf Jahrzehnten der nachkonziliaren Ära (8) wiederholt wichtige Handreichungen aus Rom ignoriert. Oft genug wollte man nicht einmal solche von Päpsten annehmen, sodass manch große Chance (9) ungenutzt blieb. Einer späteren Zeit bleibt es vorbehalten, darin definitiv das ganz wesentliche und schwerwiegende Unterlassen der Bischöfe zu erkennen, das verantwortlich war für die Selbstsäkularisierung der Kirche und den enormen Niedergang des kirchlichen Lebens in Deutschland. Die gängige Lesart dagegen, mangelnde Anpassung an die Moderne sei verantwortlich für den Niedergang, befriedigt in keiner Weise. Von vielen modernen Experimenten im Gottesdienst hat man sich längst distanziert; sie wirken in der Rückschau meist unbeholfen, anbiedernd und peinlich. Übersehen wird dabei auch, dass schon vor der Jahrtausendwende ein religiöser Paradigmenwechsel einsetzte, der insbesondere von jungen Gläubigen getragen wird. Gerade unter ihnen wächst der Wunsch nach einem seriösen Umgang mit den Konzilsbeschlüssen. Liturgie als kreative Spielwiese der Gemeinde ist für viele out, die eucharistische Anbetung prägt ihre Spiritualität. (10) Ganz abgesehen von seiner kirchenrechtlichen Argumentation, mit der Kardinal Sarah die behauptete Zwangsläufigkeit des versus populum in Frage stellt (11), spricht er dieses Bedürfnis beachtlicher Teile der jüngeren Generation an, sofern sie noch (oder wieder bzw. erstmals) kirchlich orientiert sind. Mit ihren Frömmigkeitsformen ticken sie deutlich anders, als die Älteren. Sie suchen u.a. Formen der Glaubenserfahrung, die nach der festen Überzeugung nachkonziliarer Erneuerer längst überlebt waren. Wie anders auch erklärt sich z.B. der bemerkenswerte Zuspruch Junger zur Alten Messe? Bei den Piusbrüdern gar sollen junge Leute und junge Familien die gut besuchten Gottesdienste dominieren. Das muss niemand gut finden, - aufhorchen sollten verantwortliche Seelsorger aber schon, um darin ein Zeichen der Zeit zu erkennen, das eine lebendige Kirche konstruktiv aufnehmen muss. Auch wenn ein schwergewichtiger Kirchenmann es bestreitet: Wir sind natürlich eine Filiale Roms und das ist gut so! Die Gesamtkirche ist der Leib Christi, des Herrn, der da sagt: Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt (Joh 15,6). Obwohl es im Verhältnis zu römischen Weisungen natürlich nicht um Kadavergehorsam gehen kann, gilt doch wie eh und je, dass es nur mit der Weltkirche, nur mit den Päpsten, nur mit dem Lehramt und seiner Kontinuität in den Lehraussagen schlussendlich gelingen kann, dem tödlichen Abwärtssog zu entgehen und wieder eine lebendige Zukunft zu gewinnen, auch für die Kirche in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Vor diesem Hintergrund ist das Ersuchen Kardinal Sarahs - mit der nötigen Umsicht und pädagogischem Geschick - eine Chance, keineswegs aber ein Rückschritt für unsere Kirche. Es sollte nicht so schwierig sein, in die Gottesdienstangebote regelmäßig auch Messfeiern des ordentlichen Ritus + ad orientem aufzunehmen, die den Gläubigen und den Priestern erstmals überhaupt die Möglichkeit geben zu prüfen, ob sie sich darin wiederfinden. Denn für alle unter 60-jährigen Katholiken muss doch festgestellt werden, dass sie in ihrem Leben bisher in der Regel noch nie die Gelegenheit hatten, an einer ad orientem gefeierten ordentlichen Heiligen Messe teilzunehmen. Versus populum wurde 1969 flächendeckend (ohne Legitimation durch die Konzilsväter) eingeführt. Wie sollte die Mehrheit der regelmäßigen Gottesdienstbesucher heute über ad orientem befinden können? Ad orientem seit 3 Jahren in der Wahlkapelle Als Empfehlung für eine durchaus mögliche, positive Aufnahme des Ersuchens kann die mehr als dreijährige Erfahrung von Gläubigen und Priestern in der Wahlkapelle des Frankfurter Domes gelten. Seit man, um einer besseren, künftigen Lösung willen, den wackligen, kleinen Volksaltar entfernen ließ, wird hier allmorgendlich um 8:00 Uhr die heilige Messe, nach vorhergehender Laudes, ad orientem zelebriert. Die Wahlkapelle ist nicht irgendeine Kapelle. Zwar kann sie künstlerisch dem Vergleich mit grandiosen Kapellen, etwa der Sainte Chapelle in Paris... nicht Stand halten, das ist offensichtlich. Doch wenn auch der heutige räumliche Zustand sicher nicht dem damaligen entspricht, so gilt doch: hier wurden die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt! Ein wahrhaft bedeutungsvoller, kleiner Raum der Filiale Deutschland also, dessen Würde gar nicht überschätzt werden kann. Und in seiner einfachen Schönheit, zumal durch den wundervollen Flügelaltar, der die Blicke auf sich versammelt, ist dieser intime Raum bestens geeignet für Werktagsmessen mit 20 30 Gläubigen, ohne Orgel und große Gemeinde... Zu werben ist deshalb auch unabhängig von Kardinal Sarah für die Zelebrationsrichtung, weil die Hl. Messe sozusagen von ad orientem zu ad Dominum und damit zu einem organischen Vollzug reifte, der die Gottesdiensterfahrung vieler Gläubigen vertieft hat. Davon soll im nächsten Abschnitt die Rede sein. Die Frankfurter Wahlkapelle und die Werktagmorgenmesse kann als bewährte Empfehlung dienen für den kleinen Schritt vor, statt hinter den Altar, den der Präfekt der Kongregation für Gottesdienst- und Sakramentenordnung - nicht irgendwer - auch unserem Bistum nahe legt: nachahmenswert zur Vertiefung unserer Gotteserfahrung, ...überall dort, wo es möglich ist. (s.o.). Ein kleiner Schritt für den Priester, ein großer für die gläubige Gemeinde, mit einer ganz großen Bedeutung für die neuevangelisierende Kirche. Zunächst war es zugegebenermaßen vor etwa drei Jahren, nachdem der kleine Volks-altar entfernt wurde, für die Gottesdienstgemeinde der Werktagsmessen befremdlich, dass die Priester nicht mehr zum Volk hin zelebrierten, sondern ihm den Rücken zukehrten. Doch die Klagen verstummten bald. Was anfangs noch irritierte, zeigte - je länger, desto mehr einen spirituellen Gewinn, mit dem wohl kaum jemand gerechnet hatte. War der Wortgottesdienst noch wie gewohnt zur Gemeinde hin orientiert, so zeigte sich mit Beginn der Opferung eine ganz neue Stimmigkeit der Eucharistiefeier durch die Zelebration nach Osten. Die ausgebreiteten Arme des Priesters (Orantenhaltung) fanden unvermittelt im Altarbild des Gekreuzigten ein direktes Gegenüber und die Gemeinde wurde über ihren Priester mit hinein genommen in die gemeinsame Ausrichtung auf den, durch den die Messtexte (zum Beispiel in der Schlussdoxologie) unentwegt den Vater ansprechen. Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre, jetzt und in Ewigkeit. Tatsächlich ist es ein unübertrefflicher Eindruck sakramentaler Stimmigkeit, wenn der Priester zum Altar hintritt, wo neben dem kleinen Tabernakel das ewige Licht die Gegenwart des Herrn bezeugt (ad deum qui laetificat juventutem meam; zu Gott, der mich von Jugend an erfreut). Wenn der Priester die Arme erhebt zu Gott, all unsere Anliegen aufgenommen in dieser Gebetshaltung, dem Herrn hingehalten, von ihm Zuwendung empfangend. Nicht zu den Gottesdienstbesuchern tritt er hin, vielmehr wendet er sich wie sie ad Deum. Vor ihnen und für sie als Diener Gottes und der Menschen. Wenn der Priester dann beim Höhepunkt des sakramentalen Geschehens die Hostie hoch über seinen Kopf erhebt, zur Kreuzigung des Mensch gewordenen Gottes im Altarbild hin oder andernorts zum Kreuz, verschmilzt für den gesammelten Blick des Gläubigen in diesem Moment der Ewigkeit beides: das Kreuzesopfer des Herrn und sein Leib, der uns in der Gestalt des Brotes gezeigt und wenig später zur heiligen Kommunion gereicht wird. Und wie ausgebreitete Arme umschließen die Flügelbilder des Altares diese stille Gebärde mit einem Hauch der überzeitlichen Gegenwart der Ecclesia Triumphans. Eine weitere (neue) Erfahrung: die schönen Messgewänder kamen nun erst richtig zur Geltung, weil ihre Rückseiten sozusagen als Schauseite zu sehen waren (12). Zugleich wurde deutlich, dass ihre wertvolle Gestaltung keinem eitlen Klerikalismus entsprang, da sie wahrnehmungspsychologisch keineswegs die Person des Priesters betonen, sondern ihre spirituelle Angemessenheit eindeutig vom unermesslichen Wert des Opfers Christi empfangen, dem allein sich der Priester zuwendet. Das war auch der Grund, warum für den Pfarrer von Ars, Vorbild aller Priester, der persönlich in ärmlichsten Verhältnissen lebte, die Messgewänder nicht schön und kostbar genug sein konnten. Die Prunkvorwürfe, mit denen man heute schnell bei der Hand ist, wenn es um kirchliche Feiern geht, berühren nicht ansatzweise das sakramentale Geschehen selbst, das mit allen Sinnen erlebt werden soll; solche Vorwürfe belegen allerdings die geschwundene Empfänglichkeit für nonverbale Zeichen und die mangelnde Sensibilität für das Wesen der Sakramentalität. Sie verweisen auf die Krämermentalität eines Judas Iskarioth, der ganz im Sinne unserer Zeit Verschwendung reklamierte, als Maria Magdalena Jesu Füße mit kostbarem Öl salbte und der Meister sich dies gefallen ließ: Warum hat man das Öl nicht für dreihun-dert Dinare verkauft und den Erlös den Armen gegeben? Mit exakt diesem Argument meint man heute auch, die Kirche der Verschwendung bezichtigen zu können. Jesu Antwort: Die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer bei euch. (Joh 12,5-8). Noch ein weiterer, sinnenfälliger Hinweis den wir von der Schauseite der Messgewänder empfangen: durch die liturgischen Farben nehmen wir verstärkt die Besonderheit des jeweiligen Tages im Kirchenjahr wahr, zum Beispiel das Gedenken an einen Blutzeugen mit der Farbe Rot; so wird es viel augenfälliger, als wenn der Priester hinter dem Altar steht. Katholische Grunderfahrung: Augenfällig, ganzheitlich, mit allen Sinnen... so zeigt sich die Fleischwerdung des Wortes, das eben nicht als kalter Buchstabe oder körperloses Prinzip zu uns kam und kommt, sondern sich inkarniert inmitten unserer dreidimensionalen, farbigen Welt. So katholisch-sinnlich wollten es die nachkonziliaren Reformer 1969 jedoch ganz eindeutig nicht, weshalb sie mit bilderstürmerischem Furor die Kirchenräume leerfegten und einen protestantisch-asketischen Minimalismus bevorzugten, der dem Kirchenvolk nicht gerade aus dem Herzen sprach. War versus populum wirklich ein Fortschritt? Schon 1981 äußerte der Frankfurter Psychoanalytiker und Soziologe Konrad Lorenzer beissende Kritik an der Liturgiereform, der er die Zerstörung der Sinnlichkeit vorwarf. (13) Helmut Umbach (14) zitiert den Frankfurter Reformkritiker, die katholische Kirche habe seit dem II. Vaticanum mit ihren radikalen Veränderungen... tief in den Symbolhaushalt der Menschen eingegriffen, und damit eigenmächtig ruiniert, was allen gehört (Lorenzer S.207)... Weder die Bilderstürmer der Reformation noch der Revolutionen haben ähnlich systematisch Hand an den Sakralraum gelegt und sind dabei so beden-kenlos ... kaltblütig ans Werk gegangen. So Lorenzer (S.209), dessen Kritik an der Liturgiereform Umbach gipfeln sieht in einem Zitat, das von der Umpolung der Liturgie von der sakramentalen Verehrung des Numinosen (also Gottes!!) zur katechetischen Volksbelehrung spricht, um ihr das Verdikt Dies ist Ideologisierung! hinterher zu schleudern. (15) So weit muss man nicht gehen. Der gut gemeinte und auch überwiegend begrüßte Richtungswechsel des Zelebranten wurde Ende der Sechziger Jahre als Gemeinschaftszeichen verstanden, das in der Mahlsgemeinschaft gipfelt. Dafür spricht Einiges. Daneben aber transportiert der nachkonziliare Wechsel auch Anderes, das kritische Anfragen durchaus provozieren muss. War man bisher blind für diese Einwände?Versus populum nämlich steht der Priester nicht mehr eindeutig vor Gott, sondern er selbst steht an zentraler Stelle, dem Volk zugewandt wie ein Versammlungsleiter oder der Vorsitzende eines Vereins, ja wie der Entertainer bei großen Fernsehshows. Man schaut ihm unentwegt ins Gesicht, vor ihm das Mikrofon. Das Beten der Gläubigen wird durch das nun offensichtliche Hervortreten der Subjektivität seiner Person stark verändert. Seine Mimik und Gestik ziehen statt des Kreuzes oder des Tabernakels die Aufmerksamkeit auf sich, was unwillkürlich ablenkt. Der Priester seinerseits schaut, während er doch zu Gott betet, ständig in den Kirchenraum, bis hinten in den Eingangs-bereich, in dem sich (gerade im Dom) oft genug störende Touristengruppen und fotografierende Besucher bemerkbar machen, die nur wenige Minuten bleiben. So fragt es sich, ob die Zelebration zum Volke hin unseren Priestern nicht das tiefe, innere Gebet, die innere Anteilnahme an der heiligen Handlung sehr erschwert. Zudem war ein ganz entscheidendes Kennzeichen der Liturgie immer das Zurücktreten der Person des Priesters, weil Christus an seine Stelle tritt; jeder Priester ist sich dieses Zurücktretens seiner Person bewusst, was jedoch mit der zentralen Betonung seiner Rolle versus populum kollidieren muss. Wir sind nicht zum Priesteramt berufen, sagt Kardinal Sarah, um selbst im Mittelpunkt zu stehen. (16) Eine Wahrnehmung bezüglich der Messgewänder mag als Ausdruck dieser eventuell von unseren Priestern selbst erfahrenen Rollenproblematik gedeutet werden: statt der prächtigen Messgewänder ziehen viele eine schlichte, weiße Kutte vor, als wollten sie damit einer quasi majestätischen Wirkung bzw. der Überbewertung ihrer eigenen Person entgegentreten. Denn tatsächlich kommt ihrer Person versus populum zu viel Aufmerksamkeit zu, was noch gesteigert wird, wenn der Sitz des Zelebranten sich hinter dem Altar in der Mitte befindet (Thronwirkung). Doch auch uns Laien suggeriert versus populum problematische Vorstellungen, weil die Zelebrationsrichtung nonverbal vermittelt, dass es zuerst um uns gehe, um unsere Gemeinschaft, die zusammen mit dem Priester ihr Gemeinschaftserlebnis feiert. Die Gemeinde ist Christus, sagte jüngst eine Pastoralreferentin als Kommentar zur heute üblichen Zelebrationsrichtung. Was irgendwie gut klingt, ist theologisch unhaltbar. Anthropozentrismus pur. Die Kirche als Ganze ist der mystische Leib Christi, was aber nicht 1:1 herunter gebrochen werden kann auf die konkrete Ortsgemeinde, wie von der Pastoralreferentin angenommen. Nicht die Gemeinde, sondern das erlösende Opfer Christi ist die Mitte der Gottesdienste, jenes vergegenwärtigte Opfer, durch das wir hinein genommen werden in die Heilsgeschichte! Es war u.a. Kardinal Kasper, der den Anthropozentrismus in Theologie und Praxis der Kirche in Frage stellte: Thomas von Aquin wusste: Die Sache (res) des Glaubens und der Theologie ist Gott. Wir müssen darum als Kirche zur Sache kommen. Die Kirchenväter verglichen die Kirche mit dem Mond, der kein eigenes Licht hat, sondern das Licht, das er ausstrahlt, von der Sonne borgen muss. So hat auch die Kirche kein anderes Licht als das, das von Gott und Jesus Christus auf sie fällt. Wir brauchen darum eine theozentrische Wende in der Theologie, insbesondere in der Theologie von der Kirche und in der Praxis der Kirche. Wir müssen uns bewusstmachen und erkennen: Die Kirche nicht als irgendein Volk, sondern als Volk Gottes leben; wir müssen sie verstehen als Zeichen und Werkzeug Gottes in der Welt und als Vorzeichen des Reiches Gottes. (17) Im Klappentext seines Buches Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit, Sendung (18) heißt es: Kasper plädiert weniger für eine strukturelle als vielmehr für eine grundlegende geistliche Erneuerung, hofft auf eine theozentrische Wende, eine christologische Konzentration. War das nicht auch die Intention des Konzilstheologen Ratzinger, als er sich schon kurz nach dem Konzil für die geostete Zelebration aussprach? So wollte Papst Benedikt XVI. zur Wiederentdeckung der kosmologischen Dimension der Liturgie die Gleichrichtung von Priester und Gemeinde zum Vater hin anregen. Schon als Theologe hatte er 1966 beim Katholikentag in Bamberg die Volksaltarwelle kritisiert und gefragt, ob es nicht eher im Sinne des Konzils sei, den Neuklerikalismus der Zelebration im Gegenüber von Zelebrant und Volk dadurch zu verhindern, dass alle sich gemeinsam zu Gott hinwenden und rufen: Vater Unser. (19) Die theozentrische Wende in der Heiligen Messe ist der kleine Schritt des Zelebranten vor den Altar, ad orientem, ad Deum. Christus muss wieder stärker in der Hl. Messe vergegenwärtigt werden. Er muss auch in der Wahrnehmung der Gläubigen während der Heiligen Messe zunehmen, die Person des Priesters aber muss abnehmen, um eines der bekanntesten Schriftworte etwas abgewandelt in Erinnerung zu rufen. Ohne große äußere Eingriffe lässt sich tatsächlich eine theozentrische Wende der Glaubenserfahrung in der Praxis des feiernden Volkes Gottes, das heißt, in der Heiligen Messe vollziehen: Durch die Veränderung der Zelebrationsrichtung, um die der Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst alle Priester ersucht. Manchmal ist die Praxis eben viel einfacher und christologischer, als alles Reden und Schreiben über sie. Dazu ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich den zentralen, weißen Altarblock unter der Vierung des Domes St. Bartholomäus zu Frankfurt vor. Jeder Priester könnte nach dem Wortgottesdienst ohne weiteres ad Deum, nach Osten zelebrieren. So würde er dem ausdrucksstarken Kruzifix, das er versus populum hinter sich wusste, nicht mehr den Rücken kehren, sondern zu ihm aufschauen. Seine erhobenen Hände, all seine Gebete und mit ihnen die Gebete der Gemeinde würden sich über den gekreuzigten Herrn an den Vater richten. ER würde die lebendige Mitte des Gottesdienstes, nicht die Person des Priesters oder die Gemeinde. Bei der Wandlung würde die hoch erhobene Hostie unmissverständlich das Kreuzesopfer des Herrn und die Gabe der Eucharistie in Eins setzen. Fußnoten Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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