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Nur ein Relikt aus der NS-Zeit? Zur Geschichte des § 219a StGB

19. März 2018 in Prolife, 9 Lesermeinungen
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"Diese mit polemischer Absicht in die Diskussion eingebrachte Sicht der Dinge verkürzt indessen die historische Entwicklung erheblich und bedarf der Korrektur." Gastbeitrag von Prof. Axel W. Bauer


Mannheim (kath.net/pl) Am 24. November 2017 verurteilte das Amtsgericht Gießen in erster Instanz eine niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen (6.000 Euro). Erstaunlich war dabei weniger das Urteil als solches, sondern vielmehr seine politischen Folgen auf Bundesebene, denn innerhalb weniger Wochen präsentierten die Fraktionen der Linkspartei, der Grünen und der SPD im Deutschen Bundestag jeweils eigene Gesetzentwürfe zur Streichung des § 219a StGB, der nach Meinung des damals noch geschäftsführenden Bundesministers der Justiz Heiko Maas schlicht „ein Relikt aus der Nazi-Zeit“ sei: Zum Glück gehörten die Zeiten, in denen der Staat das Kontrollrecht über die Körper seiner Bürger be-anspruche, der Vergangenheit an, ließ sich der Minister am 1. Dezember 2017 in Berlin vernehmen.

Inzwischen hat sich eine umfangreiche rechtspolitische Debatte um dieses Thema entwickelt, die derzeit sogar im aktuellen Heft der angesehenen „Zeitschrift für Lebensrecht“ (Heft 1/2018) kontrovers ausgetragen wird. Es wird dort unter anderem die Frage gestellt, ob das in § 219a StGB niedergelegte Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ein Anachronismus oder eine sinnvolle Schutzergänzung sei. Sollten Ärzte ein Recht zur Information über ihre Bereitschaft haben, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen? Muss der § 219a StGB abgeschafft oder jedenfalls kriminalpolitisch überdacht werden? Wo soll die Grenze zwischen strafloser Information und verbotswürdiger Anpreisung liegen?

Die aus dem linken und liberalen Spektrum so plötzlich forcierte Debatte über die Abschaffung eines Paragraphen, der seit 1995 unverändert im Strafgesetzbuch steht und dort in seinen rechtspraktischen Folgen eher ein Schattendasein fristet, erhält geschichtspolitische Schärfe durch die Aussage, dass es sich bei ihm angeblich um ein Überbleibsel aus der Zeit des Nationalsozialismus handelt, das schon deshalb unverzüglich aus dem Strafgesetzbuch getilgt werden müsse. Gerade die verschärfte Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei ein wesentlicher Bestandteil nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik gewesen, so heißt es. Das Werbeverbot sei erst im Zuge der nationalsozialistischen Strafrechtsreform im Mai 1933 als neuer Tatbestand eingeführt worden.


Diese mit polemischer Absicht in die Diskussion eingebrachte Sicht der Dinge verkürzt indessen die historische Entwicklung erheblich und bedarf der Korrektur. Das zum 1. Januar 1872 in Kraft getretene Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 bedrohte im damaligen § 219 StGB denjenigen, der „einer Schwangeren, welche ihre Frucht abge-trieben oder getödtet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat“, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Interessanterweise war bereits damals das kommerzielle Handeln („gegen Entgelt“) zentraler und konstitutiver Aspekt des Tatbestandes. Dieser § 219 StGB blieb 54 Jahre lang unverändert bestehen und überdauerte somit das Zweite Deutsche Kaiserreich um nahezu 8 Jahre.

Während der Weimarer Republik befasste sich der Reichstag dann sechsmal mit einer möglichen Neufassung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch. Doch alle Forderungen nach einer „Liberalisierung“ durch KPD, SPD und USPD blieben letztlich erfolglos, nicht zuletzt deshalb, weil sich die „Reformer“ auch untereinander nicht einigen konnten. Durch Gesetz vom 18. Mai 1926 wurde allerdings bestimmt, dass die Abtreibung nicht mehr mit Zuchthaus, sondern nur noch mit Gefängnis bestraft wurde, und der bisherige § 219 StGB fiel weg. Zwischen dem 8. Juni 1926 und dem 1. Juni 1933 gab es hier also in der Tat eine politisch gewollte Strafbarkeitslücke.

Die Nationalsozialisten führten mit ihrem ersten Strafrechtsreformgesetz vom 26. Mai 1933 den § 219 StGB zum 1. Juni 1933 wieder ein. Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wurde seit diesem Zeitpunkt bestraft, „wer zu Zwecken der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem allgemein zugänglichen Orte ausstellt“. Dieser Tatbestand wurde auch nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland wortgleich in die damaligen Neufassungen des § 219 StGB aus den Jahren 1953 und 1968 übernommen. 1969 wurde lediglich das Wort „Gefängnis“ durch den zeitgemäßeren Begriff „Freiheitsstrafe“ ersetzt.

Erst mit der unter der Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) in Kraft getretenen Gesetzesnovelle vom 18. Juni 1974 formulierte man den Tatbestand, der nun zum § 219a StGB wurde, unter der Überschrift „Werbung für den Schwangerschaftsabbruch“ neu: „Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Diese Fassung des Paragraphen wurde schließlich auch in die seit dem 1. Oktober 1995 und bis heute gültige Formulierung des § 219a StGB wörtlich übernommen.

Die Behauptung, beim § 219a StGB handele es sich lediglich um ein „Relikt aus der Nazi-Zeit“ entspricht also mitnichten der komplexen Rechtsgeschichte, auch dann nicht, wenn sie von einem – inzwischen ehemaligen – Bundesminister der Justiz aufgestellt wird. Man kann über die optimale zukünftige Ausgestaltung dieser Vorschrift durchaus unterschiedlicher Auffassung sein, doch sollte man die jetzt ohne rechtspolitische Notwendigkeit in Gang gebrachte Debatte nicht mit polemischen und unwahren Verdrehungen der historischen Entwicklung in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken versuchen.

Der Autor ist Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universitäts-medizin Mannheim (UMM). Von 2008 bis 2012 war er Mitglied im Deutschen Ethikrat.

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Kein Tod auf Rezept - Warum Ärzte nicht töten sollen - Wichtiges Interview mit Prof. Axel W. Bauer



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