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| Unschuldig angeklagt und verurteilt - Leseprobe 327. Juni 2021 in Buchtipp, keine Lesermeinung Leseprobe 3 aus dem Gefängnistagebuch von George Kardinal Pell. Mit einem Vorwort von George Weigel. Linz (kath.net) Samstag, 13. April 2019
Um 4.45 Uhr, etwa eine Stunde früher als sonst, haben mich leise muslimische Gesänge und das laute Krachmachen unseres lärmenden Freundes am anderen Ende des Flurs geweckt. Er sollte den ganzen Tag über gut bei Stimme sein. Bei der Medikamentenverteilung um 6.00 Uhr erwartete mich eine angenehme Überraschung. Eine Frau, die ich nicht kannte, beugte ihren Kopf zur Türklappe herunter und fragte, wie es mir gehe. Als ich antwortete, dass alles in Ordnung sei, bemerkte sie freundlich, dass meine Situation sehr schwierig sein müsse. Sie sagte mir, ich bräuchte nicht aufzustehen, sie könne die Tabletten selbst auf die Ablage legen.
Da das Bett sehr niedrig und der getünchte Betonboden rutschig ist, muss ich meine Gefängnisturnschuhe anziehen, um die notwendige Bodenhaftung zu bekommen, damit ich aufstehen kann. Das kostet etwas Mühe und so war ich froh, dass ich mir diese Prozedur ersparen konnte. Ich war gerührt über die Freundlichkeit der Krankenschwester. Ein freundliches Wort hält (drei) Winter lang warm. Inzwischen kommen wieder Briefe bei mir an, an den meisten Tagen sind es Dutzende. Ein großer Umschlag kam von einer Anwaltskanzlei. Ich war etwas besorgt darüber, aber als ich ihn öffnete, fand ich darin nur eine schöne gedruckte Karte mit meinem Bischofswappen in Farbe auf der Vorderseite und einem großen spirituellen Blumenstrauß aus all den Messen, Gebeten und Bußübungen, die eine Gruppe von Menschen für mich aufgeopfert hat.
Außerdem habe ich eine rätselhafte Fotokopie eines Briefes ohne Unterschrift aus dem Vatikan bekommen. Der Text war sehr ermutigend: „Durch all die Wochen hindurch war ich mit meinen Gebeten und mit meiner Zuneigung bei Ihnen auf diesem schwierigen Weg.“ Der Verfasser war traurig über meinen Schuldspruch. Dann schrieb er zu meiner Überraschung: „Sie haben der katholischen Kirche in Australien erfolgreich aus einem zerstörerischen Liberalismus herausgeholfen und sie in die Weite und Schönheit des katholischen Glaubens zurückgeführt […]. Ich fürchte, dass Sie nun auch den Preis für Ihre unerschütterliche Katholizität zahlen müssen, aber auf diese Weise sind Sie dem Herrn sehr nahe.“ Abschließend versprach mir der Briefschreiber seine „beständige Nähe im Gebet“.
Viele Menschen, die mir schreiben, bitten mich, für sie zu beten. Manche denken, dass meine Gebete zurzeit aufgrund meiner Situation eine besondere Kraft haben. Früher hätte ich in diesen besonderen Intentionen normalerweise eine Messe gefeiert, aber da das gerade keine Option ist, bete ich immer, wenn ich eine solche Bitte lese, sofort das Memorare, ein mittelalterliches Gebet zu Unserer Lieben Frau, das der heilige Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrhundert verfasst hat, und empfehle Gott, der unsere Herzen kennt, das jeweilige Anliegen. Ich habe das Gefühl, dass meine armseligen, unzulänglichen Gebete stark überstrapaziert werden, aber Gott wird Sorge für die Anliegen tragen, wenn es seinem Willen entspricht.
Um Stoff für meine Betrachtungen zu bekommen, habe ich mich im Wechsel mit den Gebeten und Lesungen im Brevier abschnittsweise durch das Markusevangelium hindurchgearbeitet. Es hat sich gefügt, dass ich inzwischen bei Kapitel 9 und 10 angelangt bin, kurz vor Beginn der Leidensgeschichte. Viele Jahre lang war ich fasziniert und gleichzeitig verwirrt von der Aussage unseres Herrn, dass wir wie kleine Kinder werden müssen, wenn wir in den Himmel kommen wollen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich einmal über dieses Thema gepredigt habe und nach der Messe eine junge Familienmutter zu mir kam und sehr nachdrücklich erklärte, dass sie, wenn der Himmel voller kleiner Kinder sei, lieber nicht dorthin wolle. Das ist nicht ganz das, was Jesus hier im Markusevangelium sagen will, wenn er erklärt, dass jeder, der ein Kind in seinem Namen aufnimmt, ihn selbst aufnimmt, und dann jenes furchtbare Urteil über jene spricht, die ein Kind verführen und es nicht bereuen.
Kinder, die geliebt werden, sind einfach, liebevoll und hoffnungsvoll, offen für die Wahrheit und zuversichtlich und blicken in der Regel frohgemut in die Zukunft. Das ist offenbar die Einstellung, die unser Herr uns Erwachsenen ans Herz legen will. Doch Kinder sind auch von Natur aus eigensüchtig, Egoisten, die um sich selbst kreisen. Jordan Peterson glaubt, dass der entscheidende Durchbruch zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr erfolgt, doch um ein durch und durch altruistischer Mensch zu werden, muss man ein Leben lang an sich arbeiten. Ich bin sicher, dass Jesus uns nicht empfiehlt, kindisch und schwach zu sein.
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