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'Rahnerschule' sieht sich zunehmend in die Defensive gedrängt

8. Mai 2004 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Zeitschrift 'Theologisches' veröffentlicht umfassende Sondernummer zu Karl Rahner - Mit Beiträgen von Kardinal Scheffczyk, Alma von Stockhausen, Wolfgang B. Lindemann u.a.


kath.net dokumentiert das Editorial der Sondernummer im Wortlaut:

Zum 100.Geburtstag und 20. Todestag Karl Rahners - Von Dr. David Berger

Wer die Lage von Theologie und Kirche im deutschen Sprachraum kennt, der konnte es auch ohne prophetisches Charisma vorhersehen: Der sich in diesem Jahr zum hundertsten mal jährende Geburtstag sowie der zwanzigste Todestag Karl Rahners wird zumindest innerkirchlich zu einer nicht enden wollenden Flut an euphorischen Lobeshymnen führen. Nachdem die „Enkel Rahners“ – sozusagen im vorauseilenden Gehorsam – bereits im Vorjahr einen Band zu dem Jubiläum mit ausschließlich unkritischen Rahnerreferaten veröffentlicht haben, hat der Jesuitenorden in Deutschland mit einer umfassenden offiziellen Pressemappe und einem Sonderheft der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ das „Rahnerjahr“ eröffnet.

Kirchenvater der „dritten kirchengeschichtlichen Epoche“

Mehr als die Hälfte der in der Pressemappe festgehaltenen Äußerungen besteht aus begeisterten Lobreden auf Werk und Wirken Rahners. So hebt gleich der erste Beitrag von Hansruedi Kleiber, Vorsitzender der Provinzialkonferenz des Jesuitenordens in Zentraleuropa mit folgenden Worten an: „Wie kaum einer sonst hat Karl Rahner die Theologie des 20. Jahrhunderts mitgestaltet und eine ganze Generation von Theologen und Seelsorgern geprägt. Seine zahlreichen Veröffentlichungen werden auch heute noch mit Gewinn gelesen, und die Herausgabe seines Gesamtwerkes verspricht Zugang zu längst vergriffenen Publikationen. Noch immer erscheinen Dissertationen über Karl Rahner. Die Beschäftigung mit seinem Denken wird nicht so schnell an ein Ende kommen. Sie weist im Gegenteil darauf hin, welche Lücke seit seinem Verstummen entstanden ist, eine Lücke, die – so scheint es – kaum geschlossen werden kann. Darauf hat vor zehn Jahren schon Karl Lehmann aufmerksam gemacht (vgl. Stimmen der Zeit 212, 1994, 147-150), indem er die bleibende Bedeutung Rahnerscher Theologie unterstrichen und Karl Rahner als „echten Lebe- und Lesemeister“ bezeichnet hat ... Die Beschäftigung mit Karl Rahner und seinem Werk kann auch heute noch jeden theologisch Interessierten begeistern ...“

Im gleichen Duktus äußert sich dann auch der Rahnerschüler Kardinal Lehmann in seinem Geleitwort aus: „Karl Rahners Werk ist für uns alle wie ein Riesengebirge.“ Wir müssen ihn „bei aller Kühnheit und Unabhängigkeit des Denkens als Mann der Kirche verstehen.“

Flankiert werden diese Aussagen durch jene des Jesuiten Andreas Batlogg, der bereits früher damit hausieren ging, dass er „rahnersüchtig geworden [sei] wie nur je ein Morphinist nach der ersten Spritze süchtig werden kann“, und der das Objekt seiner Sucht als den „bekanntesten Theologen des 20. Jahrhunderts, einen bedeutsamen Konzilstheologen und Berater von Bischöfen und Synoden“, als „einen Mann des offenen Wortes in der Kirche“ preist. Ganz auf dieser Linie fährt der Rahnerschüler Albert Raffelt fort, wenn er Rahner als den „wohl wirkmächtigsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet und dann statuiert: „Wer Karl Rahner nicht liest, schadet seiner theologischen Bildung. Und wer ihn liest, kann mehr als nur Theologie von ihm lernen.“

Ebenfalls ganz in diesem Stil äußert sich endlich der Innsbrucker Fundamentaltheologe und Hüter des Karl-Rahner-Archivs, Roman Siebenrock: Unter dem Titel „Karl Rahner als theologischer Architekt für die dritte kirchengeschichtliche Epoche“ macht er den Jesuiten zu dem „bedeutendsten Theologen der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert“, zum „maßgebliche Experten des Zweiten Vatikanischen Konzils, Überwinder der Schultheologie“. Und fährt fort: „Karl Rahner hat am Ende seines Lebens unsere Zeit als Beginn der dritten kirchengeschichtlichen Epoche bezeichnet. Mit dem Zweiten Vatikanum sei die römisch-katholische Kirche eine Kirche geworden, die in vielfältiger Weise real Weltkirche werde. Karl Rahner ist nicht nur der Brückenbauer in diese kirchengeschichtliche Epoche hinein, sondern sein Werk stellt eine maßgebliche theologische Orientierung für diese dar. Sein Werk entstand als theologische Begleitung einer Kirche im Aufbruch und formale Grundlegung der Nachfolge Jesu dar. Es ist heute als theologische Architektur für die dritte kirchengeschichtliche Epoche neu zu gewinnen. Er lehrt uns beispielhaft, was theologische Verantwortung in ihr heißt.“

Alle Behauptungen freilich bleiben unbelegt, kritische Rückfragen unterbleiben: Wie kann einer vorbehaltlos und ohne Abstriche zu machen als ein „Mann der Kirche“, der „allgemeine Lehrer“ der „dritten kirchengeschichtlichen Epoche“ (?) gepriesen werden, der für sich das Recht in Anspruch nahm, „auch am Lehramt der Kirche vorbei Aussagen zu formulieren“, der die Deutsche Bischofskonferenz zur verhängnisvollen „Königsteiner Erklärung“ maßgeblich motivierte und dessen scharfe Kirchenkritik in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum Vorbild Ungezählter und damit indirekt zu einer der Ursachen für die schwere Kirchenkrise wurde? Ist es legitim, Rahner zu einem wichtigen Konzilstheologen hochzustilisieren, obwohl dazu zuverlässige Forschungen fehlen und jene, die die Sache vorurteilsfrei angingen, eher gegen einen nachhaltigen Einfluss Rahners auf die Texte des Konzils sprechen? Ist es empfehlenswert, die Schriften Rahners zur Pflichtlektüre zu erheben, obwohl nachweislich bestimmte dort entwickelte Theorien (etwa die des „anonymen Christen“) nicht nur ein sehr brüchiges philosophisch-theologisches Fundament haben, sondern zudem fatale Auswirkungen hatten? Ist es angemessen jemandem zum „Lebemeister“ zu erklären, der nachweislich gegen Papst und Bischöfe in polemischer Weise, bisweilen sogar mit öffentlichen Beschimpfungen und unter Zuhilfenahme der „öffentlichen Meinung“ agierte, konnte er seine kirchenpolitischen Vorstellungen nicht durchsetzen? Dessen (von der Pressemappe schamhaft verschwiegenes) Verhältnis zu der zweifelhaften Schriftstellerin Luise Rinser bis zum heutigen Tag ungeklärt ist?

All diese Fragen unterbleiben, stattdessen schaukelt man sich verbal mit Lobeshymnen immer höher – dazu passte es dann auch dass es den Machern der genannten offizielle Webseite der Jesuiten nicht zu peinlich ist, neben einem Rahnerwein (2002er Riesling Kabinett trocken) und Rahnerpostkarten auch ein Poster zum Verkauf anzubieten, das laut der Internetseite bei Gottesdiensten aufgehängt werden soll.

Selbst die „Neue Zürcher Zeitung“ wundert sich über die „galligen Bemerkungen gegen Rahner-Kritiker“

So soll sich ganz offensichtlich beim Leser der Eindruck breit machen, nur völlig Irregeleitete könnten noch daran zweifeln, dass Rahner der Kirchenlehrer des 20. Jahrhunderts schlechthin ist, vor dem gleichermaßen große wie der Wahrheit des katholischen Glaubens und dem Heiligen Stuhl treu ergebene Geister wie Charles Journet, Hans Urs von Balthasar, Garrigou-Lagrange, Leo Scheffczyk u.a. im Dunkel der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Die Einwände werden freilich von der Pressemappe sofort niedergeschlagen, indem in altbekannter Manier der Rahnerkritik apriori jede Berechtigung abgesprochen und niedere Bewegmotive unterstellt wird. So bereits bei P. Kleiber: „Dass der bedeutende Theologe nicht nur Freunde hatte, sondern da und dort massiven Verdächtigungen und Verunglimpfungen ausgesetzt war, ist bedauerlich.“ Besonders scheinen Karl Lehmann die Kritiker Rahners zu beschäftigen. – Und dies obgleich er bei einem Vortrag im Historischen Kaufhaus am Münsterplatz in Freiburg im Breisgau am 31. Januar 2004 nicht nur die Hörer wissen ließ, diese sich nun besonders auch im deutschsprachigen Raum zeigende Kritik sei „beschämend“, sondern auch alle aufforderte, diese Kritik einfach zu ignorieren und so wörtlich „über solche unqualifizierten Äußerungen zur Tagesordnung überzugehen.“

Ganz im Kontrast zu der ausgegeben Taktik des Ignorierens sind dann aber mehr als zwei Drittel seines Grußwortes zur genannten Pressemappe der pauschalen Zurückweisung der jüngeren Rahnerkritik gewidmet: „In den letzten Jahren und Jahrzehnten seit seinem Tod gab es immer wieder einzelne Versuche, ihn überwiegend als Kirchenrebellen hinzustellen. In Wirklichkeit jedoch ist Karl Rahner durch und durch verwurzelt und beheimatet im Raum der Kirche. Dies wird schon daran deutlich, wie selbstverständlich ihm von seiner ganzen theologischen Ausbildung und dem Studium her die gründliche Kenntnis der großen Quellen des kirchlichen Glaubens ist, um nur die Kirchenväter und Thomas von Aquin zu nennen ... Die seelsorgliche Dimension gehörte für ihn zu den Bausteinen jeder Theologie. Dies zeigen nicht zuletzt auch seine Gebete.“ Das einzige freilich, was Kard. Lehmann zur Rechtfertigung Rahners zu sagen weiß: „Am meisten widerlegt werden sie [die Vorwürfe der Heterodoxie] durch das Zeugnis vieler Menschen, ja mehrerer Generationen, die auch heute noch Karl Rahner für all das, was er geleistet hat, ein herzliches Vergelt's Gott zurufen.“ – Wie wenig dieses ad hominem vielleicht beeindruckende Argument überzeugt und wie leicht es zu widerlegen ist, zeigen die Äußerungen des bekannten Philosophen Dr. Helmut Müller in der „Tagespost“ (16. März 2004), in denen er beschreibt, wie sein geistliches Leben durch die Theologie Rahners „regelrecht Schiffbruch erlitten hat“. Im weiteren Verlauf der Diskussion haben sich einige Bischöfe deutschsprachiger Länder der pauschalen Apologie der Orthodoxie Rahners durch Lehmann angeschlossen.

Batlogg glaubt dann auch zu wissen, wo die Ursachen für die Kritik an Rahner liegen: „weil Hintergründe fehlen und Verständnishorizonte (oft unglaublich mühsam) erst erschlossen werden müssen. Doch die Generation der Enkel muss andererseits nicht aus dem Schatten des großen Meisters treten, was gelegentlich auch sehr ungeschickt erfolgt ist, weil einige meinten, ihr eigenes Profil nur durch aggressive Absetzung von ihm zeichnen zu können.“

Zu einem verbalen Amoklauf setzt schließlich der Münsteraner Emeritus und langjährige Weggefährte Rahners, Herbert Vorgrimler, kurz nach Veröffentlichung der Ankündigung dieses Sonderheftes in einem Beitrag für das sogenannte „Münsteraner Internetforum für Theologie und Kirche“ an: „Leider“ habe sich „seit dem Konzil eine Art Polemik auf Rahner konzentriert, die in ihrer Arroganz und Ignoranz unfassbar“ sei. Und er macht dann sogar den Versuch, diese Kritik in wenigen Worten zusammenfassen: „Rahner reduziere die ganze Theologie auf Anthropologie. Bei ihm finde sich nichts von dem Staunen vor dem Unfasslichen und Unableitbaren. Das Christentum werde bei ihm auf einen Humanismus reduziert. Das geschichtliche Christusereignis fehle bei Rahner ...“ Geradezu entlarvend lesen sich die darauf folgende Sätze: „Solche und ähnliche Beleidigungen finden sich in Publikationsorganen, die die vom Konzil geschaffene Meinungsfreiheit ohne jede moralische Hemmung ausnützen, so in ‚Theologisches’, ‚Una voce Korrespondenz’[sic!] und in anderen. Die Sprache ist oft von pathologischem Hass geprägt. Wo die sektiererischen Kreise, die hinter diesen Organen stehen, nicht ausdrücklich die Legitimität der Bischöfe bestreiten, da wird diese Legitimität doch faktisch beiseite geschoben.“ Nicht nur bezeichnend und geradezu typisch für Rahnerschüler vom Format Vorgrimlers ist, dass während man sonst immer wieder die Großartigkeit des Konzilsgeistes beschwört, diesen nun aber für die Rahnerkritiker gerne ausgesetzt sehen möchte (wobei wir es uns hier jetzt ersparen, der Vorgrimlerschen These, dass die Meinungs- und Pressefreiheit eine Erfindung des Vaticanum II sind, nachzugehen). Auch dass man den „Kreisen“, die hinter „Theologisches“ stehen (immerhin gehören zur Fördergemeinschaft der Zeitschrift Männer wie Kardinal Scheffczyk) Sektierertum vorwirft, lässt die Klage über den „pathologischen Hass“ der Rahnerkritiker in einem ganz eigenen Licht erscheinen. Hierzu passt dann, dass im gleichen Atemzug auch noch die Autoren von Theologisches beleidigt werden: „In den erwähnten Publikationsorganen maßt sich jede Ignorantin, jeder Ignorant das Urteil darüber an, wann und bei wem eine Irrlehre vorliege ...“.

Mut zu Kritik an Karl Rahners Theorien

So unerfreulich, ja in ihrer polemischen Art auch peinlich diese abfälligen Äußerungen über die Kritiker Rahners ausfallen, so erfreulich ist es andererseits zu sehen, wie die Rahnerschule aus ihrer offensiven Haltung sich zunehmend in die Defensive gedrängt sieht. Dies ist auch Müller aufgefallen, der in dem bereits zitierten Text bemerkt: „In der ökologischen Nische theologischer Fakultäten, wo man Hypothesen anstatt seiner selbst leben und sterben lassen kann, ist das eigentliche Biotop für Rahners Theologie und auch da scheint es eng zu werden.“

Seit ihrem Bestehen hat die Zeitschrift Theologisches mutig die Grenzen der „ökologischen Nische“ gesprengt, falsche Tabus gebrochen und der sonst im deutschen Sprachraum mit großer Konsequenz unterdrückten Rahnerkritik immer wieder geistreich Raum gegeben: Bedeutende Rahnerkritiker, die an diesem Wechsel von der Offensive zur Defensive mitgewirkt haben, taten dies über Artikel, die in Theologisches veröffentlicht wurden: Leo Card. Scheffczyk, Bernhard Lakebrink, Alma von Stockhausen, Alfred Locker, Walter Hoeres, Georg May, Heinz-Jürgen Vogels, Leo Elders u.a. – International bekannte und anerkannte Wissenschaftler, die über jeden Verdacht des Ignorantentums unbestreitbar weit erhaben sind.

Auch dieses Sonderheft versammelt ausschließlich sachlich, auf hohem wissenschaftliche Niveau argumentierende Stimmen zu Rahner. Allerdings kommt auch hier jene Kritik zu Worte, der man in der „scientific community“ deutscher Universitätstheologen weithin das Rederecht bestreitet. Keinem der Beiträge geht es darum ein „Zurück hinter Rahner“, vor welchem viele Rahnerverehrer Angst haben, zu propagieren, sondern vielmehr über ihn hinaus und in kritischer Auseinandersetzung mit seinem Denken Wege in die Zukunft aufzuzeigen, die sich mit Respekt vor der Stimme des Lehramtes konsequent an der Wahrheit des katholischen Glaubens orientieren und von daher über die Kategorie der neuen theologischen Zeitrechung „vor“ oder „nach Rahner“ erhoben sind.

Übersicht über die Beiträge in der Sondernummer:

Leo Kardinal Scheffczyk
Zur Marienlehre Karl Rahners

Leo Elders
Karl Rahner und die nichtchristlichen Religionen

Walter Hoeres
Der veruntreute Thomas – Rahners Fehlstart in Freiburg

Alma von Stockhausen
„Die christliche evolutive Weltkonzeption“

Wolfgang B. Lindemann
Karl Rahner und die Evolutionstheorie

Annelie Funke
Der Jesuit Karl Rahner und die Kultur des Christentums

P. Markus Christoph SJM
Karl Rahners Anthropologie und Gnadenlehre

Heinz-Lothar Barth
Rahners Theorie vom anonymen Christentum (Teil I)

Hans Kindlimann
Anmerkungen zum Umgang Karl Rahners mit dem Thema Ablass

Joseph Overath
Frühe Kritiker Karl Rahners nach dem Vaticanum II

Die Zeitschrift "Theologisches" kann hier bestellt werden



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