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| ‚Aurë entuluva!’ – eine literarische Reise ins Abendland29. Dezember 2023 in Buchtipp, 1 Lesermeinung Ein Buch zum 50. Todestag von John R.R. Tolkien, dem Schöpfer des ‚Hobbit’ und des ‚Herrn der Ringe’, herausgegeben von David Engels. Linz (kath.net/jg)
Allen Beiträgen gemeinsam ist der Umstand, dass die Autoren durch die Lektüre von Tolkiens Werk der abendländischen Kultur näher gekommen sind oder diese erst entdeckt haben.
Der Buchtitel „Aurë entuluva!“ ist in der von Tolkien entwickelten Elbensprache Quenya verfasst und bedeutet „Der Tag soll kommen“. Da „Aurë“ auch „Sonnenlicht“ bedeutet, ist „Das Sonnenlicht soll kommen!“ eine weitere mögliche Übersetzung. Die Wahl für den Titel ist sicher kein Zufall, stehen die Elbensprachen doch am Anfang der Entstehung des Legendariums von Mittelerde. Tolkien hat dies in einem 1951 verfassten Brief an Milton Waldman vom Verlag Collins so ausgedrückt: „Hinter meinen Geschichten steht jetzt ein Nexus von Sprachen.“
Sprachen haben nur dann einen Sinn, wenn sie gesprochen werden. So entstehen Völker zu den Sprachen. Völker brauchen eine Geschichte, um zum Leben zu erwachen. Mittelerde ist daher nicht nur eine Kulisse für Abenteuergeschichten, sondern existiert gewissermaßen „aus eigenem Recht“, wie es Anna Bineta Diouf in ihrem Beitrag ausdrückt.
Wer sich ein wenig mit Tolkien beschäftigt hat, wird wissen, dass der „Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ zeitlich am Ende des dritten Zeitalters von Mittelerde angesiedelt sind. In den genannten Werken gibt es eine ganze Reihe von Bezügen zu Ereignissen früherer Epochen. Die Erzählungen aus diesen Zeitaltern sind von Tolkien immer wieder überarbeitet, aber zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht worden. Sein Sohn Christopher hat als literarischer Nachlassverwalter diese Aufgabe übernommen. Die ersten Aufzeichnungen Tolkiens zu Mittelerde stammen aus dem Jahr 1914.
Der Titel „Aurë entuluva!“ steht in engem Zusammenhang mit einem Zitat aus Tolkiens „Silmarillion“, welches dem Buch vorangestellt ist: „Bei Feanors letzten Worten aber, dass die Noldor wenigstens Taten leisten würden, die auf immer in den Liedern leben sollten, da hob er den Kopf, als lauschte er auf eine Stimme von fern, und sagte: ‚So sei es! Als teuer bezahlt mögen jene Lieder gelten, und doch als wohlfeil. Denn der Preis könnte kein anderer sein. Wie Eru zu uns gesprochen: Unerahnte Schönheit werde Ea zuteil, und Böses soll gut sein, wenn es gewesen ist.’“
Das Zitat gibt die Reaktion des engelgleichen Vala Manwe wieder, als dieser hört, was Feanor zur „Prophezeiung des Nordens“ sagt, in welcher ihm eine schwere militärische Niederlage vorausgesagt wird. Feanor weist die Prophezeiung zurück und will trotzdem angreifen. Die angekündigte Niederlage tritt tatsächlich ein. Bei dieser Schlacht fällt, als die Lage bereits aussichtslos ist, der Satz „Aurë entuluva!“
Mit der Auswahl des Zitates führt David Engels den Leser direkt in wesentliche Themen des Tolkienschen Legendariums: Es geht um Wahrheit, Schönheit, den Kampf zwischen Gut und Böse. Der Satz: „Böses soll gut sein, wenn es gewesen ist“, enthält keinen moralischen Relativismus, wie aus dem Kontext, in dem er ausgesprochen wird, hervorgeht. Vielmehr ist damit ein zentrales Element der Erzählungen Tolkiens gemeint, in welchem im Augenblick des Scheiterns des oder der Helden, als alles verloren scheint, durch eine plötzliche, unerwartete und gnadenhafte Wendung das Gute doch noch zum Sieg kommt. Tolkien selbst bezeichnet dieses Ereignis als „Eukatastrophe“. Die Eukatastrophe schlechthin ist die Auferstehung Christi, schreibt Tolkien in seinem Aufsatz „Über Märchen“.
David Engels identifiziert hier ein essenzielles Element des Tolkienschen Universums. Die wahren Helden streben nach dem Wahren, Schönen und Guten, der Sieg bleibt ihnen allerdings aufgrund der Unzulänglichkeit aller irdischen Wesen verwehrt. Er ist nur als gnadenhaftes Geschenk von oben möglich. Der Sieg ist daher nur Belohnung seines Strebens, nicht aber Resultat seiner Taten – „ein zutiefst christlicher, ja genuin katholischer Gedanke“, schreibt Engels wörtlich.
„Tolkiens Welt ist somit tief durchdrungen vom Gedanken an ein transzendent fundiertes System von Pflicht, Ordnung und Gnade“, fährt Engels fort. Jeder hat hier seinen Platz und seine Aufgabe. Glück und Harmonie entstehen nicht durch äußere Mittel wie Technik oder Institutionen, sondern durch das sittliche Verhalten des einzelnen.
Zivilisationen entstehen, wachsen und vergehen im Laufe der Zeitalter Mittelerdes. Immer wieder kommt es zu Verfallserscheinungen. Der Niedergang hat dabei eher innere Gründe als äußere. Der Untergang trägt bei Tolkien immer auch Hoffnung in sich, da die Geschichte an die Transzendenz gebunden ist, stellt Engels fest. Der Ruf „Aurë entuluva!“ bringt diese Hoffnung zum Ausdruck und darf wohl auch auf unsere Zeit bezogen werden, in der eine christlich-abendländische Haltung von vielen, auch einflussreichen Kreisen als ein zu überwindender Anachronismus gesehen wird. David Engels weist in seinem Beitrag übrigens darauf hin, dass sich Tolkien selbst bereits als unzeitgemäß empfunden hat, wie aus seinen Briefen hervorgeht.
Joseph Pearce, der selbst mehrere Bücher über Tolkien veröffentlicht hat, betont in seinem Beitrag ebenfalls den „moralischen Kosmos“, den Tolkien in seinem Legendarium geschaffen hat. Dieser hat zu seiner Bekehrung zum katholischen Glauben beigetragen. Als er 1986 wegen der Herausgabe einer Zeitschrift, die zum Rassenhass aufrief, im Gefängnis saß, war die Lektüre des „Herrn der Ringe“ ein wesentlicher Faktor in seiner Neuorientierung. 1998 führte er ein Interview mit dem russischen Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn. Dieser kannte die Werke christlicher Autoren wie G.K. Chesterton, Hillaire Belloc, C.S. Lewis und John R.R. Tolkien. Im Zuge des Interviews stellte Pearce große Übereinstimmungen in grundsätzlichen Fragen zwischen Tolkien und Solschenizyn fest.
Anna Bineta Diouf verteidigt in ihrem Beitrag „Eine Flucht ins Leben“ Tolkien gegen den Vorwurf, seine Werke seien eine Einladung zum simplen Eskapismus. In Wahrheit sei es genau umgekehrt. Unser Leben spiele sich durch die zunehmende Digitalisierung fast aller Bereiche zunehmend in einer Scheinwelt ab. Tolkiens Mittelerde zeige im Gegensatz dazu die reale Welt, in der Freundschaft und Verrat, Reue, Vergebung, Grausamkeit, Mitgefühl eine Rolle spielen. Hier werde angesprochen, was das Leben tatsächlich ausmacht, schreibt sie.
Marco Gallina stellt das Werk Tolkiens den Büchern von Terry Pratchett, dem meistverkauften britischen Autor der 1990er Jahre, gegenüber. Er verortet Pratchetts geistige Heimat im liberalen britischen Empire des 19. Jahrhunderts. Tolkien hingegen sei im (früh-)mittelalterlichen England verankert. Trotz der Religionskritik in Pratchetts Werk, welches teilweise als Satire auf Tolkiens Werk gelesen werden könne, sei Pratchett kein „plumper Atheist“, sondern eher ein „zweifelnder Agnostiker“. Tolkien sei der Autor, an dem kein Schriftsteller vorbei komme, der sich in den Bereich der Fantasy begebe. Das gelte auch für Autoren, die sich klar gegen die moralische Ordnung wenden, die Tolkiens Kosmos bestimmt, wie beispielsweise George R.R. Martin.
David Boos erzählt in seinem Beitrag von dem Weg, den sein Alter Ego „Adaham“ vom „linken Revoluzzer“ zum „reaktionären Monarchisten“ gemacht hat. Ein wesentlicher Schritt war dabei die Lektüre des „Herrn der Ringe“, den er zunächst angeschafft hatte, um seine Englischkenntnisse zu verbessern. Für ihn ist die Barmherzigkeit ein wesentliches Element im „Herrn der Ringe“, wie es etwa im Verhältnis von Bilbo und Frodo Beutlin zu Gollum zum Ausdruck kommt. Beide hätten die Möglichkeit gehabt, Gollum zu töten, ließen ihn aber aus Barmherzigkeit am Leben. Gollums Eingreifen am Ende des „Herrn der Ringe“ führte, von ihm unbeabsichtigt, zur Zerstörung des Ringes.
Der Artikel von Marion du Faouët fällt insofern aus der Reihe, als sich die Autorin nicht mit Werken Tolkiens auseinander setzt, die in Mittelerde angesiedelt sind, sondern mit dessen nur im Fragment vorhandenen Nachdichtung der Artus-Sage. Christopher Tolkien hat die 957 Verse im Jahr 2013 unter dem Titel „König Arthurs Untergang“ veröffentlicht. Artus/Arthur ist hier nicht als triumphierender christlicher König zu sehen. Von seiner engsten Umgebung verraten, muss er sich in seinem letzten Kampf der heidnischen Barbarei entgegenstellen. Seine Welt geht unter. Auch in diesem Werk erfüllt der Held der Geschichte in scheinbar aussichtsloser Position seine Pflicht und verteidigt die abendländische Kultur gegen den Ansturm der Barbarei.
Der polnische Politologe, Autor und Übersetzer Ryszard Derdzinski ist dem Werk Tolkiens erstmals im damals noch kommunistischen Polen begegnet. Entsprechend sensibel ist er gegenüber Zensurversuchen und postmodernen Neuinterpretationen, die heute sogar Tolkien-Gesellschaften ein Anliegen sind. Derdzinski war Mitglied der britischen Tolkien-Society, hat diese aber aus den genannten Gründen verlassen. Geht es nach der Tolkien-Society, soll das Werk Tolkiens dem aktuellen „Wokeismus“ angepasst werden, damit es der Agenda des zeitgenössischen linken Liberalismus entspricht, kritisiert Derdzinski. Beim Sommerseminar der Tolkien-Society 2021, welches unter dem Titel „Tolkien and Diversity“ stattgefunden hat, waren Themen wie „Pardoning Saruman! The Queer in Tolkien’s ‚The Lord of the Rings’“, „Gondor in Transition: A Brief Introduction to Transgender Realities in The Lord of the Rings“ oder „Something Mighty Queer: Destabilizing Cishetero Amatonormativity in the Works of Tolkien“ angekündigt. Derdzinski wurde selbst Opfer der Zensur der Facebook-Seite der Tolkien Society, als er dort Bilder der St. Aloysius Kirche in Oxford veröffentlichte, die Tolkien regelmäßig besucht hat. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Veröffentlichung religiöser Inhalte nicht gestattet sei – auf einer Facebook-Seite, die dem Werk des tiefgläubigen Katholiken John R.R. Tolkien gewidmet ist. Die Dekonstruktion von Tolkiens Werk, welches „natürlich ein fundamental religiöses und katholisches Werk“ ist, wie Tolkien selbst in einem Brief an den Jesuitenpater Robert Murray schreibt, hat – so sieht es Derdzinski – nach dem Tod von Christopher Tolkien im Jahr 2020 begonnen.
Damien Bador ist Luftfahrtingenieur, wenn man seinen Beitrag liest, hat man allerdings eher den Eindruck, man habe es mit einem hauptberuflichen Sprachwissenschaftler und Experten für Mythologie zu tun. Ausgehend von den Anhängen des „Herrn der Ringe“ hat er sich mit den von Tolkien entwickelten Sprachen beschäftigt, sich aber auch in die germanische, walisische, skandinavische und finnische Sagenwelt vertieft. Er leitet die Sprachabteilung der französischen Tolkien-Gesellschaft. Durch die Lektüre von Tolkien habe sich auch sein Glaube vertieft, dem er zuvor eher mit intellektuellem Interesse begegnet sei. Noch mehr als eine Karte zu Kultur und Geisteswissenschaften sei Tolkiens Werk ein ethischer und religiöser Kompass, schreibt Bador.
Charles Coulombe sieht im „Herrn der Ringe“ in erster Linie eine „Meditation über die Beziehung zwischen Gnade und freiem Willen“. In seinem Beitrag verweist er auf eine ganze Reihe von Parallelen zwischen den Ereignissen in „Der Herr der Ringe“ und der europäischen Geschichte. Tolkien habe ihm auch in seiner persönlichen Orientierung geholfen, insbesondere durch seine Briefe, die 1981 zum ersten Mal veröffentlicht worden sind. Sei es durch seine Kommentare zum Zustand der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, zu seinen politischen Ansichten oder zum Verständnis Europas als christliches Abendland – er habe sich in den Gedanken Tolkiens wiedergefunden, schreibt Coulombe. Nicht zuletzt das Wissen um die Hoffnung in dunkler Zeit, wie sie Tolkien im „Herrn der Ringe“ dargestellt habe, erfülle ihn mit großer Dankbarkeit.
Wer sich im komplexen, über verschiedene Völker, Reiche und drei Zeitalter erstreckenden Legendarium von Mittelerde ein wenig verloren vorkommt, findet im Artikel von Michael Hageböck Abhilfe, der als erfahrener Reiseführer einen Überblick über „Landschaften, Lieder und Leute in Tolkiens Legendarium“ gibt. Im letzten Artikel des Buches, der als „Anhang und Vertiefung“ gedacht ist, stellt Hageböck zunächst verschiedene Orte dar, die dem Leser aus dem „Hobbit“ und dem „Herrn der Ringe“ bekannt sind. Dann folgt eine kurze Darstellung der Landschaften, in denen die Ereignisse der drei Zeitalter stattfinden. Nach einem Überblick über die wesentlichen Ereignisse des ersten Zeitalters und die darin verwickelten Völker sowie bedeutende Einzelpersonen kommt Hageböck zur Interpretation zweier Lieder, die im „Herrn der Ringe“ eine vielleicht wenig beachtete, aber dennoch wichtige Rolle spielen. „Die Straße gleitet fort und fort“ verbindet den „Herrn der Ringe“ nicht nur mit dem „Hobbit“, weil das Lied in beiden Romanen vorkommt, sondern ist eine Parabel auf das Leben selbst. In „Der Herr der Ringe“ leitet das Lied zu dem Hymnus „Elbereth Gilthoniel“ über, dem Hageböck den vorletzten Abschnitt seines Beitrages widmet. Mit viel Referenzmaterial belegt er die zahlreichen Parallelen zwischen Elbereth und der Gottesmutter Maria. „Der Pfad, welcher an der Türschwelle von Beutelsend beginnt, endet im Segensreich; letztlich sind sämtliche Märchengestalten bei Tolkien in ein christliches Gesamtkonzept eingefügt“, schreibt er wörtlich.
Mit „Aurë entuluva!“ ist David Engels eine höchst interessante und lesenswerte Sammlung von Beiträgen gelungen, die den Leser von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten und Perspektiven tiefer in das umfangreiche Legendarium Tolkiens führen und zeigen, wie die christlich-abendländische Kultur gewissermaßen die immer wieder durchscheinende Folie ist, auf welcher der Autor Mittelerde gezeichnet hat, ohne dabei in die von ihm abgelehnten Allegorien zu verfallen. Die erste Auflage ist bereits vergriffen, die zweite ist nach Angaben des Verlages voraussichtlich ab 27. Dezember erhältlich.
Aurë entuluva! Von David Engels (Hrsg.) Broschur, 272 Seiten ISBN: 978-3-95621-167-6 Verlag Renovamen 2023 Preis: Euro 19,95
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