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Die Anfänge der Nikolaus-Verehrung im Westen

6. Dezember 2013 in Chronik, 1 Lesermeinung
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Die in Köln begrabene Kaiserin Theophanu brachte ihre beiden Lieblingsheiligen mit in das Reich zwischen Rhein und Elbe: St. Nikolaus und St. Pantaleon. Von Michael Hesemann


Düsseldorf (kath.net) Gemeinhin wird angenommen, der Transfer der Reliquien des hl. Nikolaus von Myra in Kleinasien nach Bari in Apulien im Jahre 1087 habe auch den Beginn der Verehrung dieses großen Heiligen im Westen Europas markiert. Tatsache ist zumindest, dass sie dadurch einen Aufschwung nahm. Als Papst Urban II. 1095 zum Ersten Kreuzzug aufrief, wurde Bari von einem Teil des Kreuzfahrerheeres als Hafen genutzt, um ins Heilige Land überzusetzen. Sie erfuhren dort vom hl. Nikolaus als Patron der Seefahrer, riefen ihn an um eine sichere Überfahrt und erzählten von ihm, als sie in ihre Heimat zurückkehrten. Nicht wenige Patrozinien dürfen auf Gelübde zurückgehen, die dort, in Bari, abgelegt wurden, sollte der Heilige erfolgreiche Fürsprache für eine sichere Reise geleistet haben. (1)

Doch die Anfänge der Nikolaus-Verehrung in Westeuropa reichen viel weiter zurück. Sie haben ihren Ursprung auch nicht in Bari oder Myra, sondern in Konstantinopel, dort, wo Kaiser Justinian schon im 6. Jahrhundert eine Kirche zu Ehren des hl. Nikolaus stiftete. (2) Verantwortlich für seine Verbreitung waren zwei Gruppen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten: Benediktinische Mönche und das familiäre Umfeld einer byzantinischen Prinzessin, die für wenige Jahre zur Regentin des deutschen Kaiserreiches wurde. Ihr Name: Theophanu. Mit ihr wollen wir unsere Untersuchung beginnen.

Auf die tausendjährige Tradition des römischen Kaisertums blickte das „neue Rom“ (Roma Nova), Konstantinopel, zurück, das Kaiser Konstantin der Große im Jahre 330 zur neuen Reichshauptstadt machte. Während es sein Ziel war, das von Diokletian geteilte Reich wieder zu vereinen, setzten seine Nachfolger die Teilung fort: zu unmöglich war es, das von allen Seiten bedrängte Riesenreich noch zentral zu verwalten. So ging das weströmische Reich mit der alten Hauptstadt im 5. Jahrhundert unter dem Ansturm germanischer Stämme unter, während das oströmische Reich, wenngleich seit dem Vormarsch des Islam im 7. Jahrhundert um beträchtliche Ländereien reduziert, bis zur blutigen Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 Bestand hatte.

Erst ein Papst, der bedrängte Leo III., wagte es, den von Konstantin legitimierten Anspruch Konstantinopels auf die römische Kaiserkrone infrage zu stellen, als er den Frankenkönig Karl, der ihm zuvor Schutz geboten hatte, zum (west-)römischen Kaiser krönte und damit noch enger in die Pflicht nahm. Auf dem Höhepunkt seiner Macht träumte der Aufsteiger davon, die byzantinische Kaiserin Irene, die ebenso dringend eines Beschützers bedurfte, zu ehelichen und das Reich zu vereinen. Für den byzantinischen Hof freilich war die Vorstellung, der Abkömmling eines Barbarenvolkes könnte nicht nur zum Kaiser werden, sondern auch noch die Hauptstadt in den Westen verlagern, völlig inakzeptabel; in einer Palastrevolte wurde Irene entmachtet und auf die Insel Lesbos verbannt. (3)

Die Uneinigkeit seiner Söhne machte Karls Traum von einer „Renovatio Imperii Romani“ (Wiederherstellung des Römischen Imperiums) schnell zunichte, bis anderthalb Jahrhunderte später wieder ein Mann seines Kalibers nach der Macht strebte. Der sächsische Herzogsohn Otto I. ließ sich zunächst zum deutschen König, dann, 962, in Rom zum „weströmischen“ Kaiser krönen. Auch den Plan Karls des Großen nach einer Reichseinigung durch Heirat griff er wieder auf. So entsandte er insgesamt drei Delegationen nach Konstantinopel, um für seinen Sohn Otto II. eine „purpurgeborene“ Prinzessin als Braut zu erbitten.


Zweimal wurde das Gesuch abgelehnt; für den selbstbewußten Kaiser Nikephoros Phokas (963-969) war die Vermählung seiner Nichte (er selbst war kinderlos) mit einem barbarischen Emporkömmling indiskutabel. (4) Erst als Nikephoros Phokas ermordet worden war und sein Neffe Johannes Tzimiskis (969-976) den Thron bestiegen hatte, ergab sich eine neue Möglichkeit für die ottonische Heiratsdiplomatie; der neue Kaiser brauchte nämlich dringend einen starken Verbündeten. So entsandte Otto I. im April 971 den Kölner Erzbischof Gero nach Konstantinopel, der tatsächlich ein Jahr später mit einer Braut für Otto II. zurückkehrte; freilich keiner „purpurgeborenen“ Prinzessin, aber immerhin einer Nicht des (kinderlosen) Kaisers, der besagten Theophanu (955/60-991). (5)

Auch wenn Ottos Traum von einer Wiedervereinigung des Römischen Imperiums dadurch scheiterte, stellte die Vermählung doch eine hohe Anerkennung für die deutschen Emporkömmlinge dar. Doch was Theophanu dann wirklich bewirkte, das war mehr als ein kurzfristiger politischer Triumph. Denn in dem folgenden Jahrzehnt, bis zu ihrem verfrühten Tod 983, gelang es der jungen Kaiserin aus dem Osten durch ihre reine Präsenz, ihr Vorbild und ihren Einfluss, aber auch durch die Phalanx byzantinischer Gelehrter und Kleriker, die in ihrem Gefolge in Ottos Reich gekommen waren, eine Kulturrevolution auszulösen, die von Historikern völlig zurecht als „ottonische Renaissance“ bezeichnet wird. Die „Griechin“, wie sie ebenso bewundert wie befremdet von ihren Untertanen genannt wurde, schaffte es zunächst an der Seite ihres Mannes, dann als Regentin anstelle ihres damals noch unmündigen Sohnes Otto (III.), byzantinischen Geist, byzantinische Kunst und byzantinische Kultur in das noch unzivilisierte Barbarenland im Westen zu importieren. So wurden die Ottonen, mehr noch als Karl der Große, zu den eigentlichen Begründern des „Heiligen Römischen Reiches“, des deutschen Kaiserreiches. (6)

Vor allem aber brachte Theophanu ihre beiden Lieblingsheiligen mit in das Reich zwischen Rhein und Elbe. Das war einmal der heilige Arzt Pantaleon, von dem Bischof Gero in Konstantinopel auf ihre Fürsprache hin kostbare Reliquien erhielt und diese in die romanische St. Pantaleonskirche in Köln überführte; sie wurde zu Theophanus Lieblingskirche, der sie nicht nur das beeindruckende Westwerk anfügte, sondern in der sie auch ihre letzte Ruhestätte finden sollte. (7) Vor allem aber war es der hl. Nikolaus, dessen Verehrung im Westen durch sie Einzug nahm. Ganz offensichtlich hat Theophanu den Bischof von Myra zu einer Art „Hausheiligen“ (8) oder „Familienheiligen“ (9) der ottonischen Dynastie gemacht. So kam es zu Lebzeiten der Kaiserin in Deutschland zu fünf Patrozinien des hl. Nikolaus: Eine Kapelle in Kempten wurde ihm 973 geweiht, eine Kirche in Halberstadt 974, eine weitere in Meißen 984, in Weende bei Göttingen 987 und in Lipbach 990. Die Kirchweihe in Weende führte der Mainzer Erzbischof Willigis durch, ein persönlicher Berater der Kaiserin. (10) Ebenfalls aus dieser Zeit stammt das erste in Deutschland verfasste Officium zu Ehren des hl. Nikolaus, ein Werk des Bischofs Reginold von Eichstätt (966-991) (11). Doch auch die so reiche Nikolaus-Verehrung in den Niederlanden geht auf Theophanu zurück. So ließ sie aus Dank für die glückliche Geburt ihres Sohnes Otto (III.) im Jahre 980 neben ihrer Lieblingspfalz in Nimwegen eine nach byzantinischem Vorbild achteckige Kapelle errichten, die sie dem heiligen Bischof von Myra weihte. (12) So verwundert nicht, dass auch St. Pantaleon in Köln im Besitz von Nikolaus-Reliquien kam, wohl Dank einer Stiftung der Kaiserin. (13)

Otto III. (980-1002) führte die Tradition der Nikolausverehrung fort. So beauftragte er 997 den kalabresischen Benediktinermönch Gregor von Cerchiara mit der Gründung der Abtei Burtscheid in unmittelbarer Nähe seiner Reichshauptstadt Aachen. Ihre Klosterkirche war dem hl. Johannes dem Täufer und dem hl. Nikolaus geweiht, was die Klosterchronik ausdrücklich damit begründet, dass der Kaiser „mütterlicherseits Grieche“ (14) war. Zum kostbarsten Schatz der Abtei wurde die sogenannte „Burtscheider Ikone“, die als älteste bekannte Nikolaus-Darstellung in Westeuropa gilt. Bei ihr handelt es sich um ein byzantinisches Mikro-Mosaik aus dem 10. Jahrhundert, das der Überlieferung nach aus dem Brautschatz der Theophanu stammte. (15) Caesarius von Heisterbach (1180-1240), ein gelehrter Zisterziensermönch, behauptet dagegen, es sei noch zu Lebzeiten des Heiligen entstanden, Abt Gregor, ein griechischer Königssohn, habe es nach Burtscheid gebracht. (16)

Ein weiteres Kloster, das zum Zentrum der ottonischen Nikolaus-Verehrung wurde, war die Abtei Brauweiler bei Köln. Sie entstand auf dem Gelände eines Hofguts, auf dem Theophanus Tochter Mathilde um 992 den Pfalzgrafen Ezzo-Ehrenfried geheiratet hatte. Das Paar besorgte sich 1024 auf einer Wallfahrt nach Rom vom Papst persönlich die Erlaubnis zur Klostergründung, mit der nach Vermittlung des Kölner Erzbischofs der Abt Poppe von Stablo beauftragt wurde. Die Abteikirche wurde 1028 – drei Jahre nach Mathildes Tod - dem hl. Nikolaus geweiht, dessen Reliquien aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Nachlass Theophanus stammten. Jedenfalls wurde Brauweiler bald zum Zentrum der Nikolausverehrung im Westen und zum Ziel zahlreicher Wallfahrten. So berichtet das „Chronicon Brunwyltense“, dass sogar der berühmte Kreuzzugsprediger und Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux eigens 1147 nach Brauweiler pilgerte, um „mit höchster Andacht und vollem Herzen“ vor dem Hochaltar zum hl. Nikolaus zu beten und danach die offenbar beachtlichen Reliquien „mit Ehrfurcht“ zu betrachten. (17) Laut Caesarius von Heisterbach gehörte dazu ein Zahn des Heiligen, der in einer gläsernen Schaumonstranz von den Mönchen auch in benachbarte Ortschaften getragen wurde. (18) Eine andere prominente Reliquie, die in Brauweiler verehrt wurde, war laut Caesarius ein Finger des Heiligen, der in einem kristallenen Behälter aufbewahrt wurde und einmal, als unandächtige Mönche ihn zum Almosensammeln mitnahmen, angeblich zu bluten begann. (19) So zahlreich waren die Wunder, die den Nikolausreliquien zugeschrieben wurden, dass Brauweiler bald zu einer der reichsten und berühmtesten Abteien des Erzbistums Köln wurde. Nachbildungen des Brauweiler Kultbildes, einer überlebensgroßen Plastik des Heiligen, fanden, meist in Lindenholz geschnitzt, in zahlreichen Kirchen des 12. Jahrhunderts ihre Heimat. So ist zu erklären, dass noch zwischen 1056 und 1075 der Kölner Erzbischof Anno II. fünf Kirchen, Kapellen und Altäre im Erzbistum dem Bischof von Myra weihte, während der Nikolaustag, der 6. Dezember, seit dem 12. Jahrhundert mit einer eigenen Meßliturgie gefeiert und seit dem 13. Jahrhundert sogar im Bistum Köln zum einheitlichen Feiertag erklärt wurde. (20) So stellt Andreas Schmitt sicher zurecht fest, dass, ausgehend wohl von Theophanus Stiftung in St. Pantaleon, Köln bald „d a s Zentrum des frühen deutschen Nikolauskults gewesen sein mußte“ (21), wo der Kult des heiligen Bischofs „bereits 200 Jahre nach dem Tod Theophanus ... fest installiert war“. (22)

Der zweite „Strang“ der Nikolausverehrung, der sich in den genannten Klöstern mit dem von Kaiserin Theophanu propagierten Kult vereinte, geht auf die Benediktiner zurück. Hier war es der hl. Liudger (742-809), der Gründerbischof des Bistums Münster, der zwischen 784 und 787 das berühmte Benediktinerkloster auf dem Monte Cassino besucht hatte und dort in die Nikolausverehrung eingeweiht worden war. Noch vor 800 weihte er in Billerbeck eine Kirche dem heiligen Bischof von Myra – die älteste Nikolauskirche in Nordeuropa! Benediktiner waren es auch, die um 842 die Stratelatenlegende um den hl. Nikolaus in den Reichenauer Codex aufnahmen und damit erstmals in Westeuropa fixierten. So ist auffällig, dass sich der Nikolaus-Kult anfangs gerade im monastischen Bereich ausbreitete, wie die Vielzahl der dem eigentlich byzantinischen Heiligen zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert in Deutschland geweihten Benediktinerabteien (nach Burtscheid und Brauweiler auch Ahausen ca. 1125, Bursfeld 1093, Komburg, Memmingen 1168, Münsteinach 1102 sowie Frauenklöster des 12. Jahrhundert in Augsburg, Eisenach, Kornberg und Göttingen) eindrucksvoll belegt. (23)

Schon deshalb stieß die neue Welle der Verehrung, die mit der Translation der Reliquien 1087 nach Bari begann und sich durch die zurückgekehrten Kreuzfahrer auf den ganzen Westen ausbreitete, bereits auf äußerst fruchtbaren Boden. So kommt es, dass noch heute, 2012, in Deutschland knapp 400 der rund 12.000 katholischen Pfarrkirchen dem Patrozinium des hl. Nikolaus unterstehen – ganze 3,3 %, so viel wie keinem anderen heiligen Bischof. (24) So wurde der Patron der Seefahrer auch zum Brückenbauer zwischen Byzanz und Rom, zwischen der Orthodoxen und der Katholischen Kirche, aber auch zwischen Rußland und Deutschland.

Das älteste Kultbild des heiligen Nikolaus im Westen: Die Nikolaus-Ikone von Burtscheid bei Aachen, die der Tradition nach zum Brautschatz der byzantinischen Kaiserin Theophanu gehörte, entstand im 10. Jahrhundert in Konstantinopel.


Foto © kath.net/Michael Hesemann


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Lesermeinungen

  6. Dezember 2013 
 

Vielen Dank

für diesen wirklich aufschlussreichen Artikel!

Es fasziniert mich jedes Jahr aufs Neue, dass - trotz aller Verweltlichung - die beiden ersten Nicht-Märtyrer-Heiligen des Ostens (Nikolaus) und des Westens (Martin) so im Brauchtum unseres Landes verankert sind.


2
 

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