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Der heilige Johannes von Kronstadt

25. März 2009 in Weltkirche, keine Lesermeinung
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Durch ihn wurde Patriarch Kirill als Kind geheilt. Über Seelsorge, Josefsehe und Heilungsgabe des russisch-orthodoxen Priesters zum 100. Todestag. Von P. Sebastian Hacker OSB.


Wien (kath.net) Das Leben der Heiligen kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden – dogmatisch, soziologisch, psychologisch, geschichtlich. Was den Heiligen Johannes von Kronstadt 100 Jahre nach seinem Tod interessant macht, ist sein Leben an der Wende der russischen Geschichte. Heute befindet sich die russische Gesellschaft ebenso an einer entscheidenden Wende, zwanzig Jahre nach der Perestroika sucht Russland nach Orientierung für seine gesellschaftliche Entwicklung. Die junge Demokratie lebt von Werten, die sie sich nicht selbst geben kann. Sie sucht nach Werten, die in der Sowjetdiktatur nur im Untergrund überlebt haben. Der heilige Johannes von Kronstadt setzt einen Akzent, der nicht nur der modernen Seelsorge, sondern dem Leben jedes Christen eine aktuelle Richtung zeigt.

Die persönliche Ausstrahlungskraft

In seiner posthum veröffentlichten Botschaft zum 100. Todestag des Heiligen wies Patriarch Aleksij II. darauf hin, dass das Tagebuch des heiligen Priesters von Kronstadt in der Zeit der kommunistischen Verfolgung abgeschrieben und unter der Hand verbreitet worden war. Die Menschen fanden in ihm „Stärkung für ihr Standhalten im Glauben und in der Frömmigkeit“. 1989 wurde das von ihm gegründete Nonnenkloster in St. Petersburg wieder besiedelt, dort ist er bestattet, heute lebt dort wieder eine blühende Gemeinschaft. 1990 wurde er unter großer Anteilnahme des Volkes heiliggesprochen.

„Ich lebe nicht für mich, sondern für die anderen“, hatte der in ganz Russland bekannte und immer noch geschätzte Seelsorger gesagt. Vor seiner Wahl zum Nachfolger Aleksijs II. feierte Patriarch Kirill am 2.Jän. 2009 die Liturgie zum 100. Todestag des heiligen Johannes gerade in diesem Petersburger Kloster. Er berichtete von einer persönlichen Erfahrung mit dem wundertätigen Wirken des Heiligen.

Patriarch Kirills Heilung

Kirill wuchs nach dem Krieg in Leningrad in einer schmucklosen, sehr beengten Kommunalka, einer typisch sowjetischen Wohnung für mehrere Familien auf. Als Fünfjähriger litt er lange an einer nicht ausheilenden Lungenentzündung. Das einzige Bild in der Wohnung war ein kleines gefärbtes Foto des heiligen Johannes. Als Kind betrachtete es Kirill gerne, seine Mutter legte es ihm auf die Brust, wenige Tage darauf war er gesund.

Noch geschwächt, wollte er zum Grab des heiligen Seelsorgers, an dem er mehrere Jahrzehnte danach als Patriarchenstatthalter Liturgie feierte. Zu dieser Zeit kamen die Gläubigen nur bis zu einem vergitterten Fenster des ehemaligen Klosters und damaligen Militärgebäudes, hinter dem sich das Grab befand, und legten verstohlen, beobachtet von einem Polizisten, auf der Straße Blumen hin und zündeten Kerzen an. Seine Mutter und er dankten dem Heiligen an diesem, allen Petersburgern bekannten Fenster. Erst nach der politischen Wende wurden eine Ikone des Heiligen und ein Kerzenständer angebracht. Wer war der heilige Johannes, der bis heute das einfache Volk bis zu den Spitzen der Kirche fasziniert?

Kindheit und Jugend

Geboren wurde der hl. Johannes von Kronstadt am 19.Okt.1829 im Dorf Sura im äußersten Norden des europäischen Teils Russlands im Gouvernement von Archangelsk in der Familie des armen Dorfmessners Ilija Sergiev und seiner Frau Feodora. Johannes war so schwach und kränklich, dass sie ihn sofort tauften. Es war am Gedenktag des hl. bulgarischen Abtes Johannes von Rila (†946), dessen Namen er erhielt.

Als er daraufhin erfreulich schnell gesundete, führten dies seine tiefgläubigen Eltern auf das Sakrament der Taufe zurück. Mit besonderem Eifer suchten sie seine Gedanken und Gefühle zu Gott hin zu lenken. Von frühester Kindheit an nahm ihn der Vater in die Kirche mit. Er lernte, die Liturgie zu lieben. So wuchs Johannes in einer tiefreligiösen Atmosphäre auf.

Andererseits prägten ihn das Leben in Armut, der freudlose Anblick von Leid, Kummer und Tränen. Diese Erfahrungen formten seinen Charakter. Es wird überliefert, dass er ein nachdenkliches, konzentriertes und verschlossenes Kind war und gleichzeitig tiefes Mitleid und mitfühlende Liebe zu den Armen zeigte. Ihn faszinierten weniger die Spiele seiner Altersgenossen als die Natur, die die Größe des Schöpfers widerspiegelte. In der Schönheit der Natur fand er Ruhe und Trost.

Sein Vater unterrichtete ihn vom sechsten Lebensjahr an. Der Erfolg war mäßig, was den Buben selbst betrübte. In dieser Zeit lernte er inbrünstig zu Gott zu beten. Johannes wurde von seinem Vater in die Pfarrschule von Archangelsk geschickt, mit den letzten Mitteln der bescheidenen Einkünfte. Dort fühlte er sich einsam und betete noch mehr und öfter als zuvor. Das zeigte bald seine Wirkung: Einmal spürte er nachts eine tiefe Erleichterung in seinen Gedanken. Plötzlich konnte er sich an die Worte des Lehrers aus dem Unterricht erinnern. Er sprang aus dem Bett, begann zu lesen und entdeckte, wie leicht er sich plötzlich alles merken konnte.

Die Erfolge hielten an: Er schloss die Pfarrschule ab, absolvierte erfolgreich die Ausbildung im Archangelsker Priesterseminar und erhielt ein staatliches Stipendium für das Doktorat in der St. Petersburger Geistlichen Akademie. Seine Erfolge brachten ihn aus dem kleinsten Dorf in die Hauptstadt der Russischen Monarchie.

Ilija Sergiev, sein Vater, starb, als Johannes im Seminar war. Dieser Verlust traf ihn sehr. Er wollte sich eine Stelle als Messner oder Psalmensänger suchen, um seine alte Mutter zu versorgen. Doch sie bestand darauf, dass er seine geistliche Ausbildung fortsetzte. Im fernen St. Petersburg vergaß er seine Mutter nicht. Er schickte ihr sein Erspartes, das er sich mit Kanzleiarbeit verdiente.

Der junge Priester

Johannes wollte erst als Missionar nach Sibirien und Nordamerika, dann sah er sich aber in einem Traum als Priester in der Andreas-Kirche von Kronstadt, obwohl er selbst noch nie dort gewesen war. Das nahm er als Zeichen der Vorsehung. Als er 1855 sein Studium an der Petersburger Akademie mit dem Titel des „Kandidaten der Theologie“ (entspricht dem Doktorat) abschloss, wurde ihm tatsächlich vorgeschlagen, Elisaveta, die Tochter des Pfarrers der Andreas-Kirche K. Nesvitskij zu heiraten. Er erinnerte sich an seinen Traum, nahm sie zur Frau und ließ sich am 12.Dez.1855 zum Priester weihen. Sein weiteres Leben spielte sich von nun an in Kronstadt ab, er unterschrieb sogar oft mit „Kronštadtskij“, sodass viele seinen eigentlichen Nachnamen „Sergiev“ nicht kannten.


Sie lebten in völliger Enthaltsamkeit

Die Vita stellt zu seiner Ehe, die die orthodoxe Kirche für den sog. weißen Klerus, die Weltpriester, vorsieht, fest: Sie lebten in völliger Enthaltsamkeit, eine Verbindung wie zwischen Bruder und Schwester. So schlug er seiner Frau schon zu Beginn ihrer Ehe vor, sich ganz dem Dienst Gottes zu weihen. Johannes führte ein asketisches Leben, das er aber gegenüber seiner Umwelt verbarg. Er lebte aus dem unaufhörlichen Gebet, aus geistigem und körperlichem Fasten. Sein Tagebuch „Mein Leben in Christus“ gibt ein deutliches Zeugnis über seinen unsichtbaren Kampf mit den Gedanken der Sünde. Aber auch die tägliche Eucharistie, die er sich zur Regel machte, war notwendigerweise mit Enthaltsamkeit verbunden. Auf Ikonen wird er deshalb mit einem Kelch dargestellt.

Der Heilige geht zu den Armen und Geplagten

Als der hl. Johannes erste Bekanntschaft mit seinen Pfarrkindern machte, sah er, dass ihn hier keine geringeren Herausforderungen erwarteten als in fernen heidnischen Ländern. Er traf auf Glaubenslosigkeit, Heidentum, Sekten und völlige religiöse Gleichgültigkeit. Kronstadt befindet sich auf der St. Petersburg vorgelagerten Ostsseeinsel Kotlin, ursprünglich 1704 von Peter I. als Marinestützpunkt gegründet.

Heute ist die Stadt über einen Damm mit der 48 km entfernten Stadt St. Petersburg verbunden und aufgrund seiner besonderen Architektur UNESCO-Weltkulturerbe. Dazu zählt auch die Marinekirche des hl. Nikolaus, deren Grundstein zur Errichtung der hl. Johannes von Kronstadt gesegnet hatte und die jetzt mit Unterstützung eines hochrangigen Komitees (Patriarch Kirill, Präsidentengattin Svetlana Medvedeva, Admiral V. F. Vysockij, der Moskauer Bürgermeister J. Lužkov…) restauriert werden soll. Die Kirche war von 1913 bis 1929 für Gläubig zugänglich, wurde aber 1932 unter sowjetischer Regierung in ein Kino und dann in ein Offizierskasino umgewandelt.

Kronstadt diente Ende des 19. Jh. als Ausweisungsort für Petersburger aus kriminellem Milieu. Viele arbeiteten als Hilfsarbeiter im Hafen, waren Bettler oder Alkoholiker, lebten zusammengepfercht in armseligen Hütten. Die Stadtbewohner hatten von ihnen einiges zu ertragen. Nachts war es gefährlich auf den Straßen.

Der hl. Johannes besuchte die Ausgestoßenen täglich in ihren Wohnungen, hörte sich ihr Leid an, tröstete sie, half ihnen auch materiell, sorgte sich um die Kranken. Nicht selten kehrte er ohne Obergewand und sogar ohne Stiefel nach Hause zurück, heißt es in seiner Vita. Er gab den Leidenden ihr verlorenes menschliches Antlitz zurück.

Die Gabe der Heilung

Das soziale Verhalten des jungen Priesters rief harten Widerspruch hervor, er wurde verleumdet, als „Narr“ verspottet. Seine ehrlichen Absichten wurden in Abrede gestellt. Die Diözesanleitung untersagte zeitweise, dass er Spenden in bar erhalte, da er alles bis auf die letzte Kopeke sofort an Bedürftige weitergab. Johannes ertrug den Spott und die Verfolgungen mit Gottes Hilfe. Seine Gegner wurden wenig später seine Förderer. „Jeden Menschen muss man in seiner Sünde und seiner Schande lieben. Man darf den Menschen – das Abbild Gottes – nicht mit dem Bösen, das in ihm wohnt, verwechseln…“, mahnte er.

Bald offenbarte sich im hl. Johannes die göttliche Gabe der Wundertätigkeit. Die zahllosen Wunder wurden zum Großteil von der liberalen Presse verschwiegen, so die Vita, aber sein erstes Wunder ist aus einem Bericht erhalten, den er seinen Mitbrüdern gegeben hat: Er betete für einen Kranken auf Drängen einer gottesfürchtigen Frau, die von der Wirksamkeit seines Gebetes überzeugt war. Erst zögerlich, willigte er doch ein, da er es sich zum Grundsatz gemacht hatte, niemandes Bitten abzuweisen. Der Kranke wurde gesund, und der tiefgläubige Priester erkannte darin den Willen Gottes für sich, die Genesung der Kranken zu erflehen.

Die Heilungen ereigneten sich bei persönlichen Besuchen, in Volksmengen und über räumliche Distanz auf Bitten in Briefen und Telegrammen. Auch andersgläubige – Moslems und Juden – wurden geheilt. Seine Bekanntheit reichte über die Landesgrenzen hinaus. Es scheint, dass die Kraft, Wunder zu wirken, erst in ihm wirksam wurde, als er innerlich zur vollkommenen Gottes- und Nächstenliebe bereit war. Diese Kraft vermehrte seinen Ruhm, den er aber für die Sorge um die Armen nützte.

Die Leute kommen von selbst zum Heiligen

Von nun an pilgerten Menschen aus allen Teilen der russischen Monarchie zum Heiligen von Kronstadt. Täglich kamen Tausende nach Kronstadt. Noch mehr schrieben ihm, so dass die lokale Post eine eigene Abteilung für seine Korrespondenz eröffnen musste. Sein Ruf brachte ihm auch beachtliche Summen an Spenden ein. Er gab sie sofort an die Armen weiter, deshalb können die Spenden nur geschätzt werden. Es waren laut Vita nicht weniger als eine Million Rubel im Jahr, für damalige Zeiten unvorstellbar viel.

Mit diesen Mitteln verköstigte der hl. Johannes täglich Tausende Bedürftige, errichtete in Kronstadt mit großen Mühen 1882 das erste russische „Haus der Arbeitsliebe“ mit einer Kirche, Schule, Werkstätten für Männer und Frauen und einem Waisenheim usw. In den Werkstätten arbeiteten im Lauf eines Jahres 25.000 Menschen, die Schule betreute 300 Kinder. 1888 eröffnete ein Nachtasyl, 1891 eine Fremdenherberge.

In seinem Heimatdorf gründete er ein Frauenkloster und ließ eine Kirche aus Stein errichten, in St. Petersburg stiftete er das Frauenkloster an der Karpovka, einem Seitenarm der Neva, das heute von einer blühenden Gemeinschaft bewohnt wird. Dort wurde er auch begraben.

Wie Clemens Maria Hofbauer und Don Bosco

Sein Wirken erinnert an das katholischer Heiliger des 19. Jh., der Heiligen Klemens Maria Hofbauer, Johannes Don Bosco und des seligen Adolf Kolping, die als Priester Seelsorge und soziale Tätigkeit miteinander verbanden, nicht nur als Almosengeben, sondern indem sie jungen Menschen eine gediegene Ausbildung ermöglichten.

Die soziale Tätigkeit des hl. Johannes ist auch im Zusammenhang mit der anderer Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche zu sehen, die sich aus der Motivation ihres Glaubens heraus für Arme und Kranke eingesetzt haben: u.a. die hl. Elisaveta Fedorovna (†1918), die Schwägerin des Zaren Alexander III. und Gründerin der Maria-Marta-Gemeinschaft, und die Äbtissin des Nonnenklosters im russischen Lesna Ekaterina (†1925) , die Schwesterngemeinschaften mit sozialem Akzent errichteten.

Begnadeter Lehrer

Zum Bedauern vieler machte es dem Heiligen der Ansturm von Gläubigen unmöglich, weiterhin Religion in der städtischen Berufsschule und dem Gymnasium zu unterrichten. Er war dort 25 Jahre lang als Pädagoge tätig gewesen. Seine pädagogische Devise war nicht, wie damals vielerorts üblich, äußerste Strenge oder moralische Erniedrigung von weniger Talentierten. Der Ansporn kam nicht durch Noten, Disziplin nicht durch Strafen.

Für einen Lehrer klingt die Beschreibung der Vita wie eine Wundererzählung: „Erfolge erwuchsen aus seiner freundlichen, herzlichen Einstellung gegenüber der Tätigkeit als Lehrer und gegenüber den Schülern. Deshalb gab es bei ihm keine ‚Unbegabten’“. Die Unterrichtsstunden waren für die Schüler anziehend, weil sie nicht anstrengend, sondern interessant in Gesprächsform gehalten wurden. Besonders die lebendigen Erzählungen des Seelsorgers und Hirten faszinierten die Schüler.

Für ihn war die Heranbildung von Menschen und Christen für das Vaterland wichtiger als die Wissenschaft, er setzte sich für „schlimme“ Schüler ein, denen der Ausschluss drohte. Heiligenviten spielten eine besondere Rolle in seinem Unterricht. Diese Tätigkeit musste der hl. Johannes von Kronstadt zugunsten seines Wirkens in Kronstadt und ganz Russland aufgeben.

Unermüdlicher Seelsorger

Wir müssen uns den Tagesablauf des Heiligen vor Augen stellen, um die Beschwerlichkeit des Lebens zu verstehen, das er aus Nächstenliebe auf sich nahm. Er stand täglich um 3 Uhr morgens auf, bereitete sich für die Liturgie vor. Wenn er frühmorgens die Kirche betrat, wartete schon eine Menschenmenge auf ihn, um Almosen oder seinen Segen zu erbitten. Er betete selbst die Vigil, hörte dann Beichte, aufgrund der Massen musste er sie in allgemeiner Form durchführen, wobei viele ihre Sünden ohne jede Scham laut herausschrien.

Die Andreas-Kirche fasste 5.000 Menschen, die Liturgie mit Kommunionspendung dauerte deshalb meist bis mindestens 12 Uhr. Seine Weise zu zelebrieren zeugte von tiefster Innerlichkeit und Gottesbeziehung. Er war als Priester eine lebendige Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Kirche. Seine Stimme war deutlich und erreichte die Seelen der Gläubigen. Er betete mit solcher Inbrunst - oft unter Tränen der Rührung -, als ob er Gott von Angesicht zu Angesicht sehen würde.

„Es war sichtbar, dass Vater Johannes während der Göttlichen Liturgie die ganze Geschichte unserer Erlösung durchlebte, tief und stark die ganze Liebe des Herrn zu uns spürte, Sein Leid spürte“, so schreibt die Vita. Die Gläubigen waren ergriffen, ob sie aus gläubigem Verlangen, mit Zweifeln oder nur aus Neugierde gekommen waren. Aufgrund der vielen Kommunikanten spendeten mehrere Priester aus mehreren großen Kelchen die Kommunion – bis zu zwei Stunden lang.

Sogar während der Liturgie wurden Telegramme mit Gebetsbitten an den hl. Johannes herangetragen, damit er sie lese. Nach der Liturgie besuchte er, begleitet von vielen Menschen, Kranke in der Stadt St. Petersburg, oft bis in die späte Nacht hinein. Ein derart anstrengendes Leben erforderte übernatürliche Kräfte.

Zu Lebzeiten als Heiliger verehrt

Auf Bitten von vieler Gläubigen unternahm der Priester zahlreiche Reisen in verschiedene Städte Russlands: Charkov, Samara, Saratov, Kazan’, Nižnij Novgorod. In Charkov fanden sich am 20.Juli1890 über 60.000 Menschen auf dem Domplatz ein, um am Gebet mit dem hl. Johannes teilzunehmen. Tausende Gläubige säumten die Wege. Wenn er mit dem Schiff fuhr, versammelten sich Gläubige an den Ufern, oft kniend. Die Wertschätzung für ihn reichte bis in höchste Kreise. Zar Aleksandr III. starb 1894 in seinen Armen.

Der hl. Seelsorger konnte den Versuchungen des Ruhmes widerstehen, weil er in der Kontemplation des Gebets und im Freisein von Leidenschaften weit fortgeschritten war. Es wird berichtet, dass er mildtätige Gaben spontan und sofort weitergab, so unter anderem ein Paket, dass ihm ein reicher Kaufmann übergeben hatte. Er öffnete es nicht einmal, sondern gab es gleich einem Armen. Der Kaufmann wandte ein, es enthalte 1000 Rubel, worauf der Heilige erwiderte: „Sein Glück“. Ein anderes Mal weigerte sich Johannes, 30.000 Rubel anzunehmen, weil sie ihm von einer Frau aus schmutzigen Geschäften übergeben wurden. Er hatte die Gabe der „Hellsichtigkeit“, er konnte in die Seele der Menschen sehen. Die Frau gestand später ihre Schuld.

Trotz seiner anstrengenden Tätigkeiten fand der hl. Johannes Zeit, täglich im geistlichen Tagebuch seine Gedanken aufzuschreiben, die ihm während des Gebets und der Betrachtung in den Sinn kamen. Er nannte es ein Geschenk des alles erleuchtenden Geistes Gottes. Dieses Buch wurde unter dem Titel „Mein Leben in Christus“ herausgegeben (1893 in drei Bänden mit insgesamt über 1000 Seiten) und ist zum Teil auch ins Deutsche übersetzt worden.

Die Predigten waren von Klarheit und Überzeugungskraft, auf hohem theologischem Niveau, aber für alle verständlich. Seine Predigten in drei Bänden mit insgesamt 1800 Seiten geben davon Zeugnis, ebenso Aufsätze, die in großer Auflage veröffentlicht wurden.

Am 10. Dez. 1908 zelebrierte der hl. Johannes mit äußerster Anstrengung, von einer Krankheit geplagt, das letzte Mal in der Andreas-Kirche und starb am 20. Dez. um 7.40 Uhr. Zehntausende nahmen an seinem Begräbnis teil, gehalten vom St. Petersburger Metropoliten Antonij (Vadkovskij) in Begleitung von Bischöfen und Priestern, Soldaten standen auf dem ganzen Weg Spalier. Am Grab des hl. Johannes ereignen sich bis heute Wunder. Der Priester Johannes von Kronstadt wurde auf dem Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche am 7./8.Juni 1990 heiliggesprochen und sein Gedenktag auf den 20. Dez. , seinen Sterbetag festgesetzt.

Seine Bedeutung für die moderne russische Gesellschaft

Das Jahr vor dem 100. Todestag des hl. Johannes von Kronstadt war in Russland von Gottesdiensten, Prozessionen und Konferenzen geprägt, die seinem Wirken und Leben gewidmet waren. Sein Leben ist nicht nur von historischem Interesse, sondern von geistlicher Bedeutung für die russische Gesellschaft, die nach der Sowjetdiktatur Leitbilder des gesellschaftlichen Lebens sucht. Die Russische Orthodoxe Kirche misst dem hl. Johannes nicht nur Vorbildfunktion zu, sondern sieht ihn als himmlischen Fürsprecher in einer Epoche großer Herausforderungen, aber auch Chancen. Dazu zählt die katechetische und soziale Tätigkeit der Kirche, die in der Sowjetperiode verboten war.

In diesem Zusammenhang sei ein Vortrag von Diakon Vladimir Vasilik am 10. Okt. 2008 auf einer Konferenz in der St. Petersburger Geistlichen Akademie erwähnt. Seine Ausführungen scheinen auf den ersten Blick düster, erinnern aber in manchen Details auch an die Situation in Westeuropa, besonders was die religiöse Gleichgültigkeit betrifft.

Nach seinen Ausführungen erleben Kirche und Gesellschaft eine bisher unbekannte Freiheit. Viele trifft sie unvorbereitet. Die Folge davon sind seiner Einschätzung nach eine rasante Zunahme der Zahl von Drogen- und Alkoholabhängigen, AIDS-Infektionen, gescheiterten Ehen, Schwangerschaftsabbrüchen, ein starkes Sinken der Lebenserwartung, der Geburtenrate, das Ausbrechen bisher als ausgerottet betrachteter Krankheiten wie Cholera und Typhus.

Der Kirche bieten sich viele neue Möglichkeiten der Seelsorge, die aufgrund von fehlendem gut ausgebildetem Personal und mangelnden Geldmitteln nicht ergriffen werden können. „Die Kirchen öffnen sich, die Seelen schließen sich“, schrieb schon 1987 Archimandrit Ioann Krest’jankin . Andererseits zeigen sich viele neue Gesichter in den Kirchen, die nicht alle den Geist der Orthodoxie aufnehmen wollen. Wenn sich auch die Mehrzahl der Russen als Orthodoxe bekennt, kennen viele den Inhalt des orthodoxen Glaubens nicht.

Worin liegt die Lösung des Problems? Die Kirche bietet den Weg der Heiligkeit, wie ihn der hl. Johannes und viele andere vorgelebt haben. Gerade Aspekte aus dem Leben des hl. Johannes können ein Ansporn sein.

Seine Eltern lehrten ihn zu beten. Die Familie ist die Kirche im Kleinen, die Berufungen zur Heiligkeit auch unter schwierigen materiellen Umständen fördern kann. Der Reichtum besteht im geistlichen Leben und der Gerechtigkeit. Unter welchen Umständen große Gestalten der Kirche der letzten Jahrhunderte ihr Leben gemeistert haben, soll den Menschen der Gegenwart ein Ansporn sein.

Wenn der hl. Johannes die Lebensbedingungen der Armen seiner Pfarre verbessern wollte, so gab er gerade den jungen Menschen eine Chance, ihren Charakter nicht in der Verzweiflung der Kriminalität formen zu lassen. Gleichzeitig rüttelte er mit seinem Beispiel Wohlhabende aus ihrer Gleichgültigkeit auf. Dabei ließ er sich nicht von Spott und Verfolgung auch aus den Reihen seiner Mitbrüder entmutigen.

Es gibt keine Trennung der Menschen in ein „Reich von Bösen“ und ein „Reich von Guten“, das Abbild Gottes besteht in jedem Menschen trotz der Sünde. Auch zeigte die soziale Tätigkeit des hl. Johannes, dass sich die Kirche nicht nur um das geistliche, sondern damit verbunden auch um das leibliche Wohl der Gläubigen kümmern muss. Dazu gehört eine gute Ausbildung der Jugend, besonders im Sinn der Herzensbildung.

Alldem lag im Leben des Hl. Johannes die Liturgie zugrunde. Er predigte an allen Sonn- und Feiertagen und feierte täglich die Eucharistie, hob die Bedeutung der Beichte hervor. Aus dem geistlichen Leben heraus wächst das gesellschaftliche Engagement. So sah der hl. Johannes die Aufgabe des Zaren, sein Leben dem Wohl des Volkes zu opfern.

Was bedeutet das übertragen auf heute? Wer Opfer für Reformen fordert, muss zuerst bereit sein, selbst Opfer zu bringen, was in den letzten 20 Jahren stürmischer Reformen in der Russischen Föderation nicht selbstverständlich war. Der hl. Johannes sah trotz Loyalität zum Zaren die Schwächen des Russischen Reiches so deutlich, dass er einen Niedergang und die Versuchung der Revolution auch unter Gläubigen ahnte. „Nur das Reich Gottes ist auf Erden mit immerwährendem Frieden erfüllt“, weltliche Reiche kommen und gehen in Abhängigkeit von der in ihnen herrschenden Sünde, so die Überzeugung des Heiligen.

Der hl. Johannes von Kronstadt verband ein tiefes geistliches Leben, gestützt auf die tägliche Eucharistiefeier und auf intensives persönliches Gebet, mit höchst aktiver Tätigkeit in seiner Umgebung, sei es in der schulischen Katechese, sei es in der sozialen Verantwortung für eine Gesellschaft im Umbruch. In den schwersten Zeiten der Kirchenverfolgung war er in der Frömmigkeit des Volkes immer gegenwärtig. Sein 100. Todestag zeigte seine Aktualität auch im heutigen Russland als Vorbild und Fürsprecher für die Seelsorge der Russischen Orthodoxen Kirche.

DI MMMag. P. Sebastian Hacker OSB ist Assistent am Institut für Theologie und Geschichte des Christlichen Ostens der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Foto: Ikone des hl. Johannes von Kronstadt, © Website der russisch-orthodoxen Pfarre in Hamburg: www.hamburg-hram.de/de


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